Archiv für den Monat: April 2022

Vollstreckung II: Zulässigkeit einer Teilvollstreckung, oder: Berufung gegen Gesamtfreiheitsstrafe

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Bei der zweiten vollstreckungsrechtlichen Entscheidung, die ich vorstelle, handelt es sich um den OLG Celle, Beschl. v. 21.01.2022 – 2 Ws 5/22, den mir der Kollege Urbaneck aus Minden geschickt hat. Das OLG behandelt eine ganz interessante Frage, mit der übrigens dann auch schon das BVerfG befasst war.

Folgender Sachverhalt: Das AG hat den Verurteilten am 16.07.2019 wegen Betruges in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt. Die hiergegen eingelegte Berufung hat das LG am 11.05.2021 verworfen.

Am 11.11.2021 verurteilte das AG den Verurteilten wegen Betruges in 5 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 1 Jahr und 10 Monaten und setzte deren Vollstreckung zur Bewährung aus. Dabei bezog das AG die in dem o.g. Urteil vom 16.07.2019 verhängten Einzelstrafen unter gleichzeitiger Auflösung der dort gebildeten Gesamtfreiheitsstrafe ein. Über das gegen die Verurteilung vom 11.11.2021 eingelegte Rechtsmittel ist noch nicht entschieden worden.

Nach Einleitung der Vollstreckung der Gesamtfreiheitsstrafe aus dem Urteil vom 16.07.2019 wurde der Verurteilte auf der Grundlage eines Vollstreckungshaftbefehls am 22.11.2021 vorläufig festgenommen und am 23.11.2019 (Edit: Muss wohl 23.11.2021 heißen) in Strafhaft überführt. Seinem Antrag vom 26.11.2021 auf Einstellung der weiteren Vollstreckung und seine sofortige Entlassung aus der Strafhaft hat die Staatsanwaltschaft nicht stattgegeben und die Sache zur Entscheidung der Strafvollstreckungskammer vorgelegt. Die hat die Einwendungen zurückgewiesen. Dagegen hat der Verurteilte sofortige Beschwerde eingelegt. Das BVerfG hat im Wege einer einstweiligen Anordnung die weitere Vollstreckung der Gesamtfreiheitsstrafe aus dem Urteil vom 16.07.2019 bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die vom Verurteilten nach § 458 Abs. 1 StPO erhobenen Einwendungen gegen die Zulässigkeit der Vollstreckung, längstens für die Dauer von 6 Monaten, ausgesetzt.

Die sofortige Beschwerde hat dann jetzt beim OLG Celle Erfolg:

„1. Die vom Beschwerdeführer gegen die Zulässigkeit der Vollstreckung seiner rechtskräftigen Gesamtfreiheitsstrafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Stadthagen vom 16.07.2019 i.V.m. dem Urteil des Landgerichts Bückeburg vom 11.05.2021 erhobenen Einwände sind begründet. Denn die Teilvollstreckung dieser Gesamtfreiheitsstrafe würde bei dem Beschwerdeführer im Hinblick auf sein anhängiges Rechtsmittel gegen die Nachverurteilung vom 11.11.2021, in welcher die der Gesamtstrafe zugrunde liegenden Einzelstrafen bei der neu gebildeten und zur Bewährung ausgesetzten Gesamtfreiheitsstrafe einbezogen wurden, zu einem rechtswidrigen Nachteil führen.

a) Die Teilvollstreckung von rechtskräftigen Einzelfreiheitsstrafen, selbst wenn sie in eine nichtrechtskräftige Gesamtstrafe eingegangen sind, ist nach herrschender Meinung in Rechtsprechung und Literatur nach § 449 StPO in formeller Hinsicht grundsätzlich möglich (vgl. KG Berlin, Beschl. v. 18.05.2018 — 5 Ws 65 – 66/18 —, juris, mwN). Denn es handelt sich bei rechtskräftigen Einzelstrafen nicht nur um bloße Rechnungsfaktoren für die Bemessung der Gesamtstrafe, sondern um rechtlich selbständige, der Rechtskraft fähige richterliche Entscheidungen, die der Teilvollstreckung zugänglich sind. Indes darf die im Ermessen der Staatsanwaltschaft als Vollstreckungsbehörde stehende Teilvollstreckung nur angeordnet werden, wenn hierfür ein echtes und unabweisbares Bedürfnis besteht. In keinem Fall darf dem Verurteilten durch die Teilvollstreckung ein Nachteil entstehen. Daher scheidet eine Teilvollstreckung nach §§ 449, 458 Abs. 1 StPO aus, wenn nach Wegfall der angefochtenen Gesamtfreiheitsstrafe die Möglichkeit besteht, dass dem Angeklagten eine Strafaussetzung zur Bewährung gewährt werden könnte (vgl. KG Berlin, aaO; OLG Hamm, Beschl. v. 17.01.2012 – 3 Ws 14/12 – juris; Appl in KK-StPO, 8. Auflage, § 449 Rd. 16 f.; Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 64. Auflage, § 449 Rd. 11). Eine solche Möglichkeit ist bereits dann anzunehmen, wenn es abstrakt — unabhängig von konkreten Strafzumessungserwägungen — nicht ausgeschlossen ist, dass eine neue Gesamtfreiheitsstrafe in aussetzungsfähiger Höhe gebildet wird. Die Teilvollstreckung einer in Rechtskraft erwachsenen Einzelfreiheitsstrafe ist daher nur dann zulässig, wenn sie über zwei Jahren liegt oder wenn neben einer Einzelfreiheitsstrafe von zwei Jahren eine weitere Einzelstrafe rechtskräftig ist.

b) In Ansehung der vorstehenden Grundsätze ist die Vollstreckung der durch das Urteil des Amtsgerichts Stadthagen vom 16.07.2019 in Verbindung mit dem Urteil des Landgerichts Bückeburg vom 11.05.2021 ausgesprochenen Gesamtfreiheitsstrafe unzulässig, da die ihr zugrundeliegenden Einzelstrafen im nachfolgenden Urteil des Amtsgerichts Stadthagen vom 11.11.2021 in die neu gebildete und zur Bewährung ausgesetzte Gesamtstrafe von 1 Jahr und 10 Monaten einbezogen wurden. Unerheblich ist, dass dieses Urteil noch nicht rechtskräftig geworden ist. Der Teilvollstreckung der rechtskräftigen Gesamtfreiheitsstrafe aus dem Urteil vom 16.07.2019 steht insoweit entgegen, dass es sich bei den ihr zugrundeliegenden Einzelstrafen jeweils um aussetzungsfähige Einzelfreiheitsstrafen handelt und die Möglichkeit besteht, dass im Zuge der Entscheidung über das Rechtsmittel des Beschwerdeführers gegen die Nachverurteilung vom 11.11.2021 unter Einbeziehung dieser Einzelstrafen erneut eine zur Bewährung ausgesetzte Gesamtfreiheitsstrafe gebildet wird. Denn es ist zum einen nichts dafür ersichtlich, dass der Beschwerdeführer in dem Rechtsmittelverfahren von den im Urteil vom 11.11.2021 gegen ihn erhobenen neuen Tatvorwürfen freigesprochen wird und somit die Bildung einer neuen, zur Bewährung ausgesetzten Gesamtfreiheitsstrafe ausgeschlossen wäre. Zum anderen ist angesichts des lediglich vom Beschwerdeführer eingelegten Rechtsmittels und des daraus folgenden Verschlechterungsverbots selbst bei einer Bestätigung des erstinstanzlichen Schuldspruchs bzgl. der neuen Tatvorwürfe die Verhängung einer Gesamtfreiheitsstrafe von mehr als 1 Jahr und 10 Monaten sowie die Ablehnung der Bewilligung einer Strafaussetzung zur Bewährung ausgeschlossen.

Überdies würde die Teilvollstreckung der Gesamtstrafe aus dem Urteil vom 16.07.2019 den Beschwerdeführer in seinen Grundrechten verletzen. Denn die mit der Wiederaufnahme der Teilvollstreckung verbundene erneute Inhaftierung in Strafhaft könnte er nur durch die Rücknahme seines Rechtsmittels gegen die Nachverurteilung vom 11.11.2021 abwenden. Er wäre mithin gezwungen, auf sein verfassungsmäßiges Grundrecht aus Art. 19 Abs. 4 GG auf Gewährung von effektivem Rechtsschutz zur gerichtlichen Überprüfung der Nachverurteilung zu verzichten. Den hiermit verbundenen unmittelbaren Eingriff in sein Freiheitsgrundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG sieht der Senat, anknüpfend an die Erwägungen des Bundesverfassungsgerichts in der auf Antrag des Beschwerdeführers erlassenen einstweiligen Anordnung vom 10.12.2021, als unverhältnismäßig und daher grundrechtswidrig an. Konkrete Umstände, welche ein tatsächliches und unabweisbares Bedürfnis für die Wiederaufnahme der Teilvollstreckung und ihre Verhältnismäßigkeit begründen könnten, sind insoweit nicht ersichtlich….“

Vollstreckung I: Absehen wegen Therapieabsicht?, oder: Beurteilungsspielraum

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Am letzten Arbeitstag vor Ostern stelle ich hier drei Entscheidungen aus dem Bereich der Vollstreckung vor. Der kommt ja leider immer etwas kurz.

Zunächst etwas aus Bayern vom BayObLG zu § 35 BtMG, und zwar der BayObLG, Beschl. v. 31.01.2021 – 204 VA 536/20. Schon etwas älter, aber das BayObLG hat auch spät geschickt 🙂 .

Der Verurteilte ist mit Urteil vom 16.09.2020 wegen des Erschleichens von Leistungen mit Sachbeschädigung mit Diebstahl mit Beleidigung in sechs tatmehrheitlichen Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt, deren Vollstreckung nicht zur Bewährung ausgesetzt wurde, verurteilt worden. Der Verurteilte verbüßt diese Freiheitsstrafe seit 18.12.2020.  Zwei Drittel der Strafe sind/waren am 17.4.2021 erreicht. Das Strafende ist/war auf den 17.6.2021 notiert.

Mit Anwaltsschreiben vom 15.10.2020 hat der Verurteilte beantragt die Vollstreckung der Freiheitsstrafe gemäß § 35 BtMG zugunsten einer von ihm beabsichtigten Therapie zurückzustellen, da die Taten aufgrund der bei ihm bestehenden Betäubungsmittelabhängigkeit begangen worden seien. Die Staatsanwaltschaft hat das abgelehnt, da die Tat des Verurteilten nicht oder jedenfalls nicht überwiegend aufgrund einer Betäubungsmittelabhängigkeit begangen worden sei. Dagegen hat der Verurteilte unter Hinweis auf die im Urteil aufgenommene Vorschrift des § 17 Abs. 2 BZRG Beschwerde eingelegt. Die hatte keinen Erfolg. Dagegen dann der Antrag auf gerichtliche Entscheidung, der ebenfalls beim BayObLG keinen Erfolg hatte. Das BayObLG hat seiner Entscheidung folgende Leitsätze vorangestellt:

  1. Der Vollstreckungsbehörde steht hinsichtlich der Feststellung einer Betäubungsmittelabhängigkeit und deren Kausalität für die Tat ein Beurteilungsspielraum zu.

  2. Der Beurteilungsspielraum der Vollstreckungsbehörde ist dann stark eingeschränkt oder im Sinne einer Bindung völlig aufgehoben, wenn sich die Kausalität gemäß § 35 Abs. 1 BtMG „aus den Urteilsgründen“ ergibt, wobei die entsprechenden Feststellungen nur die Bedeutung einer widerleglichen Vermutung haben.

  3. Den Urteilsfeststellungen kommt dann ein hohes Gewicht und ein erheblicher Beweiswert zu, wenn sie sich eingehend mit der Betäubungsmittelabhängigkeit beschäftigen und die entsprechenden Beweise vom Gericht erhoben und gewürdigt werden, insbesondere wenn sie sich auf ein Sachverständigengutachten stützen und das Urteil zur Begründung der richterlichen Überzeugung eine eingehende Darlegung des Vorlebens eines Angeklagten und seiner Drogenkarriere enthält.

  4. Die bloße Nennung von § 17 Abs. 2 BZRG in der Liste der angewendeten Vorschriften ist kein Beleg für die Betäubungsmittelabhängigkeit und deren Kausalität für die abgeurteilte Tat.

StGB III: Digitale Fälschung eines Verrechnungsschecks, oder: Strafbar?

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Und zum Schluss dann noch etwas vom AG, nämlich der AG Karlsruhe, Beschl. v. 18.01.2022 – 17 Ds 640 Js 41134/18, den mir der Kollege Just aus Karlsruhe geschickt hat.

Die StA wirft dem Angeschuldigten vor, am 27.08.2018 der pp.-Bank Karlsruhe eG, per E-Mail einen Scan eines gefälschten Verrechnungsschecks der pp.-Bank mit Datum vom 11.04.2018 über 25.000,00 EUR übersandt und angekündigt zu haben, diesen einzureichen, um die pp.-Bank eG zur Gutschrift dieses Betrages auf das Konto der Fa. pp. GmbH zu veranlassen und sich dadurch eine Einnahmequelle von einiger Dauer und gewissem Umfang zu verschaffen. Dabei soll er jedenfalls billigend in Kauf genommen haben, dass der Verrechnungsscheck gefälscht gewesen sei.

Das AG hat aus rechtlichen Gründen nicht eröffnet werden (§§ 204 Abs. 1, 210 Abs. 2 StPO).:

§ 152a Abs. 1 Nr. 2 StGB sieht eine Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahre oder Geldstrafe vor, wenn jemand zur Täuschung im Rechtsverkehr oder, um eine solche Täuschung zu ermöglichen, solche falschen Karten, Schecks, Wechsel oder anderen körperlichen unbaren Zahlungsinstrumente sich oder einem anderen verschafft, freihält, einem anderen überlässt oder gebraucht.

Eine tatbestandsmäßige Handlung liegt hier nicht vor. Für Gebrauchen im Sinne des § 267 StGB genügt das Vorlegen einer als solche erkennbaren Abschrift in der Regel nicht. Zwar ist ein Gebrauchen im Sinne des § 267 StGB anzunehmen, wenn die Fotokopie einer unechten Originalurkunde verwendet wird und die Kopie als solche erscheinen soll (Fischer, StGB, 69. Aufl. 2022, § 267 Rn. 37 m.w.N.). Das Vorlegen der Kopie einer falschen Urkunde kann aber nur Gebrauchen der gefälschten Urkunde sein, wenn überhaupt jemals eine (falsche) Urkunde vorgelegen hat (vgl. Fischer, a.a.O., § 267 Rn. 19). Hieran fehlt es. Dass der eingescannte gefälschte Scheck vorliegend jemals verkörpert Vorgelegen hat, lässt sich der Akte nicht zweifelsfrei entnehmen.

Zwar führt die Staatsanwaltschaft aus, es sei unerheblich, ob die Fälschung verkörpert sei oder lediglich in digitaler Form existiere, da der Tatbestand des § 152a StGB auch die Fälle des § 269 StGB umfasse und verdränge (MüKoStGB/Erb, 4. Auf!. 2021, StGB § 152a Rn. 16). § 269 StGB umfasse dabei auch Datenurkunden (BeckOK StGB/Veidemann, 51. Ed. 1.11.2021, StGB § 269 Rn. 9).

Ein Verrechnungsscheck wird allerdings ausschließlich in Papierform ausgestellt und durch physische Vorlage bei einer Bank verwendet. Dies bestätigte auch die PP. Karlsruhe mit Schreiben vom 16.08.2021 (AS 671). Digitale Daten sind auf der Urkunde nicht gespeichert. Die digitale Fälschung einer solchen Papierurkunde mittels Bildbearbeitungsprogramms unterfällt nicht § 269 StGB, da es sich bei der durch Scan oder rein digital am PC erstellten Grafik- bzw. PDF-Datei nicht um „beweiserhebliche“ Daten handelt, die sodann manipuliert werden.

Auch bestehen Zweifel an der Erfüllung des subjektiven Tatbestands. Insofern wird auf die Ausführungen des Verteidigers des Angeklagten (AS 655) Bezug genommen. Im Raum steht auch ein etwaiger Verbotsirrtum des Angeschuldigten.

Eine Versuchsstrafbarkeit nach § 152a Abs. 1, Abs. 2, 22, 23 StGB ist nicht Gegenstand der Anklageschrift vom 09.12.2019.“

StGB II: Die „Lachnummer auf der Kippenschachtel“, oder: Beleidigung oder noch „meinungsfrei“?

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Die zweite Entscheidung kommt auch vom BayObLG. Es geht mal wieder um die Frage der Beleidigung

Das AG hat den Angeklagten wegen Beleidigung in drei tateinheitlichen Fällen zu einer Geldstrafe verurteilt. Hiergegen haben der Angeklagte sowie die Staatsanwaltschaft – letztere beschränkt auf den Rechtsfolgenausspruch –  Berufung eingelegt. Das LG Nürnberg-Fürth hat die Berufung des Angeklagten als unbegründet verworfen und auf die Berufung der Staatsanwaltschaft den Rechtsfolgenausspruch des AG-Urteils abgeändert.

Dagegen hat der Angeklagte Revision eingelegt. Die hatte insoweit Erfolg, als das Verfahren hinsichtlich eines Falles der Beleidigung eingestellt worden ist, weil nach Auffassung des BayObLG ein Strafantrag fehlte. Im Übrigen hatte die Revision soweit sie sich gegen den Schuldspruch der Beleidigung in dann noch zwei tateinheitlichen Fällen richtete, keinen Erfolg.

Das LG hatte folgende Feststellungen getroffen, die dann auch das BayObLG seiner Entscheidung zugrunde legt:

„a) Danach hat der Angeklagte am 29.05.2020 auf seinem YouTube-Kanal ein Video hochgeladen mit dem Titel:

„Es ist Wahnsinn. Hier wird eine Volkswirtschaft kaputt gemacht und alle schauen zu.“

Im Rahmen dieses Videos erscheint ab Minute 6.51 ein Bild, auf dem fünf Personen, unter anderem die Strafantragsteller pp.  zu sehen sind, wobei im Hintergrund ein Plakat der Partei „die Grünen“ zu sehen ist. Über dem Bild befindet sich folgender Text:

„Und ich dachte immer, die Schockbilder auf den Kippenschachteln wären schlimm“ (smiley). „Das sind die Grünen im bayerischen Landtag…..und nein: Das ist KEIN Scherz.“

Der Angeklagte kommentierte dieses Foto mündlich mit folgenden Worten:

„Ja und wenn ihr euch das anschaut, das sind welche, die sind im bayerischen Landtag. Das ist jetzt kein Witz und das ist auch kein Scherz. Also wenn ich mir die Figuren anschaue und die bestimmen über unsere Zukunft und solche Leute sind gewählt, also das sind ja Lachnummern, das sind absolute Lachnummern, diese Figuren. Das ist wirklich, das kannste normalerweise, wie es heißt, das kannste auf ne Kippenschachtel tun als Warnhinweis.“

Das Berufungsgericht hat weiter festgestellt, dass es sich bei sämtlichen auf dem Foto abgebildeten Personen um Menschen mit transsexuellem Hintergrund handelt, wobei (Anm.: zum Tatzeitpunkt) lediglich eine dieser Personen und Strafantragstellerin ein Mitglied der Grünen im bayerischen Landtag ist, eine weitere Person weder Mitglied der Grünen noch im bayerischen Landtag vertreten ist und über die drei anderen Personen nichts Näheres bekannt ist.

Das LG war beweiswürdigend davon ausgegangen, „dass das verfahrensgegenständliche Bild, das der Angeklagte seiner Einlassung nach bereits mit der oben bezeichneten Überschrift aus den sozialen Netzwerken kopiert habe, ca. Anfang 2019 mit Einverständnis der fotografierten Personen im bayerischen Landtag gefertigt wurde, es sich lediglich bei einer fotografierten Person um ein Mitglied des bayerischen Landtags handelte, sämtliche Personen der Partei der Grünen nahestanden und dem Angeklagten weder der Anlass der Anfertigung des Fotos bekannt war noch er wusste, um wen es sich bei den abgebildeten Personen gehandelt habe, er aber aufgrund von ihm nicht geprüfter Angaben in den sozialen Netzwerken davon ausgegangen sei, dass es sich bei allen Personen um Politikerinnen der Grünen im bayerischen Landtag gehandelt habe, und dass der transsexuelle Hintergrund ihm nicht bekannt bzw. eine diesbezügliche Kenntnis nicht nachzuweisen gewesen sei.“

Es hatte „zum übrigen Inhalt des Videos festgestellt, dass zu dessen Beginn der Untertitel „der politische Wochenrückblick von Hallo Meinung“ eingeblendet ist. Der Angeklagte leitet das Video mit den Worten ein „diese Woche ist viel passiert“, wobei er sich kritisch über die Finanztransfers der europäischen Nordländer an die europäischen Südländer, die jahrelang Misswirtschaft getrieben hätten, äußert. Es folgt ein Ausschnitt aus der Sendung von Markus Lanz, in der der SPD-Politiker Ralf Stegner auftritt, den der Angeklagte mit den Worten „Hirnis wie Stegner“ kommentiert. Die nächste Sequenz befasst sich mit einem Artikel über milliardenschwere Coronahilfen, die mit Steuern finanziert werden, wobei der Angeklagte zum einen Ursula von der Leyen kritisiert und zum anderen den eingeblendeten europäischen Politiker Manfred Weber unter anderem mit den Worten charakterisiert „solche Leute sind für mich Waschlappen“, „jetzt ist er nur ein Hinternkriecher“, „solche Orgelpfeifen bestimmen über unsere Zukunft“. Es folgt eine Sequenz, in der darüber berichtet wird, dass die Grünenpolitikerin Baerbock in einer Sendung von Anne Will die Bundesrepublik Deutschland als größte Volkswirtschaft der Welt bezeichnet hat, was der Angeklagte richtig stellt und kritisiert, dass diesen Fehler niemand bemerkt habe.

In zeitlicher Abfolge danach enthält das Video die unter II.1.a. dargestellte Sequenz ab Minute 6.51. Nach dieser wird ein Bild, auf dem die (Anm.: ehemalige) deutsche Bundeskanzlerin Merkel und der französische Präsident Macron zu sehen sind, gezeigt mit der Unterschrift „Enkel-Trick: Smarter Betrüger klaut verwirrter Seniorin 135 Milliarden Euro. Die Polizei bitte um Mithilfe.“

Schließlich kommentiert der Angeklagte ein Bild der Firma B + I, zugehörig zur Baumüller-Gruppe in Nürnberg, damit, dass die Frau des bayerischen Ministerpräsidenten Söder etwas mit dieser Firma, die Face-Shields vertreibe, zu tun habe, wozu er ironisch bemerkt, dass er selbstverständlich keinen Zusammenhang mit der Politik herstellen wolle, „ein Schelm, wer Böses dabei denkt.“

Das Video endet mit einem Bild, das die These aufstellt, wir seien auf dem besten Weg, ein gleichgeschaltetes Volk zu werden und das ebenfalls vom Angeklagten kommentiert wird.“

Das BayObLG hat die Auffassung des LG, dass der Angeklagte sich damit der Beleidigung gemäß § 185 StGB in zwei tateinheitlichen Fällen schuldig gemacht hat, bestätigt.

Ich erspare mir das Einstellen der umfangreichen Begründung im BayObLG, Beschl. v. 31.01.2022 – 204 StRR 574/21 – und ordne das Selbstleseverfahren an.

StGB I: Gewährung von „Kirchenasyl“ in Dublin-Fällen, oder: Machen sich Pfarrer/Ordensleute strafbar?

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Zur Wochenmitte der „Karwoche“ dann heute drei StGB-Entscheidungen. Dieses Mal nicht vom BGH, sondern aus der „Instanz“.

Zunächst der BayObLG, Beschl. v. 25.02.2022 – 201 StRR 95/21 – zu einer etwas „exotischen“ Fragestellung, nämlich zur zur Strafbarkeit von Pfarrern und Ordensleuten wegen Beihilfe zum unerlaubten Aufenthalt bei Gewährung von „Kirchenasyl“ in den sog. Dublin-Fällen. Hat man sicherlich nicht alle Tage. Das BayObLg nimmt zu den Rechtsfragen eingehend Stellung. Daher stelle ich hier nur die Leitsätze vor. Folgender Sachverhalt/Verfahrensablauf:

Die Staatsanwaltschaft hat unter dem 05.02.2021 beim AG „den Erlass eines Strafbefehls, in welchem dem Angeklagten, einem Ordensbruder der Abtei B., zur Last gelegt wurde, dem anderweitig Verfolgten A., geboren in Gaza, Staatsangehörigkeit ungeklärt, jedenfalls seit dem 25.08.2020 in den Räumlichkeiten der Abtei sogenanntes „Kirchenasyl“ gewährt zu haben. Obwohl dem Angeklagten bekannt gewesen sei, dass A., der erstmalig am 13.04.2020 in das Bundesgebiet eingereist war und am 22.04.2020 Asylantrag gestellt hatte, nach Ablehnung des Asylantrags mit Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden BAMF) vom 12.05.2020 seit dem 23.05.2020 vollziehbar ausreisepflichtig war, habe er ihn am 25.08.2020 in das „Kirchenasyl“ aufgenommen und ihm Unterkunft und Verpflegung gewährt. Den Eintritt habe der Angeklagte noch am selben Tage der zuständigen Stelle beim BAMF gemeldet und bis zum 25.09.2020 fristgerecht ein entsprechendes Dossier eingereicht. Das BAMF habe das Selbsteintrittsrecht abgelehnt, eine Frist zum Verlassen des „Kirchenasyls“ bis zum 15.10.2020 gesetzt und dies dem Angeklagten am 12.10.2020 mitgeteilt. Gleichwohl habe der Angeklagte das „Kirchenasyl“ über den 15.10.2020 hinaus fortgesetzt und durch die Gewährung von Unterkunft und Verpflegung dessen illegalen Aufenthalt unterstützt, sodass dieser sich dem Zugriff der Behörden entziehen konnte.“

Das AG hat den Strafbefehl wegen rechtlicher Bedenken nicht erlassen, sondern stattdessen Termin zur Hauptverhandlung gemäß § 408 Abs. 3 Satz 2 StPO bestimmt. Es hat den Angeklagten dann aus rechtlichen Gründen freigesprochen. Nach den Feststellungen des AG „gewährte der Angeklagte, der auch Koordinator der Flüchtlingshilfe in der Abtei B. ist, dem A. in der Zeit vom 25.08.2020 bis Dezember 2020 im Einvernehmen mit den anderen Angehörigen der Abtei B. in den dortigen Räumlichkeiten „Kirchenasyl“ in Form der Gewährung von Unterkunft und Verpflegung. A., dessen Staatsangehörigkeit ungeklärt, aber jedenfalls nicht deutsch ist, war erstmalig am 13.04.2020 in das Bundesgebiet eingereist und hatte am 22.04.2020 Asylantrag gestellt. Sein Asylantrag war mit Bescheid des BAMF vom 12.05.2020 im Hinblick auf die sog. „Dublin-III-Verordnung“ abgelehnt worden, da er bereits zuvor in Rumänien als asylsuchend registriert worden war. Damit war er, wie auch der Angeklagte wusste, seit 23.05.2020 vollziehbar ausreisepflichtig. Den Eintritt des Ausländers in das „Kirchenasyl“ teilte der Angeklagte dem BAMF noch am 25.08.2020 über das katholische Büro Bayern mit. Das BAMF lehnte am 12.10.2020 die Ausübung des Selbsteintrittsrechts ab und setzte eine Frist zum Verlassen des „Kirchenasyls“ bis zum 15.10.2020, was der Angeklagte noch am selben Tage erfuhr, zeitnah dem A. mitteilte und mit ihm die weiteren Handlungsmöglichkeiten erörterte. Dieser verblieb weiterhin im „Kirchenasyl“. Nach Ablauf der Überstellungsfrist, welche am 12.11.2020 endete, verließ A. im Dezember 2020 das „Kirchenasyl“ und befindet sich seither im deutschen Asylverfahren.“

Der Angeklagte hatte in der Hauptverhandlung geltend gemacht, „er habe durch den intensiven Kontakt mit einzelnen Geflüchteten glaubhafte Kenntnis von einer Vielzahl traumatischer Erfahrungen der Geflüchteten in den Transitländern – darunter auch Bulgarien, Rumänien und Ungarn – auf dem Weg nach Deutschland erhalten. Auf der Balkanroute habe es massive körperliche Gewalt gegeben, die Geflüchteten seien unmenschlich behandelt worden. Er sei zu der Erkenntnis gelangt, dass die ihm anvertrauten Flüchtlinge bei Rücküberstellung in diese Länder Gefahr laufen würden, in einer Weise behandelt zu werden, die mit ihrer Menschenwürde unvereinbar sei. Diese Überzeugung habe dazu geführt, dass er in sorgfältig ausgewählten Ausnahmefällen und unter steter Rückendeckung der Abtei Personen, die in die genannten Staaten zurück zu überstellen gewesen wären, den Schutz der Abtei gewährt habe, um eine nochmalige Einzelfallprüfung durch das BAMF nach Art. 17 der Dublin-III-Verordnung herbeizuführen. Nach deren negativem Ausgang habe es zwar Fälle gegeben, in denen aufgenommene Geflüchtete das „Kirchenasyl“ freiwillig verlassen hätten, entweder um Deutschland zu verlassen oder aber um hier unterzutauchen und auf eigene Faust zu versuchen, den Ablauf der Rücküberstellungsfrist abzuwarten. Wenn ein Geflüchteter jedoch bleiben wolle, sehe er sich – unbeschadet auch einer ihm etwa drohenden Freiheitsstrafe – aufgrund seiner von der christlichen Grundüberzeugung getragenen Wertvorstellungen nicht imstande, einen zum Bleiben entschlossenen Geflüchteten den Schutz der Abtei zu versagen und das Verlassen des Abteigeländes zu erzwingen, ohne die eigenen Wertvorstellungen vollständig in Frage zu stellen.“

Dagegen dann die Sprungrevision der Staatsanwaltschaf, die keinen Erfolg hatte. Hier dann die Leitsätze des BayObLG:

  1. Die Gewährung von „Kirchenasyl“ entfaltet für sich genommen keine aufenthaltsrechtlichen Wirkungen. Jedoch begründet der Eintritt in das mehrstufige Prüfungsverfahren entsprechend der Vereinbarung vom 24.02.2015 zwischen dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) und den Bevollmächtigten der evangelischen und katholischen Kirche zur Kirchenasylgewährung in den sog. Dublin-Fällen einen Anspruch des aufgenommenen Asylsuchenden auf Erteilung einer Duldung nach § 60a Abs. 2 AufenthG wegen Vorliegens eines rechtlichen.

  2. Werden die Vorgaben der Vereinbarung eingehalten, so scheidet jedenfalls bis zur Mitteilung des BAMF über den negativen Ausgang der erneuten Einzelfallprüfung sowie dem fruchtlosen Ablauf der dem Asylsuchenden gesetzten Dreitagesfrist zum Verlassen des „Kirchenasyls“ eine Strafbarkeit des kirchlichen Entscheidungsträgers wegen Beihilfe zum unerlaubten Aufenthalt nach § 95 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG mangels vorsätzlich begangener, rechtswidriger Haupttat des aufgenommenen Asylsuchenden aus.

  3. Wird das „Kirchenasyl“ nach der Negativmitteilung des BAMF und dem Ablauf der Dreitagesfrist durch den kirchlichen Entscheidungsträger fortgeführt und beschränkt sich die Hilfeleistung auf die bloße Fortsetzung der Beherbergung und Verpflegung des vollziehbar ausreisepflichtigen Asylsuchenden, so liegt der Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit nicht in einem aktiven Tun, sondern in einem Unterlassen, das jedoch mangels Garantenpflicht des kirchlichen Entscheidungsträgers zur Beendigung des „Kirchenasyls“ nicht als strafbare Hilfeleistung zum unerlaubten Aufenthalt des Asylsuchenden zu qualifizieren ist.