Archiv für den Monat: August 2018

Wochenspiegel für die 32.KW., das war Selbstverteidigung, Holocaust und Meinungsfreiheit, lauter Sex im Balkon-Whirlpool, Bordellbesuch mit Blüten

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Und hier dann als erstes Sonntagsposting der Wochenspiegel für die 32.KW. mit Hinweisen auf folgende Beiträge:

  1. Keine Selbstverteidigung durch Verteidiger,
  2. Mit Fahrrad 30 Minuten Straße gesperrt und „Verkehrsrassisten“ behindert: LG Münster zur Strafbarkeit eines „Verkehrsaktivisten“,

  3. Wieviel Zeit muss zwischen Ladung und Verhandlung liegen?
  4. Warum die niedrigen Strafen ziseliert und die hohen Strafen so grob sind – it’s all about math,

  5. IT-Strafrecht: BGH stärkt Bedeutung von Sachverständigen,

  6. Zu lauter Sex im Balkon-Whirlpool kann den Job kosten,

  7. Holocaust, Meinungsfreiheit und Sonderrechtsverbot – BVerfG erklärt § 130 III StGB für verfassungsgemäß,

  8. Früherer Nationaltorwart muss Sammelkarte mit Foto dulden,

  9. Bordellbesuch mit Blüten finanziert,
  10. und dann waren da noch: 184 geniale Satzanfänge, mit denen sich deine Studienarbeit (fast) von allein schreibt,

 

Entfernen vom Unfallort als Obliegenheitsverletzung, oder: Wie lange muss ich warten?

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Urheber Ulfbastel

Im OLG Dresden, Urt. v. 17.04.2018 – 6 U 1480/17 – geht es dann (noch einmal) um die Aufklärungsobliegenheit in der Kfz-Versicherung. Der Kläger und sein Versicherer haben u.a. darum gestritten, ob der Kläger nach einem Verkehrunfall lange genug gewartet hatte oder, ob er sich zu fürh (unerlaubt) vom Unfallort entfernt und damit eine Obliegenheitsverletzung begangen hat, die zur Leistungsfreiheit des Versicherers geführt hat.

Das OLG führt, nachdem es zur Wirksamkeit entsprechender Klauseln im Versicherungsvertrag Stellung genommen hat, zur Wartepflicht aus:

„b) Der Senat geht davon aus, dass der Kläger unter Zugrundelegung seiner unbestritten gebliebenen Angabe in der Berufungsverhandlung, wonach er etwa 10 Minuten am Unfallort verblieben sei, bevor er mit dem Fahrzeug zu seinem nahe gelegenen Grundstück gefahren sei, eine nach den Umständen angemessene Zeit i.S.d. § 142 Abs. 1 Nr. 2 gewartet hat, ohne dass jemand bereit war, die Feststellungen zu treffen. Damit ist der Straftatbestand des § 142 Abs. 1 StGB nicht verwirklicht.

Welche Wartezeit angemessen ist, hängt von verschiedenen Faktoren ab. Auszugehen ist von dem Zweck der Wartepflicht, die darin besteht, feststellungsbereiten Personen, die erst nachträglich an den Unfallort gelangen, die Anwesenheit des Unfallbeteiligten für einen bestimmten Zeitraum zu erhalten. Maßgeblich ist die aus objektiver Sicht zu treffende Prognose, ob mit dem alsbaldigen Eintreffen feststellungsbereiter Personen zu rechnen ist. Die Wahrscheinlichkeit dafür ist um so geringer, je weniger befahren die Straße und erkennbar der Unfall ist. Insoweit spielen also Tageszeit, Verkehrsdichte, Auffälligkeit des Unfalls und Höhe des Schadens eine Rolle. Zu berücksichtigen ist auch, dass bei einer eindeutigen Haftungslage von einem geringer ausgeprägten Feststellungsinteresse auszugehen ist (zum Ganzen: Fischer, StGB, 56. Aufl., § 142 Rdn. 35 f.; MünchKomm, StGB, § 142 Rdn. 76 ff.).

Diese Kriterien sprechen hier für eine relativ kurze Wartezeit. Der Unfall ereignete sich am Morgen eines Samstags auf einer wenig befahrenen Straße. Die Haftungslage war mangels anderer Unfallbeteiligter eindeutig und der Fremdschaden an dem Geländer überschaubar. Gleichwohl war eine Mindestwartezeit von 10 Minuten einzuhalten (dazu MünchKomm, a.a.O., Rn. 87). Eine solche kommt stets zum Tragen, wenn der Unfall zumindest optisch (oder akustisch) wahrzunehmen war, wovon hier angesichts der deutlich sichtbaren Schäden am Geländer auszugehen ist Diesen Anforderungen ist der Kläger gerecht geworden.

c) Allerdings hat der Kläger den Straftatbestand des § 142 Abs. 2 Nr. 1 StGB objektiv und subjektiv verwirklicht, indem er dem Geschädigten die Feststellungen nach § 142 Abs. 1 StGB nicht unverzüglich nachträglich ermöglichte.

Eine nachträgliche Mitteilung ist unverzüglich i.S.d. § 142 Abs. 2 StGB, wenn sie noch den Zweck erfüllt, zugunsten des Geschädigten die zur Klärung der zivilrechtlichen Verantwortlichkeit erforderlichen Feststellungen treffen zu können. Verlässt jemand bei nächtlichen Unfällen und eindeutiger Haftungslage mangels Bereitstehens feststellungsbereiter Personen nach Ablauf einer angemessenen Wartefrist den Unfallort, ist die Nachholung der entsprechenden Mitteilung gegenüber dem Geschädigten bzw. der Polizei noch bis in die frühen Vormittagsstunden des darauffolgenden Tages als unverzüglich i.S.d. § 142 Abs. 2 Nr. 2 StGB anzusehen (vgl. BGH, Urteil vom 21.12.2012, IV ZR 97/11, Rdn. 22, juris). Nichts anderes hat zu gelten, wenn ein solcher Unfall – wie hier – in den Morgenstunden eines Wochenendtages passiert.

Im Hinblick auf die Mitteilung gegenüber dem Geschädigten oder der Polizei hat der Kläger die damit umrissene Frist für die Nachholung jedenfalls verstreichen lassen. Eine Mitteilung gegenüber dem Eigentümer des beschädigten Geländers war dem Kläger, wie er selbst dargelegt hat, nicht zeitnah möglich. Daher hätte ersatzweise die Polizei informiert werden müssen. Von dieser Möglichkeit hat der Kläger bis in die Mittagsstunden, als die Polizei ihn als Unfallverursacher bereits ermittelt hatte und ihn auf dem Gelände des Autohauses, zu dem das Unfallfahrzeug abgeschleppt worden war, angesprochen hat, keinen Gebrauch gemacht. Es ist auch davon auszugehen, dass der Kläger um die Pflicht zur unverzüglichen Benachrichtigung des Geschädigten oder der Polizei wusste und die Verletzung dieser Pflicht zumindest billigend in Kauf nahm, mithin vorsätzlich handelte. Seine Einlassung, zu keinem Zeitpunkt daran gedacht zu haben, eine Unfallflucht zu begehen, ist vor dem Hintergrund der unter Verkehrsteilnehmern allgemein bekannten Pflichten von Unfallbeteiligten als Schutzbehauptung zu werten….“

Wer „ausparkt“ muss auch die Gegenfahrbahn beachten, oder: „Anderer Verkehrsteilnehmer“

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Urheber Marcel Heller at de.wikipedia

Wer ist „anderer Verkehrsteilnehmer“? Um diesen Begriff, der in Zusammenhnag mit den §§ 9, 10 StVO in der Praxis immer wieder eine Rolle spielt, gibt es immer wieder Diskussionen. Ein wenig mehr Licht hat jetzt vor kurzem das BGH, Urt. v. 15.05.2018 – VI ZR 231/17 – gebracht.

Zugrunde lag der Entscheidung folgender Sachverhalt: Die Klägerin hatte ihren Pkw vorwärts auf einem rechtwinkelig zur Fahrbahn angeordneten Parkplatz geparkt. Der Beklagte hatte sein Fahrzeug am gegenüberliegenden Fahrbahnrand entgegen der Fahrtrichtung abgestellt. Vor seinem Fahrzeug stand ein weiteres Fahrzeug. Die Klägerin parkte rückwärts in einem Linksbogen aus und wollte auf der Gegenfahrbahn in Fahrtrichtung weiterfahren. Dabei kollidierte sie mit dem Pkw des Beklagten,  der ebenfalls rückwärts ausparkte. Zum Zeitpunkt des Zusammenstoßes befand sich das Fahrzeug des Beklagten noch in Rückwärtsbewegung.

Die Haftpflichtversicherung des Beklagten hat den Schaden der Klägerin auf der Grundlage einer Haftungsquote von 1/3 zu 2/3  zu Lasten der Klägerin reguliert. Mit ihrer Klage machte die Klägerin die restlichen 2/3 geltend. Das Ag ist von einer Haftungsquote von 50 % ausgegangen. Dabei ist es auch nach Berufung und Revision vor dem BGH geblieben:

„a) Frei von Rechtsfehlern hat das Berufungsgericht auch der Klägerin im Verhältnis zum Beklagten zu 2 einen Verstoß gegen § 9 Abs. 5 , § 10 Satz 1 StVO zur Last gelegt. Nach § 9 Abs. 5 StVO hat sich der Führer eines Fahrzeugs beim Rückwärtsfahren, nach § 10 Satz 1 StVO derjenige, der von einem Straßenteil – hier einem Parkplatz – auf die Fahrbahn einfährt, so zu verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist. „Anderer Verkehrsteilnehmer“ ist jede Person, die sich selbst verkehrserheblich verhält, d.h. körperlich und unmittelbar auf den Ablauf eines Verkehrsvorgangs einwirkt (vgl. BGH, Beschluss vom 25. November 1959 – 4 StR 424/59 , BGHSt 14, 24, 27 zu § 1 StVO ; König in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 44. Aufl., § 1 StVO Rn. 17 mwN). Darunter fällt zwar „primär“ ( Senatsurteil vom 15. Dezember 2015 – VI ZR 6/15 , NJW 2016, 1098 Rn. 11) und „insbesondere“ ( BGH, Urteil vom 25. April 1985 – III ZR 53/84 , NJW-RR 1986, 189, 190), aber nicht nur der fließende Durchgangsverkehr auf der Straße, sondern jedenfalls auch derjenige, der – wie hier der Beklagte zu 2 – auf der anderen Straßenseite selbst ein Fahrmanöver durchführt, um vom Fahrbahnrand anzufahren (vgl. OLG Karlsruhe, NJW-RR 2016, 352 [OLG Karlsruhe 08.10.2015 – 9 U 64/14] Rn. 15; LG Heidelberg, NJW-RR 2016, 1431, 1432 [LG Heidelberg 27.07.2016 – 1 S 6/16] ; König, aaO, § 10 StVO Rn. 4, 10; Scholten in Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 2016, § 10 StVO Rn. 50).

Soweit ein Teil der instanzgerichtlichen Rechtsprechung (OLG Hamm, VRS 45, 461; OLG Celle, VersR 1964, 249 [OLG Celle 28.10.1963 – 5 U 99/63] [zu § 17 StVO aF]; LG Hamburg, Urteil vom 17. November 2017 – 306 S 1/17, juris Rn. 12; LG Saarbrücken, Urteil vom 10. Dezember 2010 – 13 S 80/10, juris Rn. 7 f.) sowie der Literatur (Burmann in Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke, Straßenverkehrsrecht, 25. Aufl., § 10 StVO Rn. 2) das Bestehen der besonderen Sorgfaltspflichten aus § 9 Abs. 5 , § 10 Satz 1 StVO allein gegenüber dem fließenden Verkehr annimmt, weil allein im Verhältnis zu diesem wegen der dort typischerweise bestehenden höheren Geschwindigkeiten eine besondere Gefahrensituation bestehe, ist diese Auffassung mit dem Wortlaut der genannten Normen nicht vereinbar, nach dem unterschiedslos die Gefährdung „anderer Verkehrsteilnehmer“ auszuschließen ist. Entsprechend ist in Rechtsprechung und Literatur im Grundsatz anerkannt, dass die besonderen Sorgfaltspflichten der § 9 Abs. 5 , § 10 Satz 1 StVO auch gegenüber Fußgängern Platz greifen (OLG Düsseldorf, VRS 54, 298; KG, VM 1986, 86; König, aaO, § 10 StVO Rn. 4; Burmann, aaO, § 10 StVO Rn. 2; Scholten, aaO, § 10 StVO Rn. 46; Bender in MüKoStVR, § 10 StVO Rn. 6; Müller in Bachmeier/Müller/Rebler, Verkehrsrecht, Stand August 2015, § 10 StVO Rn. 4; Greger in Greger/Zwickel, Haftungsrecht des Straßenverkehrs, 5. Aufl., § 14 Rn. 220; einschränkend gegenüber dem in der Fahrzeugtür des parkenden Autos stehenden oder am Fahrbahnrand wartenden Fußgänger KG,VRS 107, 96; OLG Hamm, NZV 1995, 72, 73). Nichts anderes kann im Verhältnis zu – wenngleich gegebenenfalls langsam – anderen auf die Straße einfahrenden oder am Straßenrand anfahrenden Kraftfahrzeugen gelten.

b) Der danach der Klägerin zur Last fallende Verstoß gegen die besonderen Sorgfaltspflichten der § 9 Abs. 5 , § 10 Satz 1 StVO entfällt auch nicht ausnahmsweise deshalb, weil diese mit dem atypischen groben Verkehrsverstoß des Beklagten zu 2 (Rückwärtsfahren des gegen die Fahrtrichtung parkenden Fahrzeugs über zehn Meter) nicht hätte rechnen müssen (vgl. hierzu KG,VRS 60, 382; OLG Oldenburg, NZV 1992, 487, 488). Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hatte die Klägerin den Beklagten zu 2 nämlich beim Einsteigen in sein Fahrzeug ebenso wahrgenommen wie den Umstand, dass dieser vor einer Weiterfahrt zunächst werde rückwärtsfahren müssen. Gleichwohl ist sie selbst rückwärts in dessen Fahrbahn eingekreuzt, wobei sie ihre Rückwärtsfahrt erst zur Hälfte beendet hatte, als der Beklagte zu 2 seinerseits rückwärts anfuhr.

c) Nichts anderes ergibt sich entgegen der Auffassung der Revision aus dem Umstand, dass die Klägerin ihre Rückwärtsfahrt zum Zeitpunkt der Kollision bereits beendet hatte und stand, als der Beklagte zu 2 rückwärts in sie hineinfuhr. Dabei kann offen bleiben, ob dies schon deshalb gilt, weil der am Fahrbahnrand anfahrende Beklagte zu 2 – anders als in der Situation auf einem Parkplatz – im Streitfall grundsätzlich darauf vertrauen durfte, dass sein Verkehrsfluss nicht durch ein rückwärtsfahrendes Fahrzeug gestört würde (vgl. hierzu Senatsurteile vom 11. Oktober 2016 – VI ZR 66/16 , aaO Rn. 10; vom 15. Dezember 2015 – VI ZR 6/15 , aaO Rn. 15). Jedenfalls aber scheidet die Annahme eines allein auf das noch nicht beendete Rückwärtsfahren des Beklagten zu 2 gestützten Anscheinsbeweises aus, weil die vorgenannten Besonderheiten des festgestellten gesamten Unfallgeschehens gegen eine Typizität zu Lasten des Beklagten zu 2 sprechen (vgl. Senatsurteil vom 15. Dezember 2015 – VI ZR 6/15 , aaO Rn. 14).

d) Etwas anderes ergäbe sich, worauf das Berufungsgericht zu Recht hinweist, im Streitfall im Übrigen auch nicht nach dem subsidiär anwendbaren allgemeinen Rücksichtnahmegebot aus § 1 Abs. 2 StVO . Wären § 9 Abs. 5 , § 10 Satz 1 StVO auf die vorliegende Sachverhaltskonstellation nicht anwendbar, entfielen die daraus abzuleitenden besonderen Sorgfaltspflichten nämlich nicht nur für die Klägerin, sondern auch für den Beklagten zu 2. Die vom Berufungsgericht angenommene Gleichwertigkeit der Verursachungsbeiträge der beiden Unfallbeteiligten ergäbe sich somit lediglich in Anwendung eines anderen, für beide Seiten jedoch erneut gleichen Sorgfaltsmaßstabes.

e) Die Abwägung der festgestellten Verursachungsbeiträge sowie die darauf beruhende Festsetzung der konkreten Haftungsquote als solche ist Tatfrage und revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.“

Ich habe da mal eine Frage: Rücknahme des Strafbefehls …. auch zusätzliche Verfahrensgebühr?

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Die kürzesten Gebührenfragen sind die schönsten. Und daher nehme ich heute mal eine (kurze), die vor ein paar Tagen in der FB-Gruppe Strafverteidiger pp. gelaufen ist.

„Hallo!

Habe gerade einen Fall wie diesen hier abzurechnen. Müsste bei dem SV nicht auch die 4141 entstanden sein? Bin irritiert, dass die in dem verlinkten Fall nicht geltend gemacht wurde.

Vergütungsvereinbarung zu hoch, oder: Sittenwidrig?

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Die zweite gebührenrechtliche Entscheidung, die ich heute vorstelle, ist das KG, Urt. v. 08.06.2018 – 9 U 41/16. Es behandelt zunächst/vornehmlich die Frage nach dem Entfallen des anwaltlichen Vergütungsanspruchs nach Mandatskündigung auch bei erst nachträglich entdecktem Kündigungsgrund. Dazu sagt das KG:

„Auch ein nachgeschobener Kündigungsgrund, der im Zeitpunkt der Kündigung schon bestand, dem kündigenden Dienstberechtigten aber seinerzeit noch nicht bekannt war, kann eine Kündigung im Sinne der Vorschrift des § 628 Abs. 1 S. 2 BGB veranlasst haben.“

Jetzt lassen wir mal dahin gestellt, ob das so richtig ist. Mir geht es hier heute um den Teil der Entscheidung, der sich mit der Sittenwidrigkeit der vereinbarten Vergütung befasst.

„Die dieser Rechnung zugrundeliegende Honorarvereinbarung ist nicht gemäß § 138 Abs. 1 oder 2 BGB unwirksam. Eine Sittenwidrigkeit im Sinne dieser Vorschrift ist weder konkret vorgetragen noch sonst ersichtlich.

a) Unabhängig davon, dass die Beklagte verkennt, dass der Kläger seine außergerichtliche Tätigkeit vergütet haben will, er mithin ohne Honorarvereinbarung eine Geschäftsgebühr nach RVG VV 2300 verlangen kann (insgesamt 1,3 x 354,00 Euro zzgl. Postpauschale zzgl. MWSt. = 571,44 Euro) und die von ihm geltend gemachte Vergütung danach lediglich knapp dreimal so hoch ist, kann die Sittenwidrigkeit einer Honorarvereinbarung nicht allein aus einem Vergleich mit den gesetzlichen Gebühren hergeleitet werden.

Eine Vergütungsabrede ist nach ständiger Rechtsprechung gemäß § 138 Abs. 1 BGB nur dann sittenwidrig, wenn zwischen Leistung und Gegenleistung ein auffälliges Missverhältnis besteht und weitere Umstände hinzutreten, welche die Sittenwidrigkeit begründen, insbesondere etwa eine verwerfliche Gesinnung oder die Ausbeutung der schwierigen Lage oder Unerfahrenheit für das eigene unangemessene Gewinnstreben (BGH, Urteil vom 10. November 2016 – IX ZR 119/14 –, Rn. 17, juris). Für die Frage, ob ein Missverhältnis besteht, kommt es auf einen Vergleich zwischen dem objektiven Wert der beiderseitigen Leistungen zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses an. Entscheidend ist der Marktwert, also der marktübliche Preis. Daher muss der Mandant, der ein sittenwidrig überhöhtes Entgelt behauptet, zu dem Preis vortragen, welcher der vom Anwalt versprochenen Leistung üblicherweise im sonstigen Geschäftsverkehr zukommt. Die gesetzlichen Gebühren allein sind vielfach keine ausreichende Vergleichsgrundlage für ein den Schluss auf eine Sittenwidrigkeit ermöglichendes Missverhältnis, weil sie nicht in allen Fällen die marktangemessene, adäquate Vergütung für die aufgrund eines konkreten Mandats geschuldete Leistung des Anwalts abbilden sollen, sondern auf einer anderen Grundlage festgesetzt werden (BGH, a.a.O., Rn. 18 f., juris).

Danach reicht der Vortrag der Beklagten nicht aus, eine Sittenwidrigkeit der Honorarvereinbarung festzustellen. Hinzukommt, dass das Landgericht seine Entscheidung darauf gestützt hat, dass die subjektiven Tatbestandsmerkmale gemäß § 138 Abs. 2 BGB nicht vorgetragen sind. Selbst wenn man ein auffälliges Missverhältnis annehmen würde, fehlt die Darlegung dieser subjektiven Merkmale, zu denen die Beklagte nichts vorgetragen hat.

b) Soweit sich die Beklagte darauf berufen will, es liege ein besonders grobes Missverhältnis vor, aus dem auf die verwerfliche Gesinnung des Klägers geschlossen werden könne, gilt nichts anderes.

Bei einem besonders groben Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung spricht eine Vermutung für ein Handeln aus verwerflicher Gesinnung (vgl. BGH, Urteil vom 30. Mai 2000 – IX ZR 121/99, juris: 5-fache der gesetzlichen Vergütung). Liegt die Diskrepanz aber unterhalb der für das besonders grobe Missverhältnis anerkannten Grenze, liegt nur ein auffälliges Missverhältnis vor, das keine Vermutung für eine verwerfliche Gesinnung begründet (BGH, Urteil vom 10. November 2016 – IX ZR 119/14 –, Rn. 18, juris). Da die gesetzlichen Gebühren nicht in allen Fällen die marktangemessene, adäquate Vergütung für die aufgrund eines konkreten Mandats geschuldete Leistung des Anwalts abbilden (s.o.), genügt für sich genommen das mehrfache Überschreiten der gesetzlichen Gebühren noch nicht, um den Schluss auf ein auffälliges oder gar besonders grobes Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung im Sinne des § 138 BGB ziehen zu können (BGH, a.a.O., Rn. 19).

„Der Mandant, der geltend macht, die mit dem Anwalt getroffene Vergütungsvereinbarung sei sittenwidrig und daher nichtig, und sich hierzu auf ein auffälliges Missverhältnis zwischen der Leistung des Anwalts und dem vereinbarten Honorar beruft, muss also nicht nur dartun, dass die vereinbarte Vergütung die gesetzlichen Gebühren überschreitet, sondern zudem darlegen und beweisen, dass nach Umfang und Schwierigkeit der im Rahmen des konkreten Mandats geschuldeten anwaltlichen Tätigkeit objektiv nur eine geringere als die vereinbarte Vergütung marktangemessen ist. Erst wenn auf dieser Grundlage feststeht, dass die versprochene Vergütung das Honorar deutlich überschreitet, welches für die zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses nach dem konkreten Mandat im Gegenzug zu leistende anwaltliche Tätigkeit objektiv angemessen ist, liegt ein auffälliges Missverhältnis vor. Übersteigt sie das angemessene, adäquate Honorar in krasser Weise, liegt ein besonders grobes Missverhältnis vor, aus dem auf die verwerfliche Gesinnung des Rechtsanwalts geschlossen werden kann.” (BGH, Urteil vom 10. November 2016 – IX ZR 119/14 –, Rn. 21, juris) Dies hat die Beklagte nicht dargetan.“