Mich weist gerade ein Leser des Blogs auf den BVerfG, Beschl. v. 12.11.2020 – 2 BvR 1616/18 hin. Er verhält sich zur Verfassungsbeschwerde gegen den OLG Bamberg, Beschl. v. 19.06.2019 – 3 Ss OWi 672/18 (vgl. dazu Antwort vom OLG Bamberg: Das VerfG Saarland hat keine Ahnung, oder: Von wegen der Rechtsstaat lebt).
Edit an dieser Stelle am 15.12.2020 um 13.30 Uhr: Inzwischen bin och schon ein paar mal gefragt worden, wer die Verfassungsbeschwerde erfolgreich geführt hat. Bislang konnte ich das nicht beantworten. Jetzt kann ich es, dass der Kollege sich bei mir mit folgender Mail gemeldet hat:
„Sehr geehrter Herr Kollege Burhoff,
vielen Dank für Ihre „Sondermeldung zum OWi: BVerfG hebt OLG Bamberg auf, oder: Erfolgreiche Verfassungsbeschwerde wegen der Rohmessdaten.“
Insbesondere durch Ihre Inspiration konnte ich meine Verfassungsbeschwerde erfolgreich gestalten. Danke!
Über eine Benennung/Verweisung/Verlinkung Ihrerseits auf meine Website
www.kanzlei-fritschi.de würde ich mich sehr freuen!“
Das tue ich doch sehr gerne und gratulieren ihm zu seinem Erfolg. Das mit der Inspiration ist ja nett, aber: Nicht ich habe die Verfassungsbeschwerde erfolgreich geführt.
Mal sehen, was die Fachgerichte daraus machen.
Und hier dann weiter: Das BVerfG führt dazu aus:
„Das Oberlandesgericht Bamberg hat die damit einhergehende Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren durch die Verwerfung der Rechtsbeschwerde nicht beseitigt.
a) Im Ausgangspunkt ist es von Verfassungs wegen zunächst nicht zu beanstanden, dass die Fachgerichte von einer reduzierten Sachverhaltsaufklärungs- und Darlegungspflicht der Gerichte im Fall eines standardisierten Messverfahrens ausgegangen sind.
aa) Die im Fall des Beschwerdeführers zur Anwendung gekommene Messungsmethode mit dem Messgerät der Marke PoliScan Speed M1 des Herstellers Vitronic Dr.-Ing. Stein Bildverarbeitungssysteme GmbH, bei der unter Einsatz eines (mobilen) Messgeräts mittels scannender Laserstrahlen eine Laufzeitmessung vorgenommen wird, ist als sogenanntes standardisiertes Messverfahren anerkannt (vgl. zuletzt Hanseatisches Oberlandesgericht in Bremen, Beschluss vom 3. April 2020 – 1 SsRs 50/19 -, juris, Rn. 9 m.w.N.; zur Funktionsweise vgl. Smykowski, NZV 2018, S. 358 <359 m.w.N.>; H.-P. Grün/M. Grün/R. Schäfer, in: Burhoff, Messungen im Straßenverkehr, 5. Aufl. 2020, § 1 Rn. 803 ff. m.w.N.).
Bei einem standardisierten Messverfahren handelt es sich um ein durch Normen vereinheitlichtes (technisches) Verfahren, bei dem die Bedingungen seiner Anwendbarkeit und sein Ablauf derart festgelegt sind, dass unter gleichen Voraussetzungen gleiche Ergebnisse zu erwarten sind, wobei dies nicht bedeutet, dass die Messung in einem voll automatisierten, menschliche Handhabungsfehler praktisch ausschließenden Verfahren stattfindet (vgl. BGHSt 43, 277 <284>). Regelmäßig werden technische Messsysteme, deren Bauart von der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt zur Eichung zugelassen ist, von den Gerichten als standardisierte Messverfahren insbesondere bei Geschwindigkeitsmessungen anerkannt (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 14. Juli 2014 – IV-1 RBs 50/14 -, juris, Rn. 9; OLG Frankfurt, Beschluss vom 4. Dezember 2014 – 2 Ss-OWi 1041/14 -, juris, Rn. 15; Bayerisches Oberstes Landesgericht, Beschluss vom 9. Dezember 2019 – 202 ObOWi 1955/19 -, juris, Rn. 8; vgl. auch Cierniak, ZfS 2012, S. 664).
Kommt bei einer Geschwindigkeitsüberschreitung ein standardisiertes Messverfahren zur Anwendung, sind nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs geringere Anforderungen an die Beweisführung und die Urteilsfeststellungen der Fachgerichte zu stellen (vgl. BGHSt 39, 291; 43, 277). Denn die Zulassung durch die Physikalisch-Technische Bundesanstalt bietet bei Verwendung des Messgerätes im Rahmen der Zulassungsvorgaben nach gefestigter obergerichtlicher Rechtsprechung grundsätzlich eine ausreichende Gewähr dafür, dass die Messung bei Einhaltung der vorgeschriebenen Bedingungen für den Einsatz auch im Einzelfall ein fehlerfreies Ergebnis liefert (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 17. Juli 2015 – 2 (7) SsBs 212/15 -, juris, Rn. 6 m.w.N.; zu möglichen Auswirkungen der Änderungen des Mess- und Eichrechts vgl. Rothfuß, DAR 2016, S. 257 <259>). Wie bei allen technischen Untersuchungsmethoden, insbesondere solchen, die in Bereichen des täglichen Lebens außerhalb von Laboratorien durch „angelerntes“ Personal gewonnen werden, ist auch bei standardisierten Messverfahren eine absolute Genauigkeit, also eine sichere Übereinstimmung mit der tatsächlich gefahrenen Geschwindigkeit, nicht möglich. Das Tatgericht muss sich deshalb bei der Berücksichtigung der Ergebnisse von Geschwindigkeitsmessgeräten bewusst sein, dass Fehler nicht auszuschließen sind. Es hat diesem Umstand durch die Berücksichtigung von Messtoleranzen Rechnung zu tragen (vgl. BGHSt 39, 291 <301>).
Davon abgesehen ist das Tatgericht nur dann gehalten, das Messergebnis zu überprüfen und sich von der Zuverlässigkeit der Messung zu überzeugen, wenn konkrete Anhaltspunkte für Messfehler gegeben sind (vgl. BGHSt 39, 291 <301>; 43, 277 <283 f.>). Wurde das Messgerät von seinem Bedienpersonal standardmäßig, also in geeichtem Zustand gemäß der Betriebsanleitung des Herstellers und den Zulassungsbedingungen der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt entsprechend verwendet, ist das Tatgericht auch von weiteren technischen Prüfungen, insbesondere zur Funktionsweise des Messgerätes, freigestellt (vgl. OLG Frankfurt, Beschluss vom 4. Dezember 2014 – 2 Ss-OWi 1041/14 -, juris, Rn. 16).
Die amtliche Zulassung von Messgeräten sowie die Reduzierung des gemessenen Wertes um einen – systemimmanente Messfehler erfassenden – Toleranzwert dient dem Zweck, Ermittlungsbehörden und Gerichte von der Sachverständigenbegutachtung und der Erörterung des Regelfalles zu entlasten (vgl. BGHSt 39, 291 <297>; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 14. Juli 2014 – IV-1 RBs 50/14 -, juris, Rn. 10). Bestehen keine Bedenken gegen die Richtigkeit des Messergebnisses, genügt deshalb zum Nachweis eines Geschwindigkeitsverstoßes grundsätzlich die Mitteilung des eingesetzten Messverfahrens, der ermittelten Geschwindigkeit nach Abzug der Toleranz und des berücksichtigten Toleranzwertes (vgl. BGHSt 43, 277 <282>; Hanseatisches Oberlandesgericht in Bremen, Beschluss vom 3. April 2020 – 1 SsRs 50/19 -, juris, Rn. 8 m.w.N.; Cierniak, ZfS 2012, S. 664 <666>; Seitz/Bauer, in: Göhler, OWiG, 17. Aufl. 2017, § 71 Rn. 43 f. m.w.N.; Burhoff, in: Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, 5. Aufl. 2018, Rn. 2171 f. m.w.N.). Bei standardisierten Messverfahren sind daher im Regelfall – ohne konkrete Anhaltspunkte für eventuelle Messfehler – die Feststellungs- und Darlegungspflichten des Tatgerichts reduziert (vgl. Cierniak, ZfS 2012, S. 664 <669>; Cierniak/Niehaus, DAR 2014, S. 2; Krumm, in: Fahrverbot in Bußgeldsachen, 4. Aufl. 2017, § 5 Rn. 46). Regelmäßig umfasst der Akteninhalt der Bußgeldakte deshalb lediglich diejenigen Informationen, die zur Feststellung des Geschwindigkeitsverstoßes nach den Grundsätzen zum standardisierten Messverfahren entscheidungserheblich sind (vgl. insoweit Saarländischer VerfGH, Beschluss vom 27. April 2018 – Lv 1/18 -, juris, Rn. 30; Cierniak, ZfS 2012, S. 664 <676>; Deutscher, VRR 2013, S. 7 <10>).
Dabei bleibt der Anspruch des Betroffenen, nur aufgrund ordnungsgemäß gewonnener Messdaten verurteilt zu werden, gewahrt, wenn ihm die Möglichkeit eröffnet ist, das Tatgericht im Rahmen seiner Einlassung auf Zweifel aufmerksam zu machen und einen entsprechenden Beweisantrag zu stellen (vgl. BGHSt 39, 291 <300>; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 14. Juli 2014 – IV-1 RBs 50/14 -, juris, Rn. 10). Durch das Stellen von Beweisanträgen, Beweisermittlungsanträgen und Beweisanregungen hat der Betroffene ausreichende prozessuale Möglichkeiten, weiterhin auf Inhalt und Umfang der Beweisaufnahme Einfluss zu nehmen (vgl. insoweit auch OLG Bamberg, Beschluss vom 13. Juni 2018 – 3 Ss OWi 626/18 -, juris, Rn. 12).
Für einen erfolgreichen Beweisantrag muss der Betroffene konkrete Anhaltspunkte für technische Fehlfunktionen des Messgerätes vortragen, wohingegen die bloß allgemeine Behauptung, die Messung sei fehlerhaft gewesen, das Gericht nicht zur Aufklärung anhält (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 11. Dezember 2006 – 2 Ss OWi 598/06 -, juris, Rn. 13; OLG Celle, Beschluss vom 26. Juni 2009 – 311 SsBs 58/09 -, juris, Rn. 12; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 14. Juli 2014 – IV-1 RBs 50/14 -, a.a.O, Rn. 20; Fromm, NZV 2013, S. 16 <18>; Cierniak/ Niehaus, DAR 2014, S. 2). Gleiches gilt für pauschale Behauptungen des Betroffenen ins Blaue hinein, etwa, dass das Messgerät nicht richtig funktioniert habe, die Gebrauchsanweisung nicht eingehalten oder nachträglich Eingriffe an dem Gerät vorgenommen worden seien (vgl. Krumm, in: Haus/Krumm/Quarch, Gesamtes Verkehrsrecht, 2. Aufl. 2017, II. § 77 OWiG Rn. 20; vgl. auch Deutscher, VRR 2013, S. 7 <8>; Hannich, in: Festschrift für Thomas Fischer, 2018, S. 655 <662 f.>).
bb) Diese Vorgehensweise der Fachgerichte im Ordnungswidrigkeitenverfahren ist nicht zu beanstanden.
Mit der Rechtsprechungspraxis zum standardisierten Messverfahren bei Geschwindigkeitsverstößen wird gewährleistet, dass bei massenhaft vorkommenden Verkehrsordnungswidrigkeiten nicht jedes Amtsgericht bei jedem einzelnen Bußgeldverfahren anlasslos die technische Richtigkeit einer Messung jeweils neu überprüfen muss (vgl. Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 11. November 2016 – 2 SsOWi 161/16 (89/16) -, juris, Rn. 7). Die damit verbundene Vereinfachung des Verfahrensgangs ist bei derartigen Bußgeldverfahren indiziert (vgl. Hanseatisches Oberlandesgericht in Bremen, Beschluss vom 15. April 2020 – 1 SsRs 16/20 -, juris, Rn. 7). Das Bußgeldverfahren als solches ist gerade im Hinblick auf seine vorrangige Bedeutung für die Massenverfahren des täglichen Lebens (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 24. März 1996 – 2 BvR 616/91 -, juris, Rn. 47) auf eine Vereinfachung des Verfahrensgangs und eine schnelle Erledigung ausgerichtet (vgl. BGHSt 39, 291 <299>; 41, 376 <381>; 43, 22 <26>; 46, 358 <368>; BT-Drucks 13/5418, S. 7; Rothfuß, DAR 2016, S. 257; Seitz/Bauer, in: Göhler, OWiG, 17. Aufl. 2017, Vor § 71 Rn. 1). Anders als das Strafverfahren dient es nicht der Ahndung kriminellen Unrechts, sondern der verwaltungsrechtlichen Pflichtenmahnung, der der Ernst der staatlichen Strafe fehlt (vgl. BVerfGE 27, 18 <33>; 45, 272 <288 f.>). Es ist von Verfassungs wegen deshalb auch nicht zu beanstanden, wenn dem geringeren Unrechtsgehalt der Ordnungswidrigkeiten gerade im Bereich von massenhaft vorkommenden Verkehrsverstößen durch Vereinfachungen des Verfahrensgangs Rechnung getragen wird (vgl. insoweit zu Sonderregelungen im Bußgeldverfahren auch BVerfGE 45, 272 <289>).
b) Ungeachtet dessen erweist sich der Umgang des Amtsgerichts Hersbruck mit dem Begehren des Beschwerdeführers auf Zugang zu bestimmten Informationen, die in der dem Amtsgericht vorgelegten und der Verteidigung zur Akteneinsicht überlassenen Bußgeldakte nicht enthalten, an anderer Stelle aber vorhanden waren, als verfassungswidrig. Die Fachgerichte haben dem aus dem Recht auf ein faires Verfahren resultierenden Anspruch des Beschwerdeführers auf Informationszugang auch zu den nicht zur Bußgeldakte genommenen Informationen nicht hinreichend Rechnung getragen.
aa) Ein rechtsstaatliches und faires Verfahren fordert „Waffengleichheit“ zwischen den Verfolgungsbehörden einerseits und dem Beschuldigten andererseits. Der Beschuldigte hat deshalb ein Recht auf möglichst frühzeitigen und umfassenden Zugang zu Beweismitteln und Ermittlungsvorgängen und auf die Vermittlung der erforderlichen materiell- und prozessrechtlichen Informationen, ohne die er seine Rechte nicht wirkungsvoll wahrnehmen könnte (vgl. BVerfGE 110, 226 <253>). Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 12. Januar 1983 zu sogenannten Spurenakten gehört hierzu auch der Zugang zu den bei den Ermittlungsbehörden anlässlich des Verfahrens entstandenen Beweismitteln und Ermittlungsvorgängen, die dem Gericht durch die Verfolgungsbehörde nicht vorgelegt wurden und deren Beiziehung seitens des Fachgerichts unter Aufklärungsgesichtspunkten nicht für erforderlich erachtet wird (vgl. BVerfGE 63, 45 <66 ff.>).
(1) Aus dem Recht auf ein faires Verfahren folgt hiernach, dass der Beschuldigte eines Strafverfahrens neben der Möglichkeit, prozessual im Wege von Beweisanträgen oder Beweisermittlungsanträgen auf den Gang der Hauptverhandlung Einfluss zu nehmen, grundsätzlich auch das Recht hat, Kenntnis von solchen Inhalten zu erlangen, die zum Zweck der Ermittlung entstanden sind, aber nicht zur Akte genommen wurden (vgl. BVerfGE 63, 45 <66>). Dem Beschuldigten bietet sich auf diesem Weg auch außerhalb eines gerichtlich anhängigen Strafverfahrens eine weitgehende Möglichkeit, anlässlich der Tatermittlung entstandene Unterlagen der Ermittlungsbehörden, die nicht zum Bestandteil der Akten im Strafverfahren geworden sind, durch seine Verteidigung einsehen zu lassen. Dadurch werden seine Verteidigungsmöglichkeiten erweitert, weil er selbst nach Entlastungsmomenten suchen kann, die zwar fernliegen mögen, aber nicht schlechthin auszuschließen sind. Während so regelmäßig dem Informationsinteresse des Beschuldigten genügt ist, ist gleichwohl gewährleistet, dass der Ablauf des gerichtlichen Verfahrens nicht durch eine sachlich nicht gebotene Ausweitung der Verfahrensakten unverhältnismäßig erschwert oder sogar nachhaltig gefährdet wird (vgl. BVerfGE 63, 45 <67>).
Die möglicherweise außerhalb der Verfahrensakte gefundenen entlastenden Informationen können von der Verteidigung zur fundierten Begründung eines Antrags auf Beiziehung vor Gericht dargelegt werden. Der Beschuldigte kann so das Gericht, das von sich aus keine sachlich gebotene Veranlassung zur Beiziehung dieser Informationen sieht, auf dem Weg des Beweisantrages oder Beweisermittlungsantrages zur Heranziehung veranlassen (vgl. BVerfGE 63, 45 <69 f.>).
(2) Diese für das Strafverfahren geltenden Grundsätze können auf das Ordnungswidrigkeitenverfahren übertragen werden. Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip gewährleistet dem Betroffenen im Ordnungswidrigkeitenverfahren ebenso wie dem Beschuldigten im Strafverfahren das Recht auf ein faires rechtsstaatliches Verfahren (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 19. März 1992 – 2 BvR 1/91 -, juris, Rn. 23).
Zwar bestehen zwischen dem Recht der Ordnungswidrigkeiten und dem allgemeinen Strafrecht wesentliche Unterschiede im Sanktionscharakter, weshalb die Strenge des anzuwendenden Maßstabs im Ordnungswidrigkeitenrecht vermindert sein kann (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 2. Juli 2003 – 2 BvR 273/03 -, Rn. 10). Im Hinblick auf den hier in Rede stehenden Zugang zu Informationen, die nicht Bestandteil der Bußgeldakten werden, sind Gründe, das ordnungswidrigkeitenrechtliche Verfahren anders zu behandeln als das Strafverfahren, allerdings nicht ersichtlich. Auch im Verfahren nach dem Ordnungswidrigkeitengesetz kann der Betroffene ein Interesse daran haben, den Vorwurf betreffende Informationen, die nicht zur Bußgeldakte genommen wurden, eigenständig auf Entlastungsmomente hin zu untersuchen. Es besteht im Hinblick auf Geschwindigkeitsmessungen insbesondere kein Erfahrungssatz, dass die eingesetzten Messgeräte unter allen Umständen zuverlässige Ergebnisse liefern (vgl. BGHSt 39, 291 <300>). Die technische Komplexität der bei Geschwindigkeitsmessungen zum Einsatz kommenden Messmethoden und die bei standardisierten Messverfahren verringerten Anforderungen an die Beweiserhebung und die Urteilsfeststellungen der Fachgerichte lassen das Bedürfnis der Betroffenen am Zugang zu weiteren die Messung betreffenden Informationen vielmehr nachvollziehbar erscheinen.
(3) Wenn der Betroffene demnach geltend macht, er wolle sich selbst Gewissheit darüber verschaffen, dass sich aus den dem Gericht nicht vorgelegten Inhalten keine seiner Entlastung dienenden Tatsachen ergeben, wird ihm die durch seinen Verteidiger vermittelte Einsicht grundsätzlich zu gewähren sein.
Dies bedeutet allerdings nicht, dass das Recht auf Zugang zu den außerhalb der Akte befindlichen Informationen unbegrenzt gilt. Gerade im Bereich massenhaft vorkommender Ordnungswidrigkeiten ist eine sachgerechte Eingrenzung des Informationszugangs geboten. Andernfalls bestünde – wie der Generalbundesanwalt zu Recht einwendet – die Gefahr der uferlosen Ausforschung, erheblicher Verfahrensverzögerungen und des Rechtsmissbrauchs.
Die begehrten, hinreichend konkret benannten Informationen müssen deshalb zum einen in einem sachlichen und zeitlichen Zusammenhang mit dem jeweiligen Ordnungswidrigkeitenvorwurf stehen und zum anderen erkennbar eine Relevanz für die Verteidigung aufweisen. Insofern ist maßgeblich auf die Perspektive des Betroffenen beziehungsweise seines Verteidigers abzustellen. Entscheidend ist, ob dieser eine Information verständiger Weise für die Beurteilung des Ordnungswidrigkeitenvorwurfs für bedeutsam halten darf. Die Verteidigung kann grundsätzlich jeder auch bloß theoretischen Aufklärungschance nachgehen, wohingegen die Bußgeldbehörden und schließlich die Gerichte von einer weitergehenden Aufklärung gerade in Fällen standardisierter Messverfahren grundsätzlich entbunden sind. Es kommt deshalb insofern nicht darauf an, ob die Bußgeldbehörde oder das Gericht die in Rede stehende Information zur Überzeugung von dem Verstoß für erforderlich erachtet.
Die Bußgeldbehörden beziehungsweise die Fachgerichte haben bei entsprechenden Zugangsgesuchen hiernach im Einzelfall zu entscheiden, ob sich das den Geschwindigkeitsverstoß betreffende Gesuch der Verteidigung in Bezug auf die angeforderten Informationen innerhalb dieses Rahmens hält. Etwaigen praktischen Bedenken dürfte durch eine verfahrenseffiziente Handhabung der Einsicht begegnet werden können (vgl. zu entsprechenden Ansätzen OLG Bamberg, Beschluss vom 4. Oktober 2017 – 3 Ss OWi 1232/17 -, juris, Rn. 35; OLG Zweibrücken, Beschluss vom 5. Mai 2020 – 1 OWi 2 SsBs 94/19 -, juris, Rn. 11). Eine generell-abstrakte, über den Einzelfall hinausgehende Festlegung des Umfangs des Informationszugangs und der Modalitäten seiner Gewährung durch das Bundesverfassungsgericht ist insoweit weder möglich noch von Verfassungs wegen geboten.
(4) Der Gewährung eines solchen Informationszugangs können zudem gewichtige verfassungsrechtlich verbürgte Interessen wie beispielsweise die Funktionstüchtigkeit der Rechtspflege oder auch schützenswerte Interessen Dritter widerstreiten (vgl. auch hierzu BVerfGE 63, 45 <66>). Schließlich müssen auch unter dem Gesichtspunkt der „Waffengleichheit“ in der Rollenverteilung begründete verfahrensspezifische Unterschiede in den Handlungsmöglichkeiten von Verfolgungsbehörde und Verteidigung nicht in jeder Beziehung ausgeglichen werden (vgl. BVerfGE 63, 45 <67>; 63, 380 <392 f.>; 122, 248 <275>).
Die Funktionstüchtigkeit der Rechtspflege gebietet nicht nur die aufgezeigte Begrenzung des Umfangs des Informationszugangs, sondern findet ihren Niederschlag auch in der von dem Zugangsrecht unabhängigen Rechtsprechungspraxis zu standardisierten Messverfahren. Dieser wird durch den in Rede stehenden Informationszugang der Verteidigung auch nicht die Grundlage entzogen (entgegen OLG Oldenburg, Beschluss vom 23. Juli 2018 – 2 Ss (OWi) 197/18 -, juris, Rn. 26; Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 5. Juni 2019 – I OLG 123/19 -, juris, Rn. 10). Solange sich aus der Überprüfung der Informationen keine hinreichend konkreten Anhaltspunkte für die Fehlerhaftigkeit des Messergebnisses ergeben, bleiben die Aufklärungs- und Feststellungspflichten der Fachgerichte nach den Grundsätzen des standardisierten Messverfahrens reduziert. Ermittelt der Betroffene indes konkrete Anhaltspunkte für eine Fehlerhaftigkeit des Messergebnisses, hat das Gericht zu entscheiden, ob es sich dennoch von dem Geschwindigkeitsverstoß überzeugen kann. Entsprechend seiner Amtsaufklärungspflicht hat das Fachgericht die Korrektheit des Messergebnisses dann individuell – gegebenenfalls unter Hinzuziehung eines Sachverständigen – zu überprüfen und seine Überzeugung im Urteil darzulegen. Im Übrigen bleiben die Ablehnungsmöglichkeiten aus § 77 Abs. 2 OWiG unberührt (vgl. hierzu Cierniak/Niehaus, DAR 2018, S. 541 <544>, und die Anmerkung von Krenberger, NZV 2018, S. 80 <85>). Die Rechtsprechungspraxis zu standardisierten Messverfahren und die Ablehnungsmöglichkeiten nach § 77 Abs. 2 OWiG begrenzen insofern die Möglichkeiten der Geltendmachung der Fehlerhaftigkeit des Messergebnisses unter Berufung auf die erlangten und ausgewerteten Informationen in zeitlicher Hinsicht. Zwar steht dem Betroffenen ein Zugangsrecht vom Beginn bis zum Abschluss des Verfahrens zu (vgl. BVerfGE 63, 45 <67>). Er kann sich mit den Erkenntnissen aus dem Zugang zu weiteren Informationen aber nur erfolgreich verteidigen, wenn er diesen rechtzeitig im Bußgeldverfahren begehrt. Von Verfassungs wegen ist dies nicht zu beanstanden.
Dass dort, wo ein über den Inhalt der Bußgeldakte hinausgehender Informationszugang bereits gewährt wird, die Funktionstüchtigkeit der Rechtspflege beeinträchtigt wäre, ist nicht ersichtlich. Insofern ist auch auf die Vielzahl fachgerichtlicher Entscheidungen hinzuweisen, die – zwar mit teils unterschiedlicher Begründung und in unterschiedlichem Umfang – davon ausgehen, dass Betroffenen auf Verlangen auch nicht bei der Bußgeldakte befindliche Informationen von den Verwaltungsbehörden zugänglich zu machen sind (vgl. hierzu die nicht abschließende Übersicht bei Burhoff, in: Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, 5. Aufl. 2018, Rn. 228 ff.; Oberlandesgericht des Landes Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 5. November 2012 – 2 Ss (Bz) 100/12 -, juris, Rn. 8; Thüringer Oberlandesgericht, Beschluss vom 1. März 2016 – 2 OLG 101 Ss Rs 131/15 -, juris, Rn. 17; Saarländisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 24. Februar 2016 – Ss (Bs) 6/2016 (4/16 OWi) -, juris, Rn. 7 f.; OLG Celle, Beschluss vom 16. Juni 2016 – 1 Ss (OWi) 96/16 -, juris, Rn. 5; OLG Frankfurt, Beschluss vom 11. August 2016 – 2 Ss-OWi 562/16 -, juris, Rn. 12 ff.; Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 8. September 2016 – (2 Z) 53 Ss-OWi 343/16 (163/16) -, juris, Rn. 12 ff.; wohl auch OLG Hamm, Beschluss vom 3. Januar 2019 – III-4 RBs 377/18 -, juris, Rn. 8; KG, Beschluss vom 2. April 2019 – 3 Ws (B) 97/19 -, juris, Rn. 5; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 16. Juli 2019 – 1 Rb 10 Ss 291/19 -, juris, Rn. 28 m.w.N.; OLG Stuttgart, Beschluss vom 19. September 2019 – 1 Rb 28 Ss 300/19 -, juris, Rn. 4; OLG Dresden, Beschluss vom 11. Dezember 2019 – OLG 23 Ss 709/19 -, BeckRS 2019, 37019, beck-online, Rn. 7 ff.; wohl auch Hanseatisches Oberlandesgericht in Bremen, Beschluss vom 3. April 2020 – 1 SsRs 50/19 -, juris, Rn. 20 ff.; OLG Koblenz, Beschluss vom 6. Juni 2020 – 2 OWi 6 SsRs 118/19 -, ZfSch 2020, S. 412; ausdrücklich offengelassen OLG Düsseldorf, Beschluss vom 22. Juli 2015 – IV-2 RBs 63/15 -, juris, Rn. 19; OLG Köln, Beschluss vom 27. September 2019 – III-1 RBs 339/19 -, juris, Rn. 11; OLG Zweibrücken, Beschluss vom 5. Mai 2020 – 1 OWi 2 SsBs 94/19 -, juris, Rn. 16; ablehnend OLG Oldenburg, Beschluss vom 23. Juli 2018 – 2 Ss (OWi) 197/18 -, juris; Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 5. Juni 2019 – I OLG 123/19 -, juris).
bb) In dem Verfahren des Beschwerdeführers haben die Fachgerichte bereits verkannt, dass aus dem Recht auf ein faires Verfahren für den Beschwerdeführer grundsätzlich ein Anspruch auf Zugang zu den nicht bei der Bußgeldakte befindlichen, aber bei der Bußgeldbehörde vorhandenen Informationen folgt.
(1) Das Amtsgericht Hersbruck hat das Anliegen des Beschwerdeführers, Zugang zu solchen Informationen zum Zwecke der eigenständigen Überprüfung außerhalb des gerichtlich anhängigen Verfahrens zu erhalten, während des gesamten Bußgeldverfahrens unberücksichtigt gelassen. Das Gericht hat insbesondere im Rahmen seines Beschlusses nach § 62 OWiG, mit dem es den entsprechenden Antrag des Beschwerdeführers als unzulässig verworfen hat, keine Entscheidung über dessen Ansinnen in der Sache getroffen. Der Verweis auf die richterliche Überprüfung des Ordnungswidrigkeitenvorwurfs im Rahmen der Hauptverhandlung geht erkennbar am Begehren des Beschwerdeführers, eine möglichst umfassende, eigenständige Überprüfung des Messergebnisses vorzunehmen, vorbei.
Soweit sich das Gericht zu den von der Verteidigung erhobenen Einwänden in der Urteilsbegründung verhält, geschieht dies wiederum erkennbar nur unter dem Gesichtspunkt der richterlichen Amtsaufklärungspflicht. Es ging dem Beschwerdeführer allerdings nicht um die Frage, ob sich das Gericht in der Hauptverhandlung durch die Verlesung des Messergebnisses und des Messprotokolls sowie durch die Vernehmung des Messbeamten von der gefahrenen Geschwindigkeit und der Überschreitung der zugelassenen Höchstgeschwindigkeit – unter Berücksichtigung eines Toleranzabzuges – überzeugen konnte. Da die Verteidigung des Beschwerdeführers im gesamten Bußgeldverfahren keine konkreten Anhaltspunkte für das Vorhandensein eines Messfehlers dargelegt hatte, hätte für das Amtsgericht Hersbruck grundsätzlich kein Anlass bestanden, die Beweisaufnahme auf die Beiziehung weiterer Unterlagen und Daten oder auf die Einholung eines Sachverständigengutachtens zu erstrecken. Der Beschwerdeführer wollte aber derartige Anhaltspunkte selbst ermitteln. Insofern standen nicht Aufklärungspflichten des Gerichts, sondern ein Zugangsrecht der Verteidigung zu weiteren Informationen in Rede.
(2) Auch das Oberlandesgericht Bamberg hat verkannt, dass das Begehren des Beschwerdeführers nicht darauf gerichtet war, durch die Beiziehung von Unterlagen oder Daten die richterliche Beweisaufnahme oder den Aktenumfang auszuweiten, sondern darauf, außerhalb der Beweisaufnahme einen von der Amtsaufklärungspflicht des Gerichts unabhängigen Zugang zu den begehrten Informationen durch die Bußgeldstelle zu erreichen.
Die Verteidiger des Beschwerdeführers haben diesen Anspruch auf Zugänglichmachung weiterer Informationen auch frühzeitig vor der Hauptverhandlung gegenüber der Bußgeldstelle und mit dem Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach § 62 OWiG geltend gemacht. Nach Ablehnung dieses Begehrens noch im behördlichen Verfahren und anschließend durch das Fachgericht war der Beschwerdeführer zwar gezwungen, sein Begehren in der Hauptverhandlung erneut vorzubringen. Dem Beschwerdeführer ging es aber erkennbar um Informationsparität im Verhältnis zur Verwaltungsbehörde und nicht um „Waffengleichheit“ mit dem Gericht. Bei verständiger Auslegung des mit dem Aussetzungsantrag verbundenen Vorbringens kam es ihm weiterhin ausschließlich auf die Zugänglichmachung zu den außerhalb der Bußgeldakte befindlichen Informationen durch die Bußgeldstelle an. Die von Beginn des Bußgeldverfahrens an gestellten Anträge waren weder auf eine Beiziehung und Erweiterung des Akteninhalts durch das Amtsgericht Hersbruck noch auf eine bestimmte Beweiserhebung in der Hauptverhandlung gerichtet. Es ging der Verteidigung um die Möglichkeit einer eigenständigen Überprüfung des Messergebnisses mittels der bei der Bußgeldstelle vorhandenen Informationen. Hierbei handelte es sich nicht um Beweis(ermittlungs)anträge. Das vom Beschwerdeführer bereits im behördlichen Bußgeldverfahren geltend gemachte und vor Gericht weiterverfolgte Informationsbegehren durfte deshalb auch nicht unter Heranziehung der für die gerichtliche Beweisaufnahme nach § 77 OWiG geltenden Anforderungen unter Hinweis auf das Fehlen konkreter Anhaltspunkte für die Fehlerhaftigkeit des Messergebnisses bewertet werden.
Dem Beschwerdeführer kam es gerade darauf an, durch die eigenständige Überprüfung der begehrten Informationen derartige Anhaltspunkte für die Fehlerhaftigkeit des Messergebnisses erst zu ermitteln, um diese dann – gegebenen-falls – vor Gericht darlegen und dessen Amtsaufklärungspflicht auslösen zu können. Die fehlende Differenzierung des Oberlandesgerichts Bamberg zwischen Beweis(ermittlungs)antrag und dem Begehren auf Informationszugang lässt unberücksichtigt, dass die Verteidigungsinteressen des Betroffenen nicht identisch mit der Aufklärungspflicht des Gerichtes in der Hauptverhandlung sind und deutlich weitergehen können (vgl. hierzu KG, Beschluss vom 27. April 2018 – 3 Ws (B) 133/18 -, juris, Rn. 4; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 16. Juli 2019 – 1 Rb 10 Ss 291/19 -, juris, Rn. 28; Cierniak, ZfS 2012, S. 664 <670>; Wendt, NZV 2018, S. 441 <445>). Dies führt im vorliegenden Fall dazu, dass der Verweis auf die auch bei standardisierten Messverfahren vorhandenen prozessualen Möglichkeiten des Betroffenen, weiterhin Einfluss auf Inhalt und Umfang der Beweisaufnahme zu nehmen, entwertet wird.
c) Die Entscheidung des Oberlandesgerichts Bamberg beruht hiernach auf einer Verkennung des Grundrechts des Beschwerdeführers aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG. Es ist auch nicht auszuschließen, dass bereits die Verurteilung des Beschwerdeführers auf dem Verstoß des Amtsgerichts Hersbruck gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens beruht.2
Ich habe es noch nicht alles gelesen. Aber eins scheint mir sicher 🙂 . Das BVerfG sieht es dann doch wohl etwas weiter/anders als das OLG Bamberg und die anderen OLG. Mal sehen, ob man jetzt auch wieder schreibt: Die haben in Karlsruhe keine Ahnung.
Im Saarland knallen die Champagnerkorken 🙂
@RiOLGBezM
Zu Recht, wenn man sich ansieht, wie vor allem Bamberg auf das Saarland eingeprügelt hat.
Die Champagnerkorken werden nicht nur im Saarland knallen, sondern auch in einigen Kanzleien, wo sachgerecht gearbeitet wird.
Ich finde die Entscheidung sehr überzeugend, weil sie auch nicht über das Ziel hinaus schießt. Sie fasst zusammen: der Betroffene hat sich frühzeitig um die für seine Verteidigung maßgeblichen Informationen zu bemühen und er hat Zugang zu diesen Informationen zu erhalten. Wenn er dann nichts Konkretes für den Einzelfall findet, dann ändert sich für den Tatrichter nichts. Ich denke, mehr ist von der „Verteidigerfront“ auch nie gefordert worden. Die abstrakten „Alles-Mist-Standardschriftsätze“ können auch weiterhin abgebügelt werden.
Spannend dürfte die Umsetzung bei den Fachgerichten werden. Das BVerfG verlangt den Zugang zu den „bei der Bußgeldstelle vorhandenen“ Informationen. Vor allem das beliebte Thema Beschilderungsplan dürfte damit wohl neue Stilblüten erleben, da diese ja selten bei der Bußgeldstelle selbst liegen. Es wird besser, aber es bleibt spannend.
Da auch. 😉
Es wurde ja auch mal wirklich wieder Zeit für gute Nachrichten, andere gab es in letzter Zeit genug. Nun bin ich allerdings gespannt, wann der Gesetzgeber das OWi-Verfahren nun erneut und noch praxistauglicher umgestalten wird, damit solche hinderlichen Betroffenenrechte auch noch ausgekehrt werden. Glücklicherweise kommt auch der Gesetzgeber im Ergebnis nicht am Bundesverfassungsgericht vorbei. Die deutlichen Worte nach Bamberg freuen mich ganz besonders, wenn man bedenkt, wie wenig sachgerecht und überheblich die Entscheidungen von dort ausgefallen sind. Da ist der Watschenbaum schon ganz schön und verdient umgefallen.
Die Entscheidung ist sicherlich richtig. Was (insb.) Bamberg da macht, ist schon abwegig, wenn man es mal auf andere Fälle überträgt. Wenn eine (potentiell) bessere Informationsquelle zur Verfügung steht, muss zumindest deren Inhalt allen bekannt sein. Ob diese Quelle dann tatsächlich genutzt wird, ist eine andere Frage.
Wo die Entscheidung offen bleibt, ist aber, was passiert, wenn die (bessere) Informationsquelle selbst nicht zugänglich ist. (Das kann man positiv als Zurückhaltung sehen oder negativ als Heraufbeschwören zukünftiger Fälle.) Folgt man der Begründung, lässt sich die ganze Entscheidung jedenfalls dadurch aushebeln, dass die Bußgeldbehörde ihre Vertragsbeziehung mit dem Hersteller des Geräts so gestaltet, dass sie möglichst wenig Informationen (eben nur noch ein Ergebnis) von diesem bekommt. Und da liegt der Hase teilweise schon im Pfeffer, teilweise wird er sich in Zukunft noch (mehr) in diesen Pfeffer legen. Da wird er in Zukunft noch rausgeholt werden müssen. Deshalb war die Saarländer Argumentation mit den Wahlautomaten zwar etwas „exotisch“, aber in der Sache doch am Kern des Problems.
Dass die Entscheidung nicht zu einem Durchmarsch führt ist klar. Sie ist aber ein doch recht deutlicher Hinweis, dass es so wie es die OLG bisher gemacht haben, allen voran das OLG Bamberg, nicht geht. Aber die Bamberger bzw. das BayObLG wird das wahrscheinlich wenig interessieren. Man wird sicherlich schon daran stricken, wie man am BVerfG vorbei kommt. Denn die Karlsruher haben doch keine Ahnung.
Super gemacht, Herr Kollege Fritschi, Herzlichen Glückwunsch!
Da waren Sie schneller laut Az. 2 BvR 1616/18. Meine haben das Az. 2 BvR 1949/18 und 2 BvR 2166/19.
Mal sehen, was nach dieser Entscheidung mit meinen Beschwerden geschieht.
Vielleicht werden sie zurückgewiesen, da das Thema nun durch das BVerfG geklärt ist?
Es bleibt jedoch auch bei den geltend gemachten Grundrechtverletzungen, inkl.
der geltend gemachten Verletzung des Anspruchs auf den gesetzlichen Richter gem. Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG durch Nichtvorlage an den BGH gem. § 71 OWiG iVm § 121 GVG.
Das wären jedenfalls Gelegenheiten, zu der zu erwartenden Gegenposition des OLG Bamberg erneut Stellung zu beziehen. Zudem gilt auch für das OLG Bamberg die Bindungswirkung aus § 31 Abs. 1 BVerfGG. Da kann man nun nicht mehr sagen, die Entscheidung gilt nur im Saarland…
Die Entscheidung wird mit jeder Lektüre nachteiliger für den Betroffenen. Die bisher gelebte Praxis in solchen Verfahren, sich wegen der Rohmessdaten mit der Bußgeldstelle und den Gerichten zu streiten (davor über die Bedienungsanleitung), wird nun von dem um das Abwarten bis zum Ergebnis des Privatgutachtens durch das Gericht vor Terminierung der Hauptverhandlung und die Ablehnung wegen Befangenheit bei zeitnaher Terminierung abgelöst werden.
Selbst wenn die Amtsgerichte die Herausgabe der Messdaten auf die – aus Sicht eines Betroffenen – „wichtigen Fälle“ (Fahrverbot, Punktegrenze erreicht, Geldbuße weit über 500 Euro) beschränken, werden sich die Gutachtenanfragen bei den wenigen Ingenieursbüros stapeln. Derweil terminieren die Gerichte (insbesondere Fahrverbotssachen sind dringlich zu behandeln), lehnen Verlegungsanträge ab, weisen Befangenheitsanträge zurück und der Verteidiger hat derweil (noch) nichts, um die Messung handfest anzugreifen.
Kommt das Gutachten rechtzeitig und ist brauchbar, wird das Gericht einen neuen Sachverständigen (PTB?) statt dem Privatgutachter bestellen, was noch länger dauert. Wenn (auch) der dann einen anderen, niedrigeren Geschwindigkeitswert feststellt, mag das Fahrverbot entfallen, aber die Kosten des Sachverständigen und des Privatgutachtens bleiben bei einer Verurteilung,. Wird vom Privatgutachter eine völlig unbrauchbare Messung festgestellt, werden nicht wenige Gerichte zwar den Weg des § 47 OWiG gehen, aber nicht zwingend die notwendigen Auslagen des Betroffenen dem Fiskus auferlegen. Nur bei den wenigen Freispüchen ist auch kostenrechtlich für den Betroffenen insgesamt etwas gewonnen. Da dürften allein für die erste Instanz gut 5.000,00 Euro (Gutachten, Sachverständiger, Gerichtskosten, RA-Gebühren und die Geldbuße) anstehen.
Letztlich bleibt das Vorgehen über Privatgutachten wegen der Kostenrisiken etwas für Betroffene, für die Geld untergeordnet ist, und für welche mit Rechtsschutzversicherungen, die auch bei Geschwindigkeits-Owis zahlen und bei einer Vorsatzverurteilung (die nach zwei Gutachten noch besser begründet werden dürfte) keinen Regress nehmen.
Im Ergebnis Steine statt Brot, da der Teufelskreis, dass ein Betroffener nicht rügen kann, was er nicht kennt, zwar durchbrochen wird, aber die zweite Stufe, nämlich die Einführung über Beweianträge oder von Amts wegen, nicht erzwungen wird. Wenn, dann bedarf es eines schnellen, datenschutzkonformen Verfahrens zum Zugang zu den Rohmessdaten und deren schnelle Auswertung (oder auch zwei Jahre nach Verstoß verhängte Fahrverbote werden obergerichtlich nicht mehr beanstandet).
Warten, wir vielleicht mal ab, was passiert. Die Entscheidung ist noch nicht 24 Stunden veröffentlicht, da geht das Lamentieren, was alles (noch) fehlt oder (besser) wäre, schon los. Ich finde es jedenfalls den richtigen Weg, den das BVerfG hier eingeschlagen hat.
Im Übrigen ist die Aussage „aber die Kosten des Sachverständigen und des Privatgutachtens bleiben bei einer Verurteilung“ in ihrer Absolutheit so nicht richtig.
Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ist sehr erfreulich. Dass sie neue Praxisprobleme nach sich ziehen wird, ist aber offensichtlich. An der einen oder anderen Stelle hätte ich mir mehr Präzision gewünscht. Bis wann genau muss der Betroffene die begehrten Informationen verlangt haben? Müssen diese Informationen im Wortsinn bei der Bußgeldstelle vorliegen oder genügt es, dass sie der PTB oder der Polizei vorliegen? …
Ich hätte mir gewünscht, dass das Bundesverfassungsgericht die Gelegenheit nutzt, um richtungweisendere Ausführungen zu machen.
Ich glaube, da verkennen Sie das BVerfG und seine Arbeitsweise.
Ich habe nun die erste Hauptverhandlung nach der BVerfG Entscheidung erlebt und das erste Urteil bekommen. Sowohl der Antrag auf gerichtliche Entscheidung, über den das Gericht erheblich verspätet entschieden hat und mir die Entscheidung exakt einen Werktag vor der Hauptverhandlung zustellte, als auch der Aussetzungsantrag mit dem wiederholten Antrag, die Rohmessdaten der Messung zur Verfügung zu stellen wurden zurückgewiesen. Die Begründung lautete, dass das BVerfG entschieden hat, dass nur Daten, die sich bei der Bußgeldbehörde befinden, aber nicht in der Akte enthalten sind, herausverlangt werden können. Die (Roh-)Messdaten werden aber nicht gespeichert, befinden sich folglich auch nicht bei der Behörde und können so auch nicht herausverlangt werden. Ein anderes Gericht hat mit einer sehr vergleichbaren Begründung schon nachgefragt, ob der Antrag auf gerichtliche Entscheidung zurückgenommen wird.
Es findet sich zwar irgendwo in der Entscheidung des BVerfG ein entsprechender Satz. Der Kontext der Entscheidung lässt diese Interpretation des Urteils meines Erachtens aber nicht zu. Jetzt hoffe ich, dass mir der Mandant den Auftrag für die Rechtsbeschwerde erteilt.
Ich verstehe die Heimlichtuerei (der Exekutive) einfach nicht. In den zahlreich geführten Rechtsgesprächen konnte mir das bisher kein Richter / keine Richterin erklären.
Es war klar, dass an der Stelle weiter gemauert werden wird. Was soll ich mit einem Recht auf Überpüfung, wenn keine Daten vorhanden sind, die ich überprüfen kann. Da ist dann der nächste Teufelskreis.
Und daher ginge es einfach nicht anders, als dass mal ein paar Bußgeldrichter einen Hintern in der Hose haben und das übliche Spiel nicht mehr mitspielen.
Wenn wie bei eso und Leivtec XV3 die Möglichkeiten des Zustandekommens von Messwerten weit außerhalb der Verkehrsfehlergrenzen n a c h g e w i e s e n sind, könnte ich mich als Bußgeldrichter nicht mehr guten Gewissens auf die immergleiche OLG-Rechtssprechung mit dem Tenor „Prüfung durch PTB = unfehlbar“ zurückziehen.
Wenn ein Gutachter schreibt, ein U-Boot sei ein Hubschrauber, würde dessen Gutachten ja auch als das angesehen, was es ist, nämlich objektiver Unsinn und nicht als Bewertungsmaßstab herangezogen.
Das sollte bei dem OLG-Unsinn auch so sein….