Archiv für den Monat: Juni 2021

Urteil III: Der BGH und die Länge der Urteilsgründe, oder: In der Kürze liegt die Würze

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Ich habe ja schon häufiger über Entscheidungen des BGH zum Umfang der Urteilsgründe berichtet. Nein, nicht die Problematik, dass dem BGH die Feststellungen nicht reichen, die Gründe also ggf. „zu kurz/knapp“ sind, sondern die Thematik, dass dem BGH die Urteilsgründe – insbesondere die Beweiswürdigungen – zu lang sind. Man sieht förmlich den Berichterstatter oder die Berichterstatterin über dem Urteil sitzen und sich die Haare raufen, während er/sie denkt: Man, man, das muss ich alles lesen.

Daher mahnt der BGH in unregelmäßigen Abständen immer mal wieder kürzere Urteilsgründe an, zumal zu lange Gründe ja auch nicht „ungefährlich“ sind. So auch in den Entscheidungen, die ich heute vorstelle:

Das sind zunächst der BGH, Beschl. v. 15.12.2020 – 2 StR 476/19 und der BGH, Beschluss vom 01.06.2021 – 6 StR 113/21.

Ich zitiere zunächst aus dem BGH, Beschl. v. 15.12.2020 – 2 StR 476/19

„1. Die den Feststellungen zugrundeliegende Beweiswürdigung hält sachlichrechtlicher Überprüfung stand.

a) Zwar fehlt es an einer Darstellung, ob und wie sich der Angeklagte zu den Fällen 7 und 8 der Urteilsgründe in der Hauptverhandlung eingelassen hat (vgl. Senat, Beschlüsse vom 11. März 2020 – 2 StR 380/19, juris Rn. 6; vom 30. Dezember 2014 – 2 StR 403/14, BGHR StPO § 267 Abs. 1 Satz 2 Einlassung 2 Rn. 2 f.). Auf dieser Darstellungslücke beruht der Schuldspruch indes nicht, da sich die Beweislage angesichts der detaillierten Aussage der Zeugin K. , die durch die Angaben der Zeugin W. und WhatsApp-Kommuni- kation bestätigt wird, als erdrückend darstellt.

b) Die rund 180 Seiten umfassende Beweiswürdigung gibt dem Senat Anlass darauf hinzuweisen, dass die schriftlichen Urteilsgründe, wie der Bundesgerichtshof wiederholt ausgesprochen hat, nicht dazu dienen, all das zu dokumentieren, was in der Hauptverhandlung an Beweisen erhoben wurde; sie sollen nicht das vom Gesetzgeber abgeschaffte Protokoll über den Inhalt von Angeklagten- und Zeugenäußerungen ersetzen, sondern vielmehr das Ergebnis der Hauptverhandlung wiedergeben und die Nachprüfung der getroffenen Entscheidung ermöglichen (vgl. nur BGH, Beschluss vom 4. Mai 1999 – 1 StR 104/99, juris Rn. 4 mwN). Eine umfängliche Wiedergabe der Zeugenaussagen in den Urteilsgründen ohne Bezug zu Einzelheiten der Beweiswürdigung oder die breite Wiedergabe von Chat-Inhalten ist deshalb regelmäßig verfehlt und kann die gebotene Würdigung, Abwägung und Gewichtung der einzelnen Beweise nicht ersetzen (vgl. BGH, Beschluss vom 12. August 1999 – 3 StR 271/99 mwN; vom 30. Juni 2015 – 3 StR 179/15, juris Rn. 4).“

Da kann man dann nur den Kopf schütteln: 180 Seiten Beweiswürdigung, aber die Einlassung des Angeklagten nicht mitgeteilt.

Und dann aus dem  BGH, Beschluss vom 01.06.2021 – 6 StR 113/21.

„Der Schuldspruch wird von den Feststellungen getragen. Die zugrunde liegende Beweiswürdigung nimmt der Senat auch angesichts der Fülle von für die Täterschaft des Angeklagten streitenden Anzeichen noch hin. Er weist allerdings darauf hin, dass die schriftlichen Urteilsgründe nicht der Nacherzählung des Gangs der Hauptverhandlung dienen. Es ist Aufgabe des Tatgerichts, Wesentliches von Unwesentlichem zu unterscheiden und die Begründung seiner Entscheidung so zu fassen, dass der Leser die wesentlichen Erwägungen ohne aufwendige eigene Bemühungen erkennen kann (st. Rspr., vgl. etwa BGH, Beschluss vom 7. Dezember 2006 – 2 StR 470/06, NStZ 2007, 720). Damit ist es nicht vereinbar, wenn – wie hier – vielfach in der Hauptverhandlung erfolgte, teils sehr umfängliche Vorhalte wörtlich in die Urteilsurkunde eingesetzt werden, um danach auszuführen, wie sich der jeweilige Zeuge hierzu geäußert hat. Eine derartige Vorgehensweise lässt unter Umständen besorgen, dass das Beweisergebnis nicht (nur) aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung (§ 261 StPO) geschöpft worden ist, und kann den Bestand des Urteils gefährden.“

Dazu: „Schwein gehabt“, der BGH nimmt „noch hin“.

Und dann noch der BGH, Beschl. v.  27.04.2021 – 4 StR 55/21:

„Die schriftlichen Urteilsgründe sind so zu fassen, dass die wesentlichen die Entscheidung tragenden Feststellungen und rechtlichen Erwägungen erkennbar sind (vgl. BGH, Beschluss vom 3. Februar 2009 ? 1 StR 687/08, NStZ-RR 2009, 183 mwN). Dies gilt auch für die Darstellung der Vorstrafen. Es besteht daher in der Regel kein Anlass, in früheren Verurteilungen festgestellten Chatverkehr in seinem vollen Wortlaut in die Urteilsgründe aufzunehmen (UA S. 10-14 und 19-36). Stattdessen wäre es angezeigt gewesen, die die Vorverurteilungen tragenden Feststellungen, soweit diese für die Beurteilung der Schuld des Angeklagten im aktuellen Verfahren von Bedeutung sind, in gedrängter Form darzustellen.“

Es ist eben auch eine Kunst Wichtiges von Unwichtigem zu unterscheiden.

Urteil II: Sinneswandel bei der Urteilsverkündung, oder: Dann muss man zurück auf Null

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Zu dem vorhin vorgestellten BGH-Beschluss zur Berichtigung der Urteilsformel passt ganz gut der – auch schon etwas ältere – OLG Dresden, Beschl. v. 06.11.2020 – 2 Ws 456/20 – , den mir seiner Zeit der Kollegen Stephan aus Dresden geschickt hatte.

In der Entscheidung geht es in Zusammenhang mit der Frage, ob das Rechtsmittel gegen ein Urteil des AG Chemnitz vom LG zurecht als sog. Annahmeberufung (§ 313 StPO) angesehen worden ist. Der Angeklagate hatte geltend gemacht, dass die schriftliche Urteilsausfertigung im Strafausspruch von der am Schluss der Hauptverhandlung verkündeten Urteilsformel abweiche. Der Vorsitzende habe dort als zuerkannte Rechtsfolge eine Geldstrafe von 20 Tagessätzen zu je 200,- € verkündet. Erst im Verlauf der anschließenden mündlichen Urteilsbegründung habe er geäußert, dass es sich hierbei um ein Versehen handele, der Angeklagte vielmehr zu lediglich 15 Tagessätzen verurteilt sei. Eine wiederholende Verkündung der insoweit geänderten Urteilsformel und der sich anschließenden mündlichen Bekanntgabe der Urteilsgründe sei indes nicht erfolgt.

Das LG hat die Berufung nach § 313 Abs. 2 Satz 2 StPO  nicht angenommen, weil es sie als offensichtlich unbegründet bewertet hate. Dagegen das Rechtsmittel des Angeklagaten, das das OLG als zulässig – bitte selbst lesen – und auch als begründet angesehen hat:

„Das Rechtsmittel hat auch in der Sache Erfolg. Es führt zur Aufhebung des Verwerfungsbeschlusses, weil das Landgericht zu Unrecht die Voraussetzungen des § 313 Abs. 1 Satz 2 StPO angenommen hat, und zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht zur Durchführung des Berufungsverfahrens.

Aus der Sachakte ergibt sich hierzu folgender Sachverhalt:

a) Der Sitzungsniederschrift des Amtsgerichts vorn 22. Juni 2020 zufolge unterbrach der Vorsitzende die Verhandlung nach Abschluss der Beweisaufnahme, den Schlussantragen von Staatsanwaltschaft und Verteidigung sowie nach dem Letzten Wort des Angeklagten kurz und verfasste nach Urteilsfindung die entsprechende Urteilsformel handschriftlich auf einem zu ergänzenden Vordruck mit Lückentext (81 71 d.A ).

  1. Der Angeklagte ist schuldig der Beihilfe zum Subventionsbetrug.
  2. Der Angeklagte wird deswegen zu einer Geldstrafe von 20 Tagessätzen zu jeweils 200,- € verurteilt.
  3. Der Angeklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Auf dem vorn Strafrichter unterzeichneten und zur Akte genommenen Vordruck ist die Zahl ,.20″ durchgestrichen und oberhalb von ihr handschriftlich die Zahl ,,15″ vermerkt.

b) Das Verhandlungsprotokoll wurde am 03. Juli 2020 fertiggestellt. Es weist als verkündeten Urteilsspruch aus

  1. Der Angeklagte ist schuldig der Beihilfe zum Subventionsbetrug.
  2. Der Angeklagte wird deswegen zu einer Geldstrafe von 15 Tagessätzen zu jeweils 200,- € verurteilt.
  3. Der Angeklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

c) In seiner vom Landgericht hierzu eingeholten dienstlichen Stellungnahme legt der Strafrichter zum Ablauf seiner Urteilsverkündung dar (BI. 191 d.A.):

„Ich habe das Urteil (BI. 71 d.A.) ursprünglich mit 20 Tagessätzen niedergeschrieben. Da ich aber zuvor in einem Parallelfall auch nur 15 Tagessätze verhängt habe, habe ich die 20 Tagessätze in 15 Tagessätze umgeändert. Verkündet hatte ich zunächst die 20 Tagessätze, aber ich habe noch während der Urteilsbegründung meinen Fehler bemerkt und die tatsächlich gewollten 15 Tagessätze auch verkündet. Ich habe während der Urteilsbegründung 2 oder 3 mal darauf hingewiesen, dass es sich bei den ursprünglich genannten 20 Tagessätzen um einen Fehler gehandelt hat und tatsächlich 15 Tagessätze gewollt waren.

Auch die schriftliche Korrektur des Fehlers fand am Ende der Urteilsverkündung statt.“

2. Bei dieser Sachlage liegt ein Fall der Annahmeberufung im Sinne des § 313 StPO nicht vor. Zu Unrecht geht das Landgericht davon aus, dass der Amtsrichter zu einer „Berichtigung“ des Urteilstenors berechtigt gewesen sei, weil ein offensichtlicher Fehler insoweit nicht vorliegt. Denn es handelt sich – abweichend von der Ansicht der Generalstaatsanwaltschaft und durch die dienstliche Stellungnahme des betroffenen Richters glaubhaft gemacht und bestätigt – nicht um ein in geheimer Beratung gefundenes – „eigentlich gewolltes“ – Urteil (lautend auf 15 Tagessätze), dessen Urteilsformel lediglich sodann infolge eines Fassungsversehens bei ihrer schriftlichen Abfassung fehlerhaft in der Hauptverhandlung verkündet wurde (so der Fall BGHSt 5, 5ff.). Vielmehr wurde die in der Urteilsberatung für tat- und schuldangemessen erachtete – und zu diesem Zeitpunkt tatsächlich auch so gewollte – Rechtsfolge (20 Tagessätze) sowohl korrekt niedergeschrieben als auch und zutreffend anschließend verkündet. Ihre erst später aufgrund einer erneuten Überlegung des Strafrichters (Vergleich mit einem Parallelfall) erfolgte Änderung in 15 Tagessätze während seiner mündlichen Urteilsbegründung stellt, wie der Angeklagte zutreffend meint, lediglich einen Sinneswandel des Amtsrichters dar und ist als nachträgliche sachliche Änderung unzulässig (vgl. RGSt 56, 233ff.). Hier hätte es des Abbruchs der begonnenen und des Eintritts in eine neue Urteilsverkündung durch Verlesung der geänderten Urteilsformel und der vollständigen mündlichen Urteilsbegründung bedurft (vgl. auch BGH, Urteil vom 29. Januar 1975 – Az.: 2 StR 634/74); solches ist nach dem Vortrag des Beschwerdeführers in Übereinstimmung mit der dienstlichen Stellungnahme des Amtsrichters nicht geschehen.

Der Senat hat klarstellend die in erster Instanz verhängte Tagessatzanzahl festgestellt. Die am 03. Juli 2020 fertiggestellte Sitzungsniederschrift des Amtsgerichts vom 22. Juni 2020 wird von Amts wegen entsprechend zu berichtigen sein.

Für die Kosten dieser Beschwerde haftet in Ermangelung eines anderen Kostenschuldners die Staatskasse. Die Auslagenentscheidung folgt aus der entsprechenden Anwendung von § 467 Abs. 1 StPO.“

Die „Fortentwicklung der StPO“ ist dann ab 01.07.2021 da, oder: Mein Ebook dazu natürlich auch

So, dann ist es so weit. Das „Gesetz zur Fortentwicklung der StPO u.a.“, über das ich ja schon mehrfach berichtet habe (zuletzt u.a. hier: Die “Fortentwicklung der StPO” im Bundestag, oder: Nachts um 00.20 Uhr in Berlin, früher dann schon Nach der “Effektivierung” und der “Modernisierung” kommt die “Fortentwicklung” der StPO, oder: Warum? und Aktueller Stand der “Fortentwicklung der StPO” oder: “Mehr, mehr, mehr schrie der kleine Häwelmann”), ist dann heute am 30.06.2021 im BGBl. verkündet worden (vgl. hier).

Nach Art. 28 des Gesetzes treten die Änderungen in der StPO dann morgen am 01.07.2021 in Kraft. Auf die wesentlichen Änderungen habe ich ja schon hingewiesen. Ich wiederhole noch einmal:

  • Es gibt einen neuen § 95a StPO, der eine „heimliche Beschlagnahme“ erlaubt.
  • In § 99 Abs. 2 StPo ist ein neues „Auskunftsverlangen“ eingeführt.
  • Durchsuchungen (§ 104 StPO) zur Nachtzeit sind erleichtert/erweitert worden.
  • Der Tatbestandskatalog bei der Telefonüberwachung (100a StPO) und der Onlinedurchsuchung (§ 100b StPO) ist erweitert/verschärft worden.
  • Als neue Fahndungsmaßnahme wurde ein neuer § 163g StPO eingeführt, der eine „Automatische Kennzeichenerfassung“ vorsieht.
  • Die Revsionsbegründungsfrist des § 345 StPO ist in Verfahren, in denen die Urteilsabsetzung lange gedauert hat, verlängert worden.

Und: Ich hatte ja auch schon darauf hingewiesen: Zu den Änderungen gibt es ein Ebook von mir, und zwar:

Fortentwicklung der StPO u.a. Die Änderungen in der StPO 2021 – ein erster Überblick.

Man kann das Ebook natürlich auf meiner HP bestellen, und zwar hier auf der Bestellseite. Preis: 27 EUR. Für die Vorbesteller kommt es automatisch.

Und: In den im Herbst anstehenden Neuauflagen des „Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren“, 9. Auflage, und des „Handbuch für die strafrechtliche Hauptverhandlung“, 10. Auflage, werden die Änderungen natürlich auch alle berücksichtigt sein.

Urteil I: Berichtigung der Urteilsformel, oder: Tatbestandsverwechselung ist kein Verkündungsversehen

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Ich stelle heute dann Entscheidungen rund um das Urteil vor – Urteilverkündung, Urteilsgründe usw.

Und ich beginne den Reigen mit dem schon etwas älteren BGH, Beschl. v. 11.11.2020 – 2 StR 48/20. In dem geht es um die Urteilberichtigung. Das LG hatte die Angeklagte u.a. wegen  falscher Verdächtigung verurteilt. Dagegen die Revision, die Erfolg hatte:

„2. Die Feststellungen tragen einen Schuldspruch wegen falscher Verdächtigung gemäß § 164 Abs. 1 StGB nicht. Es fehlen insoweit hinreichende Feststellungen zur inneren Tatseite, insbesondere zur Absicht der Angeklagten bei ihrer Beschuldigtenvernehmung ein behördliches Verfahren gegen den Geschädigten einzuleiten.

Soweit das Landgericht in den Urteilsgründen – abweichend vom Urteilstenor – ausführt, dass die Verurteilung nicht wegen falscher Verdächtigung, vielmehr wegen Vortäuschens einer Straftat nach § 145d Abs. 1 Nr. 1 StGB erfolgt sei und es sich bei der Formulierung im Tenor um ein „Schreibversehen“ handele, ist dies einer Berichtigung nicht zugänglich.

a) Eine Berichtigung der Urteilsformel nach Abschluss der mündlichen Urteilsverkündung kommt nur bei einem offensichtlichen Schreib- bzw. Verkündungsversehen in Betracht (vgl. BGH, Urteil vom 16. Juni 1953 – 1 StR 508/52, BGHSt 5, 5, 8 f.; Senat, Urteil vom 8. November 2017 – 2 StR 542/16, BGHR StPO § 260 Abs. 1 Urteilstenor 6 Rn. 17 mwN). Bei dieser Prüfung ist ein strenger Maßstab anzulegen, um zu verhindern, dass mit einer solchen Berichtigung eine unzulässige inhaltliche Abänderung des Urteils verbunden ist (vgl. Senat, Urteil vom 14. Januar 2015 – 2 StR 290/14, NStZ-RR 2015, 119, 120). Insbesondere ist in Ansehung der überragenden Bedeutung der Urteilsformel, die – anders als die schriftlichen Urteilsgründe – bei Verkündung schriftlich vorliegen muss, bei einer Berichtigung der Urteilsformel Zurückhaltung geboten (vgl. Senat, Urteil vom 8. November 2017 – 2 StR 542/16, aaO). Ein der Berichtigung zugängliches offensichtliches Verkündungsversehen kann nur angenommen werden, wenn sich der Fehler ohne Weiteres aus solchen Tatsachen ergibt, die für alle Verfahrensbeteiligten – auch ohne Berichtigung – klar zu Tage liegen und der auch nur entfernte Verdacht einer späteren inhaltlichen Änderung des verkündeten Urteils ausgeschlossen ist, die Berichtigung also lediglich dazu dient, die äußere Übereinstimmung der Urteilsformel mit der tatsächlich beschlossenen herzustellen.

b) Gemessen hieran liegt bei einer möglichen Verwechselung des in der Urteilsformel bezeichneten Tatbestandes kein offensichtliches Verkündungsversehen vor (vgl. BGH, Urteil vom 16. Oktober 1952 – 5 StR 480/52, BGHSt 3, 245, 247; Beschluss vom 22. Januar 1981 – 1 StR 642/80, bei Pfeiffer/Miebach NStZ 1983, 208, 212). Trotz der Ausführungen des Landgerichts in den Urteilsgründen und des Umstands, dass in der Liste der angewendeten Vorschriften § 145d StGB aufgeführt ist, vermag der Senat nicht mit der für ein offensichtliches Verkündungsversehen erforderlichen Sicherheit festzustellen, dass das Auseinanderfallen von Schuldspruch und Urteilsgründen auf einem bloßen Verkündungsversehen beruht.“

U-Haft III: Höchstdauer der U-Haft bei Wiederholungsgefahr, oder: An StA gebundene Außervollzugsetzung?

entnommen der Homepage der Kanzlei Hoenig, Berlin

Im dritten Haftposting dann noch zwei Entscheidungen des OLG Celle zu Verfahrensfragen in Zusammenhang mit der U-Haft.

Im OLG Celle, Beschl. v. 25.05.2021 – 2 Ws 150/21 u.a. – geht es um die Höchstdauer der U-Haft bei der sog. Wiederholungsgefahr (§ 112a StPO). Die darf nach § 122a StPO nicht mehr als ein Jahr dauern. Dazu meint das OLG, dass diese Frist während der Hauptverhandlung ruht:

„Der letztgenannten Auffassung schließt sich der Senat an. Wie bereits das Landgericht in dem Beschluss vom 07.05.2021 ausführt, tritt der Sicherungszweck des Haftgrundes der Wiederholungefahr an die Stelle der Verfahrenssicherung durch die Anordnung von Untersuchungshaft, wenn keine anderen Haftgründe vorliegen. Es handelt sich bei Verfahren, in denen lediglich der subsidiäre Haftgrund der Wiederholungsgefahr gegeben ist, auch in der Regel um Verfahren, die einen besonderen Umfang haben und aufgrund der Begrenzung des Haftgrundes der Wiederholungsgefahr auf Katalogtaten nach § 112a Abs. 1 StPO zumindest mehrere, häufig aber auch eine Vielzahl von schweren Straftaten betreffen. Gerade in diesen Verfahren ist – wie auch im vorliegenden Verfahren- auch bei zügiger Verhandlungsführung ohne Verfahrensverzögerungen eine Verfahrensdauer von mehr als einem Jahr aufgrund der Durchführung einer aufwändigen Beweisaufnahme häufig erforderlich und nicht vermeidbar. Es würde dem Sicherungszweck des Schutzes der Allgemeinheit vor weiteren schweren Straftaten widersprechen, wenn insoweit ein Ruhen des Fristablaufs nach § 121 Abs. 3 StPO nicht eintreten würde. Die Verweisung von § 122a StPO auf § 121 Abs. 1 StPO steht dem nicht entgegen. Denn § 121 Abs. 3 StPO enthält eine Regelung zur Berechnung der Ruhensfrist und hat inhaltlich keinen weiteren Regelungsgehalt, der eine entsprechende Anwendung ausschließen würde. Insoweit nimmt der Verweis auf § 121 Abs. 1 StPO in § 122a StPO die Regelung auch nicht ausdrücklich vom Anwendungsbereich des § 122a StPO aus.“

In der zweiten Entscheidung, dem OLG Celle, Beschl. v. 17.05.2021 – 2 Ws 145/21 – hat das OLG Celle zur Bindungswirkung eines Außervollzugsetzungsantrags der Staatsanwaltschaft, den die im Ermittlungsverfahren gestellt hat – Stellung genommen. Das OLG Hat die Bindungswirkung verneint. Hier der Leitsatz:

Der Antrag der Staatsanwaltschaft auf Außervollzugsetzung des Haftbefehls im Ermittlungsverfahren hat keine Bindungswirkung für den Haftrichter. § 120 Abs. 3 StPO ist nicht entsprechend anwendbar.