Öffentlichkeitsfahndung, oder: Computerbetrug reicht für Anordnung

© dedMazay – Fotolia.com

Heute dann mal kein Thementag, sondern „Kessel Buntes StPO/StGB“. Und in dem Kessel schwimmt zunächst der LG Bonn, Beschl. v. 02.08.2018 – 21 Qs 62/18. Er behandelt eine mit der Öffentlichkeitsfahndung (§ 131b Abs. 1 StPO) zusammenhängende Frage, und zwar geht es um die Verhältnismäßigkeit der Maßnahme.

Ergangen ist der Beschluss in einem Verfahren wegen (versuchten) Computerbetruges. Es ist einer 73-jährigen Geschädigten während ihres Krankenhausaufenthaltes – als sie gerade zu einer Untersuchung ihr Zimmer verlassen hatte – aus dem Nachttisch ihre Geldbörse entwendet worden, in welcher sich Ausweisdokumente (Personalausweis, B Krankenversicherungskarte), ca. 38,00 € Bargeld und eine EC-Karte der Q Bank F befanden. Kurze Zeit später versuchte dann eine bisher unbekannte männliche Person mit der EC-Karte der Geschädigten Bargeld an einem Geldautomaten einer Filiale der Q Bank F zu erlangen, welche videoüberwacht war. Die EC-Karte wurde nach mehrmaliger falscher PIN-Eingabe vom Automaten eingezogen, so dass die unbekannte Person kein Bargeld erlangte. Die Geschädigte zeigte den Vorfall am bei der Polizei an. Auf den von der Polizei angeforderten und von der Q Bank F zur Verfügung gestellten Videoaufnahmen des Bereichs vor dem genannten Geldautomaten ist der oben beschriebene Vorgang der versuchten Bargelderlangung der unbekannten Person am Geldautomaten zu sehen, wobei das Gesicht der betreffenden Person zu erkennen ist. Das AG hat die von der StA beantragte Maßnahme der Öffentlichkeitsfahndung zwecks Identitätsfeststellung des Beschuldigten durch Veröffentlichung der Videoaufnahmen der Q Bank F, welche den Beschuldigten zeigen, abgelehnt. Auf die Beschwerde der StA hat das LG die Maßnahme angeordnet:

„Nach diesen Maßstäben ist die beantragte Öffentlichkeitsfahndung gemäß § 131b Abs. 1 StPO anzuordnen.

Vorliegend geht es um den Diebstahl einer Geldbörse, in welcher sich Ausweisdokumente (Personalausweis, B Krankenversicherungskarte), ca. 38,00 € Bargeld und eine EC-Karte der Q Bank F befanden, und einen nachfolgend versuchten Computerbetrug unter Benutzung der entwendeten EC-Karte an einem Geldautomaten der Q Bank F. Damit geht es um die Erlangung einer Geldbörse (unbekannten Werts) und des Betrags von 38,00 €, des Weiteren um einen Versuch der Erlangung weiterer 500,00 € bis 1.000,00 € (da vermutlich solche Beträge das Maximum gewesen wären, die an einem Tag am Bankautomaten hätten abgehoben werden können angesichts üblicher Höchstbeträge der Banken) und um die weiteren Schäden, die der Geschädigten durch die Wiederbeschaffung des Personalausweises und der B-Karte entstanden sind bzw. entstehen werden. Die Tat richtete sich gegen eine 73-Jährige in einem Krankenhaus, also in einem geschützten Bereich, was eine gesteigerte Verwerflichkeit der Tat begründet, wie auch das Amtsgericht ausgeführt hat. Die Charakterisierung als wahrscheinliche Gelegenheitstat eines Einzelnen – und nicht als Serientat und/oder Bandentat teilt die Kammer angesichts der Umstände der Tat ebenfalls. Der Strafrahmen für den Diebstahl beträgt gemäß § 242 Abs. 1 StGB grundsätzlich Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe, ebenso wie derjenige gemäß § 263a Abs. 1 StGB (wobei hinsichtlich des Computerbetrugs hier eine Strafrahmenverschiebung nach §§ 22, 23, 49 StGB vorzunehmen sein dürfte).

In der Gesamtschau dieser Umstände ordnet die Kammer die in Rede stehenden Tat(en) dem Bereich der mittleren Kriminalität zu, insbesondere da potentiell – im Erfolgsfalle – ein relativ hoher Schaden von 500,00 bis 1.000,00 € hätte eintreten können, wenn der Computerbetrug Erfolg gehabt hätte, und weil die Entwendung der EC-Karte einer 73-jährigen Patientin aus einem Krankenhauszimmer gesteigert verwerflich ist, auch unter Annahme einer Gelegenheitstat eines Einzelnen.

Die Kammer sieht auch durch Taten dieser Art den Rechtsfrieden als empfindlich gestört an. Der Diebstahl und Missbrauch von EC-Karten hat sich schon seit vielen Jahren zu einem ernsten (Massen-)Problem entwickelt, wobei insbesondere ältere Bürger im erhöhten Maße Opfer dieser Straftaten werden und (leider) einige ihre PIN-Nummer auch in der Geldbörse verwahren, wodurch leicht hohe Schäden entstehen können (auch wenn letzteres hier nicht der Fall war). Zudem gibt es inzwischen technische Möglichkeiten der Täter, auch ohne Kenntnis der PIN-Nummer Auszahlungen zu erreichen (auch dies war hier nicht der Fall). Eine Nichtdurchführung der Öffentlichkeitsfahndung in den Fällen des Computerbetrugs wäre jedenfalls geeignet, das Gefühl der Rechtssicherheit der Bevölkerung erheblich zu beeinträchtigen, weil dadurch der Eindruck erweckt wird, dass der jeweilige Täter nicht effektiv verfolgt werde. Die Öffentlichkeitsfahndung ist sehr oft der einzige vielversprechende Ansatz zur Ermittlung des Täters (wie auch hier der Fall ist). Es erscheint vor diesem Hintergrund auch in Ansehung des Persönlichkeitsrechts des Beschuldigten geboten, in der Regel – wenngleich weiterhin im Einzelfall zu prüfen – die Öffentlichkeitsfahndung bei Computerbetrug mit gestohlenen EC-Karten anzuordnen, auch aus präventiven Gründen. Wenn der Täter damit rechnen muss, dass sein Bild nach einer solchen Tat im Rahmen einer Öffentlichkeitsfahndung veröffentlicht werden wird – jede Bank verfügt heutzutage über Videokameras an ihren Geldautomaten -, werden zumindest einige Täter davon abgehalten, eine solche Tat zu begehen – sich bei der Abhebung zu maskieren wäre zwar möglich, würde aber auch auffällig sein. Zwar verfolgt die Regelung des § 131b StPO grundsätzlich keinen präventiven, sondern einen repressiven Zweck, aber im Rahmen der vorzunehmenden Güterabwägung – Strafverfolgungsinteresse einerseits und Persönlichkeitsrecht des Beschuldigten andererseits – sind auch die (anderweitig schützenswerten) Interessen der Allgemeinheit mit einzubeziehen, wie bereits das Bundesverfassungsgericht ausgeführt hat (vgl. BVerfG, aaO); ein solches ist u.A. das Interesse der Allgemeinheit an einer effektiven Abschreckung von Tätern solcher Delikte. Es ist auch zu berücksichtigen, dass die Fehlerwahrscheinlichkeit der Öffentlichkeitsfahndung in den Fällen des EC-Karten-Computerbetrugs vergleichsweise niedrig ist, also die Quote, in welchen ein Bild veröffentlicht wird, welches keinen Täter zeigt. Bei EC-Karten-Computerbetrug ist in aller Regel eindeutig, dass derjenige auf den Videoaufnahmen der Bank, welcher die – nach Angaben des jeweiligen Geschädigten entwendete oder anderweitig abhanden gekommene EC-Karte benutzt – der Täter jedenfalls des Computerbetrugs ist und mit hoher Wahrscheinlichkeit an der Vortat (meist Diebstahl) auch beteiligt war. Demgegenüber werden bei anderen Delikten, z.B. bei Mord, nicht selten auch Bilder veröffentlicht, bei denen sich später herausstellt, dass diese doch nicht den Täter gezeigt haben. Vor diesem Hintergrund erscheint der Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des Beschuldigten insgesamt als verhältnismäßig und gerechtfertigt.“

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert