Archiv für den Monat: März 2020

StGB III: Verstoß gegen das VereinsG, oder: Kennzeichen der „Hells Angels“ auf dem Sweatshirt

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Und als letzte Entscheidung des Tages dann etwas aus einem Nebengebiet, nämlich die Frage des Verstoßes gegen das VereinsG durch Verwendung von Kennzeichen der „Hells Angels“. Dazu äußert sich der KG, Beschl. v. 31.10.2019 – (2) 121 Ss 128/19 (34/19).

Das KG hatte von folgenden landgerichtlichen Feststellungen auszugehen:

„a) Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts soll der Angeklagte bei einer durch den Motorradclub Hells Angels MC Nomads Germany angemeldeten Versammlung am 9. September 2017 in Berlin ein Kapuzen-Sweatshirt getragen haben, auf dem in roter Schrift die Aufschrift „FTW“ an der Kapuze und ebenfalls in roter Farbe ein Eisernes Kreuz auf der Rückenseite aufgestickt seien sowie innerhalb des Eisernen Kreuzes in weißer Schrift die Zahlen und Schriftzüge „81“, „BIG RED MACHINE“, „666“ und „SUPPORT“. Zudem befänden sich unter dem Kreuz in weißer Schrift die Worte „NORTH END“. Für sämtliche Worte und Ziffern sei die Schriftart „Hessian Regular“ verwendet worden. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten hat das Berufungsgericht auf die Abbildungen Bl. 10/11 d.A. verwiesen.

Am Morgen des Tattages hätte es eine Demonstration von Mitgliedern und Unterstützern der Hells Angels gegen die zum 16. März 2017 in Kraft getretene Verschärfung des Vereinsgesetzes gegeben, an der der Angeklagte jedoch nicht teilgenommen hätte.

Wie der Angeklagte bei der Tatbegehung gewusst habe, handele es sich bei der Bezeichnung „BIG RED MACHINE“ um eine Umschreibung für den Hells Angels MC, ebenso bei der Zahlenkombination „81“, die den achten und ersten Buchstaben des Alphabets symbolisiere und für „HA“ = Hells Angels stehe. Die Bezeichnung „North End“ stehe für die in Norderstedt ansässige Ortsgruppe der Hells Angels (Charter) „Hells Angels MC North End“. Der Angeklagte habe auch gewusst, dass der Hells Angels MC als ausschließliche Schriftart für seine Zeichen die Schriftart „Hessian Regular“ verwende und seit den achtziger Jahren zahlreiche Charter des Hells Angels MC verboten worden seien, u.a. auch in Berlin. Er hätte jedenfalls billigend in Kauf genommen, dass das Tragen des Sweatshirts gegen die ab dem 16. März 2017 geltenden Regelungen des Vereinsgesetzes verstoße.“

Verurteilt hatt das LG dann wegen eines Verstoßes gegen das Vereinsgesetz nach § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 und Satz 2, § 9 Abs. 1 und Abs. 3 VereinsG nicht.

Das KG hebt auf. Ihm reichen die Feststellungen nicht. Dazu dann folgender (amtlicher) Leitsatz:

1. Ein sogenanntes Center Patch, das mit der Zahl „81“ und dem Schriftzug „BIG RED MACHINE“ in den Farben rot und weiß sowie in einer der Schriftart „Hessian Regular“ ähnelnden Schrift bestickt ist, stellt ein Kennzeichen im Sinne des Vereinsgesetzes dar.

2. Die Verwendung eines solchen Kennzeichens begründet eine Strafbarkeit nach dem Vereinsrecht lediglich dann, wenn es in im Wesentlichen gleicher Form von einem verbotenen Verein verwendet wird; daran fehlt es, wenn das Kennzeichen nur durch die nicht verbotene Dachorganisation der „Hells Angels“ genutzt wird.

Rest bitte selbst lesen 🙂 .

StGB II: „Israel ist unser Unglück!“ und „Wir hängen nicht nur Plakate!“, oder: Ermittlungen sind von der StA aufzunehmen

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Die zweite Entscheidung behandelt einen erfolgreichen (!) Klageerzwingungsantrag. Und zwar hat das OLG Karlsruhe im OLG Karlsruhe, Beschl. v. 26.02.2020 – 1 Ws 285/19 – in einem von der StA eingestellten Verfahren die Aufnahme von Ermittlungen wegen des Verdachts der Volksverketzung (§ 130 StGB) angeordnet.

Dem lag nach dem OLG-Beschluss folgender Sachverhat zugrunde:

1. Die Anzeigeerstatter, die Jüdische Gemeinde der Stadt U. (Körperschaft des Öffentlichen Rechts), sowie deren Vorsitzender Herr V. erstatteten mit Schreiben vom 19.08.2019 gegen die Verantwortlichen der Partei „R.“, namentlich deren Vorstände Herr A. und Herr B., Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft X. wegen Volksverhetzung (§ 130 StGB). Anlass für die Strafanzeige war, dass mutmaßlich von Verantwortlichen der Partei „R“ im Vorfeld der Europa- und Kommunalwahlen im Mai 2019 zwei Wahlplakate unmittelbar vor der Synagoge der Stadt U. mit folgenden Slogans angebracht wurden:

„Zionismus stoppen: Israel ist unser Unglück! Schluss damit!“

„Wir hängen nicht nur Plakate!“

2. Mit Entschließung vom 02.09.2019 sah die Staatsanwaltschaft X. von der Einleitung von Ermittlungen gegen die Angezeigten A. und B. gemäß § 152 Abs. 2 StPO ab. Zur Begründung führt sie im Wesentlichen aus, beide Plakate erfüllten den Tatbestand der Volksverhetzung gem. § 130 Abs. 1 StGB nicht, da es jeweils an dem eindeutigen Bezug der Äußerung zu einem als Bevölkerungsteil eingrenzbaren tauglichen Tatobjekt fehle. Das Plakat mit dem Slogan „Zionismus stoppen: Israel ist unser Unglück! Schluss damit!“ könne unter Berücksichtigung der zu Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG u. Art. 21 Abs. 1 S. 1 GG ergangenen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht ausschließlich in der Weise gedeutet werden, dass sich die Äußerung gegen einen in Deutschland lebenden Bevölkerungsteil richte. Mit dem Begriff „Zionismus“ werde auf den Staat Israel Bezug genommen, denn Zionismus beschreibe eine Bewegung innerhalb des Judentums, die fordere, einen Nationalstaat für die Angehörigen des „Volkes Israel“ zu gründen. Die Verwendung der israelischen Flagge im Hintergrund des Textes stelle den Bezug zum Staat Israel her. Aus diesen Gründen komme eine Deutung des Plakats dergestalt in Betracht, dass damit Kritik an der Politik des Staates Israel geübt werden solle, weshalb eine ausschließliche Deutung des Plakats in der Weise, dass sich dessen Inhalt auf einen in Deutschland lebenden (jüdischen) Bevölkerungsteil beziehe, nicht möglich sei. Auch der Umstand, dass dieses Plakat in der Nähe der Jüdischen Synagoge aufgestellt worden sei, deute nicht zwingend auf einen Bezug zu einem in Deutschland lebenden Bevölkerungsteil (in Deutschland bzw. Stadt U. lebende Juden) hin, da die besondere Verbindung der Jüdischen Gemeinde zu dem Staat Israel zu sehen sei, weshalb sich eine bloße straflose Kritik an dieser besonderen Verbindung mit überzeugenden Gründen nachvollziehbar und tragfähig nicht ausschließen lasse.

Auch bei dem Plakat mit dem Slogan „Wir hängen nicht nur Plakate!“ könne weder aus dem Wortlaut noch aus dem Kontext der Plakatierung, insbesondere dem Aufstellungsort, ein eindeutiger Bezug der Äußerung zu einem in § 130 Abs. 1 StGB aufgeführten Bevölkerungsteil zu entnehmen sein. Vielmehr könne das Plakat auch – dem Wahlprogramm der Partei „R“ entsprechend – als allgemeines Bekenntnis zur Todesstrafe gedeutet werden.

3. Mit Verfügung vom 24.09.2019 gab die Generalstaatsanwaltschaft der gegen die Entschließung der Staatsanwaltschaft X. von der Jüdischen Gemeinde eingelegten Beschwerde in Ermangelung der nur einem Verletzten zustehenden Klagebefugnis gem. § 172 Abs. 1 StPO keine Folge. Auch der Beschwerde des V., als Vorsitzender der jüdischen Gemeinde und als in Deutschland lebender Jude antragsberechtigt, gab die Generalstaatsanwaltschaft unter wesentlicher Bezugnahme auf die Entscheidung der Staatsanwaltschaft X keine Folge, da die Plakate keine strafrechtlich relevanten Inhalte enthielten.“

Das OLG hat – wie gesagt – die Aufnahme von Ermittlungen angeordnet. Seine Begründung ist in den Leitsätzen der Entscheidung zusammengefasst.

1. Die bloße nicht auszuschließende Deutungsmöglichkeit der von Verantwortlichen einer politischen Partei unter anderem auf zwei nebeneinander nahe einer Jüdischen Synagoge angebrachten Wahlplakaten aufgedruckten Parolen „Zionismus stoppen! Israel ist unser Unglück – Schluss damit!“ und „Wir hängen nicht nur Plakate!“ im Sinne einer bloßen (straflosen) Kritik an der Politik des Staates Israel, rechtfertigt es nicht, von der Aufnahme von Ermittlungen gem. § 152 Abs. 2 StPO abzusehen.

2. Vielmehr begründet der naheliegende und von den Verfassern ersichtlich bezweckte Aussageinhalt, nämlich gegen die in Deutschland bzw. der Gemeinde R. lebenden Juden zum Hass aufzustacheln und zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen gegen diese Bevölkerungsgruppe aufzurufen, den Anfangsverdacht einer Volksverhetzung (§ 130 Abs. 2 Nr. 1 lit. a und b StGB) und führt auf den zulässigen Antrag eines -antragsbefugten- Angehörigen dieser Personengruppe gem. § 172 StPO zur Anordnung der Aufnahme von Ermittlungen durch den Senat (Festhaltung OLG Karlsruhe, Bes. v. 16. Dezember 2002 – 1 Ws 85/02, Die Justiz 2003, 270 ff.).

StGB I: Bedingter Vorsatz bei der Geldwäsche, oder: Anwerbung als Finanzagent über das Internet

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So, heute dann drei Entscheidungen zum materiellen Recht.

Zunächst ein Beschluss des KG, und zwar das KG, Urt. v. 26.09.2019 – (2) 121 Ss 11/19 (18/19). Das ist schon etwas älter, was dem Umstand geschuldet ist, dass das KG ja – gelinde ausgedrückt – Internet-Probleme hatte.

In der Entscheidung nimmt das KG zum bedingter Vorsatz bei der Geldwäsche (§ 261 Abs. 1, 2 StGB) Stellung und meint: Hat ein Angeklagter angesichts der Gesamtumstände erkannt, dass die Geldbeträge illegaler Herkunft sind, begründen diese Feststellungen ein wesentliches Indiz dafür, dass der Angeklagte auch willentlich gehandelt hat:

„Für die Tathandlungen des § 261 Abs. 1 und Abs. 2 StGB ist Vorsatz notwendig, wobei bedingter Vorsatz grundsätzlich genügt. Das „billigende in Kauf nehmen“ muss sich auf die Tatbestandsmerkmale beziehen; dass also der Gegenstand aus einer geeigneten Vortat herrührt und beispielsweise die Ermittlung seiner Herkunft vereitelt wird. Im Rahmen des § 261 Abs. 2 StGB muss der Täter die illegale Herkunft des Gegenstandes zum Zeitpunkt seines Erlangens gekannt haben. Die Strafbarkeit des Verwahrens oder Verwendens ist dadurch im Ergebnis eingeschränkt. Der Täter braucht die Vortat in ihrer rechtlichen Bewertung indes nicht als Verbrechen einzuordnen; es genügt, wenn er die Umstände kennt oder von solchen Umständen ausgeht, die eine geeignete Vortat ausmachen (vgl. Schmidt/Krause in Leipziger Kommentar, 12. Aufl. § 261 Rn. 36).

In Abgrenzung zum bedingten Vorsatz wird für die Annahme bewusster Fahrlässigkeit/Leichtfertigkeit iSd. § 261 Abs. 5 StGB verlangt, dass der Täter bereits zu dem Zeitpunkt, zu dem er den Gegenstand erlangt, lediglich aus Leichtfertigkeit keine Kenntnis von seiner Herkunft hat und dieser Leichtfertigkeitsvorwurf nicht erst zu einem späteren Zeitpunkt zu begründen ist (vgl. Schmidt/Krause, aaO Rn. 40). Nach den überzeugenden Ausführungen der Kammer ist das hier der Fall.

Nachvollziehbar erörtert sie zunächst, dass sich den Angeklagten aufgrund der näheren Umstände die illegale Herkunft des Geldes quasi aufgedrängt habe. Dafür spricht, dass der Finanzagent über das Internet ohne konkreten Anlass angeworben und ihm von Unbekannten ein hoher Geldbetrag anvertraut wird, bei dem Transfer ist kein Grund für den Umweg über den Finanzagenten ersichtlich, es winkt eine unverhältnismäßig hohe Bezahlung für eine geringfügige Leistung und das Phänomen des Finanzagenten sei in der Öffentlichkeit inzwischen bekannt. Anhand von konkreten, sich aus den Tatumständen ergebenden Anhaltspunkten erläutert die Kammer sodann, dass für die Angeklagten, die über zehn Jahre im Finanzdienstleistungssektor tätig und mit Geldangelegenheiten umfänglich vertraut gewesen seien, ersichtlich gewesen sei, dass die offerierte Provision von 20% gemessen an dem erforderlichen Aufwand überzogen hoch war. Zudem hätten die Angeklagten Bedenken an der Redlichkeit des Unternehmens gezeigt und bezüglich der Finanztrade LTD im Internet recherchiert, doch keine Homepage und auch keine Kontaktdaten gefunden. Dass Kontaktpersonen sie mehrfach anlasslos auf die Legalität der Zusammenarbeit hingewiesen hätten, sei ein weiteres Anzeichen für ein illegales Geschäft gewesen.

Damit ist nicht nur das für den Vorsatz erforderliche Wissenselement rechtfehlerfrei belegt. Vielmehr bilden die getroffenen Feststellungen auch eine ausreichende Grundlage für den von der Strafkammer gezogenen Schluss, die Angeklagten hätten auch willentlich gehandelt. Die von den Angeklagten vorgebrachten Einwände vermögen die Würdigung der Kammer nicht zu erschüttern. Aufgrund der vorgenannten Erwägungen dringt die Behauptung, sie hätten ihre Tätigkeit in dem festen Glauben und der festen Überzeugung aufgenommen, es handele sich um ein legales Geschäftsgebaren, und angesichts der vorherigen Recherchen auch davon überzeugt sein können, nicht durch. Die Begründung der Kammer, dass die genannten Gesamtumstände die Angeklagten erkennen ließen, dass es sich um illegale Tätigkeiten und eine illegale Herkunft der Gelder handelte, ist rechtsfehlerfrei. Anhaltspunkte dafür, dennoch ernsthaft auf ein legales Geschäft vertrauen zu können, lagen hingegen nicht vor. Indem sie zwar möglicherweise darauf hofften oder sich anschließend keine weiteren Gedanken machten und nicht weiter damit beschäftigten, in ihrer anfänglichen Kenntnis der eine geeignete Vortat ausmachenden Umstände jedoch dennoch weiterhandelten, fanden sie sich damit ab und nahmen eine illegale Herkunft der Gelder sowie den Taterfolg billigend in Kauf.“

Einstellung des Verfahrens, oder: Was ist mit Datenlöschung und/oder Datenberichtigung?

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Und zum Tagesschluss dann noch eine Entscheidung aus Bayern, nämlich der BayObLG, Beschl. v. 27.01.2020 – 203 VAs 1846/19, der sich zu der Frage der Speicherung bzw. Löschung von im Verfahren erhobenen Daten verhält:

„Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist nach § 23 Abs. 1 und 2 EGGVG statthaft und auch im Übrigen zulässig, ein Vorschaltverfahren (§ 21 StVollstrO) ist entbehrlich. In der Sache hat der Antrag keinen Erfolg.

Der Antragsteller hat weder Anspruch auf Berichtigung, noch auf Löschung der durch die Staatsanwaltschaft Coburg gespeicherten Daten (§ 500 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 StPO i.V.m. §§ 75 Abs. 1, Abs. 2 BDSG, 489 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Satz 3 StPO).

1. Das Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/680 im Strafverfahren sowie zur Anpassung datenschutzrechtlicher Bestimmungen an die Verordnung (EU) 2016/679 ist am 26.11.2019 in Kraft getreten (BGBl. I 2019, S. 1774 ff.). § 500 Abs. 1 StPO erklärt hinsichtlich der Verarbeitung personenbezogener Daten Teil 3 des Bundesdatenschutzgesetzes für entsprechend anwendbar. Insoweit handelt es sich um eine eigenständige Normierung ohne Verweis auf die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO); auch das Bayerische Datenschutzgesetz (BayDSG) ist damit grundsätzlich nicht anwendbar.

Der Antragsteller hat danach gemäß § 500 Abs. 1 StPO i.V.m. § 75 Abs. 1 BDSG einen Berichtigungsanspruch, wenn gespeicherte personenbezogene Daten unrichtig oder unvollständig sind. Er hat nach § 500 Abs. 1 StPO i.V.m. § 75 Abs. 2 BDSG, § 500 Abs. 2 Nr. 1 StPO i.V.m. § 489 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Satz 3 StPO (als ergänzende Sonderregelungen) einen Löschungsanspruch hinsichtlich gespeicherter personenbezogener Daten, wenn das Ermittlungsverfahren erledigt ist, d.h. bei einer Einstellung, die die Wiederaufnahme (wie bei § 170 Abs. 2 StPO) nicht hindert, mit Eintritt der Verjährung.

2. Es besteht kein Berichtigungsanspruch, da die gespeicherten Daten nicht unrichtig und nicht unvollständig sind:

a) Der Tatvorwurf ist zu Recht gespeichert. Der Gegenstand eines Ermittlungsverfahrens muss zweifelsfrei erfasst sein, insbesondere auch um den Eintritt der Verjährung konkret bestimmen zu können, der – wie vorgehend dargestellt – maßgeblich ist für den Zeitpunkt der Löschung. Der Senat erachtet es deshalb nicht für zielführend, gespeicherte Datensätze mit Phantasieparagraphen (§ 999 StGB) zu verfälschen. Das Interesse der Strafverfolgungsbehörden an der Speicherung der Daten geht dem Interesse des Beschuldigten an der Vermeidung einer Stigmatisierung vor.

Der Senat folgt nicht dem Beschluss des Oberlandesgerichts Frankfurt vom 20.07.2010 (Az.: 3 VAs 19/10). Von einer Speicherung des urpsrünglichen Deliktsvorwurfes wurde dort nur wegen der „Besonderheiten“ des Falles abgesehen; welche „Besonderheiten“ dies sein sollen, ist jedoch nicht ersichtlich. Vorliegender Fall weist dagegen von vorneherein keine Besonderheiten auf. Das Ermittlungsverfahren wurde eingestellt, weil – wie in vielen Ermittlungsverfahren – kein konkreter Tatnachweis geführt werden konnte, und nicht etwa wegen erwiesener Unschuld, was eine andere Beurteilung rechtfertigen könnte.

b) Gespeichert ist, dass das Verfahren am 26.11.2018 eingestellt wurde, da Tatbestand, Rechtswidrigkeit oder Schuld nicht nachweisbar sind. Es ist nicht erforderlich, dass die Vorschrift des § 170 Abs. 2 StPO auch noch ausdrücklich genannt wird, da die gewählte Formulierung eindeutig ergibt, dass eine Sachbehandlung nach § 170 Abs. 2 StPO erfolgt ist.

2. besteht auch kein Löschungsanspruch:

Wie oben ausgeführt, ist eine Löschung erst dann vorzunehmen, wenn das Ermittlungsverfahren erledigt ist, d.h. bei einer Verfahrenseinstellung nach § 170 Abs. 2 StPO mit Eintritt der Verjährung. Totschlag verjährt nach § 78 Abs. 3 Nr. 1 StGB in dreißig Jahren. Während des Laufs der Verjährungsfrist ist die Datenspeicherung zur Aufgabenerfüllung der Staatsanwaltschaft erforderlich, weil während dieses Zeitraums neue Beweismittel auftauchen könnten, die Anlass zur Wiederaufnahme der Ermittlungen geben. Eine Einstellung nach § 170 Abs, 2 StPO steht einer solchen Wiederaufnahme der Ermittlungen nicht entgegen.“

Die Videos zum „Augsburger Königsplatzfall“, oder: Das Mitgaberecht des Verteidigers

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Als zweites Posting des Tages dann noch einmal etwas zum/aus dem „Augsburger Königsplatzfall“. Über das Verfahren bzw. eine Entscheidung aus dem Verfahren hatte ich neulich ja schon berichtet. Ich erinnere an dem mehr als deutlichen Ordnungsruf des BVerfG im BVerfG, Beschl. v. 09.03.2020 – 2 BvR 103/20 – gegenüber dem OLG München betreffend die U-Haft-Frage bei einem Beschuldigten (vgl. dazu U-Haft I: Keine U-Haft im “Augsburger Königsplatz-Fall”, oder: Deutliche Worte vom BVerfG).

Heute kann ich einen weiteren Beschluss aus dem Verfahren vorstellen, nämlich den LG Augsburg, Beschl. v. 18.02.2020 – J Qs 51/20 jug. In diesem Beschluss geht es um die Frage, inwieweit ein Verteidiger Anspruch auf die Mitgabe verfahrensrelevanter Videoaufzeichnungen hat. Ich erinnere, wobei ich davon ausgehe, dass der Tatvorwurf: Verdacht des Totschlags und/oder der der Beihilfe zum Totschlag und der gefährlichen Körperverletzung, bekannt ist. Sonst ggf. beim BVerfG nachlesen.

Also: Gegen die sieben Beschuldigten des Verfahrens erging seitens des AG Augsburg zunächst Haftbefehl. Auf entsprechende Beschwerde hin wurden sechs der Beschuldigten durch Beschluss der Jugendkammer des LG Augsburg wieder auf freien Fuß gesetzt. Gegen diesen Beschluss wiederum hat die StA Augsburg Beschwerde eingelegt. Das OLG München hat der Beschwerde der StA stattgegeben, so dass die sechs Beschuldigten nach einer Woche Freiheit wieder inhaftiert wurden. Das hat sich inzwischen wohl durch die Entscheidung des BVerfG erledigt.

Über die vorgeworfene Tat existieren als zentrales Beweismittel zwei Videos. Die Staatsanwaltschaft hat verfügt, dass die Verteidiger die Videos nur in den Räumen der Kripo einsehen dürfen. Die Mitgabe wurde den Verteidigern verweigert. Dagegen ist Rechtsmittel eingelegt worden. Das LG hat nunmehr die StA angewiesen, die Videos herauszugeben:

„1. Die Beschwerde des Beschuldigten ist statthaft und auch sonst zulässig, §§ 147 Abs. 5 S. 2, 306 Abs. 1 StPO.

Es liegt der Fall des § 147 Abs. 5 S. 2 StPO vor. Der Beschuldigte befindet sich in Untersuchungshaft in dem Verfahren, in dessen Akten er die Einsichtnahme begehrt und damit nicht auf freiem Fuß. In diesem Fall wird der Antrag auf gerichtliche Entscheidung zugelassen (Meyer-Goßner, StPO, 62. Aufl. 2019, § 147, Rn. 39). Um eine effektive Verteidigung — die eine eigenständige Be- und Verwertung von Ermittlungsergebnissen beinhaltet — zu ermöglichen, bedarf es zur Beurteilung des Tatverdachts in der Regel einer vollständigen Akteneinsicht (MüKoStPO/Thomas/Kämpfer, 1. Aufl. 2014, StPO § 147 Rn. 27-28).

Bei den bei den Akten befindlichen Datenträgern und den darauf gespeicherten Daten handelt es sich nicht um nicht herausgabefähige Beweisstücke i.S.d. § 147 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 StPO. Sie stellen verkörperte Kopien dar, die nicht – aus Gründen des Substanz- und Integritätsschutzes von Beweisstücken – dem Mitgabeverbot unterliegen (vgl. hierzu Wettley/Nöding, NStZ 2016, 633, 634 m.w.N.). Durch die Übergabe des Datenträgers an das Gericht wurde dieser vielmehr Bestandteil der Akte (vgl. nur Meyer-Goßner, § 147 Rn. 19c). Solche bei den Akten befindliche Datenkopien sind demnach Aktenbestandteile, die nicht dem Besichtigungsrecht von Beweisstücken, sondern dem Akteneinsichtsrecht unterfallen.

§ 32 f Abs. 3 StPO steht nicht entgegen, da unter den hier vorliegenden Umständen nicht lediglich die Art und Weise der Akteneinsicht betroffen ist, sondern faktisch bereits das „Ob“ der vollständigen Gewährung von Akteneinsicht.

Denn ist das Vorspielen der Ton- und/oder Filmaufnahmen zur Informationsvermittlung nicht ausreichend, hat der Verteidiger einen Anspruch auf Herstellung einer amtlich gefertigten Kopie des Video- oder Tonbandes oder des Films (OLG Frankfurt am Main StV 2001, 611; Köllner StraFo 1995, 50 m.w.N.; BeulkeNVitzigmann StV 2013, 75 in der Anm. zu OLG Karlsruhe NJW 2012, 2742; vgl. auch BayObLG NJW 1991, 1070 und OLG Koblenz NStZ 2001, 584). Ein solcher Fall liegt hier vor. Denn trotz der eher kurzen Dauer der Videoaufzeichnungen von der Tat haben diese, u.a. aufgrund der mehrfachen Vergrößerung, eine derart schlechte Qualität, dass ein reines Besichtigungsrecht der originär bei der Polizei gespeicherten Daten zu Informationszwecken, insbesondere zur vollständigen Erfassung des Geschehensablaufs, aufgrund seiner erheblichen Dynamik, der Dunkelheit und der Anzahl der beteiligten Personen vernünftigerweise „vor Ort“ nicht ausreicht.

2. Das Rechtsmittel ist darüber hinaus auch begründet. Die Aushändigung und Mitgabe der (jeweiligen) Datenträger-Kopie an die Verteidiger begegnet vorliegend keinen rechtlichen Bedenken.

a) Rechte Dritter stehen der Herausgabe der Datenträger-Kopie nicht entgegen. § 32 f Abs. 2 S. 3 StPO lässt die Aushändigung und Mitgabe von Akten und Aktenbestandteilen nur zu, wenn nicht wichtige Gründe dem entgegenstehen.

Persönlichkeits- und Datenschutzrechte Dritter stellen in der Regel keine derartigen Ausschluss-gründe dar. Dies zeigt bereits ein systematischer Vergleich zu der Vorschrift des § 147 Abs. 4 StPO. Einem nichtverteidigten Beschuldigten sind Auskünfte und Abschriften aus der Akte nur zu erteilen, wenn – u.a. – überwiegende schutzwürdige Interessen Dritter nicht entgegenstehen. Zu-dem dürfen die Akten dem Beschuldigten grundsätzlich nicht überlassen werden, wie sich aus einem Vergleich mit der für Rechtsanwälte geltenden Regelung des § 32f Abs. 2 StPO ergibt. Die Einschränkung der entgegenstehenden schutzwürdigen Interessen Dritter dient ausweislich der Gesetzesbegründung der „Wahrung der Intimsphäre Dritter“ (BT-Dr. 14/1484, 22). Bei Gewährung von Akteneinsicht an einen Verteidiger hat der Gesetzgeber von dieser Einschränkung hin-gegen bewusst abgesehen. Der nur für unverteidigte Beschuldigte geltende Verweis auf den datenschutzrechtlichen Zweckbindungsgrundsatz des § 477 Abs. 2 StPO erübrigt sich ausweislich der Gesetzesbegründung für den Verteidiger, da sich für diesen die Zweckbindung der Akteneinsicht bereits aus der Aufgabe der Verteidigung und der besonderen Stellung des anwaltlichen Verteidigers, eines Organs der Rechtspflege, ergebe und sich in ihrem Inhalt an diesen Kriterien orientiere (BT-Dr. 14/1484, 22).

Maßgeblich ist hier jedoch, dass es sich – anders als in den sonst vorliegenden verfahrensgegenständlichen Fällen – nicht um Ton- oder Videoaufzeichnungen aus dem geschützten Raum im Rahmen einer TKÜ-Maßnahme, sondern um eine Videoaufzeichnung im öffentlichen Raum handelt, auf die zudem durch zahlreiche Schilder explizit hingewiesen wird und alle Betroffenen daher auch zum jetzigen Zeitpunkt bereits Kenntnis von der Überwachung und Aufzeichnung haben.

b) Eine weitergehende „Eingriffsvertiefung“ ist bei Mitgabe an den Verteidiger nicht zu befürchten, da dieser lediglich an einem anderen Ort von seinem ohnehin bestehenden Einsichtsrecht Gebrauch macht. Die Gefahr einer unkontrollierten Weitergabe an Dritte besteht bei Verteidigern ¬als Organen der Rechtspflege – nicht (so auch KG, Beschluss vom 15. März 2015 – 2 StE 14/15, Rn. 11 für dem Gericht bekannte Verteidiger); im Übrigen beugt auch das Standesrecht dem vor, vgl. §§ 19 BORA, 43, 43a BRAO. Schließlich würde sich eine etwaige Gefahr der unkontrollierten Weitergabe von Akteninhalten auch bei – unstreitig an den Verteidiger zu übersendenden – schriftlichen Aktenbestandteilen nicht verneinen lassen. Die in § 101 Abs. 8 S. 1 StPO statuierte Verpflichtung zur Löschung der gewonnenen Daten wird durch die Aushändigung an den Verteidiger ebenfalls nicht vereitelt, denn dieser ist als Organ der Rechtspflege auch ohne besonderen Hin-weis oder vorheriger Verpflichtungserklärung verpflichtet, die erhaltenen Datenträger (und eventuell angefertigte Kopien) an das Gericht zurückzugeben. Darüber hinaus gelten nunmehr für die Akteneinsicht des Verteidigers zudem die Vorschrift des § 32 f Abs. 5 StPO, welche diese Verpflichtungen des Verteidigers explizit regelt.

Anhaltspunkte dafür, dass die Verteidiger mit den Daten unsachgemäß oder rechtswidrig umgehen werden, ist weder vorgetragen noch ersichtlich.

In diesem Zusammenhang ist zudem zu berücksichtigen, dass dem Verteidiger auch im Falle der Inaugenscheinnahme der Dateien in Räumen der Justizverwaltung das Recht zusteht, Aufzeichnungen zu fertigen oder Lichtbilder herzustellen (vgl. Meyer-Goßner, § 147 Rn. 19 m.w.N.). Daher wäre auch in diesem Falle die Beeinträchtigung der Rechte Dritter durch Verbreitung der Daten niemals völlig auszuschließen.

c) Darüber hinaus bestünde hier, worauf die Verteidigung zu Recht hinweist, bei bloßer Zugänglichmachung der Tonaufnahmen in den Räumen der KPI Augsburg ein dem Grundsatz des fairen Verfahrens zuwiderlaufendes Defizit auf Seiten der Verteidigung bei der Möglichkeit zur Kenntnisnahme der für sie notwendigen Informationen. Diese läge nicht nur in einer räumlich und zeitlich begrenzten, sondern auch gegenüber Gericht und Staatsanwaltschaft unterlegenen Möglichkeit zur Kenntnisnahme. Dies umso mehr, als zwei gerichtliche Instanzen aufgrund der Auswertung des Videomaterials zu unterschiedlichen Bewertungen der Haftfrage gekommen sind, wobei jedenfalls die Jugendkammer sich ein Bild nur aufgrund stundenlanger Wiederholungen des Abspielvorgangs über Tage hinweg machen konnte.“

M.E. zutreffend…. Ich bin auf die Hauptverhandlung gespannt. Da scheint sich ein „fröhliches Hauen und Stechen“ abzuzeichen, aber wohl zwischen Gericht und StA 🙂 .