Archiv für den Monat: Juni 2020

Wochenspiegel für die 23. KW., das war beA, Fall Greta, Facebook und Hassreden, Akten und die befangene Schöffin

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Hier dann der Wochenspiegel für die 23. KW., die in der Corona-Krise weitere Lockerungen gebracht hat. Aber: Nur nicht zu locker sein, sonst fahren wir das Ganze demnächst wieder zurück. Also alles mit Maß – wie immer 🙂 . Dass die Krise abflaut, merkt man auch hier: Denn auch in meiner Übersicht steht Corona nicht mehr im Vordergrund/Mittelpunkt.

Ich berichte aus der ablaufenden Woche dann nämlcih über folgende Beiträge anderer Blogs:

  1. Übernahme Anwaltspostfach beA ab 12. Juni 2020,

  2. ein bisschen Corona dann doch: Coronavirus & Zivilverfahren – Der Zivilprozess 4.0 – ein Blick über den Tellerrand,
  3. Versäumnisse im Fall Greta,

  4. Revision im Strafrecht – Was‘n das?,

  5. VG Ansbach: Kein DSGVO-Anspruch gegen Datenschutzbehörde auf Einschreiten ,

  6. LG Koblenz: Facebook darf als Hassrede eingestuften Nutzerbeitrag unter Hinweis auf Verstoß gegen Nutzungsbedingungen löschen und Nutzer vorübergehend sperren,
  7. YouTuber deckt auf: Tausende Krankenhausakten frei zugänglich,

  8. Akteneinsicht geht auch ohne Anwalt,

  9. Ist Ihre Kanzleihomepage immer erreichbar?

  10. und aus meinem Blog: Ablehnung I: Wenn die Schöffin mit der Kanzlei der Verteidigerin hat “gravierende negative Erfahrungen sammeln dürfen”, oder: Befangen?

Entschädigungsanspruch wegen Verfahrensverzögerung, oder: Aufrechnung mit Kostenerstattung zulässig?

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Die zweite Entscheidung im „Kessel Buntes“ kommt heute auch vom BGH. Im BGH, Urt. v. 07.11.2019 – III ZR 17/19 – hat der BGH über eine Vollstreckungsabwehrklage im Nachgang zu einem Verfahren wegen einer Entschädigung gem. § 198 GVG entschieden.

Dem Beklagten war durch ein Urteil des OLG Karlsruhe vom 12.01.2018 (16 EK 1/18) eine Entschädigung gegen den Kläger in Höhe von 4.800 zugesprochen worden. Der Kläger (Landeskasse?) hatte gegen den Beklagten aus dem vorangegangenen Strafprozess, aufgrund dessen der Kläger eine mehrjährige Haftstrafe verbüßt (hat), eine festgesetzte Kostenerstattungsforderung in Höhe von 27.739,52 EUR. Auf eine außergerichtliche Aufforderung des Prozessbevollmächtigten des Beklagten zur Zahlung der Forderung aus dem Entschädigungsprozess auf sein Anderkonto hat der Kläger mit Schreiben der Landesoberkasse vom 09.04.2018 die Aufrechnung mit seinem Kostenerstattungsanspruch aus dem Strafverfahren erklärt. Die Aufrechnungserklärung wurden durch die Prozessbevollmächtigten des Klägers mit Schreiben vom 30.04.2018 und 15.05.2018 wiederholt. Mit dem Schreiben vom 14.03.2018 hat der Prozessbevollmächtigte des Beklagten zugleich eine Abtretungserklärung des Beklagten vorgelegt. Danach hat dieser die Klagforderung zur Sicherung offener Ansprüche aus drei in Karlsruhe und Frankfurt von seinem Prozessbevollmächtigten für ihn geführten Verfahren abgetreten.

Der Kläger hat im Wege der Vollstreckungsabwehrklage ua. beantragt, die Zwangsvollstreckung aus dem Urteil des OLG v. 12.01.2018 für unzulässig zu erklären, da die titulierte Forderung durch Aufrechnung erloschen sei. Der Beklagte hält die Aufrechnung für unzulässig und hat seinerseits hilfsweise gegen die Kostenerstattungsforderung des Klägers mit behaupteten Amtshaftungsansprüchen aus dem strafprozessualen Kostenfestsetzungsverfahren aufgerechnet. Zudem hat er die Einrede der Verjährung gegen die Forderung des Klägers erhoben.

Das OLG hatte die Klage abgewiesen und die Revision zugelassen. Es hat die Aufrechnung als treuwidirg angesehen. Anders der BGH. Er hat aufgehoben und zurückverwiesen. Hier die Leitsätze:

  1. § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG normiert einen staatshaftungsrechtlichen, verschuldensunabhängigen Entschädigungsanspruch sui generis, der Verfahrensbeteiligten das Recht auf eine angemessene Entschädigung für Nachteile gewährt, die infolge einer unangemessenen Dauer eines Gerichtsverfahrens eingetreten sind. Anders als bei einem Amtshaftungsanspruch wegen menschenunwürdiger Haftbedingungen soll durch die Gewährung einer Entschädigung kein schuldhaftes Fehlverhalten staatlicher Stellen mit spürbaren Auswirkungen für den ersatzpflichtigen Staat sanktioniert („bestraft“) werden (Abgrenzung zu dem Senatsurteil vom 1. Oktober 2009 – III ZR 18/09, BGHZ 182, 301).

  2. Die Aufrechnung gegenüber einem Entschädigungsanspruch wegen unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens mit einer Kostenforderung des Staates aus einem früheren Strafverfahren ist – nach rechtskräftiger Entscheidung über die Entschädigungsklage – grundsätzlich zulässig. Weder stellt sie eine unzulässige Rechtsausübung (§ 242 BGB) dar noch folgt ein Aufrechnungsverbot aus § 394 Satz 1 BGB, § 851 Abs. 1 ZPO in Verbindung mit § 399 Alt. 1 BGB beziehungsweise § 198 Abs. 5 Satz 3 GVG (Fortführung des Senatsurteils vom 12. November 2015 – III ZR 204/15, BGHZ 207, 365).

Den Rest der sehr umfangreichen Begründung der Entscheidung bitte selbst lesen. Augehoben hat der BGH wegen der vom Beklagten erhobenen Verjährungseinrede. Dazu hat das Oberlandesgericht – von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig – bisher keine Feststellungen getroffen. Dazu der BGH:

„Nach § 5 Abs. 1 Satz 1 GKG verjähren Ansprüche auf Zahlung von Kosten in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahrs, in dem das Verfahren durch rechtskräftige Entscheidung über die Kosten – hier durch Rechtskraft des Strafurteils am 10. Januar 2013 – beendet ist. Danach wäre im vorliegenden Fall Verjährung mit Ablauf des 31. Dezember 2017 und damit zu einem Zeitpunkt eingetreten, zu dem noch keine Aufrechnungslage bestanden hat, da das aus § 394 Satz 1 BGB, § 851 Abs. 1 ZPO, § 198 Abs. 5 Satz 3 GVG folgende Aufrechnungsverbot erst mit Rechtskraft des Urteils vom 12. Januar 2018 über die Entschädigungsklage weggefallen ist. Nach § 215 BGB kann jedoch mit einer verjährten Gegenforderung nur aufgerechnet werden, soweit diese bei Eintritt der Aufrechnungslage noch unverjährt war. Allerdings könnte die Verjährung durch die Zahlungsaufforderung der Landesoberkasse mit Kostenrechnung vom 24. August 2016 neu begonnen haben (§ 5 Abs. 3 Satz 2 GKG). Hierzu muss die Kostenrechnung dem Beklagten zugegangen sein (vgl. OLG Koblenz, NStZ-RR 2005, 254, 255 und BeckRS 2011, 6657; BeckOK KostR/Dörndorfer, § 5 GKG Rn. 8 [Stand: 1. September 2019]; Toussaint in Hartmann/Toussaint, Kostenrecht, 49. Aufl., GKG, § 5 Rn. 8), was dieser bestritten hat und deshalb noch aufgeklärt werden muss…..“

Abschließendes Wort des BGH im VW-Abgasskandal, oder: Geld zurück, aber „Kilometergeld“

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Ich habe hier ja in den vergangenen Jahren häufiger über die zivilrechtlichen Folgen des VW-Dieselskandals – Stichwort: Schummelsoftware – berichtet. Dazu hatte es dann ja auch eine ganze Reihe von OLG- und LG-Beschlüssen gegeben, die letztlich weitgehend darauf hinausliefen, dass eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung der Käufer vorliegt, die deshlab Schadensersatz verlangen können.

Dazu hat dann jetzt auch der BGH im BGH, Urt. v. 25.05.2020 – VI ZR 252/19 – abschließend Stellung genommen. Über die Entscheidung ist ja schon viel berichtet worden, ich will auf sie aus Gründen der Vollständigkeit hier auch hinweisen. Es sollen aber die (amtlichen) Leitsätze der Entscheidung genügen. Die lauten:

  1. Es steht wertungsmäßig einer unmittelbaren arglistigen Täuschung der Fahrzeugkäufer gleich, wenn ein Fahrzeughersteller im Rahmen einer von ihm bei der Motorenentwicklung getroffenen strategischen Entscheidung, die Typgenehmigungen d<er Fahrzeuge durch arglistige Täuschung des Kraftfahrt-Bundesamts zu erschleichen und die derart bemakelten Fahrzeuge alsdann in Ver­kehr zu bringen, die Arglosigkeit und das Vertrauen der Fahrzeugkäufer gezielt ausnutzt.

  2. Bestehen hinreichende Anhaltspunkte für die Kenntnis zumindest eines vormaligen Mitglieds des Vorstands von der getroffenen strategischen Entscheidung, trägt der beklagte Hersteller die sekundäre Darlegungslast für die Behauptung, eine solche Kenntnis habe nicht vorgelegen. Darauf, ob die vormaligen Mitglieder des Vorstands von dem Kläger als Zeugen benannt werden könnten, kommt es nicht an.

  3. Wird jemand durch ein haftungsbegründendes Verhalten zum Abschluss eines Vertrages ge­bracht, den er sonst nicht geschlossen hätte, kann er auch bei objektiver Werthaltigkeit von Leis­tung und Gegenleistung dadurch einen Vermögensschaden erleiden, dass die Leistung für sei­ne Zwecke nicht voll brauchbar ist. Die Bejahung eines Vermögensschadens unter diesem As­pekt setzt allerdings voraus, dass die durch den unerwünschten Vertrag erlangte Leistung nicht nur aus rein subjektiv willkürlicher Sicht als Schaden angesehen wird, sondern dass auch die Ver­kehrsanschauung bei Berücksichtigung der obwaltenden Umstände den Vertragsschluss als un­vernünftig, den konkreten Vermögensinteressen nicht angemessen und damit als nachteilig an­sieht.

  4. Die Grundsätze der Vorteilsausgleichung gelten auch für einen Anspruch aus vorsätzlicher sit­tenwidriger Schädigung gemäß § 826 BGB.

Also kurz gefasst: Es ist gibt den Kaufpreis zurück, aber der Käufer muss sich, was m.E. ja auch o.k. ist, die gefahrenen Kilometer anrechnen lassen.

Und: Entschieden hat der BGH einen sog. Altfall, also einen Kauf vor Bekanntwerden der Schummelei. Manipulation im September 2015 erworben. Ob die Grundsätze auch beim späteren Kauf betroffener Fahrzeuge, also in Kenntnis der Manipulation, gelten ist nicht ganz unstrittig (verneint von OLG Köln, Urt. v. 17.3.2020 – 25 U 39/19; OLG Schleswig, Urt. v., 13.11.2019 – 9 U 120/19; bejaht von OLG Hamm, Urt. v. 10.09.2019 – I-13 U 149/18). Zudem muss man bei einem Altfall immer auch die Frage der Verjährung im Auge behalten (vgl. dazu OLG Stuttgart, Urt. v. 14.4.2020 – 10 U 466/19).

Ich habe da mal eine Frage: Wie ist das mit dem Kostenrisiko im Adhäsionsverfahren?

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Im RVG-Rätsel heute dann eine Frage zum Adhäsionsverfahren, das ja zunehmend eine Rolle spielt. Es geht um folgendes Problem:

Hallo Herr Burhoff,

zunächst wie immer: ich hoffe, es geht Ihnen gut !?

Mich plagt folgende Frage, auf die ich auch nach eingehender Recherche in den Burhoff’schen Werken keine Antwort fand. Wenn Sie Zeit für ein kurzes Feedback haben, wäre ich sehr dankbar.

Zum Kostenrisiko im Adhäsionsverfahren:

Im Adhäsionsverfahren soll gegen 4 Angeklagte ( gef KV ) als Gesamtschuldner Schmerzensgeld und Schadenersatz geltend gemacht werden.

Ist, wenn der Adhäsionsantrag nicht beschieden wird ( etwa bei einer Einstellung nach § 153  StPO) und dem Antragsteller die Kosten und notwendigen Auslagen der Angeklagten für das Adhäsionsverfahren aufgegeben werden ( z.B. beim Einstellung oder Freispruch ) das Kostenrisiko für den Antragsteller 4 x die Gebühr 4143 ( wenn alle Angeklagten anwaltlich vertreten sind ) ?

Es wäre das Kostenrisiko dann nicht sehr viel geringer als bei Geltendmachung vor dem Zivilgericht ?“

Na, jemand eine Idee?

Nebenklagegebühren 20 % über der Mittelgebühr gerechtfertigt?, oder: Schönreden ist angesagt….

Über die zweite Entscheidung, die ich heute vorstelle – es handelt sich um den OLG Celle, Beschl. v. 27.05.2020 – 2 Ws 161/20 -, den mir der Kollege Wigger aus Lüneburg geschickt hat, kann man auch nicht so richtig froh sein. Man kann sich den Beschluss aber zumindest „schön reden“ 🙂 .

Ergangen ist der Beschluss in einem Verfahren wegen sexueller Nötigung in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung verurteilt. Das LG hat den Angeklagten verurteilt und ihm u.a. die notwendigen Auslagen der Nebenklägerin auferlegt. Der Nebenklägervertreter hat auf der Grundlage dieser Kostengrundentscheidung seine Gebühren geltend gemacht. Dabei hat er die Festsetzung von 20 % über der Mittelgebühr liegenden Gebühren beantragt. Das hat er mit der Schwierigkeit des Verfahrens und der besonderen Bedeutung für das Opfer begründet.

Das LG Lüneburg hat eine Gebührenerhöhung um 20 % als angemessen angesehen und das mit der hohen Bedeutung der Sache für die Nebenklägerin begründet. Für die Erhöhung der Mittelgebühr reiche die Erfüllung eines Bemessungskriteriums gemäß § 14 RVG aus, hier die hohe Bedeutung der Sache für die Nebenklägerin. Auch seien die geltend gemachten anwaltlichen Reisekosten in vollem Umfang erstattungsfähig. Die Kosten der Zuziehung eines am Wohn- oder Geschäftsort der auswärtigen Partei ansässigen RA sei regelmäßig als notwendig zur Rechtsverfolgung bzw. -verteidigung anzusehen. Auch die Höhe der Revisionsgebühr sei gerechtfertigt in Anbetracht der Bedeutung der Sache und der Tätigkeiten des Nebenklägerinvertreters, der die Erfolgsaussichten der Revision geprüft habe sowie ob noch weitere Stellungnahmen zu fertigen gewesen seien.

Die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde des Angeklagten hatte keinen Erfolg. Das OLG hat sich dem LG angeschlossen:

„Soweit eine Gebührenerhöhung um 20 % angesichts der Bedeutung der Sache für die Nebenklägerin als angemessen erachtet wird, ist dies ebenfalls nicht zu beanstanden.

Nach Abs. 1 der amtlichen Vorbemerkung zu Teil 4 des Vergütungsverzeichnisses zum Rechtsanwaltsvergütungsgesetz gelten für die Tätigkeit als Beistand eines Nebenklägers die Vorschriften des RVG entsprechend. Bei den in diesem Verzeichnis aufgeführten Gebühren handelt es sich um Rahmengebühren, die ihrer Höhe nach gemäß § 14 Abs. 1 S. 1 RVG vom Nebenklägervertreter unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles nach billigem Ermessen bestimmt werden. Zu den Umständen des Einzelfalles zählen der Umfang und die Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, die Bedeutung der Angelegenheit für den Auftraggeber sowie die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers. Unter Berücksichtigung dieser Kriterien ist die Gebühr im Einzelfall nach billigem Ermessen zu bestimmen. Gemäß § 14 Abs. 1 S. 4 RVG ist die Gebührenbestimmung des Rechtsanwalts für den Auftraggeber sowie für erstattungspflichtige Dritte grundsätzlich verbindlich, es sei denn, dass sie unbillig ist. Dabei werden in der Regel Abweichungen von bis zu 20 % von der angemessenen Gebühr noch nicht als unbillig angesehen (vgl. bezüglich des Nebenklagebeistands OLG Hamm, Beschluss vom 05.07.2012, a.a.O.; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 23.04.2012 – III2 Ws 67/12 -, OLG Hamm, Beschluss vom 09.03.2017 — 1 Ws 54/17 III).

Vorliegend ist die Bedeutung der Angelegenheit für die durch das Tatgeschehen über geraume Zeit und noch im Zeitpunkt der Hauptverhandlung insbesondere psychisch erheblich beeinträchtigte Nebenklägerin als sehr hoch und damit als deutlich überdurchschnittlich einzuschätzen, zumal sie ersichtlich ein erhebliches Interesse an dem Ausgang des Strafverfahrens gegen den Verurteilten hatte. Angesichts der gravierenden psychischen Belastungen, der die Nebenklägerin durch die Tat ausgesetzt war, liegt es nach Auffassung des Senats auf der Hand, dass auch die Art der Tätigkeit des Nebenklagebeistands als schwierig einzustufen ist, wie er im Kostenfestsetzungsverfahren hinreichend dargelegt hat. Daher ist es im Grundsatz ohne Weiteres nicht als unbillig anzusehen, dass der Nebenklagebeistand bei seinen Festsetzungsanträgen eine Erhöhung der Mittelgebühr um 20% vorgenommen hat, die dann auch festgesetzt wurde. Es ist auch nicht ersichtlich, dass diese Erhöhung der Mittelgebühr im groben Missverhältnis zu den Vermögensverhältnissen der Nebenklägerin stehen würde.

Auch soweit der Beschluss die Kosten der Zuziehung eines am Wohn- oder Geschäftsort ansässigen Rechtsanwalts für erstattungsfähig hält, ist hiergegen nichts zu erinnern. Zunächst ist insoweit darauf hinzuweisen, dass es sich bei dem Nebenklägervertreter nicht um einen ortsfremden Rechtsanwalt handelt. Der Nebenklagebeistand ist in Winsen/Luhe ansässig und damit innerhalb des Landgerichtsbezirks Lüneburg niedergelassen.

Lediglich ergänzend weist der Senat überdies darauf hin, dass in der Rechtsprechung hin-sichtlich der Frage, welche Kosten nach § 91 Abs. 2 ZPO zu erstatten sind, ein Paradigmenwechsel stattgefunden hat und die Vorschrift deutlich weiter ausgelegt wird. Der Gesichtspunkt der Ortsnähe tritt im Rahmen der gebotenen Interessenabwägung gegenüber dem besonderen Vertrauensverhältnis zurück (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 06.02.2019 — 2 Ws 37/19). In der vorliegenden Konstellation kann ferner die Gesetzesbegründung herangezogen werden, die besonders auf den Gesichtspunkt des Opferschutzes hinweist: „Wohnt z. B. das Opfer einer Vergewaltigung in Köln, findet das gerichtliche Verfahren jedoch in Hamburg statt, so wird es häufig angezeigt sein, dem Opfer einen anwaltlichen Beistand aus dem Kölner Bereich zu bestellen, weil dieser es vor Ort besser betreuen kann“ (vgl. BT-Drs. 16/12098, S. 20).

Hinsichtlich der Revisionsgebühr gemäß Nr. 4130 VV RVG ist ebenfalls anerkannt, dass diese bereits mit Entgegennahme der gegnerischen Revisionsschrift entsteht (vgl. Hartmann, Kostengesetze, 44. Aufl., 4130-4135 W Rn. 4; Senat, Beschluss vom 25.10.2018 – 2 Ws 405/18).

Gegen die Bestimmung der Höhe der Gebühr bestehen ebenfalls keine Bedenken. Wird die von einem Angeklagten eingelegte Revision mit der Sachrüge begründet und wird eine materiell-rechtliche Prüfung notwendig, so ist bei der Bestimmung der Höhe der Verfahrensgebühr für den Nebenklägervertreter nach Nr. 4130 VV-RVG die Festsetzung einer Mittelgebühr nicht unbillig i.S. von § 14 Abs. 1 Satz 4 RVG (vgl. Senat, a.a.O.; OLG Oldenburg, Beschluss vom 04.04.2018, Az. 1 Ws 157/18, – juris, für den vergleichbaren Fall des Gebührenanspruchs des Verteidigers bei einer vom Nebenkläger eingelegten Revision). Soweit auch hier eine Erhöhung des Gebührensatzes um 20% vorgenommen wurde, ist ebenfalls auf die Bedeutung des Rechtsmittelverfahrens für die Nebenklägerin abzustellen, die ein ausgeprägtes Interesse an der Rechtskraft des Urteils hatte und für die das Revisionsverfahren mit erheblichen weiteren psychischen Belastungen verbunden war. Überdies werden, wie oben bereits festgestellt, Abweichungen von bis zu 20% in der Regel nicht als unbillig angesehen.“

Wie gesagt: Froh wird man mit der Entscheidung aus Sicht des Verteidigers natürlich nicht.

Vorab: Da man die genauen Einzelumstände nicht kennt ist es – wie in diesen Fällen immer – allerdings schwierig, abschließend zu beurteilen, ob die Entscheidung richtig ist. Daran kann man aber m.E., wenn man sich die übrige Rechtsprechung zu § 14 RVG anschaut, schon ein wenig zweifeln. Zumindest werden sich Verteidiger verwundert fragen: 20 % über der Mittelgebühr, wann habe ich das letzte Mal so erhöhte Gebühren abrechnen können? Und die Frage ist sicherlich berechtigt, denn man hat schon, wenn man die Rechtsprechung auswertet, den Eindruck, dass die Gerichte eher dazu tendieren, die Verfahren als unterdurchschnittlich denn als durchschnittlich oder gar überdurchschnittlich anzusehen (vgl. zur Gebührenbemessung Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, Teil A: Rahmengebühren [§ 14]; Rn 1679 ff. m.w.N.). Dies zumindest beim Verteidiger. Beim Nebenklägervertreter scheinen insoweit aber offenbar andere Grundsätze zu gelten bzw. man scheint – im Zweifel hier im Hinblick auf die Tat – großzügiger zu verfahren. Ob dazu als Begründung allein die besondere Bedeutung des Verfahrens für die Nebenklägerin ausreicht, kann man m.E. bezweifeln, letztlich aber, da man die Tatumstände nicht kennt, nicht abschließend entscheiden. Und auch hinsichtlich der Gebühr Nr. 4130 VV RVG halte ich das OLG für recht großzügig. Allerdings gilt auch hier, dass man den Umfang der Tätigkeiten des Nebenklägervertreters nicht kennt. Aber der muss schon – vom OLG offenbar unterstellt – sehr groß gewesen sein, wenn man die Anhebung der Revisionsgebühr um 20 % über der Mittelgebühr rechtfertigen will.

Jedenfalls – und jetzt beginnt das Schönreden: Man als Verteidiger diese Entscheidung im Hinterkopf behalten und als Argumentationshilfe heranziehen können/müssen, wenn es (mal wieder) um eine Anhebung der Mittelgebühr geht. Denn, wenn das Verfahren für die Nebenklägerin von Bedeutung war, war es das auch für den Angeklagten und rechtfertigt m.E. dann auch bei ihm eine Überschreitung der Mittelgebühr.

Mit Interesse wird man auch die Ausführungen des OLG zur Erstattungsfähigkeit der Reisekosten des (auswärtigen) Nebenklägerinvertreters lesen. Denn auch die gelten dann natürlich auch für den auswärtigen Verteidiger. Es ist zu hoffen, dass das OLG sich daran erinnert, wenn es denn mal in Zusammenhang mit der Erstattung von Verteidigerkosten eine Rolle spielt.