Archiv für den Monat: August 2018

Verweisung auf eine günstigere Fachwerkstatt trotz Abrechnung auf Basis der regionalen Stundensätze zulässig?

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Bei der zweiten Entscheidung, die ich heute vorstelle, handelt es sich um das LG Düsseldorf, Urt. v. 17.05.2018 – 19 S 138/17. Thematik: Ist eine Verweisung auf eine günstigere Fachwerkstatt trotz Abrechnung auf Basis der regionalen Stundensätze möglich. Das LG bejaht die Frage:

„1. Die Klägerin hat keinen Anspruch gegen die Beklagte aus den §§ 7 Abs. 1, 17 StVG i.V.m. § 115 Abs. 1 Nr. 1 VVG, § 1 PfIVG auf die Zahlung weiterer 594,47 Euro fiktiver Reparaturkosten aufgrund des Unfallschadens vorn 27.03.2017. Denn die Beklagte durfte die Klägerin auf eine günstigere Reparaturmöglichkeit und die sich daraus ergebenden geringeren Stundenverrechnungssätze verweisen. Die entgegenstehende Rechtsauffassung des Amtsgerichts sowie verschiedener Instanzgerichte wird von der Kammer nicht geteilt.

Der Schädiger kann den Geschädigten gemäß § 254 Abs. 2 BGB auf eine günstigere Reparaturmöglichkeit in einer mühelos und ohne Weiteres zugänglichen „freien“ Fachwerkstatt verweisen, wenn er darlegt und beweist, dass eine Reparatur in dieser Werkstatt vom Qualitätsstandard her der Reparatur in einer markengebundenen Werkstatt entspricht und wenn er gegebenenfalls vom Geschädigten aufgezeigte Umstände widerlegt, die diesem eine Reparatur außerhalb einer markengebundenen Werkstatt unzumutbar machen würden (BGH, Urteil vom 07.02.2017, VI ZR 182/17, Rn. 7 — zitiert nach Juris).

Diese vom Bundesgerichtshof formulierten Voraussetzungen liegen vor. So hat die Beklagte die Klägerin auf eine günstigere Reparaturmöglichkeit verwiesen. Anhaltspunkte, dass diese nicht ohne Weiteres zugänglich ist oder die dortige Reparatur nicht dem Standard der Reparatur in einer markengebundenen Werkstatt entspricht, hat die Klägerin nicht vorgetragen; insbesondere hat sie die diesbezüglichen Behauptungen der Beklagten nicht bestritten.

Soweit das Amtsgericht der Auffassung ist, die Grundsätze der genannten Rechtsprechung seien auf den Fall, in dem der Geschädigte entsprechend den mittleren ortsüblichen Stundenverrechnungssätzen von Kraftfahrzeugbetrieben in der Region abrechne, nicht anwendbar, teilt die Kammer diese Rechtsauffassung nicht. Insbesondere wird der Grundsalz der Totalreparation nicht dadurch unterlaufen, dass einem Geschädigten, der seiner Abrechnung der fiktiven Reparaturkosten die durchschnittlichen Stundenverrechnungssätze sämtlicher repräsentativer Fachwerkstätten seines Wohnorts zugrunde legt, eine günstigere Reparaturalternative aufgezeigt wird, Denn der Durchschnittswert der Stundenverrechnungssätze ist ein rein statistischer Wert, der nichts über den konkreten Stundenverrechnungssatz der jeweiligen Autowerkstatt aussagt. Sofern indes eine günstigere Alternative vorliegt, die unterhalb des Durchschnittswertes rangiert, ist der Geschädigte im Rahmen seiner Schadensminderungspflicht gehalten, darauf zurückzugreifen unabhängig davon, wie hoch der rein statistische Durchschnittswert im Einzelnen ist. Es gibt keinen Rechtsgrundsatz, nach dem der Geschädigte nicht gehalten ist, sich auf ihm aufgezeigte Stundenverrechnungssätze einzulassen, nur weil sie sich unterhalb eines statistischen Rechenwertes bewegen.

Die vorstehenden Ausführungen gelten auch unter Berücksichtigung der weiteren Rechtsausführungen der Klägerin in dem Schriftsatz vom 03.05.2018. Die Beklagte war nach der Maßgabe der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht gehindert, die Klägerin auf eine günstigere Reparaturmöglichkeit zu verweisen, die die von der Klägerin gewählten Durchschnittssätze noch unterschritt.“

Falscher Angaben zum Unfallhergang, oder: Wer einmal lügt, der verliert den Versicherungsschutz

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Im „Kessel Buntes“ dann heute als erste Entscheidung der LG Münster, Beschl. v. 02.05.2018 – 15 S 13/17. Es geht um die Leistungsfreiheit wegen falscher Angaben zum Unfallhergang in der Vollkaskoversicherung.

Der Kläger hat die beklagte Versicherung im Rahmen einer Vollkaskoversicherung nach einem Leitplankenschaden als Versicherungsfall in Anspruch genommen. Außergerichtlich hat der Kläger behauptet, dass er wegen eines entgegenkommenden PKWs in letzter Sekunde nach rechts hätte ausweichen müssen und er wäre deswegen in die Leitplanke gefahren. Die Versicherung ging dagegen davon aus, dass der Kläger, wenn der Versicherungsfall sich denn überhaupt ereignet hat, diesen durch ein bewusstes Gegenlenken gegen die Leitplanke mit einem achsparallelen Anstoß herbeigeführt hat. Sie hat sich auf Leistungsfreiheit wegen einer arglistigen Obliegenheitsverletzung und darauf, dass nicht alle Schäden auf dem behaupteten Unfallereignis beruhen, berufen.

In der ersten Instanz hat das AG ein Sachverständigengutachten eingeholt, in dem der Sachverständige darauf hinwies, dass die vom Kläger verfolgten Schäden sich nicht mit dem behaupteten Unfallhergang in Erklärung bringen lassen. Vielmehr wäre es so, dass gerade kein steiler Winkel, wie bei einem typischen Ausweichmanöver, sondern ein auffallend achsparalleler Kontakt mit einem geringen Lenkwinkel stattgefunden habe und auch nicht alle Schäden dadurch hervorgerufen worden sein können. Das AG hat daraufhin die Klage abgewiesen. Der Kläger hat Berufung eingelegt und seinen Sachvortrag dahingehend ergänzt, dass die Schäden dann eben aus anderen Unfallereignissen während des Zeitraums der Kaskoversicherung entstanden sein müssten. Er erhebe in jedem Fall einen entsprechenden Leistungsanspruch.

Das LG hat im Beschluss vom 02.05.2018 angekündigt, die Berufung des Klägers gemäß § 522 ZPO zurückzuweisen und dazu u.a. ausgeführt:

„Ein solcher Verlauf ist vom Kläger indessen zu keiner Zeit geschildert worden. Er ist auch den allgemein gehaltenen Ausführungen im Rahmen des Schriftsatzes vom 17.10.2016, die Fahrbahn knicke an der Unfallstelle nach links ab, so dass es hier ausreiche, einfach das Lenkrad geradeaus zu belassen, um sich langsam der Leitplanke zu nähren, nicht zu entnehmen.

Das geht zu seinen Lasten.

Denn ob der Kläger, wie er mit der Berufung erstmals ausführt, möglicherweise im versicherten Zeitraum, aber an anderer Stelle und unter anderen Bedingungen mit dem Fahrzeug verunfallt ist, ist unerheblich. Gegenstand der vorliegenden Verfahrens und der Schadensanzeige ist nur der hier vorgetragene Unfall (vgl. auch OLG Hamm, Urteil vom 21. Januar 2005 — 20 U 228/03).

2. Im Übrigen steht dem Kläger auch deswegen kein Anspruch auf Gewährung einer Kaskoentschädigung zu, weil er in der Schadensanzeige gegenüber dem Beklagten falsche Angaben zum Unfallhergang gemacht hat und der Beklagte deshalb wegen vorsätzlicher Verletzung der vertraglichen Aufklärungsobliegenheit im Schadensfall iab Buchstabe E.8.1 AKB von ihrer Leistungspflicht gemäß § 28 Abs, 2 Satz 1 WG in vollem Umfang frei geworden ist.

Nach dem Ergebnis des eingeholten Sachverständigengutachtens steht fest, dass sich der klägerseits behauptete Fahrverlauf — willentliches Ausweichen nach rechts ­nicht mit den gesicherten Spuren in Einklang bringen lässt. Die objektiv unzutreffenden Angaben des Klägers betreffen den Kern des Unfallgeschehens und nicht nur eine weniger bedeutsame Einzelheit des Unfallhergangs. Denn es stellt einen erheblichen Unterschied für die Beurteilung der Unfallsituation dar, ob das Fahrzeug zur Vermeidung eines mit hoher Geschwindigkeit entgegenkommenden, die eigene Fahrbahn kreuzenden PKW willentlich in die Leitplanke gesteuert wird, oder ob sich in Wahrheit lediglich ein längsachsenparalleler Streifvorgang ereignet hat.

Der Kläger hat im Rahmen der ihm obliegenden sekundären Darlegungslast auch nicht vorgetragen, wie und weshalb es zu den objektiv falschen Angaben gekommen ist.

Schließlich begegnet die in der Schadensmeldung (BI. 108 d. GA) enthaltene Belehrung über den möglichen Verlust eines Anspruchs keinen Bedenken.

War der Beklagte bereits wegen der unzutreffenden Schilderung des Unfallhergangs leistungsfrei, kann es im Ergebnis offen bleiben, ob die Leistungsfreiheit auch auf das Verschweigen der durch den Sachverständigen festgestellten, deutlich erkennbaren Vorschäden — die nach den eigenen Angaben des Klägers bei Abschluss der Kaskoversicherung noch nicht vorlagen, also während seiner Besitzzeit entstanden sein sollen — gestützt werden kann.

Ich habe da mal eine Frage: Wie rechne ich denn nun meine Tätigkeiten betreffend Fahrverbot ab?

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Als Gebührenfrage/-rätsel greife ich heute die Frage eines Kollegen auf, die sich mit der Vollstreckung eines Fahrverbotes befasst. Der Kollege fragte:

Sehr geehrter Herr Kollege,Ich habe in einer Owi eine Paralellvollstreckung eines Fahrverbotes mit einer Entziehung wg BTM beantragt und bekommen. Selber Sachverhalt.

Zwei Fragen stellen sich.

1) musste ich das?

2) wie rechne ich das ab?

Vllt hat in Ihrem Blog einer ne Idee.

Mir war das so ein wenig knapp und ich habe nach etwas mehr Sachverhalt gefragt. Und der Kollege hat „nachgeliefert“:

„………

sorry, dass ich nicht ausführlicher war.

Ja, es gab eine Fahrt unter BTM und dort dann ein Owiverfahren. Gleichzeitig wurde die FE durch die Fahrerlaubnisbehörde entzogen.

Im Owiverfahren haben wir dann aus 500 Euro Bußgeld 250,00 Euro gemacht.

Nun bliebe ja das Fahrverbot zu vollstrecken, wenn der Mandant den Führerschein nach MPU wiederbekommt. Um dies zu vermeiden, habe ich eine Parallelvollstreckung mit dem „Entzug“ beantragt.

Musste ich das überhaupt, oder ist das VF mit der Entziehung per se abgegolten?

Und wie stelle ich das in Rechnung?“

Und als Hinweis: Es geht hier nur um den „Gebührenteil“ in der Fragestellung.

Abrechnung des Privatsachverständigen, oder: Die Sätze des JVEG passen nicht

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Bei der zweiten „Gebührenentscheidung“ handelt es sich um den LG Chemnitz, Beschl. v. 03.07.2018 – 2 Qs 241/18. Es geht auch um die Kosten und Auslagen nach Einstellung des Verfahrens, in diesem Beschluss geht es aber nicht um den „Kostengrund“, sondern um die Höhe der vom Betroffenen geltend gemachten Kosten eines von ihm eingeholten Sachverständigengutachten. Die waren wegen der Höhe gekürzt worden. Das LG sieht das anders:

„Diese Kürzung war auch nach Würdigung der Kammer nicht gerechtfertigt.

Hinsichtlich der Höhe der erstattungsfähigen Kosten war die Rechnung des Privatsachverständigen zu Grunde zu legen, da inhaltliche Einwendungen dagegen ausscheiden, nachdem dieses Grundlage für die Verfahrenseinstellung war. Der darin angesetzte Zeitaufwand erscheint der Kammer ebenso wie der Ansatz von Schreib- und Portokosten angemessen.

Auch den abgerechneten Stundensatz sieht die Kammer entgegen der Auffassung des Bezirksrevisorin als erstattungsfähig an. Die Erstattungsfähigkeit der Kosten eines Privatgutachtens kann sich nicht nach den Vergütungssätzen des JVEG richten. Auch eine entsprechende Anwendung des JVEG kommt nicht in Betracht, da nicht davon ausgegangen werden kann, dass es einem Betroffenen möglich ist, einen geeigneten Sachverständigen zu den im JVEG vorgesehenen Vergütungssätzen zu gewinnen [vgl. BGH, NJW 2007, 1532, 1533 und LG Wuppertal Beschl. v. 8.2.2018 — 26 Qs 214/17 (923 Js 323/16), BeckRS 2018, 2186, beck-on-line).

Da der abgerechnete Stundensatz der getroffenen Honorarvereinbarung zwischen dem Betroffenen und dem Privatsachverständigen entspricht und eine unangemessene Gebührenerhöhung nicht ersichtlich ist, sieht die Kammer die Notwendigkeit der über dem JVEG liegenden Kosten als ausreichend dargelegt an.“

Der LG Wuppertal Beschl. v. 8.2.2018 — 26 Qs 214/17 – steht auf der HP übrigens auch kostenfrei online.

Einstellung wegen Verjährung ==> Auslagen bei der Staatskasse, oder: Warum nicht gleich?

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Am „Gebührenfreitag“ weise ich heute auf zwei Entscheidungen hin, die sich mit der Erstattung von Kosten und Auslagen im Bußgeldverfahren befassen. Im LG Berlin, Beschl. v. 18.06.2018 – 538 Qs 65/18 – geht es zunächst um die Kostengrundentscheidung. Das AG Tiergarten hatte wegen Verjährung, also wegen eines Verfahrenshindernisses, eingestellt, dann aber davon abgesehen, die notwendigen Auslagen des Betroffenen der Landeskasse aufzuerlegen. Dagegen die sofortige Beschwerde, die Erfolg hatte:

„Die notwendigen Auslagen des Betroffenen sind hier entgegen der erstinstanzlichen Entscheidung gemäß § 467 Abs. 1 StPO der Landeskasse aufzuerlegen. Zwar kann das Gericht nach § 467 Abs. 3 S.2 Nr.2 StPO iVm § 46 Abs. 1 OWiG davon absehen, die notwendigen Auslagen des Betroffenen der Staatskasse aufzuerlegen, wenn der Betroffene nur wegen eines Verfahrenshindernisses nicht verurteilt wird. Bei der zu treffenden Ermessensentscheidung ist jedoch zu berücksichtigen, dass diese Vorschrift Ausnahmecharakter hat und in der Regel dann nicht anzuwenden ist, wenn das Verfahrenshindernis nicht erst im Lauf des Verfahrens eingetreten ist, sondern von vornherein und erkennbar der Einleitung des Verfahrens entgegenstand (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 467, Rn.16 mwN).

Vergleichbar ist der Fall hier. Der Bußgeldbescheid vom 9. Januar 2018 hat die Verfolgungsverjährung nicht unterbrochen, da er dem Betroffenen erst am 21. März 2018, mithin nach Eintritt der Verfolgungsverjährung, zugestellt wurde. Die von der Behörde vorgenommene Einstellung des Verfahrens nach § 33 Abs. 1 Nr.5 OWiG entfaltete keine Unterbrechungswirkung, da der Betroffene tatsächlich nicht abwesend war, sondern die Behörde aufgrund einer von ihr im Bußgeldbescheid versehentlich falsch notierten Anschrift irrtümlich von einer Abwesenheit des Betroffenen ausging.

Vor diesem Hintergrund erscheint die Belastung des Betroffenen mit den nach Eintritt der Verjährung entstandenen notwendigen Auslagen nicht angemessen.“

Warum nicht gleich so?