Archiv für den Monat: Januar 2022

OWi II: Atypischer Rotlichtverstoß an der Baustelle, oder: Nicht immer gibt es ein Fahrverbot

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Und dann als dritte Entscheidung der BayObLG, Beschl. v. 13.12.2021 – 201 ObOWi 1543/21. Gegenstand der Entscheidung: Fahrverbot beim Roltichtverstoß.

Das AG hat den Betroffenen wegen Missachtung des Rotlichts einer Lichtzeichenanlage, wobei die Rotphase bereits länger als eine Sekunde andauerte, zu einer Geldbuße vrurteitl und verhängte gegen ihn ein Fahrverbot für die Dauer eines Monats. Tatörtlichkeit war nach den Feststellungen des AG eine Straße, welche aufgrund von Bauarbeiten nur auf einem Fahrstreifen für beide Richtungen befahrbar war. Der Verkehr wurde mit einer Baustellenampelanlage geregelt. Bei der Lichtzeichenanlage handelte es sich um eine Baustellenampel mit dazugehöriger „Countdown-Uhr“. Der Betroffene hielt zunächst auf Höhe der Hausnummer 26 als erstes Fahrzeug in der Warteschlange an der rot zeigenden Ampel an. Sodann fuhr der Betroffene über die Ampel, obwohl die Rotphase (Gesamtdauer 2-10 Minuten) noch 6 Sekunden Rotlicht anzeigte.

Dagegen die Rechtsbeschwerde des Betroffenen, die im Rechtsfolgenausspruch Erfolg hatte:

„2. Indes begegnet der Rechtsfolgenausspruch durchgreifenden rechtlichen Bedenken, soweit das Amtsgericht für die festgestellte Missachtung des Rotlichts einer Baustellenampel bei einer schon länger als eine Sekunde andauernden Rotlichtphase die nach §§ 25 Abs. 1 Satz 1 1. Alt., 26a Abs. 1 Nr  3, Abs. 2 StVG i.V.m. §§ 1,3,4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BKatV (2013) i.V.m. lfd.Nr. 132.3 BKat vorgesehene Regelahndung einer Geldbuße von 200 Euro sowie eines einmonatigen Fahrverbotes zur Anwendung gebracht hat. Jedenfalls die bisher getroffenen Feststellungen sind lückenhaft und rechtfertigen nicht die Annahme eines Regelfalles nach lfd.Nr.132.3 BKat.

a) Der Verordnungsgeber hat eine schärfere Ahndung der Missachtung eines Wechsellichtzeichens trotz bereits länger als eine Sekunde andauernder Rotphase im Hinblick darauf für geboten erachtet, dass dieses Verhalten als besonders gefährlich anzusehen ist, weil sich der Querverkehr nach dieser Zeit bereits in dem Bereich der durch Rotlicht gesperrten Fahrbahn befinden kann (OLG Zweibrücken, Beschl. v. 08.03.2018 – 1 OWi 2 Ss Bs 107/18 = ZfSch 2018, 290; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 27.09.1994 – 5 Ss (OWi) 299/94 = NZV 1995, 35; vgl. auch BGHSt 45, 134). Indes beschränkt sich der Anwendungsbereich der Bestimmung nicht auf den Schutz des Querverkehrs; auch wenn das Wechsellichtzeichen allein dem Schutz des Gegen- oder Diagonalverkehrs dient, sind Verkehrssituationen denkbar, in denen es durch die Missachtung des Rotlichts zur zumindest abstrakten Gefährdung bevorrechtigter Verkehrsteilnehmer kommen kann, die auf das eigene Grünlicht vertrauen (BayObLG, Beschl. v. 16.10.1996 – 1 ObOWi 611/96 = NZV 1997, 2423; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 21.07.1999 — 2a Ss (OWi) 197/99 = NStZ-RR 1999, 376 = NZV 2000, 89 = VRS 98, 47 = VerkMitt 2000, Nr. 30; OLG Zweibrücken a.a.O.). Ein Regelfall ist danach nur bei Vorliegen gewöhnlicher Tatumstände (§ 1 Abs. 2 Satz 2 BKatV) und nur dann gegeben, wenn die Tatausführung allgemein üblicher Begehungsweise entspricht und weder subjektiv noch objektiv Besonderheiten aufweist. Daher sind jeweils im tatrichterlichen Urteil – wie auch sonst – Feststellungen zu treffen, die die Beurteilung ermöglichen, ob das Gewicht des Rotlichtverstoßes durch die von dem Verordnungsgeber gesehenen gewöhnlichen Tatumstände bestimmt wird, er also dem Typus des Regelfalles entspricht, was etwa dann nicht der Fall wäre, wenn aufgrund konkreter Gegebenheiten eine auch nur abstrakte Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen werden kann (BayObLG a.a.O. unter Hinweis auf BayObLG, Beschl. v. 20.10.1995 – 2 ObOWi 672/95 = DAR 1996, 31). In einem solchen Fall kann, wenn nicht andere gewichtige Aspekte vorliegen, die Indizwirkung des Regelbeispiels entkräftet sein. Sind mithin im Einzelfall Umstände ersichtlich, die einer auch nur abstrakten Gefährdung anderer Verkehrssteilnehmer entgegenstehen können, hat der Tatrichter nähere Feststellungen zu treffen, die dem Rechtsbeschwerdegericht die Prüfung ermöglichen, ob die Annahme eines typischen qualifizierten Rotlichtverstoßes dennoch gerechtfertigt erscheint (OLG Saarbrücken a.a.O. mit Hinweis auf BayObLG, Beschl. v. 16.10.1996 a.a.O. sowie OLG Dresden, Beschl. v. 02.08.2002 – Ss [OWi] 361/02 bei juris). Ein solcher Umstand, der nähere Feststellungen zu den konkreten örtlichen Gegebenheiten sowie zu sonstigen verkehrsrelevanten Umständen gebietet, ist nach einhelliger obergerichtlicher Rechtsprechung das Vorliegen einer – wie hier – einspurigen Verkehrsführung an einer Baustellenampel (vgl. nur OLG Zweibrücken a.a.O.; OLG Brandenburg, Beschl. v. 20.06.2003 – 1 Ss [OWi] 97 B/03 = ZfSch 2003, 471; OLG Dresden a.a.O.; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 21.07.1999 a.a.O.; BayObLG, Beschl. v. 30.12.1996 – 2 ObOWi 940/96 = VersR 1997, 1546; OLG Schleswig, Beschl. v. 22.08.1996 – 1 Ss OWi 262/96 = SchlHA 1997, 176; OLG Celle, Beschl. v. 26.01.1996 – 1 Ss (OWi) 312/95 = VerkMitt 1996, Nr. 94 = VRS 91, 306; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 27.09.1994 a.a.O.; OLG Hamm, Beschl. v. 24.05.1994 – 2 Ss OWi 524/94 = NZV 1994, 369; zum atypischen Rotlichtverstoß vgl. auch König in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 46. Aufl. § 37 StVO Rn. 54 m.w.N. sowie Hühnermann in: Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke, Straßenverkehrsrecht, 25. Aufl. § 37 StVO Rn. 30h, 30l).

b) Gemessen hieran erweisen sich die knappen Feststellungen des Amtsgerichts, die sich auf den Umstand der einspurigen Verkehrsführung an einer Baustellenampel beschränken, als unzureichend, denn sie ermöglichen dem Senat nicht die Nachprüfung, ob das Amtsgericht ohne Rechtsfehler vom Vorliegen eines Regelfalles ausgegangen ist. Um das Gewicht des Rotlichtverstoßes zu verdeutlichen, hätte es vielmehr Feststellungen zur Tatörtlichkeit sowie zur konkreten Verkehrssituation bedurft, etwa zur Länge und Übersichtlichkeit der Baustelle, zur Breite der befahrbaren Spur, zu Ausweichmöglichkeiten, zu einer etwaigen Geschwindigkeitsbeschränkung (BayObLG, Beschl. v. 16.10.1996 a.a.O.), aber auch zur Frage, ob Querverkehr in die Baustelle einfahren konnte, ob sich Gegenverkehr in der Baustelle befand oder vor dieser gewartet hat (OLD Dresden a.a.O.; OLG Hamm, Beschl. v. 24.05.1994 a.a.O.). An derartigen Feststellungen fehlt es vorliegend, sodass die Annahme des Amtsgerichts, hier handele es sich um einen besonders schwerwiegenden Rotlichtverstoß im Sinne einer groben Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers (§ 25 Abs. 1 Satz 1 1. Alt. StVG), welcher einen Regelfall i.S.d. Lfd.Nr. 132.3 BKat begründet, einer tragfähigen Grundlage entbehrt und damit rechtsfehlerhaft ist.

……“

Geht doch 🙂 .

OWi II: Toleranzwert bei der Messung mit Nachfahren, oder: OLG Köln ändert Rechtsprechung

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Die zweite Entscheidung, die ich vorstelle, betrifft eine Geschwindigkeitsüberschreitung. Gemessen worden ist durch Nachfahren.

Zum Tatgeschehen hatte „das Amtsgericht festgestellt, dass der Betroffene am 20. Oktober 2020 gegen 0:45 Uhr in A die innerorts gelegene Kölner Straße über eine Strecke von 1.200 m mit einer vorwerfbaren Geschwindigkeit von 84 km/h befuhr. Die Überzeugung von diesem Verstoß hat sich das Tatgericht auf der Grundlage der Angaben von drei polizeilichen Zeugen verschafft, die dem von dem Betroffenen geführten Fahrzeug mit einem zivilen Fahrzeug über die genannte Strecke in einem Abstand von 60-70 m gefolgt sind und währenddessen von dem nicht justierten Tachometer eine gleichbleibende Geschwindigkeit von 105 km/h abgelesen haben. Die vorwerfbare Geschwindigkeit von 84 km/h hat das Tatgericht sodann im Wege eines Toleranzabzugs von 20% ermittelt.“

Das AG hat den Betroffenen zu einer Geldbuße von 185 EUR verurteilt und ein Fahrverbot von einem Monat angeordnet. Das OLG Köln hebt im OLG Köln, Beschl. v. 03.01.2021 – 1 RBs 254/21 – im Rechsfolgenausspruch auf und ändert seine Rechtsprechung zum sog. Toleranzwert zumindest teilweise.

Hier stelle ich nur den Leitsatz = das Ergebnis der Ausführungen des OLG Köln vor. Wer mag und Interesse kann die Begründung im Volltext nachlesen:

Bei der Geschwindigkeitsermittlung durch Nachfahren in einem Fahrzeug mit nicht justiertem Tachometer ist regelmäßig ein erster Toleranzabzug von der abgelesenen Geschwindigkeit von 10% zuzüglich 4 km/h für mögliche Eigenfehler des Tachometers sowie ein weiterer Toleranzabzug zwischen 6 und 12% der abgelesenen Geschwindigkeit erforderlich, um weiteren Fehlerquellen, wie Ablesefehlern sowie solchen Fehlern, die aus Abstandsveränderungen und/oder der Beschaffenheit des Fahrzeugs resultierten zu begegnen (teilweise Aufgabe der bisherigen Senatsrechtsprechung).

OWi I: Festhalten des Handys mit dem Oberschenkel, oder: Das BayObLG überdehnt den Wortlaut

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Und heute dann noch einmal ein Tag mit OWi-Entscheidungen.

Zunächst ein Beschluß zum Verstoß gegen § 23 Abs. 1a StVO – also elektronisches Gerät/Smartphone/Handy im Straßenverkehr. Das BayObLG hat sich im BayObLG, Beschl. v. 10.1.2022 – 201 ObOWi 1507/21. Es geht um die Frage, ob es sich um verbotswidrige Benutzung eines Mobiltelefons handelt, wenn das Gerät auf dem Oberschenkel abgelegt wird.

Das BayObLG ist von folgenden Feststellungen des AG ausgegangen:

„Zum Tatgeschehen hat das Amtsgericht festgestellt, dass die Betroffene am 18.06.2020 um 11:00 Uhr mit ihrem Pkw aufgrund stockenden Verkehrs langsam in der W-Straße in B fuhr, wobei sie – nicht widerlegbar bereits vor Antritt der Fahrt – ihr Mobiltelefon auf dem rechten Oberschenkel abgelegt hatte und kurz durch Tippen mit dem Finger die Wahlwiederholung einer Fluggesellschaft aus- und anwählte. Einen Verstoß gegen § 23 Abs. 1a StVO durch die bloße Bedienung des auf dem Oberschenkel liegenden Mobiltelefons verneinte das Amtsgericht. Bei der Regelung des § 23 Abs. 1a Nr. 1 StVO handele es sich um ein „hand-held-Verbot“. Das Mobiltelefon sei weder aufgenommen noch gehalten worden. Auch die Tatbestandsvariante des § 23 Abs. 1a Satz 1 Nr. 2b StVO sei nicht erfüllt, weil die Einlassung der Betroffenen, wonach sie jederzeit bremsbereit und ohne ihren Blick vom Verkehrsgeschehen abzuwenden nur kurz die Wahlwiederholungstaste bedient habe, nicht zu widerlegen gewesen sei.“

Das AG hatte frei gesprochen. Das hat natürlich die StA nicht ruhen lässt und sie hat Zulassungsantrag gestellt. Der hatte ebenso wie dann die Rechtsbeschwerde beim BayObLG Erfolg.

Das BayObLG meint – hier der Leitsatz:

Die verbotswidrige Benutzung eines Mobiltelefons durch ein Halten i.S.v. § 23 Abs. 1a Satz 1 StVO liegt nicht nur dann vor, wenn dieses mit der Hand ergriffen wird, sondern auch dann, wenn es auf dem Oberschenkel abgelegt wird.

Das wird – wortreich wie immer – begründet, m.E. aber nicht überzeugend, ebenso wenig überzeugend wie das OLG Köln es vor einiger Zeit tun konnte. Da hilft dann m.E. auch die Passage aus dem Beschluss wenig:

„d) Der Senat verkennt hierbei nicht, dass der Verordnungsgeber ausweislich der Verordnungsbegründung davon ausgegangen ist, dass unter „Halten“ ein „in der Hand Halten“ zu verstehen ist und es dabei bleiben soll, dass das Annehmen eines Telefongesprächs durch Drücken einer Taste oder das Wischen über den Bildschirm eines Smartphones zu diesem Zweck erlaubt bleiben soll, soweit das Mobiltelefon nicht in die Hand genommen wird (BR-Drs. 556/17 S. 25, 26). Für die Auslegung sind aber nicht einzelne Passagen der Verordnungsbegründung, sondern primär der vom Verordnungsgeber verfolgte Zweck maßgeblich, soweit die entsprechende Auslegung mit dem Wortlaut der Norm in Übereinstimmung zu bringen ist (OLG Köln a.a.O.). Zwar hat der Verordnungsgeber der Benutzung von elektronischen Geräten mit den Händen eine erhöhte Ablenkungsgefahr beigemessen, er hat aber gesehen, dass auch fahrfremde Tätigkeiten jenseits solcher Fallgestaltungen eine die Verkehrssicherheit gefährdende Ablenkungswirkung entfalten können (vgl. nur BR-Drs. 556/17 S. 12). Aus Gründen der Verhältnismäßigkeit sowie mit Blick auf etwaige Nachweisschwierigkeiten hat er jedoch bei der Neufassung der Vorschrift davon abgesehen, die Nutzung elektronischer Geräte während des Führens eines Fahrzeugs gänzlich zu untersagen. Ausweislich der Verordnungsbegründung sollte die Nutzung von Geräten aus den in der Vorschrift genannten Gerätekategorien im Interesse der Verkehrssicherheit aber an die Erfüllung der strengen Anforderungen geknüpft werden, die in § 23 Abs. 1a Satz 1 Nr. 1 und 2 StVO normiert sind. Der Wille des Verordnungsgebers spricht deshalb für eine weite, die Wortbedeutung ausschöpfende Auslegung des Tatbestandsmerkmals (vgl. BGH a.a.O. für die Auslegung, dass auch ein Taschenrechner ein elektronisches Gerät i.S.v. § 23 Abs. 1a StVO darstellt). Auch von daher erscheint es geboten, fahrfremde Tätigkeiten wie das Halten und Benutzen eines elektronischen Geräts auf dem Oberschenkel, bei dem ebenfalls die Gefahr der Ablenkung des Fahrzeugführers verbunden mit einer körperlich eingeschränkten Bewegungssituation gegeben ist, als verboten anzusehen, nachdem dies der Wortlaut der Vorschrift des § 23 Abs. 1a StVO als äußerste Auslegungsgrenze hier zulässt (so zutreffend OLG Köln a.a.O. für die Nutzung eines vom Fahrzeugführers während der Fahrt zwischen Ohr und Schulter eingeklemmten Mobiltelefons).“

So kann man m.E. das Überschreiten des Wortlauts nicht begründen.

OWi III: Geschwindigkeitsmessung mit Traffistar S 330, oder: Verwertbar trotz fehlender Rohmessdaten

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Und auch das dritte Posting hat heute eine Entscheidung zur Geschwindigkeitsmessung zum Gegenstand. Es handelt sich um das AG St. Ingbert, Urt. v. 13.01.2022 – 25 OWi 68 Js 1597/21 (2518/21) –, das ich bei Juris gefunden habe.

Ich stelle zu der Entscheidung es geht um eine Messung mit Traffistar S 330. Zu der Entscheidung gibt es bei Juris folgende Leitsätze:

  1. Bei Messungen mit dem Geschwindigkeits-Messgerät Traffistar S 330 der Fa. Jenoptik handelt es sich um standardisierte Messverfahren im Sinne der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs.
  2. Der Umstand, dass bei diesem Messgerät wie mittlerweile bei fast allen Messgeräten sog. Rohmessdaten nicht gespeichert werden bzw. nicht vorhanden sind, führt nach Auffassung des Gerichts nicht zu einem Verwertungsverbot betreffend Messung und Messdaten.
  3. Dies ergibt sich zum einen aus der Funktionsweise des Messgeräts.
  4. Für die Verwertbarkeit der Messung trotz nicht gespeicherter/vorhandener Rohmessdaten spricht auch, dass nach Stellungnahmen und Beiträgen der PTB (zusammengefasst in der Fassung vom 4. November 2021, https://doi.org/10.7795/520/20211104) eine Messung an Hand von Rohmessdaten nicht aussagekräftig überprüft bzw. plausibilisiert werden kann.
  5. Statt auf den Einzelmesswert wird die Überprüfbarkeit auf das Messgerät selbst verlagert, zusammen mit verschiedenen anderen Schutzvorschriften z. B. in Form von Verkehrsfehlergrenzen und Eichfristen. Hält das Messgerät bei der Überprüfung nach § 39 Mess- und Eichgesetz unter Berücksichtigung der Verwendungssituation alle Anforderungen bezüglich Messrichtigkeit und Messbeständigkeit ein, dann hat das Messgerät auch bei der gegenständlichen Messung korrekt gearbeitet, da die Verwendungssituation in beiden Fällen gleich war. Durch diesen Rückschluss wird die Problematik aufgelöst, dass der gegenständliche Messvorgang nicht wiederholbar ist.
  6. Nach den einleuchtenden Erläuterungen der PTB ist also nicht davon auszugehen, dass mit der Löschung/Nichtspeicherung von Rohmessdaten eine nachträgliche Überprüfung der Messung verhindert werden soll, wie es einige sog. Sachverständigenbüros suggerieren wollen. Es soll damit lediglich verhindert werden, dass der geeichte Messwert, gesetzliche Grundlage des Messwesens, mit ungeeigneten Mitteln in Frage gestellt wird.
  7. Die Einschätzung des erkennenden Gerichts zur Verwertbarkeit vom Messungen/Messergebnissen stützt sich insbesondere auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (19. August 1993 – 4 StR 627/92 und 30. Oktober 1997 – 4 StR 24/97), mit welcher das Institut des standardisierten Messverfahrens geschaffen wurde. Den Entscheidungen lagen Geschwindigkeitsmessungen mit dem Lasermessgerät L TI 20/20 (Vorgängermodell des Messgeräts Riegel FG 21-P) zu Grunde, bei welchen keinerlei Daten oder Fotos gespeichert oder gefertigt werden.
  8. Diese Auffassung zur Verwertbarkeit von Messungen und Messergebnissen wird mittlerweile von nahezu allen Oberlandesgerichten in Deutschland vertreten und ist nach Auffassung des erkennenden Gerichts auch konform mit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 12. November 2020 (2 BvR 1616/18).
  9. Der Entscheidung des BVerfG ist nämlich nicht zu entnehmen, dass Messungen und Messergebnisse nicht verwertet werden dürfen, wenn nach dem Messvorgang geräteintern (Roh-) Messdaten nicht abgespeichert werden. Im Gegenteil ist aus dem Postulat der „Waffengleichheit“ – als Ausprägung des Rechts auf ein faires Verfahren – zwischen Verfolgungsbehörde und Betroffenem zu folgern, dass ein Betroffener nur die Daten herausverlangen kann, die auch bei der Verfolgungsbehörde vorhanden sind und dieser einen Informationsvorteil verschaffen könnten.
  10. Wenn man trotz dieser einleuchtenden wissenschaftlichen Erkenntnisse und höchstrichterlichen Leitlinien fordern sollte, dass Ergebnisse von bewährten Geschwindigkeitsmessgeräten, die über eine PTB-Zulassung oder Konformitätsbescheinigung verfügen, geeicht sind und von geschultem Personal bedient oder eingesetzt werden (weltweit wohl höchster Standard), somit die Voraussetzungen für ein standardisiertes Messverfahren erfüllen, aber keine Rohmessdaten speichern, nicht verwertet werden dürfen, werden Geschwindigkeitsmessungen nicht mehr möglich sein angesichts dessen, dass die meisten Messgeräte keine Rohmessdaten – mehr – speichern. Dies hätte eine signifikante Beeinträchtigung der Sicherheit im Straßenverkehr zur Folge, da insbesondere gravierende Geschwindigkeitsüberschreitungen für die Fahrer/innen keine Konsequenzen mehr hätten, es auch keine abschreckende Wirkung mehr gäbe, wenn Geschwindigkeitsmessungen nicht mehr stattfänden oder nicht verwertbar wären. In Anbetracht des realen Verkehrsaufkommens und der Verkehrsdichte könnte der Staat das Grundrecht der Bürger und damit aller Verkehrsteilnehmer auf maximal mögliche körperliche Unversehrtheit nicht mehr in ausreichendem und leistbarem Ausmaß gewährleisten.

Ja, richtig gelesen. Ein wenig voluminös, wenn die Leitsätze, wovon ich ausgehe, vom AG kommen. Erinnern ein wenig an Entscheidungen des OLG Bamberg 🙂 .

Und 10. ist in meinen Augen falsch. Man kann doch nicht die Verwertbarkeit von Messungen trotz ggf. vorhandener Fehler damit rechnen, dass sonst die Sicherheit des Straßenverkehrs nicht mehr gewährleistet ist.

OWI II: Geschwindigkeitsmessung mit Poliscan, oder: „zertifiziert“ auch bei Abweichung von der PTB-A 12.05

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Urheber KarleHorn

Mit dem zweiten Posting bleibe ich bei den Geschwindigkeitsmessungen und stelle dazu den  OLG Zweibrücken, Beschl. v. 13.01.2022 – 1 OWi 2 SsBs 109/21 – vor.

Das AG hat den Betroffenen wegen Geschwindigkeitsüberschreitung verurteilt. Dagegen die Rechtsbeschwerde, die ohne Erfolg blieb. Das OLG hat noch einmal Messsystem PoliScan FM1 Stellung genommen:

„1. Die Rüge, das Amtsgericht habe seiner Entscheidung zu Unrecht die Grundsätze eines standardisierten Messverfahrens zugrunde gelegt, dringt nicht durch.

Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Senats (vgl. nur Beschluss vom 11.02.2020, 1 OWi 2 SsBs 122/19, juris Rn 8), dass Messungen mit dem hier verwendeten Gerätetyp allen Kriterien des standardisierten Messverfahrens entsprechen (hierzu: BGH, Beschluss vom 30.10.1997 – 4 StR 24/97, BGHSt 43, 277). Die von Seiten der Verteidigung gestützt auf ein in einem anderen Bußgeldverfahren eingeholten Privatsachverständigengutachten hiergegen vorgebrachten Zweifel verfangen nicht. Diesen liegt eine – nur vermeintlich unauflösbare – Diskrepanz zwischen der Baumusterprüfbescheinigung betreffend diesen Gerätetyp und den von der Physikalisch-Technischen-Bundesanstalt (PTB) veröffentlichten „Anforderungen Laserscanner-Geschwindigkeitsmessgeräte (stationär, semistationär, transportabel)“ (PTB-A 12.05, Stand April 2019) zugrunde. Zwar trifft es zu, dass in der PTB-A 12.05 unter 1.9.1 (Anzeige oder Ausdruck des Ergebnisses) festgehalten ist: „Der Endwert des Geschwindigkeitsbereichs muss zwischen 200 km/h und 300 km/h liegen“ wohingegen in der Baumusterprüfbescheinigung unter Nr. 2.1 („Mess- und Anzeigebereich“) ein Geschwindigkeitsmessbereich von 10 km/h bis 320 km/h genannt wird. Dass der von der Baumusterprüfbescheinigung zugelassene Messhöchstwert von der in der PTB-A 12.05 angegebenen Obergrenze abweicht, schließt eine Konformität des Geräts mit den grundlegenden Anforderungen des Mess- und Eichrechts aber nicht aus. Die PTB-A 12.05 enthalten (in ihrem hier allein interessierenden ersten Teil) allgemeine Regeln und technische Spezifikationen für Laserscanner-Geschwindigkeitsmessgeräte, um die wesentlichen Anforderungen an die betreffenden Messgeräte nach § 6 MessEG i.V.m. § 7 MessEV näher zu konkretisieren (vgl. S. 2, PTB-A 12.05). Sie sollen Interessierten lediglich eine Einschätzung darüber ermöglichen, ob ein Gerät in diesem Sinne konform ist oder nicht. Maßstab für die Konformitätsbewertung im Rahmen der Bauartprüfung sind demgegenüber aber nicht die Vorgaben der PTB-A 12.05, sondern die grundlegenden Bestimmungen des Mess- und Eichrechts. Ein Gerät, bei dem sich im Rahmen der Bauartprüfung ergeben hat, dass es den Anforderungen des Mess- und Eichrechts entspricht, kann daher auch dann zertifiziert werden, wenn es in einzelnen Punkten von den Vorgaben der PTB-A 12.05 abweicht.“