Archiv für den Monat: Oktober 2018

Ausschluss des Angeklagten von der Hauptverhandlung, oder: Ohne Beschluss geht das nicht

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Urhber: Hichhich – Eigenes Werk

Und als letzte Entscheidung dann noch der BGH, Beschl. v. 21.08.2018 – 2 StR 172/18. Der in einem Verfahren wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes ergangene Beschluss enthält nichts bahnbrechend Neues, ruft aber noch einmal eine Frage in Zusammenhnag mit § 247 StPO – Ausschluss des Angeklagten von der Hauptverhandlung – ins Gedächtnis.

In der Hauptverhandlung war auf Antrag des Nebenklagevertreters die Öffentlichkeit für die Dauer der Vernehmung der Nebenklägerin, dem Opfer der verfahrensgegenständlichen Taten, ausgeschlossen worden. Ein Beschluss über den Ausschluss des Angeklagten wurde nicht gefasst. Die Vernehmung der Zeugin fand unter Ausschluss der Öffentlichkeit und in Abwesenheit des Angeklagten statt. Dazu der BGH: Das geht nicht.

„2. Die Verfahrensrüge ist zulässig erhoben (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO).

a) Entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts bedurfte es keiner Ausführungen zum Aussageinhalt der in Abwesenheit des Angeklagten durchgeführten Vernehmung der Nebenklägerin. Bei der Vernehmung der Opferzeugin als zentraler Belastungszeugin bedarf es – selbst im Falle ihrer wiederholten Vernehmung – keiner Darlegungen zum wesentlichen Aussageinhalt (vgl. BGH, Beschluss vom 11. März 2014 – 1 StR 711/13, NStZ 2014, 532, 533; Beschluss vom 23. September 2014 – 4 StR 302/14, NStZ 2015, 104, 105). Anderes folgt auch nicht – wie der Generalbundesanwalt meint – aus dem Umstand, dass das Landgericht das Verfahren im Hinblick auf die dem Angeklagten zur Last liegenden Tatvorwürfe des sexuellen Missbrauchs zum Nachteil des Bruders der Zeugin gemäß 154 Abs. 2 StPO eingestellt hat. § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO verpflichtet auch in einer solchen Verfahrenskonstellation nicht zu der (pauschalen) Mitteilung, dass die in Abwesenheit des Angeklagten erfolgte Vernehmung der Zeugin jedenfalls auch auf die später zur Verurteilung gelangten Fälle bezogen war (vgl. Senat, Beschluss vom 9. Mai 2018 – 2 StR 543/17). Im Übrigen entnimmt der Senat den Urteilsgründen, die er auf die zulässig erhobene Sachrüge zur Kenntnis zu nehmen hat, dass die Zeugin am 6. Dezember 2017 zu den sie selbst betreffenden Tatvorwürfen vernommen worden ist.

b) 344 Abs. 2 Satz 2 StPO verpflichtete auch nicht zu dem Vortrag, dass der Angeklagte den Sitzungssaal freiwillig verlassen und zuvor keine Einwände gegen den von dem Nebenklagevertreter gestellten Ausschließungsantrag erhoben hat.

Der zeitweise Ausschluss des Angeklagten ist stets durch förmlichen Gerichtsbeschluss anzuordnen, der zu begründen und zu verkünden ist. Ein Beschluss wird nicht entbehrlich, weil alle Verfahrensbeteiligten mit der Anordnung einverstanden sind (vgl. BGH, Beschluss vom 15. August 2001 – 3 StR 225/01, NStZ 2002, 44, 45). Soweit der 5. Strafsenat in seinem Urteil vom 30. August 2000 (5 StR 268/00, NStZ 2001, 48) erwogen hat, dass anderes in Fallkonstellationen gelten könnte, in denen die Voraussetzungen für eine Abwesenheitsverhandlung zweifelsfrei vorliegen und das Einverständnis des Angeklagten auf der Anerkennung dieser verfahrensrechtlich eindeutigen Situation beruht, könnte der Senat dem nicht folgen. Der Angeklagte kann nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, von der abzurücken kein Anlass besteht, nicht wirksam auf seine vom Gesetz vorgeschriebene Anwesenheit verzichten (BGH, Beschluss vom 15. August 2001 – 3 StR 225/01, NStZ 2002, 44, 45 – für den Fall einer fehlenden Begründung des Beschlusses; siehe auch Urteil vom 30. August 2000 – 5 StR 268/00, BGHR StPO § 247 Abwesenheit 22; Senat, Urteil vom 6. Dezember 1967 – 2 StR 616/67, BGHSt 22, 18, 20).

c) Anhaltspunkte für ein gezielt auf die vorsorgliche Schaffung eines Revisionsgrundes gerichtetes und dem Angeklagten zurechenbares Verhalten, das Anlass geben könnte, die Zulässigkeit der Rüge unter dem Gesichtspunkt arglistigen Verhaltens in Zweifel zu ziehen, sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.

3. Der absolute Revisionsgrund liegt vor. Der Beschwerdeführer war entgegen § 247 StPO von der Vernehmung der Zeugin ausgeschlossen, ohne dass dies durch einen durch den gesamten Spruchkörper gefassten und mit Gründen versehenen Beschluss angeordnet worden wäre (vgl. BGH, Beschluss vom 24. Juni 2014 – 3 StR 194/14, NStZ 2015, 103, 104; LR-StPO/Becker, 26. Aufl., § 247 Rn. 28). Ein begründeter Beschluss ist auch dann erforderlich, wenn alle Beteiligten einschließlich des Angeklagten mit seiner Entfernung einverstanden sind; die notwendige Anwesenheit des Angeklagten während wesentlicher Teile der Hauptverhandlung steht nicht zur Disposition der Verfahrensbeteiligten (BGH, Beschluss vom 6. Februar 1993 – 4 StR 35/91, NStZ 1991, 296; Beschluss vom 15. August 2001 – 3 StR 225/01, NStZ 2002, 44, 45).“

Wie gesagt: Nichts bahnbrechend Neues, aber interessant wegen der Ausführungen des BGH zu § 344 Abs. 2 StPO.

Seitenschneider beim Diebstahl, oder: Diebstahl mit Waffen?

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Bei der zweiten Entscheidung, die ich heute vorstelle, handelt es sich um das OLG Nürnberg, Urt. v. 15.10.2018 – 1 OLG 8 Ss 183/18 -, das mir der Kollege Franz aus Nürnberg übersandt hat. Es behandelt und entscheidet die Frage,ob ein von einem Angeklagten bei einem Diebstahl mitgeführter Seitenschneider als Waffe angesehen werden kann und der Angeklagte deshalb wegen Diebstahls mit Waffen zu verurteilen ist/war. Das LG hatte das abgelehnt, und zwar auf der Grundlage folgender Feststellungen:

„Am 11.11.2017 gegen 14.30 Uhr entwendete der Angeklagte in den Geschäftsräumen der Firma TK MAXX, pp. ein Paar Turnschuhe sowie eine Damenuhr im Gesamtwert von 54,98 E, um die Waren ohne zu bezahlen für sich zu behalten. Mittels eines mitgeführten Seitenschneiders entfernte der Angeklagte die Warensicherung von den Turnschuhen. Der Seitenschneider ist 73 Gramm schwer und hat eine Gesamtlänge von ca. 11,5 cm, wovon 8,5 cm auf die leicht gebogenen mit Gummigriffen überzogenen Griffe entfallen. Das eigentliche Schneidwerkzeug hat eine Klingenlänge von 14 mm. Aufgrund einer zwischen den Zangenschenkeln angebrachten Feder befinden sich diese Klingen stets im teilweise geöffneten Zustand (Spannweite ca. 1 cm). Werden die Zangenschenkel auseinander gedrückt, ergibt sich eine maximale Spannweite von 2 cm, zum Schließen der Klingen müssen die Zangenschenkel zusammen gedrückt werden. Im geöffneten Zustand sind die Klingen an der vorderen Spitze nicht abgerundet, wird der Seitenschneider in der Hand gehalten und dabei die Klingen geschlossen, bilden sie eine abgerundete Spitze.“

Das OLG sagt mit dem LG: Reicht nicht:

„Dem Angeklagten kann ein Diebstahl mit Waffen nicht zur Last gelegt werden.

1. Ein Diebstahl mit Waffen nach § 244 Abs. 1 Nr. la StGB setzt voraus, dass der Angeklagte ein gefährliches Werkzeug bei sich führt. Darunter versteht die h.M. ein Werkzeug, das generell geeignet ist, erhebliche Verletzungen des Opfers herbeizuführen, wobei die Gefährlichkeit ab-strakt-objektiv – also unabhängig von einer konkreten Verwendungsabsicht des Täters – zu bestimmen ist (BGHSt 52, 257; vgl. Fischer, StGB, 65. Aufl. § 244 Rn. 15 und Rn. 22).

Das Landgericht Nürnberg-Fürth hat in seinem Beschluss vom 11.12.2017 (Az.: 16 KLs 412 Js 64048/17) die Eigenschaft eines 13 cm langen und ca. 180 Gramm schweren Seitenschneiders mit einer Spannweite von maximal 2 cm und ca. 1,7 cm langen Schneidkanten als gefährliches Werkzeug verneint Es führt zur Begründung an:

„Dass dieser Seitenschneider dadurch objektiv geeignet wäre erhebliche Verletzungen eines Menschen herbeizuführen, kann nicht festgestellt werden. Eine solche Eignung des Seiten-schneiders bei einem Einsatz als Schlagwerkzeug, etwa durch Beeinträchtigung auch innerer Organe durch die Einwirkung stumpfer Gewalt, kann schon aufgrund seiner Größe und seines Gewichts sowie seiner Unhandlichkeit ausgeschlossen werden. Auch ist er bei Verwendung als Schneidwerkzeug aufgrund der kleinen, stumpfen Schneidkanten hierzu nicht geeignet. Ebenso wenig kann objektiv eine entsprechende Eignung des Seitenschneiders als Stichwerkzeug angenommen werden. Zwar ist nicht zu verkennen, dass die Zangenenden durchaus spitz sind, allerdings nur soweit sich die Zange in geöffnetem Zustand befindet. In diesem Zustand erscheint jedoch aufgrund der lockeren Verbindung der beiden Zangenschenkel und dem damit verbundenen Schlingern ein Zustechen nur schwer möglich.“

2.Die Strafkammer hat sich diesen überzeugenden Ausführungen angeschlossen und ebenfalls die Eigenschaft des Seitenschneiders als gefährliches Werkzeug verneint.

Auch der Senat schließt sich dieser Beurteilung an; unter revisionsrechtlichen Gesichtspunkten ist sie nicht zu beanstanden. Die Strafkammer hat die objektive Gefährlichkeit des Seitenschneiders unter allen relevanten Gesichtspunkten beleuchtet. Sie hatte sowohl die konkrete Beschaffenheit des Seitenschneiders (Gesamtgröße und Gesamtgewicht, Länge und Beschaffenheit der Schneidkanten und maximale Spannweite der Zangenschenkel) als auch dessen unterschiedliche Verwendungsmöglichkeiten als Schlag-, Schneid- und Stichwerkzeug im Blick. Die Strafkammer hat nachvollziehbar dargelegt, dass in keiner Alternative erhebliche Verletzungen herbeigeführt werden können.

Die Argumente der Staatsanwaltschaft führen zu keiner anderen Beurteilung. Taschenmesser mit einer feststehenden Klinge oder Schraubenzieher verfügen nämlich über eine über eine Schneidkante von lediglich 14 mm weit hinausgehende Stichlänge und liegen immer so gut in der Hand, dass der Täter mit ihnen sofort gezielt und mit Wucht auf sein Opfer einstechen kann, während beim Seitenschneider die Zangenschenkel zugleich vollständig geöffnet werden müssten – was unhandlich und zudem durch die maximale Spannweite der Zangenschenkel von nur 2 cm ohnehin stark eingeschränkt ist -, damit die Schneidkanten überhaupt wirkungsvoll zum Einsatz kommen können. Angesichts der konkreten Beschaffenheit des Seitenschneiders mit einer Gesamtgröße von lediglich 11,5 cm und mit einem Gesamtgewicht von gerade einmal 73 Gramm liegt es schließlich fern, von einer „robusten Ausführung“ bzw. von einer „Beschaffenheit aus schwerem Metall“ zu sprechen, mit der bei Schlägen auf den Kopf oder auf Knochen erhebliche Verletzungen herbeigeführt werden könnten.“

Sale/Preiskracher/Sonderverkauf, oder: Weihnachten steht vor der Tür

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Achtung!!. Dies ist ein reines Werbeposting. Das muss aber auch mal sein. Ich bitte um Nachsicht. also <<Werbemodus an>>

Hintergrund für diese Nachricht: Der ZAP-Verlag hat ab Anfang Oktober einen neuen Webauftritt. Die Eröffnung des neuen Online-Shops begleitet eine Vermarktungsaktionen betreffend sog. Mängelexemplare. Dabei handelt es sich um z.B. verschmutzte und beschädigte Exemplare aus Rücksendungen usw. Die Exemplare haben den vollständigen Inhalt, sie sind nur äußerlich ein wenig angegriffen. Und daher werden sie verbilligt/günstiger abgegeben.

Und auf diesen Sonderverkauf weise ich hin. Günstiger sind derzeit folgende Werke:

  • „Burhoff (Hrsg.), Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, 5. Aufl., 2018“, der „Klassiker“ im OWi-Verfahren.

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  • Verkehrsrechtspaket, bestehend aus „Burhoff (Hrsg.), Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, 5. Aufl., 2018““ und „Burhoff/Grün, Messungen im Straßenverkehr, 4. Aufl. 2017““.

Die beiden Bücher zusammen kosten regulär 199 EUR, Preis als Mängelexemplar: 149,90 EUR.

  • Burhoff/Grün, Messungen im Straßenverkehr, 4. Aufl., der Klassiker zu den Messverfahren.

Preis regulär 99,00 EUR, Preis als Mängelexemplar nur 69,90 EUR

  • Burhoff Paket 2, bestehend aus „Handbuch für die strafrechtliche Nachsorge“ und „Handbuch für die strafrechtlichen Rechtsmittel und Rechtsbehelfe, 2. Aufl.

Preis regulär 189,00 EUR, Preis als Mängelexemplar nur 132,00 EUR

Die beiden Bücher gibt es auch einzeln als Mängelexemplar.

  • RVG-Kommentar „Burhoff/Volpert, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 5. Aufl. 2017“,

Preis regulär: 129,00 EUR, Preis als Mängelexemplar 89,90 EUR

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Also, dann los 🙂 . Weihnachten steht vor der Tür.

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Öffentlichkeitsfahndung, oder: Computerbetrug reicht für Anordnung

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Heute dann mal kein Thementag, sondern „Kessel Buntes StPO/StGB“. Und in dem Kessel schwimmt zunächst der LG Bonn, Beschl. v. 02.08.2018 – 21 Qs 62/18. Er behandelt eine mit der Öffentlichkeitsfahndung (§ 131b Abs. 1 StPO) zusammenhängende Frage, und zwar geht es um die Verhältnismäßigkeit der Maßnahme.

Ergangen ist der Beschluss in einem Verfahren wegen (versuchten) Computerbetruges. Es ist einer 73-jährigen Geschädigten während ihres Krankenhausaufenthaltes – als sie gerade zu einer Untersuchung ihr Zimmer verlassen hatte – aus dem Nachttisch ihre Geldbörse entwendet worden, in welcher sich Ausweisdokumente (Personalausweis, B Krankenversicherungskarte), ca. 38,00 € Bargeld und eine EC-Karte der Q Bank F befanden. Kurze Zeit später versuchte dann eine bisher unbekannte männliche Person mit der EC-Karte der Geschädigten Bargeld an einem Geldautomaten einer Filiale der Q Bank F zu erlangen, welche videoüberwacht war. Die EC-Karte wurde nach mehrmaliger falscher PIN-Eingabe vom Automaten eingezogen, so dass die unbekannte Person kein Bargeld erlangte. Die Geschädigte zeigte den Vorfall am bei der Polizei an. Auf den von der Polizei angeforderten und von der Q Bank F zur Verfügung gestellten Videoaufnahmen des Bereichs vor dem genannten Geldautomaten ist der oben beschriebene Vorgang der versuchten Bargelderlangung der unbekannten Person am Geldautomaten zu sehen, wobei das Gesicht der betreffenden Person zu erkennen ist. Das AG hat die von der StA beantragte Maßnahme der Öffentlichkeitsfahndung zwecks Identitätsfeststellung des Beschuldigten durch Veröffentlichung der Videoaufnahmen der Q Bank F, welche den Beschuldigten zeigen, abgelehnt. Auf die Beschwerde der StA hat das LG die Maßnahme angeordnet:

„Nach diesen Maßstäben ist die beantragte Öffentlichkeitsfahndung gemäß § 131b Abs. 1 StPO anzuordnen.

Vorliegend geht es um den Diebstahl einer Geldbörse, in welcher sich Ausweisdokumente (Personalausweis, B Krankenversicherungskarte), ca. 38,00 € Bargeld und eine EC-Karte der Q Bank F befanden, und einen nachfolgend versuchten Computerbetrug unter Benutzung der entwendeten EC-Karte an einem Geldautomaten der Q Bank F. Damit geht es um die Erlangung einer Geldbörse (unbekannten Werts) und des Betrags von 38,00 €, des Weiteren um einen Versuch der Erlangung weiterer 500,00 € bis 1.000,00 € (da vermutlich solche Beträge das Maximum gewesen wären, die an einem Tag am Bankautomaten hätten abgehoben werden können angesichts üblicher Höchstbeträge der Banken) und um die weiteren Schäden, die der Geschädigten durch die Wiederbeschaffung des Personalausweises und der B-Karte entstanden sind bzw. entstehen werden. Die Tat richtete sich gegen eine 73-Jährige in einem Krankenhaus, also in einem geschützten Bereich, was eine gesteigerte Verwerflichkeit der Tat begründet, wie auch das Amtsgericht ausgeführt hat. Die Charakterisierung als wahrscheinliche Gelegenheitstat eines Einzelnen – und nicht als Serientat und/oder Bandentat teilt die Kammer angesichts der Umstände der Tat ebenfalls. Der Strafrahmen für den Diebstahl beträgt gemäß § 242 Abs. 1 StGB grundsätzlich Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe, ebenso wie derjenige gemäß § 263a Abs. 1 StGB (wobei hinsichtlich des Computerbetrugs hier eine Strafrahmenverschiebung nach §§ 22, 23, 49 StGB vorzunehmen sein dürfte).

In der Gesamtschau dieser Umstände ordnet die Kammer die in Rede stehenden Tat(en) dem Bereich der mittleren Kriminalität zu, insbesondere da potentiell – im Erfolgsfalle – ein relativ hoher Schaden von 500,00 bis 1.000,00 € hätte eintreten können, wenn der Computerbetrug Erfolg gehabt hätte, und weil die Entwendung der EC-Karte einer 73-jährigen Patientin aus einem Krankenhauszimmer gesteigert verwerflich ist, auch unter Annahme einer Gelegenheitstat eines Einzelnen.

Die Kammer sieht auch durch Taten dieser Art den Rechtsfrieden als empfindlich gestört an. Der Diebstahl und Missbrauch von EC-Karten hat sich schon seit vielen Jahren zu einem ernsten (Massen-)Problem entwickelt, wobei insbesondere ältere Bürger im erhöhten Maße Opfer dieser Straftaten werden und (leider) einige ihre PIN-Nummer auch in der Geldbörse verwahren, wodurch leicht hohe Schäden entstehen können (auch wenn letzteres hier nicht der Fall war). Zudem gibt es inzwischen technische Möglichkeiten der Täter, auch ohne Kenntnis der PIN-Nummer Auszahlungen zu erreichen (auch dies war hier nicht der Fall). Eine Nichtdurchführung der Öffentlichkeitsfahndung in den Fällen des Computerbetrugs wäre jedenfalls geeignet, das Gefühl der Rechtssicherheit der Bevölkerung erheblich zu beeinträchtigen, weil dadurch der Eindruck erweckt wird, dass der jeweilige Täter nicht effektiv verfolgt werde. Die Öffentlichkeitsfahndung ist sehr oft der einzige vielversprechende Ansatz zur Ermittlung des Täters (wie auch hier der Fall ist). Es erscheint vor diesem Hintergrund auch in Ansehung des Persönlichkeitsrechts des Beschuldigten geboten, in der Regel – wenngleich weiterhin im Einzelfall zu prüfen – die Öffentlichkeitsfahndung bei Computerbetrug mit gestohlenen EC-Karten anzuordnen, auch aus präventiven Gründen. Wenn der Täter damit rechnen muss, dass sein Bild nach einer solchen Tat im Rahmen einer Öffentlichkeitsfahndung veröffentlicht werden wird – jede Bank verfügt heutzutage über Videokameras an ihren Geldautomaten -, werden zumindest einige Täter davon abgehalten, eine solche Tat zu begehen – sich bei der Abhebung zu maskieren wäre zwar möglich, würde aber auch auffällig sein. Zwar verfolgt die Regelung des § 131b StPO grundsätzlich keinen präventiven, sondern einen repressiven Zweck, aber im Rahmen der vorzunehmenden Güterabwägung – Strafverfolgungsinteresse einerseits und Persönlichkeitsrecht des Beschuldigten andererseits – sind auch die (anderweitig schützenswerten) Interessen der Allgemeinheit mit einzubeziehen, wie bereits das Bundesverfassungsgericht ausgeführt hat (vgl. BVerfG, aaO); ein solches ist u.A. das Interesse der Allgemeinheit an einer effektiven Abschreckung von Tätern solcher Delikte. Es ist auch zu berücksichtigen, dass die Fehlerwahrscheinlichkeit der Öffentlichkeitsfahndung in den Fällen des EC-Karten-Computerbetrugs vergleichsweise niedrig ist, also die Quote, in welchen ein Bild veröffentlicht wird, welches keinen Täter zeigt. Bei EC-Karten-Computerbetrug ist in aller Regel eindeutig, dass derjenige auf den Videoaufnahmen der Bank, welcher die – nach Angaben des jeweiligen Geschädigten entwendete oder anderweitig abhanden gekommene EC-Karte benutzt – der Täter jedenfalls des Computerbetrugs ist und mit hoher Wahrscheinlichkeit an der Vortat (meist Diebstahl) auch beteiligt war. Demgegenüber werden bei anderen Delikten, z.B. bei Mord, nicht selten auch Bilder veröffentlicht, bei denen sich später herausstellt, dass diese doch nicht den Täter gezeigt haben. Vor diesem Hintergrund erscheint der Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des Beschuldigten insgesamt als verhältnismäßig und gerechtfertigt.“

Eigenmacht, wenn der Angeklagte unvorhersehbar in der Türkei verhaftet wird?, oder: Peinlich

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Author David Benbennick

Und zum Schluss des Tages stelle ich dann noch den BGH, Beschl. v. 27.06.2018 – 1 StR 616/17 – vor.  Es geht um den Begriff der Eigenmacht i.S. des § 231 Abs. 2 StPO. Das LG Essen hat die Angeklagten R.E. und J.E. u.a. wegen Steuerhinterziehung verurteilt. Dagegen wenden sich die Angeklagten mit ihren Revisionen. Der Angeklagte R.E. hat mit der Verfahrensrüge einen Verstoß gegen § 338 Nr. 5 StPO i.V.m. § 230 StPO, die Angeklagte J.E. einen Verstoß gegen § 338 Nr. 8 StPO i.V.m. § 265 Abs. 4 StPO geltend gemacht. Beide Revisionen hatten Erfolg.

Zugrunde liegt dem Beschluss etwa folgendes Verfahrensgeschehen: In der Hauptverhandlung vom 20.6.2017 erschien der Angeklagte R.E. nicht, da er am 14.6.2017 in der Türkei in polizeilichen Gewahrsam genommen worden war. Er war in die türkische Provinz B. geflogen, um dort seine am 8.6.2017 in die Intensivstation eines Krankenhauses eingewiesene Mutter zu besuchen und wollte am 16.6.2017 und damit vor dem nächsten Verhandlungstermin nach Deutschland zurückkehren. Der Angeklagte war seit November 2011 mindestens 48-mal in die Türkei gereist. Auch seit 2015 hatte er sich mehrfach in der Türkei aufgehalten und war unbehelligt wieder ausgereist.

Das LG unterbrach die Hauptverhandlung und bestimmte einen Fortsetzungstermin auf den 22.6.2017, an dem der Angeklagte R.E. aufgrund seines noch andauernden Freiheitsentzugs nicht erscheinen konnte. Der türkische Rechtsanwalt des Angeklagten bestätigte telefonisch, dass der Angeklagte am 14.6.2017 in polizeilichen Gewahrsam genommen worden sei. Nach Verlesung verschiedener Vermerke über Gespräche mit Behörden, einer Reisewarnung des Auswärtigen Amtes für die Provinz B. sowie teilweiser Übersetzung des ärztlichen Befundes der Mutter durch den Dolmetscher entschied das LG, dass in Abwesenheit des Angeklagten R.E. weiter verhandelt werde (§ 231 Abs. 2 StPO). Der Angeklagte sei der Verhandlung eigenmächtig fern geblieben, da es für ihn vorhersehbar gewesen sei, dass er in der Türkei verhaftet werden könnte. Er sei im Jahr 1995 aus politischen Gründen nach Deutschland gekommen und habe einen Asylantrag gestellt. Aufgrund der politischen Lage insbesondere in der Provinz B. hätte er erkennen können, dass er sich einem Inhaftierungsrisiko aussetzen würde. Demgegenüber sei die Erkrankung seiner Mutter, die keinen lebensbedrohlichen Charakter habe, nicht geeignet, das Verhalten des Angeklagten zu rechtfertigen oder zu entschuldigen. Es lebten noch weitere elf Geschwister in der Türkei. Der Angeklagte habe seine Reisepläne dem Gericht auch nicht mitgeteilt. Eine Anwesenheit des Angeklagten sei auch nach dem Ermessen der Strafkammer nicht erforderlich, da die Beweisaufnahme weitgehend abgeschlossen sei und die Schlussvorträge kurz bevor stünden. Den im Anschluss an diese Entscheidung gestellten Antrag der Verteidigung, die Verhandlung auszusetzen, lehnte das LG ab. Im Verlauf der weiteren Hauptverhandlung verkündete es zudem mehrere ablehnende Beweisbeschlüsse und beschränkte die Strafverfolgung gegenüber beiden Angeklagten auf Antrag der Staatsanwaltschaft teilweise nach § 154a StPO.

Im Fortsetzungstermin vom 28.6.2017 hat das LG weitere Beweisanträge, auch einen erneuten Aussetzungsantrag des Angeklagten R.E.  sowie einen erstmaligen Antrag auf Aussetzung der Hauptverhandlung durch die Angeklagte J.E. abgelehnt. Die hatte im Hinblick auf ihren Aussetzungsantrag im Wesentlichen vorgetragen, sie sei in ihrer Verteidigung beschränkt, da nur der Angeklagte R.E. auf die ablehnenden Beweisbeschlüsse habe reagieren können, da sie keine Kenntnisse über die vom Angeklagten R.E. benannten Zeugen und deren Einschaltung als Subunternehmer auf der Baustelle in G. gehabt habe.

Hinsichtlich der Revision des Angeklagten R.E. ist der BGH von einem Verstoß gegen § 338 Nr. 5 StPO ausgegangen. Die Fortsetzung der Hauptverhandlung gegen den Angeklagten habe gegen § 230 Abs. 1, 231 Abs. 2 StPO verstoßen:

„Die Fortsetzung der Hauptverhandlung gegen den Angeklagten R. E. an den genannten Terminen verstößt gegen § 230 Abs. 1 StPO. Danach findet gegen einen ausgebliebenen Angeklagten eine Hauptverhandlung nicht statt, es sei denn, dies ist nach § 231 Abs. 2 StPO ausnahmsweise zulässig. Nach dieser Vorschrift darf eine unterbrochene Hauptverhandlung ohne den Angeklagten zu Ende geführt werden, wenn er eigenmächtig ferngeblieben ist, d.h. ohne Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgründe wissentlich seiner Anwesenheitspflicht nicht genügt (BGH, Beschluss vom 19. November 2009 – 4 StR 276/09, BGHR StPO § 231 Abs. 2 Abwesenheit, eigenmächtige 16 Rn. 5; Urteil vom 30. November 1990 – 2 StR 44/90, BGHSt 37, 249, 251).

Eigenmächtig einem Fortsetzungstermin fern bleibt auch der Angeklagte, der sich schon vor dem angesetzten Termin wissentlich und ohne Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgrund, d.h. ohne Not, in eine Lage begibt, die für ihn vorhersehbar mit dem erheblichen Risiko verbunden ist, zum angesetzten Termin an der Teilnahme der Hauptverhandlung gehindert zu sein. Dem eigenmächtigen Ausbleiben im Sinne von § 231 Abs. 2 StPO steht es deshalb gleich, dass sich ein Angeklagter nach der Vernehmung zur Sache – vorher gilt § 231a StPO – in einen seine Verhandlungsfähigkeit ausschließenden Zustand versetzt (BGH, Urteil vom 19. Februar 2002 – 1 StR 546/01, NStZ 2002, 533, 535 Rn. 14 mwN). Dem ist die Situation vergleichbar, dass ein Angeklagter während einer laufenden Hauptverhandlung in Deutschland im Ausland vorsätzlich eine Straftat von Gewicht begeht, bei deren Entdeckung er mit seiner Verhaftung rechnen muss, oder wenn ein in Deutschland vor Gericht stehender Angeklagter, der schon früher eine Straftat entsprechenden Gewichts im Ausland begangen hat, wegen der er – wie er weiß – auch mit seiner Verhaftung im Land des Tatorts rechnen muss, sich während des Laufs der gegen ihn gerichteten Hauptverhandlung ohne Not in jenes Land und dort in eine Situation mit hohem Verhaftungsrisiko begibt (BGH, Beschluss vom 7. November 2007 – 1 StR 275/07 Rn. 18, NStZ-RR 2008, 285).

Eine damit vergleichbare Situation hat der Angeklagte nach freibeweislicher Überprüfung (BGH, Beschluss vom 6. Juni 2001 – 2 StR 194/01, BGHR StPO § 338 Nr. 5 Angeklagter 24) nicht provoziert, da er nicht damit rechnen konnte, in der Türkei in Gewahrsam genommen bzw. verhaftet zu werden.

Der Angeklagte ist ausweislich seines Reisepasses seit 2011 insgesamt 48-mal in die Türkei ein- und wieder ausgereist. Es bestand daher für ihn kein Anlass, von einem möglichen Verhaftungsrisiko in der Türkei auszugehen. Dem steht auch nicht entgegen, dass der Angeklagte im Jahr 1995 in Deutschland aufgrund politischer Verfolgung Asyl erhalten hat und die politische Lage in der Türkei seit 2015 angespannt ist. Der Angeklagte war seit 2015 einige Male unbehelligt nach B. zu seiner Familie gereist und konnte daher davon ausgehen, dass sich an diesem Zustand auch 2017 nichts geändert hatte. Dafür, dass der Angeklagte sich während dieses oder eines früheren Aufenthalts in der Türkei strafbar gemacht haben könnte, fehlen jegliche Anhaltspunkte.

Der Angeklagte hatte auch einen gewichtigen Grund für die Reise. Seine Mutter war erkrankt und wurde in die Intensivstation eines Krankenhauses eingewiesen. Es mag zwar sein, dass sich herausgestellt hat, dass die Mutter tatsächlich nicht lebensbedrohlich erkrankt war. Es war dem Angeklagten jedoch nicht zuzumuten, erst zuzuwarten und dann möglicherweise nicht rechtzeitig im Krankenhaus erscheinen zu können. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass der Angeklagte elf Geschwister hat, die sich um die Mutter hätten kümmern können.

Der Angeklagte war nicht verpflichtet, dem Gericht seine Reisepläne mitzuteilen oder seine Personalpapiere auszuhändigen (§§ 125, 116 Abs. 1 Satz 2 StPO). Mithin durfte er sich an den verhandlungsfreien Tagen an jedem Ort aufhalten. Dabei ist es auch unerheblich, dass das Gericht darauf hingewiesen hatte, dass sich die Verteidigung auf die Schlussvorträge vorbereiten solle, zumal der Angeklagte geplant hatte, am 16. Juni 2017, also vier Tage vor dem nächsten Verhandlungstag, nach Deutschland zurückzukehren.“

Die Entscheidung ist m.E. zutreffend. Der Begriff der „Eigenmacht“ i.S. des § 231 Abs. 2 StPO setzt ein Verschulden bzw. voraus, dass man dem Angeklagten sein Ausbleiben vorwerfen kann. Beides ist hier beim Angeklagten R.E. nicht der Fall gewesen. In dem Zusammenhang ist der Hinweis der Strafkammer auf die 11 Geschwister des Angeklagten, die sich um die totkranke Mutter, die auf die Intensivstation eingewiesen worden war, hätten kümmern können, in meinen Augen nur peinlich. Hier sollte offenbar ein Verfahren mit aller Macht zu Ende gebracht werden. Entsprechendes gilt für die Ablehnung des Aussetzungsantrags der Angeklagten J.E. Auch insoweit merkt man deutlich, dass es der Strafkammer um eine Beendigung des Verfahrens „ohne Rücksicht auf Verluste“ gegangen is. Daher ist es zutreffend, wenn auch die Revision dieser Angeklagten Erfolg hatte.