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OWi I: 3 x VerfGH BW zur Einsicht in Messunterlagen, oder: ESO ES 3.0, PoliScan Speed Ml., TraffiStar S 330

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Und dann geht es weiter mit einem OWi-Tag.

Den eröffne ich heute mit drei Entscheidungen des VerfGH Baden-Württemberg noch einmal/immer noch zur Einsicht in Messunterlagen durch den Verteidiger. Mich erstaunt, dass die mit dem – vom BVerfG zumindest teilweise bejahten Einsichtsrecht des Verteidigers/Betroffenen  zusammenhängenden Fragen in der Praxis immer noch eine Rolle spielen und dass die Rechtsprechung der Verfassungsgerichte an der Stelle immer noch nicht umgesetzt wird. Denn wäre das der Fall, müssten nicht immer wieder doch auch noch die Verfassungsgerichte eingesetzt werden. Das zeigen diese drei aktuelle Entscheidungen des VerfGH Baden-Württemberg vom 27.01.2025.

Ich stelle hier nun die in einigen Passagen wortgleichen Beschlüsse nicht einzelnen ein, sondern en bloc. Wer davon etwas braucht findet sie bei den Volltexten. Es gilt Folgendes:

In dem Verfahren VerfGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 27.01.2025 – 1 VB 11/23 – ging es um den OLG Stuttgart, Beschluss v. 20.01.2023 – 1 Rb 28 Ss 757/22, dem eine Geschwindigkeitsmessung mit dem Einseitensensor-Messgerät ESO ES 3.0 zugrunde gelegen hat. Der Betroffene hatte Zugang zu bestimmten Unterlagen und Messdaten verlangt, ohne Erfolg.

Anders der VerfGH Baden-Württemberg. Danach folgt aus dem Recht auf ein faires Verfahren für den Betroffenen grundsätzlich ein Anspruch auf Zugang zu den nicht bei der Bußgeldakte befindlichen, aber bei der Bußgeldbehörde vorhandenen Informationen, wie namentlich den Rohmessdaten der Geschwindigkeitsmessung sowie den Wartungs- und Reparaturunterlagen des verwendeten Messgeräts, folgt. Dieser Anspruch verpflichtet nicht etwa das Gericht, die geforderten Unterlagen aufgrund seiner Aufklärungspflicht beizuziehen und zu prüfen, sondern entspringt allein dem Recht des Betroffenen, die Grundlagen des gegen ihn erhobenen Vorwurfs einzusehen und selbst zu prüfen. Unerheblich ist hierbei nach Auffassung des VerfGH ggf., wenn sich den Akten keine Hinweise auf das Vorhandensein der von dem Betroffenen begehrten Wartungs- und Instandsetzungsunterlagen entnehmen lassen und laut dem Messprotokoll an dem Messgerät seit der letzten Eichung keine Reparaturen oder Wartungsarbeiten durchgeführt worden sind.

Dem VerfGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 27.01.2025 – 1 VB 36/22 hat der OLG Stuttgart, Beschl. v. 05.04.2022 – 4 Rb 13 Ss 197/22 – zugrunde gelegen. Gemessen worden war mit dem Messgeräts PoliScan Speed Ml. Der VerfGH betont auch in dieser Entscheidung noch einmal das Recht auf ein faires Verfahren, aus dem der Anspruch auf Zugang zu den nicht bei der Bußgeldakte befindlichen, aber bei der Bußgeldbehörde vorhandenen Informationen folgt. Maßgeblich für das Einsichtsrecht des Betroffenen sei auch ggf. nicht der Umstand, ob für das betroffene Messgerät eine „Lebensakte“ geführt wird oder ob die bei der Polizeidienststelle für das Gerät möglicherweise vorhandenen Unterlagen so bezeichnet werden. Entscheidend ist vielmehr, ob für den vom Einsichtsrecht umfassten Zeitraum, der mit der letzten Eichung vor dem Tattag beginnt und am Tage des Ablaufs der Eichfrist endet, Wartungs- und Reparaturdokumentationen – bei der Verwaltungsbehörde oder der ihr zuarbeitenden Polizeidienststell – vorliegen.

In dem VerfGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 27.01.2025 – 1 VB 173/21 – ging es schließlich um den OLG Stuttgart, Beschl. v. 12.11.2021 – 4 Rb 23 Ss 736/21. Gemessen worden war mit dem Messgerät TraffiStar S 330. Verlangt worden waren u.a. unter anderem „digitale Falldaten der gesamten Messreihe mit Statistikdatei/Logdatei, Public Key der Messanlage“ und „vorhandene Wartungs-, Instandsetzungs- und Eichunterlagen der Messanlage inkl. ggf. vorhandener Lebensakte. Der VerfGH weist darauf hin, dass der Betroffene namentlich die digitalen Falldaten der Messreihe aller Fahrspuren mit Statistikdatei verlangen kann. Die Verteidigung könne grundsätzlich jeder auch bloß theoretischen Aufklärungschance nachgehen.

OWi III: Geschwindigkeitsmessung mit Traffistar S 330, oder: Verwertbar trotz fehlender Rohmessdaten

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Und auch das dritte Posting hat heute eine Entscheidung zur Geschwindigkeitsmessung zum Gegenstand. Es handelt sich um das AG St. Ingbert, Urt. v. 13.01.2022 – 25 OWi 68 Js 1597/21 (2518/21) –, das ich bei Juris gefunden habe.

Ich stelle zu der Entscheidung es geht um eine Messung mit Traffistar S 330. Zu der Entscheidung gibt es bei Juris folgende Leitsätze:

  1. Bei Messungen mit dem Geschwindigkeits-Messgerät Traffistar S 330 der Fa. Jenoptik handelt es sich um standardisierte Messverfahren im Sinne der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs.
  2. Der Umstand, dass bei diesem Messgerät wie mittlerweile bei fast allen Messgeräten sog. Rohmessdaten nicht gespeichert werden bzw. nicht vorhanden sind, führt nach Auffassung des Gerichts nicht zu einem Verwertungsverbot betreffend Messung und Messdaten.
  3. Dies ergibt sich zum einen aus der Funktionsweise des Messgeräts.
  4. Für die Verwertbarkeit der Messung trotz nicht gespeicherter/vorhandener Rohmessdaten spricht auch, dass nach Stellungnahmen und Beiträgen der PTB (zusammengefasst in der Fassung vom 4. November 2021, https://doi.org/10.7795/520/20211104) eine Messung an Hand von Rohmessdaten nicht aussagekräftig überprüft bzw. plausibilisiert werden kann.
  5. Statt auf den Einzelmesswert wird die Überprüfbarkeit auf das Messgerät selbst verlagert, zusammen mit verschiedenen anderen Schutzvorschriften z. B. in Form von Verkehrsfehlergrenzen und Eichfristen. Hält das Messgerät bei der Überprüfung nach § 39 Mess- und Eichgesetz unter Berücksichtigung der Verwendungssituation alle Anforderungen bezüglich Messrichtigkeit und Messbeständigkeit ein, dann hat das Messgerät auch bei der gegenständlichen Messung korrekt gearbeitet, da die Verwendungssituation in beiden Fällen gleich war. Durch diesen Rückschluss wird die Problematik aufgelöst, dass der gegenständliche Messvorgang nicht wiederholbar ist.
  6. Nach den einleuchtenden Erläuterungen der PTB ist also nicht davon auszugehen, dass mit der Löschung/Nichtspeicherung von Rohmessdaten eine nachträgliche Überprüfung der Messung verhindert werden soll, wie es einige sog. Sachverständigenbüros suggerieren wollen. Es soll damit lediglich verhindert werden, dass der geeichte Messwert, gesetzliche Grundlage des Messwesens, mit ungeeigneten Mitteln in Frage gestellt wird.
  7. Die Einschätzung des erkennenden Gerichts zur Verwertbarkeit vom Messungen/Messergebnissen stützt sich insbesondere auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (19. August 1993 – 4 StR 627/92 und 30. Oktober 1997 – 4 StR 24/97), mit welcher das Institut des standardisierten Messverfahrens geschaffen wurde. Den Entscheidungen lagen Geschwindigkeitsmessungen mit dem Lasermessgerät L TI 20/20 (Vorgängermodell des Messgeräts Riegel FG 21-P) zu Grunde, bei welchen keinerlei Daten oder Fotos gespeichert oder gefertigt werden.
  8. Diese Auffassung zur Verwertbarkeit von Messungen und Messergebnissen wird mittlerweile von nahezu allen Oberlandesgerichten in Deutschland vertreten und ist nach Auffassung des erkennenden Gerichts auch konform mit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 12. November 2020 (2 BvR 1616/18).
  9. Der Entscheidung des BVerfG ist nämlich nicht zu entnehmen, dass Messungen und Messergebnisse nicht verwertet werden dürfen, wenn nach dem Messvorgang geräteintern (Roh-) Messdaten nicht abgespeichert werden. Im Gegenteil ist aus dem Postulat der „Waffengleichheit“ – als Ausprägung des Rechts auf ein faires Verfahren – zwischen Verfolgungsbehörde und Betroffenem zu folgern, dass ein Betroffener nur die Daten herausverlangen kann, die auch bei der Verfolgungsbehörde vorhanden sind und dieser einen Informationsvorteil verschaffen könnten.
  10. Wenn man trotz dieser einleuchtenden wissenschaftlichen Erkenntnisse und höchstrichterlichen Leitlinien fordern sollte, dass Ergebnisse von bewährten Geschwindigkeitsmessgeräten, die über eine PTB-Zulassung oder Konformitätsbescheinigung verfügen, geeicht sind und von geschultem Personal bedient oder eingesetzt werden (weltweit wohl höchster Standard), somit die Voraussetzungen für ein standardisiertes Messverfahren erfüllen, aber keine Rohmessdaten speichern, nicht verwertet werden dürfen, werden Geschwindigkeitsmessungen nicht mehr möglich sein angesichts dessen, dass die meisten Messgeräte keine Rohmessdaten – mehr – speichern. Dies hätte eine signifikante Beeinträchtigung der Sicherheit im Straßenverkehr zur Folge, da insbesondere gravierende Geschwindigkeitsüberschreitungen für die Fahrer/innen keine Konsequenzen mehr hätten, es auch keine abschreckende Wirkung mehr gäbe, wenn Geschwindigkeitsmessungen nicht mehr stattfänden oder nicht verwertbar wären. In Anbetracht des realen Verkehrsaufkommens und der Verkehrsdichte könnte der Staat das Grundrecht der Bürger und damit aller Verkehrsteilnehmer auf maximal mögliche körperliche Unversehrtheit nicht mehr in ausreichendem und leistbarem Ausmaß gewährleisten.

Ja, richtig gelesen. Ein wenig voluminös, wenn die Leitsätze, wovon ich ausgehe, vom AG kommen. Erinnern ein wenig an Entscheidungen des OLG Bamberg 🙂 .

Und 10. ist in meinen Augen falsch. Man kann doch nicht die Verwertbarkeit von Messungen trotz ggf. vorhandener Fehler damit rechnen, dass sonst die Sicherheit des Straßenverkehrs nicht mehr gewährleistet ist.