Archiv für den Monat: Oktober 2021

Keine Anhörung vor Einholung eines SV-Gutachtens, oder: Unrichtige Sachbehandlung im Bußgeldverfahren

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Die zweite Entscheidung, der LG Stuttgart, Beschl. v. 14.09.2021 – 20 Qs 16/21 -, kommt dann aus dem Bußgeldverfahren. Es geht um die unrichtige Sachbehandlung im Sinn von 3 21 GKG im Bußgeldverfahren in Zusammenhang mit der Einholung eines Sachverständigengutachtens. Nicht selten werden im Bußgeldverfahren ja vorab Sachverständigengutachten eingeholt. Mit den dadurch entstehenden Kosten wird dann im Fall der Verurteilung der Betroffene belastet; was manchmal m.E. ja auch ein Druckmittel sein soll, den Einspruch zurück zu nehmen. Aber die Belastung des Betroffenen „gelingt“ nicht immer.

Zu entscheiden hatte das LG über folgenden Sachverhalt: In dem anhängigen Bußgeldverfahren anhängig. In dem hat das AG Termin zur Hauptverhandlung auf den 26.11.2020. In der Terminsverfügung wurde die Ladung des Betroffenen und seiner Verteidigerin sowie die eines Zeuge angeordnet. Weiter wurde handschriftlich eingefügt und verfügt, dass bei der Dekra angefragt werden solle, ob ein Sachverständiger an der Hauptverhandlung teilnehmen könne und dass dieser gegebenenfalls geladen werden und Akteneinsicht erhalten solle. Weiter solle Mitteilung hiervon an die Verteidigerin erfolgen. Die Ladung des Betroffenen enthielt ebenso wie die seiner Verteidigerin keinen Hinweis auf die Ladung des Sachverständigen.

Am 18.11.2020 hinterließ die Referatsrichterin der Verteidigerin eine Nachricht auf dem Anrufbeantworter mit einer Rückrufbitte bezüglich eines Akteneinsichtsgesuchs und da sie beabsichtige einen Sachverständigen zu laden. Zwei Tage nach dem Anruf ging ein Schreiben der Verteidigerin ein, in welchem diese ausführte, sie wisse nichts von einem in Auftrag gegebenen Sachverständigengutachten oder einer Ladung eines Sachverständigen zum Termin, da in den jeweiligen Ladungen keine Hinweise hierauf enthalten seien. Ebenso beantragte sie dringend Akteneinsicht.

Mit Schreiben vom 23.11.2020 schrieb das Amtsgericht die Verteidigerin an und teilte mit, dass eine Übersendung der Akte per Fax fehlgeschlagen sei. Weiter wurde ausgeführt, dass bereits am 05.11.2020 verfügt worden sei, einen Sachverständigen zu laden und dies der Verteidigung mitzuteilen. Hierzu sei eine erste Nachricht auf dem Anrufbeantworter hinterlassen worden. Nachdem keine Nachricht erfolgt sei, sei der Sachverständige am 12.11.2020 geladen worden. Auch bei einem weiteren Anruf habe die Verteidigerin nicht erreicht werden können.

Am 25.11.2020 wurde der Einspruch gegen den Bußgeldbescheid zurückgenommen, woraufhin mit Verfügung vom selben Tag der Termin zur Hauptverhandlung aufgehoben wurde. Die DEKRA stellt ihre Tätigkeiten (Eingangsdurchsicht, Nachforderung fehlender Unterlagen, Vorbereitung und Recherche, Erstellen von Gutachtenanlagen und Kopien) mit insgesamt 546,94 EUR in Rechnung. U.a. diese Sachverständigenkosten wurden dem Betroffenen in Rechnung gestellt. Dagegen hat sich der Betroffene mit der Erinnerung gewendet und eine unrichtige Behandlung im Sinne des § 21 GKG geltend gemacht, da ein Verfahren wegen einer Geldbuße von 90 EUR geführt worden sei und sich aus der Ladung nicht ergeben habe, dass ein Sachverständiger geladen worden sei. Erst als Akteneinsicht beantragt worden sei und daraufhin die Referatsrichterin angerufen habe, habe man Kenntnis von der Absicht einen Sachverständigen zu laden erlangt. Hierauf sei dringend nochmals Akteneinsicht beantragt und mitgeteilt worden, dass man von der Sachverständigenladung keinerlei Kenntnis gehabt habe. Bis zum 25.11.2020 habe man keinerlei Mitteilungen mehr erhalten und dann, um Weiterungen zu vermeiden, den Einspruch zurückgenommen. Die Akte sei erst nach dem geplanten Hauptverhandlungstermin am 28.11.2020 postalisch zugegangen. Die Erinnerung hatte beim LG Erfolg:

§ 21 GKG ist vorliegend anzuwenden und die Kosten für das Sachverständigengutachten sind nicht zu erheben.

Hiernach sind Kosten nicht zu erheben, die bei richtiger Behandlung der Sache nicht entstanden wären, wobei ein leichter Verfahrensverstoß in der Regel hierfür nicht ausreicht

Das Gericht ist, sofern eine unrichtige Sachbehandlung festzustellen ist, in seiner Entscheidung gebunden und darf keine Kosten erheben. Etwaige Verschuldensfragen sind hierbei grundsätzlich unbeachtlich (Toussaint, Kostenrecht, 51. Aufl. 2021, GKG, § 21 Rn. 7).

Ein offensichtlicher Verfahrensverstoß ist vorliegend zu bejahen, denn in amtsgerichtlichen Verfahren ist der Betroffene zunächst anzuhören, wenn beabsichtigt wird, einen Sachverständigen zu beauftragen (Toussaint, Kostenrecht, 51. Aufl. 2021, GKG, § 21 Rn. 21; LG Baden-Baden, Beschl. vom 17.02.1994, 1 Qs 32/94). Dies ist vorliegend unterblieben, obwohl es lediglich um eine geringe Geldbuße wegen einer Ordnungswidrigkeit ging und die Kosten des Sachverständigengutachtens diese deutlich überstiegen. Dieses Vorgehen verstößt gegen den Rechtsgedanken des § 222 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG (LG Leipzig, Beschl. v. 04.08.2009, 5 Qs 48/09 m.w.N.)

Der Hinweis auf die Beauftragung des Sachverständigen in der Ladung unterblieb versehentlich, obwohl dies verfügt wurde und erst mit Anruf vom 18.11.2020 erhielt die Verteidigerin des Beschwerdeführers Kenntnis hiervon. Der Vortrag des Beschwerdeführers ist diesbezüglich auch glaubhaft. Zwar führt die Richterin in ihrem Schreiben vom 23.11.2020 an die Verteidigerin aus, es habe bereits im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang zur Ladung eine hinterlassene Nachricht auf dem Anrufbeantworter gegeben, in der um kurzfristige Mitteilung gebeten worden sei, ob der Einspruch vollumfänglich aufrechterhalten bleibe. Es wurde aber gerade nicht darauf eingegangen, dass auch ausdrücklich thematisiert worden sei, dass die Ladung eines Sachverständigen erfolgen sollte. Ein Vermerk über diesen Anruf befindet sich nicht in der Akte. Das Schreiben der Verteidigerin vom 20.11.2020, in welchem diese auf die telefonische Nachricht zwei Tage zuvor Bezug nimmt — in der unstreitig ausdrücklich auf die Sachverständigenladung eingegangen wurde — bestätigt ebenso wie die zur Akte gereichte Ladung, dass erstmals mit diesem zweiten Anruf Kenntnis von der Sachverständigenladung erlangt wurde und daraufhin auch direkt reagiert wurde. Die Verteidigerin teilte ihre bisherige Unkenntnis mit und beantragte hierauf erneut und eilig Akteneinsicht, um die Abläufe aufzuklären. Als diese nicht schnell genug gewährt wurde, nahm der Beschwerdeführer den Einspruch einen Tag vor dem geplanten Hauptverhandlungstermin zurück, um Kosten zu vermeiden.

Die unterbliebene Mitteilung war als unrichtige Sachbehandlung mithin auch kausal für die Entstehung der Kosten. Dies ergibt sich auch daraus, dass der Einspruch noch vor dem Termin (zur Sicherheit) zurückgenommen wurde, obwohl keine ergänzende Akteneinsicht erfolgte. Dass das Fax der Verteidigerin zeitweise nicht empfangsbereit war und daher die Gewährung der (ergänzenden) Akteneinsicht hierüber nicht möglich war, unterbricht diese Kausalität nicht, da der Sachverständige zu diesem Zeitpunkt schon beauftragt war. Aus der Kostenrechnung ergibt sich nicht, dass zu diesem Zeitpunkt noch Kosten hätten vermieden werden können. Ein sonstiges (Mit-)verschulden ist unbeachtlich.“

Unterlassene Kostenentscheidung über Vergleich im Adhäsionsverfahren, oder: Wer entscheidet dann?

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Und dann noch heute der Tag mit gebühren- bzw. kostenrechtlichen Entscheidungen. Zur Zeit ist es mit den gebührenrechtlichen Entscheidungen ein wenig mau, daher heute zwei kostenrechtliche. Bei der Gelegenheit: Über weitere Entscheidungen freue ich und stelle sie gern ein und berichte dazu.

Und in dem Zusammenhang stelle ich dann zunächst den OLG Celle, Beschl. v. 21.09.2021 – 2 Ws 270/21 – vor. Das OLG nimmt zur Kostenentscheidung im Adhäsionsverfahren bei/nach einem Vergleich und das richtige Rechtsmittel – Die Frage: Wer ist zuständig? – Stellung. Die Entscheidung ist mal wieder Beleg für meine These: Die Zahl der Adhäsionsverfahren nimmt zu. Damit nehmen auch Entscheidungen der Instanzgerichte zu mit dem Adhäsionsverfahren betreffenden Fragen zu.

Folgender Sachverhalt: Das LG hat den Angeklagten am 11.06.2021 wegen versuchten Mordes zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. In der Hauptverhandlung schlossen die Nebenklägerin und der Angeklagte einen Vergleich, mit dem sich der Angeklagte zur Abgeltung eines Schmerzensgeldanspruches und eines geltend gemachten materiellen Schadensersatzanspruches zur Zahlung eines Betrages von 500 EUR verpflichtet hat. Außerdem enthält der Vergleich folgende Bestimmung: „Das Gericht entscheidet über die Kosten des Adhäsionsverfahrens gem. § 91a ZPO.“

Gegen das landgerichtliche Urteil hat der Angeklagte Revision eingelegt, die Akten sind vom LG nach Eingang der Revisionsbegründung zur Vorlage an den BGH gemäß § 347 StPO weitergeleitet worden. Mit Beschluss vom 22.07.2021 hat das LG entschieden, dass der Angeklagte die Kosten des Adhäsionsverfahrens sowie die der Adhäsionsklägerin entstandenen besonderen Kosten und notwendigen Auslagen zu tragen hat. Zugleich hat es den Wert des Streitgegenstandes des Adhäsionsverfahrens auf 10.035 EUR festgesetzt.

Der Angeklagte hat das Rechtsmittel gegen den Beschluss des LG vom 22.7.2021 eingelegt. Das OLG hat dieses als sofortige Beschwerde angesehen und dem BGH zur Entscheidung vorgelegt:

„Das Rechtsmittel gegen den Beschluss des Landgerichts vom 22. Juli 2021 ist als sofortige Beschwerde auszulegen, über die gemäß § 464 Abs. 3 Satz 3 StPO derzeit der Bundesgerichtshof zu entscheiden hat.

1.a) Die als „Berufung“ bezeichnete Eingabe des Angeklagten ist gemäß § 300 StPO so auszulegen, dass sie den von ihm erstrebten Erfolg möglichst erreichen kann (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO § 300 Rn. 3; LR/Jesse, StPO § 300 Rn. 1). Das zulässige Rechtsmittel bestimmt sich dabei nach dem sachlichen Inhalt der Entscheidung (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO § 296 Rn. 11). Maßgeblich ist nicht die Form, in der die Entscheidung ergangen ist, sondern die Form, in der die Entscheidung hätte ergehen sollen (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO Einl. Rn. 166; LR/Jesse, StPO vor § 296 Rn. 43).

b) Nach diesen Maßstäben ist es für die Anfechtung unerheblich, dass das Landgericht die Kostenentscheidung auf eine entsprechende Anwendung von § 91a ZPO gestützt hat. Denn in der Sache hat das Landgericht eine Kostenentscheidung gemäß § 472a Abs. 2 StPO getroffen.

Grundsätzlich unterliegt die Entscheidung über die Kosten eines im Adhäsionsverfahrens geschlossenen Vergleichs allerdings der Disposition der Parteien, die mit einem Vergleich gemäß § 405 StPO zugleich eine Regelung über die besonderen Kosten des Adhäsionsverfahren und ihre notwendigen Auslagen treffen können (BGH, Beschluss vom
15. Januar 2013, 4 StR 522/12, juris; Herbst/Plüür, Das Adhäsionsverfahren, Seite 118; Havliza/Streng, in: Weiner/Ferber, Handbuch des Adhäsionsverfahrens, Seite 80).

Unterbleibt jedoch eine Einigung der Vergleichsparteien über die Kosten, hat das Gericht hierüber gemäß § 472a Abs. 2 StPO im Urteil zu entscheiden (vgl. Havliza/Streng, in: Weiner/Ferber, Handbuch des Adhäsionsverfahrens, Seite 80; Meier/Dürre, JZ 2006, 24; Gutt/Krenberger, ZfSch 2015, 489; MüKo/Grau, StPO § 405 Rn. 2). Denn ebenso wie in den dort aufgeführten Fällen des Absehens von einer Adhäsionsentscheidung und der Antragsrücknahme trifft das Gericht nach einem Vergleich keine Entscheidung über den ursprünglichen Adhäsionsantrag. Die Anwendung des § 472a Abs. 2 StPO fügt sich deshalb auch in diesen Fällen in die gesetzgeberische Konzeption ein.

Ein Rückgriff auf die zivilprozessuale Regelung des § 91a ZPO ist demgegenüber in
§ 472a StPO nicht angelegt. Eine nachträgliche Entscheidung entsprechend § 91a ZPO im Beschlusswege stünde vielmehr im Gegensatz zum gesetzlichen Regelfall des
§ 464 Abs. 1 und 2 StPO, wonach für ein durch Urteil abgeschlossenes Verfahren eine einheitliche Kostenentscheidung des Tatgerichts – in der Besetzung der Hauptverhandlung – vorgesehen ist. Da § 472a Abs. 2 StPO überdies einen mit § 91a ZPO vergleichbaren Entscheidungsmaßstab für die Kostenentscheidung vorgibt, besteht für eine entsprechende Anwendung von § 91a ZPO auch dann keine Notwendigkeit, wenn die Vergleichspartien wie im vorliegenden Fall ausdrücklich eine Billigkeitsentscheidung des Gerichts wünschen.

c) Gegen die vom Landgericht der Sache nach getroffene Kostenentscheidung gemäß § 472a Abs. 2 StPO ist gemäß § 464 Abs. 3 Satz 1 StPO die sofortige Beschwerde zulässig. Dies gilt auch dann, wenn die Kostenentscheidung – wie im vorliegenden Fall – fehlerhaft nicht im Urteil, sondern nachträglich durch Beschluss ergangen ist (vgl. LR/Hilger, StPO § 464 Rn. 28; KK/Gieg, StPO § 464 Rn. 7). Dementsprechend ist das Rechtsmittel des Angeklagten gemäß § 300 StPO als solche auszulegen. 2.

Zur Entscheidung über die sofortige Beschwerde ist derzeit gemäß § 464 Abs. 3 Satz 3 StPO der Bundesgerichtshof berufen, da der Beschwerdeführer auch das Urteil vom 11. Juni 2021 angefochten hat und über seine Revision noch nicht entschieden worden ist.“

StGB III: Verletzung eines Dienstgeheimnisses, oder: Waren Prüfungsaufgaben dem Amtsträger anvertraut?

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Und als dritte Entscheidung dann noch der OLG Dresden, Beschl. v. 29.09.2021 – 6 OLG 22 Ss 355/21, den mir der Kollege Stephan aus Dresden geschickt hat. Das AG hat die Angeklagte wegen „Verletzung des Dienstgeheimnisses und einer besonderen Geheimhaltungspflicht“ zu einer Geldstrafe verurteilt. Dagegen die Revision der Angeklagten, die beim OLG – gegen den Antrag der GStA – Erfolg hatte:

„Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Freisprechung der Angeklagten.

1. Die Revision ist entgegen der Ansicht der Generalstaatsanwaltschaft als Sprungrevision gemäß § 335 Abs. 1 StPO zulässig, obwohl die Angeklagte lediglich zu einer Geldstrafe von zehn Tagessätzen verurteilt worden ist und eine Berufung deshalb gemäß § 313 StPO der Annahme durch das Berufungsgericht bedurft hätte. Nach herrschender Rechtsprechung und entgegen der überwiegenden Meinung in der Literatur kann auch in einem Fall der Annahmeberufung ein Urteil des Amtsgerichts mit der Sprungrevision grundsätzlich uneingeschränkt angefochten werden. Es besteht nach der Gesetzgebungsgeschichte kein Anhalt dafür, dass dem Begriff „zulässig“ in § 312 StPO durch die Einfügung des § 313 StPO eine über die Bedeutung „statthaft“ hinausgehende Bedeutung zukommen sollte (vgl. OLG Dresden, Urteil vom 31. August 2015 – 2 OLG 21 Ss 210/15 –, juris m.w.N.).

2. Die Revision ist auch begründet. Das angefochtene Urteil hält sachlich-rechtlicher Überprüfung nicht stand.

a) Nach den Feststellungen des Amtsgerichts war die Angeklagte – eine Polizeihauptmeisterin im März 2018 Kurssprecherin des Kurses pp. an der Hochschule. Durch das Studium wollte die Angeklagte in den gehobenen Dienst aufsteigen. Um den 08.März 2018 erhielten sowohl die Angeklagte als auch die Sprecher der Parallelkurse von dem Kurssprecher des Kurses pp. die Prüfungsaufgaben für die am 15.März 2018 vorgesehene Modulprüfung „M5“. Dieser hatte die Aufgaben seinerseits von einem Mitarbeiter der Hochschule erhalten, der aufgrund seiner Stellung und Tätigkeit Zugang zu den Prüfungsunterlagen hatte. Der Angeklagten und den weiteren Empfängern war es überlassen, was mit den Originalaufgaben geschehen sollte. Am 12.März 2018 verlas die Angeklagte vor den anwesenden Teilnehmern ihres Kurses pp. die erhaltenen Aufgaben für die bevorstehende Modulprüfung.

b) Diese Feststellungen tragen einen Schuldspruch wegen Verletzung des Dienstgeheimnisses gemäß § 353b Abs. 1 Satz 1 StGB nicht.

Die Prüfungsaufgaben, die die Angeklagte erhalten hat, stellen ein Geheimnis im Sinne des § 353b Abs. 1 Satz 1 StGB dar. Denn bis zum Prüfungstermin sind Prüfungsaufgaben nur einem beschränkten Kreis von Personen bekannt und bedürfen ihrer Natur nach der Geheimhaltung (vgl. RGSt 74, 110; BGHSt 11,401; MK-Puschke, StGB 3. Aufl. Rdnr. 20; NK-Kuhlen, StGB 5. Aufl. § 353b Rdnr. 13 m.w.N.).

Der Angeklagten ist dieses Geheimnis jedoch nicht als Amtsträgerin im Sinne des § 353b Abs. 1 Satz 1 StGB anvertraut oder sonst bekanntgeworden.

An einem „Anvertrauen“ fehlt es bereits deshalb, weil es der Angeklagten überlassen war, was mit den ihr übermittelten Aufgaben geschehen sollte. Denn unter „Anvertrauen“ ist nur die Mitteilung zu verstehen, bei der die Geheimhaltung verlangt oder stillschweigend erwartet wird (RGSt 66, 273). Vor diesem Hintergrund ist das Amtsgericht deshalb zutreffend davon ausgegangen, dass der Angeklagten das Geheimnis „sonst bekanntgeworden“ ist.

Die getroffenen Feststellungen lassen jedoch nicht erkennen, dass der Angeklagten die Prüfungsaufgaben auch „als Amtsträgerin“ bekanntgeworden sind.

Hierzu muss das Geheimnis dem Amtsträger im inneren Zusammenhang mit seiner Diensttätigkeit bekannt geworden sein (BGH, Urteil vom 16. März 2017 – 4 StR 545/16 -, juris m.w.N.). Dieser innere Zusammenhang ist zu bejahen, wenn zwischen dem Bekanntwerden des Geheimnisses und der Eigenschaft des Täters als Amtsträger eine mehr als nur zufällige – in der Literatur als „Amtskausalität“ bezeichnete (vgl. LK-Vormbaum, StGB 12. Aufl. § 353b Rdnr. 15) – Verbindung besteht. Daraus ergibt sich zwar nicht die Notwendigkeit einer unmittelbaren Verbindung zwischen der Erkenntniserlangung und der beruflichen Tätigkeit des Täters (LK-Vormbaum, § 353b Rdnr. 15). Dennoch muss die Kenntnisnahme im weitesten Sinne bei Ausübung seines Amtes, das heißt im Rahmen seiner dienstlichen Funktion erfolgen (RGSt 66, 273; MK-Puschke, § 353b Rdnr. 31; NK-Kuhlen § 353b Rdnr. 18). Nicht ausreichend ist es indes, wenn der Täter zwar Amtsträger im Sinne § 353b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB ist, diese Tatsache aber in keinem Zusammenhang mit der Kenntnisnahme des Geheimnisses steht. Denn § 353b Abs. 1 StGB dient nach seinem Sinn und Zweck dem Schutz wichtiger öffentlicher Interessen, die durch die unbefugte Offenbarung von Geheimnissen gefährdet werden (RGSt 74,110).

Im vorliegenden Fall erlangte die Angeklagte Kenntnis von den noch geheimen Prüfungsaufgaben nicht in ihrer Eigenschaft als Polizeibeamtin und damit als Amtsträgerin, sondern in ihrer Funktion als Sprecherin des Kurses 24/6 und Studierende an der Hochschule der Sächsischen Polizei. Ihr wurden die Prüfungsaufgaben weder aufgrund ihrer Stellung als Polizeibeamtin oder im Vertrauen auf ihre Amtsverschwiegenheit offenbart, noch hat sie ihre Amtsträgereigenschaft dazu ausgenutzt, an die Prüfungsaufgaben zu gelangen.

c) Auch eine Strafbarkeit wegen Beihilfe zur Verletzung des Dienstgeheimnisses kommt nicht in Betracht, weil nicht festgestellt ist, dass die Angeklagte über eine passive Entgegennahme der Prüfungsaufgaben hinaus tätig geworden ist, um an die Aufgabentexte zu gelangen (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 5. September 2016 – 2 Ss 103/16 -, juris).“

StGB II: „Besonders schwerer sexueller Übergriff“, oder: Schraubenzieher beim Oralverkehr in der Hand

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Die zweite Entscheidung kommt mit dem BGH, Beschl. v. 08.09.2021 – 4 StR 166/21. Thematik/Problemati: Wann wird ein gefährliches Werkzeug im Sinne von § 177 Abs. 8 Nr. 1 StGB verwendet. Das LG hatte den Angeklagten u.a. wegen besonders schweren sexuellen Übergriffs verurteilt. Die Revision des Angeklagten hatte mit der Sachrüge Erfolg:

„1. Nach den Feststellungen vereinbarte der Angeklagte mit der Nebenklägerin, die als Prostituierte tätig war, die Ausführung von Oralverkehr im Fahrzeug des Angeklagten. Beide setzten sich auf die Rückbank des Wagens. Während die Nebenklägerin den Oralverkehr an dem Angeklagten vollzog, ergriff dieser ihre Haare, riss ihren Kopf hoch und schlug ihn gegen die Autotür. Er griff fest in ihre Brüste, lutschte an ihnen und biss in sie. Die Nebenklägerin erlitt hierdurch, wie vom Angeklagten billigend in Kauf genommen, Schmerzen und Verletzungen. Sie äußerte, dass er aufhören solle, und setzte den Oralverkehr zunächst fort. Der Angeklagte riss sodann abermals ihren Kopf an ihren Haaren zurück. Dabei hielt er für die Nebenklägerin sichtbar einen „handelsüblichen“ Schraubenzieher von ca. 25 cm Länge, den er unter seinem Fahrersitz hervorgeholt hatte, in seiner linken Hand, ohne ihn „unmittelbar der Nebenklägerin entgegenzurichten“. Nach einigen Sekunden legte er den Schraubenzieher wieder aus der Hand und begann erneut, an den Brüsten der Nebenklägerin zu lutschen und in sie zu beißen. Die Nebenklägerin bekam auch unter dem Eindruck des Schraubenziehers zunehmend Angst und äußerte, dass sie alles tun werde, was der Angeklagte wollte. Anschließend vollzog sie weiter den Oralverkehr an dem Angeklagten, der hierbei mehrfach ihren Kopf fest auf seinen Penis drückte.

Das Landgericht hat die Tat als „besonders schweren sexuellen Übergriff in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung nach § 177 Abs. 1, Abs. 5 Nr. 1, Abs. 7 Nr. 1, Abs. 8 Nr. 1, § 223 Abs. 1, 52 StGB“ gewertet und die Strafe dem Strafrahmen eines minder schweren Falles nach § 177 Abs. 9 Alt. 3 StGB entnommen.

2. Das Urteil hält der auf die Sachrüge gebotenen rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Die Feststellungen tragen die Verurteilung wegen besonders schweren sexuellen Übergriffs (§ 177 Abs. 8 Nr. 1 StGB) nicht.

a) Die Urteilsgründe belegen zwar das Vorliegen des Qualifikationsmerkmals der Gewalt im Sinne von § 177 Abs. 5 Nr. 1 StGB. Der Angeklagte übte jedenfalls dadurch, dass er im Zusammenhang mit den nicht von seiner Vereinbarung mit der Nebenklägerin gedeckten sexuellen Handlungen an ihren Brüsten ihren Kopf gegen die Autotür schlug und an ihren Haaren riss, Gewalt gegenüber dem Tatopfer aus. Dass ein Finalzusammenhang zwischen diesen Handlungen und dem sexuellen Übergriff nicht ausdrücklich festgestellt ist, steht der Annahme des § 177 Abs. 5 Nr. 1 StGB nicht entgegen, weil die Gewalt jedenfalls nach Versuchsbeginn und vor Beendigung des jedenfalls teilweise nicht vom Einverständnis der Nebenklägerin gedeckten sexuellen Übergriffs verübt wurde (BGH, Beschluss vom 10. Oktober 2018 – 4 StR 311/18, BGHSt 63, 220, 223). Dabei kann offenbleiben, ob der Angeklagte zu der Verwirklichung des Grundtatbestandes (§ 177 Abs. 1 StGB) bereits unmittelbar angesetzt hatte, als er zum ersten Mal den Kopf der Nebenklägerin an deren Haaren hochriss, denn jedenfalls das erneute Reißen an den Haaren der Nebenklägerin geschah nach Versuchsbeginn.

Auch die Annahme des Landgerichts, dass der Angeklagte ein gefährliches Werkzeug im Sinne von § 177 Abs. 7 Nr. 1 StGB bei sich führte, wird von den Feststellungen getragen. Ein gefährliches Werkzeug nach dieser Vorschrift ist jeder bewegliche Gegenstand, der – im Fall seiner Verwendung – geeignet ist, erhebliche Verletzungen zu verursachen (vgl. BGH, Beschluss vom 3. Februar 2021 – 4 StR 263/20 Rn. 8; zu § 177 Abs. 8 Nr. 1 StGB auch BGH, Urteile vom 9. Januar 2020 – 5 StR 333/19 Rn. 36 und vom 10. Oktober 2018 – 5 StR 179/18 Rn. 14 mwN). Dies ist bei dem als Stichwerkzeug geeigneten Schraubenzieher von 25 cm Länge, der sich im Rahmen des dynamischen Geschehens in der räumlichen Enge des Fahrzeugfonds in der Hand des Angeklagten befand, der Fall.

b) Demgegenüber sind dem Urteil keine ausreichenden Feststellungen dazu zu entnehmen, dass der Angeklagte dieses gefährliche Werkzeug auch im Sinne von § 177 Abs. 8 Nr. 1 StGB bei der Tat verwendete.

Ein solches Verwenden liegt in zeitlicher Hinsicht vor, wenn das gefährliche Werkzeug zu irgendeinem Zeitpunkt zwischen Versuchsbeginn und Beendigung eingesetzt wird (BGH, Urteil vom 9. Januar 2020 – 5 StR 333/19 Rn. 38; Urteil vom 25. Oktober 2018 – 4 StR 239/18 Rn. 12 mwN). Was den Zweck der Verwendung betrifft, so sind nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs die Voraussetzungen des § 177 Abs. 8 Nr. 1 StGB jedenfalls dann erfüllt, wenn das gefährliche Werkzeug entweder als Nötigungsmittel oder bei der sexuellen Handlung eingesetzt wird (vgl. BGH, Urteil vom 25. Oktober 2018 – 4 StR 239/18 Rn. 13 mwN). Dafür genügt es, wenn sich das Geschehen als einheitlicher Vorgang mit Sexualbezug darstellt und die Verwendung des gefährlichen Gegenstandes deshalb ihrerseits sexualbezogen ist (vgl. BGH, Urteil vom 6. Februar 2002 ? 1 StR 506/01, NStZ 2002, 431 unter IV; Beschluss vom 15. April 2014 – 2 StR 545/13 mwN [jeweils zu § 177 Abs. 4 Nr. 1 StGB aF]).

Unbeschadet der Frage, welche Verwendungszwecke im Einzelnen den Qualifikationstatbestand des § 177 Abs. 8 Nr. 1 StGB zu erfüllen vermögen, setzt ein Verwenden des gefährlichen Werkzeugs jedenfalls voraus, dass das Werkzeug überhaupt als Mittel zu einem Zweck, also zur Erzielung einer in Bezug auf das Tatopfer angestrebten Wirkung, eingesetzt wird, wofür auch die (konkludente) Ankündigung des körperlichen Einsatzes des Werkzeugs, sein Gebrauch als Drohmittel, genügen kann. Kein Verwenden, sondern nur ein Beisichführen im Sinne von § 177 Abs. 7 Nr. 1 StGB ist demgegenüber gegeben, wenn das Werkzeug von dem Täter nicht als zweckgerichtetes Mittel eingesetzt wird, sondern sich das gefahrerhöhende Moment für das Tatopfer in dem körperlichen Vorhandensein des Werkzeugs bei der Tat erschöpft.

Dieses Verständnis des Qualifikationstatbestandes des § 177 Abs. 8 Nr. 1 StGB wird bereits vom Wortlaut der Norm nahegelegt. Denn nach dem allgemeinen Sprachgebrauch setzt das Verwenden eines Gegenstandes einen entsprechenden Einsatzzweck voraus. Hiernach ist unter „verwenden“ das Anwenden oder die Benutzung eines Gegenstandes für einen bestimmten Zweck, insbesondere zur Herstellung oder Ausführung von etwas (vgl. Duden, Bedeutungswörterbuch, 5. Aufl., Stichwort „verwenden“), mithin ein Gebrauchmachen von dem Gegenstand (so [zu § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB] BGH, Anfragebeschluss vom 3. Dezember 1998 – 4 StR 380/98 Rn. 10), zu verstehen. Auch gesetzessystematische und teleologische Erwägungen bestätigen diese Auslegung. Eine weite, auch jeden nicht instrumentellen Umgang mit dem gefährlichen Werkzeug bei der Tat umfassende Interpretation des § 177 Abs. 8 Nr. 1 StGB wäre ungeeignet, den Tatbestand schlüssig von der Qualifikation nach § 177 Abs. 7 Nr. 1 StGB abzugrenzen. Während das Verwenden eines gefährlichen Werkzeugs bei der Tat nach § 177 Abs. 8 StGB mit einer Mindeststrafe von fünf Jahren bedroht ist, sieht § 177 Abs. 7 StGB für das bloße Beisichführen eines gefährlichen Werkzeugs eine Strafe von nicht unter drei Jahren vor. Dieser Unterschied in der Strafdrohung findet seine Rechtfertigung in den gesteigerten Gefahren für Leib oder Leben des Tatopfers, welche die Verwendung des gefährlichen Werkzeugs gegenüber dessen bloßem Beisichführen birgt (vgl. BT-Drucks. 18/9097 S. 29; zu § 177 Abs. 4 StGB aF auch BGH, Beschluss vom 12. Dezember 2000 – 4 StR 464/00, NStZ 2001, 313, 314). Eine derart erhöhte Gefährlichkeit weist indes – typischerweise – allein der zweckgerichtete Einsatz eines gefährlichen Werkzeugs bei der Tat auf. Ein sonstiger Umgang mit dem Werkzeug, der auf keine das Tatopfer treffende Wirkung gerichtet ist, geht hingegen in seinem Gefahrenpotential nicht über das Beisichführen hinaus. So wird etwa die Gefahr eines bewusst in der Jackentasche getragenen Werkzeugs und damit im Sinne von § 177 Abs. 7 Nr. 1 StGB mitgeführten Werkzeugs nicht allein dadurch erhöht, dass der Täter es für kurze Zeit ergreift und in der Hand hält, etwa um sich dessen Vorhandenseins zu vergewissern.

c) Nach diesem Maßstab tragen die Feststellungen des Landgerichts den Schuldspruch nach § 177 Abs. 8 Nr. 1 StGB nicht. Zwar erscheint es nicht ausgeschlossen, dass der Angeklagte den Schraubenzieher als Nötigungsmittel einsetzte, als er ihn unter dem Fahrersitz aufnahm und kurz in der Hand hielt. Die Urteilsfeststellungen sind aber unzureichend. Das Landgericht hat zwar festgestellt, dass die Nebenklägerin den Schraubenzieher wahrnahm und deswegen in Angst geriet. Eine entsprechende Zwecksetzung des Angeklagten, also der bewusste Einsatz des Werkzeugs als Drohmittel, ist dem Urteil mit Blick darauf, dass der Angeklagte den Schraubenzieher nicht auf die Nebenklägerin richtete und sogleich wieder weglegte, nicht sicher zu entnehmen. Das Landgericht ist hiervon ersichtlich auch nicht ausgegangen, weil es den Tatbestand des § 177 Abs. 5 Nr. 2 StGB nicht als erfüllt angesehen hat….“

StGB I: Abgrenzung Raub/räuberische Erpressung, oder: Wegnahme des heruntergefallenen Handys

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Heute dann ein StGB-Tag. Und den starte ich mit dem BGH, Urt. v. 12.08.2021 – 3 StR 474/20. Der BGH hat zur Abgrenzung von Raub und räuberischer Erpressung Stellung genommen.

Folgender Sachverhalt: Der Angeklagte hatte von dem Geschädigten zum Preis von 4.500 EUR eine Uhr, von der er – wie von dem Verkäufer beabsichtigt – davon ausging, es handele sich um eine echte Rolex Submarine, Baujahr 1986. Tatsächlich war die Uhr gefälscht. Hiervon erfuhr der Angeklagteanlässlich einer Prüfung des Kaufgegenstandes durch einen Juwelier. Er beschloss deshalb, den Geschädigten unter Druck zu setzen, um ihn zur Rückerstattung des Kaufpreises zu veranlassen.

Nachdem der Geschädigte der Aufforderungen des Angeklagten, den Kaufpreis zurück zu erstatten, fasste der Angeklagte den Entschluss, sich an diesem zu rächen und ihm eine „Abreibung“ zu erteilen. Er ging deshalb zum Schein auf ein neues Verkaufsangebot des späteren Tatopfers ein, um es zu einem Treffen zu veranlassen und anlässlich dieser Gelegenheit unter Verwendung eines Schlagrings zusammenzuschlagen. Bei einem daraufhin stattfindenden Treffen kam es zu einer körperlichen Auseinandersetzung. Im Zuge der körperlichen Auseinandersetzung ließ der Geschädigte versehentlich sein Handy zu Boden fallen. Der Angeklagte fasste spontan den Entschluss, Bargeld und andere Wertgegenstände – insbesondere das Handy – des Geschädigten an sich zu nehmen, um sich hierdurch mit Blick auf den ihm zustehenden Anspruch auf Kaufpreisrückerstattung schadlos zu halten, gegebenenfalls auch durch Weiterveräußerung des Mobiltelefons. Er forderte das Opfer deshalb auf, seine Taschen zu entleeren und Handy, Geldbörse und sonstige Wertsachen zu übergeben. Der Geschädigte kam dem nach und übergab dem Angeklagten unter anderem sein Portemonnaie mit 61 US-Dollar. Hinsichtlich des Mobiltelefons wies er ihn darauf hin, dass dieses auf dem Bürgersteig liege. Der Angeklagte begab sich zum Bürgersteig und nahm das zu Boden gefallene Handy an sich.

Das LG hat eine Strafbarkeit des Angeklagten wegen schweren Raubes ( §§ 249 , 250 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b StGB ) verneint, da er das Mobiltelefon nicht „weggenommen“ im Sinne des § 249 StGB habe. Der Hinweis des Opfers zum Auffindeort des Handys stelle vielmehr eine Vermögensverfügung nach §§ 253 , 255 StGB dar. Eine Verurteilung wegen räuberischer Erpressung komme nicht in Betracht, weil eine Absicht rechtswidriger „Zueignung“ des Angeklagten mit Blick auf seine berechtigte Forderung gegen den Geschädigten aus dem Verkauf der Uhr nicht habe festgestellt werden können.

Dagegen die Revision der StA, die Erfolg hatte:

„2. Der Schuldspruch im Fall II.2 der Urteilsgründe hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die Strafkammer ist auf der Basis der von ihr getroffenen Feststellungen rechtsfehlerhaft davon ausgegangen, es liege hinsichtlich des Handys keine Wegnahme im Sinne des § 249 StGB vor.

Die Abgrenzung von Raub und räuberischer Erpressung erfolgt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nach dem äußeren Erscheinungsbild des vermögensschädigenden Verhaltens des Verletzten. Wird dieser gezwungen, die Wegnahme der Sache durch den Täter selbst zu dulden, so liegt Raub vor; wird er dagegen zur Vornahme einer vermögensschädigenden Handlung, mithin einer Weggabe, genötigt, so ist – sofern eine Absicht rechtswidriger Bereicherung gegeben ist – eine räuberische Erpressung anzunehmen (vgl. BGH, Beschluss vom 24. April 2018 – 5 StR 606/17 , juris Rn. 13 mwN).

Noch zutreffend hat die Strafkammer angenommen, dass der Geschädigte durch das versehentliche Zu-Boden-Fallen des Handys den Gewahrsam daran nicht verlor, sondern lediglich eine Gewahrsamslockerung eingetreten war. Jedoch hält die Bewertung, der Hinweis auf den Auffindeort des Handys stelle eine Vermögensverfügung im Sinne der §§ 253 , 255 StGB dar, rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Denn in der Preisgabe des Ortes, an dem der begehrte Gegenstand zu finden ist, liegt noch keine Gewahrsamsübertragung. Vielmehr wird dem Täter lediglich die Möglichkeit zum Gewahrsamsbruch und damit der eigentlichen vermögensschädigenden Handlung durch das Ansichnehmen des jeweiligen Gegenstandes eröffnet (vgl. BGH, Urteil vom 22. Oktober 2009 – 3 StR 372/09 , NStZ-RR 2010, 46, 48; Beschlüsse vom 13. Oktober 2005 – 5 StR 366/05 , NStZ 2006, 38; vom 2. Dezember 2010 – 4 StR 476/10 , NStZ-RR 2011, 80; vom 3. Juli 2013 – 4 StR 186/13 , juris; vom 24. April 2018 – 5 StR 606/17 , juris Rn. 13).“