Archiv für den Monat: Januar 2020

Wochenspiegel für die 2. KW., das Anwalts-DNA, Blechschaden, Zwangsduschen und Handy bei der Polizei

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Zum Abschluss einer (welt)politisch sicher sehr bewegten und brisanten Woche dann hier der sonntägliche Rückblick auf das, was die Blogs in der vergangenen Woche bewegt hat. Das waren u.a. folgende Themen:

  1. Die DNA des Anwalts der Zukunft,

  2. Mein Handy bei der Polizei,

  3. AG Koblenz bejaht Einsichtsrecht in Daten und Unterlagen beim „Enforcement Trailer“,

  4. Blechschaden: Brauche ich wirklich sofort einen Rechtsanwalt?,

  5. BVerfG: Presse darf gerichtliches Veröffentlichungsverbot nicht durch Folgebericht umgehen ,

  6. „Don‘t touch me, I kill you!“ – der minder schwere Fall des Totschlags,

  7. Kann man noch datenschutzkonform twittern?,

  8. Zwangsduschen eines Demenzkranken rechtfertigt Kündigung,

  9. Vorgehen gegen Bußgeldbescheid: Welches Gericht ist sachlich zuständig?,

  10. und aus meinem Blog dann: BVerfG I: Zeichner in der Hauptverhandlung, oder: Vor dem Gang nach Karlsruhe erst zum Zivilgericht

Mithaftungsquote wegen Nichtanlegen des Sicherheitsgurtes, oder/und: Taggenaues Schmerzensgeld?

Und als zweite Entscheidung bringe ich dann das OLG München, Urt. v. 25.10.2019 – 10 U 3171/18. Das nimmt (mal wieder) Stellung zur Frage des Mitverschuldens in den Fällen des Nichtanlegens des Sicherheitsgurtes.

Der Kläger macht gegen die Beklagten Schadensersatzansprüche aus einem Verkehrsunfall vom 13.07.2013 geltend. Dabei übersah der Beklagte zu 2), dass die vor ihm fahrenden Fahrzeuge ihre Fahrt verkehrsbedingt verlangsamen mussten. Er fuhr deswegen auf den vor ihm fahrenden Pkw auf, welcher zunächst auf den davor fahrenden Pkw aufgeschoben und dieser auf die Gegenfahrbahn geschoben wurde. Dort kollidierte dieser mit dem Pkw des Klägers. Bei diesem Unfall wurde der Kläger als Fahrzeugführer schwer verletzt. Das Klägerfahrzeug war mit Frontairbags ausgerüstet, welche kollisionsbedingt ordnungsgemäß öffneten. Der Pkw war ferner auch mit Sicherheitsgurten ausgerüstet. Einen Sicherheitsgurt hatte der Kläger nicht angelegt.

Das OLG München berücksichtigt das Nichtanlegen des Sicherheitsgurtes wie folgt:

1. Aus Gründen praktischer Handhabung ist es geboten, bei verschiedener Auswirkung des Nichtangurtens auf einzelne Verletzungen unter Abwägung aller Umstände, insbesondere der von den Verletzungen ausgehenden Folgeschäden, deren vermögensrechtliches Gewicht je nach der Verletzung verschieden sein kann, eine einheitliche Mitschuldquote zu bilden (ebenso BGH, Urt. v. 28.02.2012VI ZR 10/1).

2. Da bei einer angegurteten normalen Sitzposition das Risiko, schwere Knieverletzungen zu erleiden, deutlich geringer als bei einem nicht angegurteten Insassen ausfällt, ist – wenn der geschädigte Pkw-Fahrer nicht angeschnallt war und sich im wesentlichen langwierige Knieverletzungen zugezogen hat – eine Mitverschuldensquote von 30% angemessen.

3. Hat der Geschädigte auf seinen erlittenen Haushaltsführungs- und Verdienstausfallschaden Zahlungen Dritter erhalten, sind bei der Ermittlung eines gegenüber dem Schädiger ersatzfähigen Erwerbsschadens zuerst der Mitverschuldensanteil des Geschädigten und nachfolgend die erhaltenen Zahlungen in Abzug zu bringen.

Und:

4. Eine „tagesgenaue“ Bemessung von Schmerzensgeld ist nicht vorzunehmen (entgegen OLG Frankfurt a. M., Urt. v. 18.10.201822 U 97/16).

Einsatz eines Rettungssanitäters, oder: Was sind (noch) berufsspezifische Risiken?

Im „Kessel Buntes“ damm heute zunächst das OLG Schleswig, Urt. v. 01.08.2019 – 7 U 14/18. Es geht um die Klage eines (hauptamtlichen) Rettungsassistent, der beim DRK tätig ist. Der Kläger nimmt die Beklagte als Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherer eines Pkws auf materiellen und immateriellen Schadenersatz in Anspruch.

Dieser u. a. mit einer Gasanlage versehene Pkw verunglückte am 15.08.2014 gegen 09.30 Uhr auf einer Kreisstraße; der Fahrer und Halter dieses Fahrzeuges kam bei dem Unfall ums Leben. Das Fahrzeug geriet in Brand; zum Löschen und Bergen wurde die örtliche freiwillige Feuerwehr hinzugerufen. Der Kläger und ein Kollege wurden ebenfalls zur Unfallstelle gerufen. Bei Ankunft des Klägers stand das verunfallte Fahrzeug bereits in Vollbrand, der Fahrer war tot.
Im Zuge der Löscharbeiten explodierte der Gastank des verunfallten Fahrzeuges. Durch den Feuerball und herumfliegende Fahrzeugteile wurden mehrere Feuerwehrleute, die dem Kläger aus seiner eigenen jahrelangen Tätigkeit bei der Freiwilligen Feuerwehr zum Teil persönlich bekannt waren, erheblich verletzt. Der Kläger selbst wurde durch die Druckwelle zwar zu Boden geworfen, erlitt aber keine äußeren Verletzungen. Vielmehr übernahm er bis zum Eintreffen weiterer Kräfte die Einsatzleitung vor Ort.

In der Folgezeit befand sich der Kläger in psychologischer Behandlung und war bis zum 08.12.2014 arbeitsunfähig krankgeschrieben. Inzwischen ist nach Einholung eines psychiatrischen Gutachtens unstreitig geworden, dass der Kläger infolge der Explosion eine Traumafolgestörung erlitten hat, die in ihrer Qualität zwar einer posttraumatischen Belastungsstörung entspricht, aber nicht deren Vollbild erreicht hat und daher als Anpassungsstörung (ICD10-F43.2) zu klassifizieren ist.

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Beklagte sei als Haftpflichtversicherer des Fahrzeuges zur Zahlung von materiellem und immateriellem Schadenersatz verpflichtet.
Angemessen sei ein Schmerzensgeld von (mindestens) 5.000,00 €, darüber hinaus sei ihm ein materieller Schaden in Höhe von 659,58 € entstanden, darunter ein Verdienstausfallschaden in Höhe von 582,35 € (brutto).

Das LG hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers hatte teilweise Erfolg. Das OLG differenziert, wie sich aus den nachfolgenden Leitsätzen zu der Entscheidung ergibt:

1. Zu den berufsspezifischen Risiken eines Rettungsassistenten und damit zum allgemeinen Lebensrisiko gehört es, an Unfallstellen Schwerverletzte versorgen zu müssen. Dies gilt auch, wenn bei dem Rettungseinsatz bekannte oder gar befreundete Feuerwehrleute des Rettungsassistenten verletzt werden.

2. Hingegen gehört es nicht mehr zu den berufsspezifischen Risiken eines Rettungsassistenten, an einer Unfallstelle selbst einer Explosion ausgesetzt zu sein. Soweit daraus unmittelbare psychische Folgen ausgelöst worden sind, kann dies Schadenersatzansprüche begründen.

3. Ein Rettungsassistent, der infolge einer Gasexplosion am Unfallort eine psychische Anpassungsstörung (ICD10-F43.2) erleidet, erhält ein Schmerzensgeld von lediglich 2.500 €, wenn – nach eigenem Vortrag –  nicht nur die Explosion bestimmend war für das eigene Betroffen sein, sondern ebenso die entschädigungslos hinzunehmende mittelbare Betroffenheit durch die Verletzungen ihm bekannter oder befreundeter Rettungskräfte.

 

verlangtEr wurde zu einem brennenden Fahrzeug hinzugerufen, dessen Gastank bei den Löscharbeiten explodierte. Hierbei wurden ihm bekannte oder mit ihm befreundete Feuerwehrleute erheblich verletzt. Der Kläger erlitt eine Traumafolgestörung in Form einer Anpassungsstörung; er verlangt ein Schmerzensgeld. Das OLG Schleswig differenziert zwischen den durch die Explosion entstandenen psychischen Schäden sowie dem Miterleben der Folgen bei verletzten Polizisten und Feuerwehrleuten. Hinsichtlich Letzterem fehle es am Zurechnungszusammenhang, da sich lediglich das allgemeine Lebensrisiko realisiert habe. Zu den berufsspezifischen Risiken eines Rettungsassistenten gehöre es, an Unfallstellen Schwerverletzte versorgen zu müssen. Dies gelte auch bei Verletzungen von Freunden oder Kollegen während des Einsatzes, solange es nicht um Familienangehörige oder Ehepartner gehe.

 

Ich habe da mal eine Frage: Wie rechne ich denn nun Einstellung und Freispruch ab?

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Und dann im neuen Jahr, das ja schon gar nicht mehr so neu ist, natürlich auch das Gebührenrätsel. Da habe ich allerdings derzeit nicht so ganz viele Frage, so dass ich auf das zurückgreifen muss, was an anderer Stelle schon mal diskutiert worden ist. Und da habe ich heute aus einer Facebokk-Gruppe folgende Frage, und zwar:

„Abrechnungsfrage:

Bin Pflichtl und verhandle 3 Tage beim AG. Am 3. Tag wird aus der Anklage Tatziffer 3 (von 4) nach § 153 StPO eingestellt mit Kosten und notwendige Auslagen für die Staatskasse. Später am Tag erfolgt ein Freispruch für die restlichen/anderen Anklagepunkte.

Rechne ich jetzt nur den Freispruch ab oder kann ich zusätzlich noch den § 153 StPO abrechnen? Im vorbeifahren Vorverfahren war ich leider nicht tätig, erst ab Anklagezustellung. Danke fürs Mitdenken.“

Edit: Autokorrektur macht aus „Vorverfahren“ das „Vorbeifahren“. 🙂

Gegenstandswert beim VerfGH Saarland, oder: „Rohmessdaten meets Gebührenrecht“

In der zweiten Entscheidung des Verfahrens geht es noch einmal um das beim VerfGH Saarland anhängige Verfahren betreffend Rohmessdaten, dass dort mit dem Urt. v. 05.07.2019 – Lv 7/17 – seinen Abschluss gefunden hat.

Nun ja, nicht ganz. Denn die Kollegin, die die Verfassungsbeschwerde durchgezogen hat, hatte sich gegen den vom VerfGH Saarland festgesetzten Gegenstandswert von 7.500 EUR gewandt. Damit hatte sie dann aber keinen Erfolg. Der VerfGH hat ihre „Gegenvorstellung“ im VerfGH Saarland, Beschl. v. 19.12.2019 – Lv 7/17 –  zurückgewiesen:

„Der von der Bevollmächtigten des Beschwerdeführers als Gegenvorstellung eingelegte Rechtsbehelf, mit der dieser eine Erhöhung des festgesetzten Gegenstandswerts erstrebt, ist nicht statthaft und damit unzulässig, da ein Rechtsmittel gegen die Festsetzung des Gegenstandswerts durch den Verfassungsgerichtshof gem. §§ 33 1, 37 II 2 RVG nicht gegeben ist (VerfGH Beschl. v. 27.12.2011 Lv 4/11; RhPfVerfGH, Beschl. v. 14.12.2018 – VGH A 19/18, BeckRS 2018, 33031; SächsVerfGH, Beschl. v. 29.09.2011 – Vf. 94-IV-IO, BeckRS 2011, 142008; Graßhof in Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge [Hrsg.], BVerfGG, Losebl., 28. EL April 2008, S 34a Rn. 116; Schenk in Burkiczak/DoIlinger/Schorkopf [Hrsg.], BVerfGG, 2015, S 34 a Rn. 65.

Der Gegenstandswert für die anwaltliche Tätigkeit ist nach § 33 RVG festzusetzen.

Nach § 37 Abs. 2 Satz 2 RVG ist der Gegenstandswert nach billigem Ermessen unter Beachtung der Kriterien des S 14 RVG festzusetzen. Der Mindestwert beträgt 5000 Euro. Gegen die Festsetzung des Gegenstandswertes ist ein Rechtsmittel nicht zulässig (BVerfG Beschl. v. 23.04.2014 – 2 BvR 2500/09, BeckRS 2014, 51220),

Auch die Bezeichnung als Gegenvorstellung gegen die Festsetzung des Gegenstandswerts rechtfertigt keine andere Betrachtung. Vereinzelt wird die Zulässigkeit einer Gegenvorstellung gegen die Festsetzung des Gegenstandswertes für zulässig gehalten, wenn sich die Festsetzung unter Missachtung wesentlicher Verfahrensvorschriften als grob rechtswidrig erweist (vgl. Graßhoff § 34 a Rn, 116; ablehnend demgegenüber SächsVerfGH, Beschl. v. 29.09.2011 — Vf. 94-IV-IO, BeckRS 2011, 142008; offengelassen von BVerfGE 1371 345 [349] – BeckRS 2014, 59296 = Rn. 18; Beschl. v. vom 04.11.2013 – 1 BvR 1623/11, BeckRS 2013, 59933  Rn. 1 und vom 04.12.2013- 1 BvR 1751/12, BeckRS 2013, 59935 Rn. 1.)

Danach ist der Verfassungsgerichtshof nicht befugt den von ihm festgesetzten Gegenstandswert zu ändern. Eine grobe Verletzung von Verfahrensgrundrechten liegt ersichtlich nicht vor und wird von dem Beschwerdeführer auch nicht geltend gemacht,

Bei der Festsetzung des Gegenstandswertes hat der Verfassungsgerichtshof sich von den Grundsätzen des § 14 RVG leiten lassen. Es sind alle Umstände zu berücksichtigen, vor allem der Umfang und die Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, die Bedeutung der Angelegenheit sowie die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers. Der Gegenstandswert richtet sich  vorrangig nach der Bedeutung, welche der Beschwerdeführer – also der Auftraggeber – der Sache beimisst; denn das Entgelt, das er bereit ist oder jedenfalls bereit sein sollte, seinem Verfahrensbevollmächtigten zu zahlen, richtet sich naturgemäß danach, was ihm selbst die Sache „wert“ ist (vgl. BVerfGE 79, 305 <366 f.>),  Hinsichtlich des finanziellen Interesses des Auftraggebers ergibt sich lediglich die Höhe des Bußgeldes als Anhaltspunkt. Diese geringe Höhe kann allerdings nicht allein ausschlaggebend sein. Im Hinblick auf den Umfang der anwaltlichen Tätigkeit war eine Erhöhung des Mindestwertes angemessen. Maßstab kann allerdings nicht der Gegenstandswert sein, der üblicherweise vom Bundesverfassungsgericht angenommen wird. Der Verfassungsgerichtshof hat daher in Abwägung des Interesses des Beschwerdeführers und des Umfangs der anwaltlichen Tätigkeit den Gegenstandswert auf 7.500 € bemessen und sieht zu einer Änderung auch inhaltlich keinen Anlass.“

Die Entscheidung bringt – anders als das Urteil vom 05.07.2019 – nichts Neues. Sie fasst aber die Rechtsprechung der Verfassungsgerichte zu den Rechtsmitteln gegen eine Gegenstandswertfestsetzung im verfassungsgerichtlichen Verfahren zutreffend zusammen. Nicht ganz nachvollziehbar ist, warum der VerfGH nicht von Regelgegenstandswert des BVerfG ausgegangen ist, der bei 25.000 EUR liegt (BVerfG RVGreport 2017, 352).