Urteil III: Der BGH und die Länge der Urteilsgründe, oder: In der Kürze liegt die Würze

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Ich habe ja schon häufiger über Entscheidungen des BGH zum Umfang der Urteilsgründe berichtet. Nein, nicht die Problematik, dass dem BGH die Feststellungen nicht reichen, die Gründe also ggf. „zu kurz/knapp“ sind, sondern die Thematik, dass dem BGH die Urteilsgründe – insbesondere die Beweiswürdigungen – zu lang sind. Man sieht förmlich den Berichterstatter oder die Berichterstatterin über dem Urteil sitzen und sich die Haare raufen, während er/sie denkt: Man, man, das muss ich alles lesen.

Daher mahnt der BGH in unregelmäßigen Abständen immer mal wieder kürzere Urteilsgründe an, zumal zu lange Gründe ja auch nicht „ungefährlich“ sind. So auch in den Entscheidungen, die ich heute vorstelle:

Das sind zunächst der BGH, Beschl. v. 15.12.2020 – 2 StR 476/19 und der BGH, Beschluss vom 01.06.2021 – 6 StR 113/21.

Ich zitiere zunächst aus dem BGH, Beschl. v. 15.12.2020 – 2 StR 476/19

„1. Die den Feststellungen zugrundeliegende Beweiswürdigung hält sachlichrechtlicher Überprüfung stand.

a) Zwar fehlt es an einer Darstellung, ob und wie sich der Angeklagte zu den Fällen 7 und 8 der Urteilsgründe in der Hauptverhandlung eingelassen hat (vgl. Senat, Beschlüsse vom 11. März 2020 – 2 StR 380/19, juris Rn. 6; vom 30. Dezember 2014 – 2 StR 403/14, BGHR StPO § 267 Abs. 1 Satz 2 Einlassung 2 Rn. 2 f.). Auf dieser Darstellungslücke beruht der Schuldspruch indes nicht, da sich die Beweislage angesichts der detaillierten Aussage der Zeugin K. , die durch die Angaben der Zeugin W. und WhatsApp-Kommuni- kation bestätigt wird, als erdrückend darstellt.

b) Die rund 180 Seiten umfassende Beweiswürdigung gibt dem Senat Anlass darauf hinzuweisen, dass die schriftlichen Urteilsgründe, wie der Bundesgerichtshof wiederholt ausgesprochen hat, nicht dazu dienen, all das zu dokumentieren, was in der Hauptverhandlung an Beweisen erhoben wurde; sie sollen nicht das vom Gesetzgeber abgeschaffte Protokoll über den Inhalt von Angeklagten- und Zeugenäußerungen ersetzen, sondern vielmehr das Ergebnis der Hauptverhandlung wiedergeben und die Nachprüfung der getroffenen Entscheidung ermöglichen (vgl. nur BGH, Beschluss vom 4. Mai 1999 – 1 StR 104/99, juris Rn. 4 mwN). Eine umfängliche Wiedergabe der Zeugenaussagen in den Urteilsgründen ohne Bezug zu Einzelheiten der Beweiswürdigung oder die breite Wiedergabe von Chat-Inhalten ist deshalb regelmäßig verfehlt und kann die gebotene Würdigung, Abwägung und Gewichtung der einzelnen Beweise nicht ersetzen (vgl. BGH, Beschluss vom 12. August 1999 – 3 StR 271/99 mwN; vom 30. Juni 2015 – 3 StR 179/15, juris Rn. 4).“

Da kann man dann nur den Kopf schütteln: 180 Seiten Beweiswürdigung, aber die Einlassung des Angeklagten nicht mitgeteilt.

Und dann aus dem  BGH, Beschluss vom 01.06.2021 – 6 StR 113/21.

„Der Schuldspruch wird von den Feststellungen getragen. Die zugrunde liegende Beweiswürdigung nimmt der Senat auch angesichts der Fülle von für die Täterschaft des Angeklagten streitenden Anzeichen noch hin. Er weist allerdings darauf hin, dass die schriftlichen Urteilsgründe nicht der Nacherzählung des Gangs der Hauptverhandlung dienen. Es ist Aufgabe des Tatgerichts, Wesentliches von Unwesentlichem zu unterscheiden und die Begründung seiner Entscheidung so zu fassen, dass der Leser die wesentlichen Erwägungen ohne aufwendige eigene Bemühungen erkennen kann (st. Rspr., vgl. etwa BGH, Beschluss vom 7. Dezember 2006 – 2 StR 470/06, NStZ 2007, 720). Damit ist es nicht vereinbar, wenn – wie hier – vielfach in der Hauptverhandlung erfolgte, teils sehr umfängliche Vorhalte wörtlich in die Urteilsurkunde eingesetzt werden, um danach auszuführen, wie sich der jeweilige Zeuge hierzu geäußert hat. Eine derartige Vorgehensweise lässt unter Umständen besorgen, dass das Beweisergebnis nicht (nur) aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung (§ 261 StPO) geschöpft worden ist, und kann den Bestand des Urteils gefährden.“

Dazu: „Schwein gehabt“, der BGH nimmt „noch hin“.

Und dann noch der BGH, Beschl. v.  27.04.2021 – 4 StR 55/21:

„Die schriftlichen Urteilsgründe sind so zu fassen, dass die wesentlichen die Entscheidung tragenden Feststellungen und rechtlichen Erwägungen erkennbar sind (vgl. BGH, Beschluss vom 3. Februar 2009 ? 1 StR 687/08, NStZ-RR 2009, 183 mwN). Dies gilt auch für die Darstellung der Vorstrafen. Es besteht daher in der Regel kein Anlass, in früheren Verurteilungen festgestellten Chatverkehr in seinem vollen Wortlaut in die Urteilsgründe aufzunehmen (UA S. 10-14 und 19-36). Stattdessen wäre es angezeigt gewesen, die die Vorverurteilungen tragenden Feststellungen, soweit diese für die Beurteilung der Schuld des Angeklagten im aktuellen Verfahren von Bedeutung sind, in gedrängter Form darzustellen.“

Es ist eben auch eine Kunst Wichtiges von Unwichtigem zu unterscheiden.

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