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In der FB-Gruppe „Strafverteidiger“ ist vor ein paar Tagen die Frage diskutiert worden, welche Gebühren der Rechtsanwalt verdient, der dem Angeklagten im Erkenntnisverfahren bereits beigeordnet war und der nun für ihn noch im Verfahren der nachträglichen Gesamtstrafenbildung tätig geworden ist. Für mich eigentlich kein Problem: Es entsteht die Nr. 4204 VV RVG. Aber es gibt dazu ja auch den LG Bonn, Beschl. v. 23.3.2017 – 29 Qs 5/17, der das (unzutreffend) anders sieht. Und daher war es schön, dass der Kollegen Kuntzsch, Finsterwalde, eine von ihm erstrittene Entscheidung des LG Cottbus in die Diskussion bringen konnte, die es (zutreffend) anders macht als das LG Bonn.
Die Entscheidung habe ich mir besorgt und daher kann ich heute hier den LG Cottbus, 23 KLs 24/14 – Beschl. v. 20.04.2018 – vorstellen:
„Mit der in der Rechtsprechung wohl überwiegend vertretenen Auffassung geht die Kammer davon aus, dass die im Erkenntnisverfahren erfolgte Pflichtverteidigerbestellung über die Rechtskraft des Urteils hinaus auch in dem Verfahren der nachträglichen Gesamtstrafenbildung fortwirkt (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 60. Aufl., 2017, Rn. 33 m. N.).
Eine Verfahrensgebühr nach RVG VV Nr. 4301 ist daher, wie durch die Rechtspflegerin in ihrem Beschluss vom 11. Dezember 2017 zu Recht ausgeführt wurde, nicht einschlägig, da diese Gebühr nur dann entsteht, wenn der Rechtsanwalt lediglich für einzelne Tätigkeiten beauftragt ist, ohne das ihm sonst die Vertretung bzw. die Verteidigung übertragen wurde. Dies ist vorliegend jedoch nicht der Fall, da Rechtsanwalt Pp. hier als Pflichtverteidiger für das Strafverfahren beigeordnet wurde und auch tätig geworden ist. Eine Gebühr nach RVG VV Nr. 4301 ist durch den Verteidiger der Verurteilten im Übrigen auch gar nicht geltend gemacht worden.
Nach Auffassung der Kammer steht dem Rechtsanwalt jedoch die geltend gemachte Verfahrensgebühr nach RVG VV Nr. 4204 zu.
Zwar wird durch das Landgericht Bonn in der Entscheidung vom 23. März 2017, AZ: 29 Qs 5/17 (zit. nach juris), die Auffassung vertreten, im Verfahren betreffend die nachträgliche Gesamtstrafenbildung entstehe eine Gebühr nach RVG VV Nr. 4204 nicht. Diese Nummer sehe eine Verfahrensgebühr für „sonstige Verfahren in der Strafvollstreckung“ vor. Das Verfahren zur nachträglichen Bildung einer Gesamtstrafe sei aber, trotz seiner Stellung im 7. Buch der StPO, kein solches Verfahren in der Strafvollstreckung. Vielmehr handele es sich bei diesem Verfahren lediglich um einen Annex zum Erkenntnisverfahren, der nicht separat vergütet werde.
Diese Ansicht überzeugt jedoch nicht. Dafür, dass das Verfahren zur nachträglichen Bildung einer Gesamtstrafe ein Verfahren in der Strafvollstreckung ist, spricht bereits seine Stellung im 7. Buch der StPO. Der Gesetzgeber ist mithin davon ausgegangen, dass die Nachholung der unterlassenen Gesamtstrafenbildung nach § 55 StGB Teil des Vollstreckungsverfahrens ist. Die Tätigkeit des Verteidigers in diesem Verfahrensstadium ist nach Auffassung der Kammer auch zu vergüten, wobei insoweit RVG VV Nr. 4204 einschlägig ist. Die Gebühr RVG VV Nr. 4204 stellt einen Auffangtatbestand gegenüber der Gebühr nach RVG VV Nr. 4200 dar, die dem Rechtsanwalt in den dort gesondert aufgeführten Angelegenheiten eine höhere Gebühr gewährt. Voraussetzung für die Entstehung der Gebühr ist, dass der Rechtsanwalt als Vollverteidiger tätig wird, er also für das gesamte fragliche Verfahren mandatiert oder – wie hier – vom Gericht bestellt ist.
Die Annahme, die Tätigkeit des Verteidigers im Rahmen der nachträglichen Gesamtstrafenbildung sei nicht vergütungspflichtig, führt aus Sicht der Kammer zu einer ungerechtfertigten Benachteiligung des mandatierten oder zum Pflichtverteidiger bestellten Rechtsanwaltes. Denn der Rechtsanwalt muss sich in dem Verfahren zur Bildung einer nachträglichen Gesamtstrafe erneut mit dem – bereits abgeschlossenen – Ursprungsverfahren beschäftigen, wobei die nachträgliche Gesamtstrafenbildung nicht immer in einem unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit der Abschluss des Verfahrens stehen muss. Es bedarf also unter Umständen – anders als bei einer Gesamtstrafenbildung im Erkenntnisverfahren – einer gewissen Einarbeitungszeit. Außerdem muss sich der Rechtsanwalt erstmals mit den in anderen Verfahren verhängten Strafen befassen, die in die zu bildende nachträgliche Gesamtstrafe einbezogen werden sollen. Der Anwalt wird regelmäßig Akteneinsicht nehmen und die Sach- und Rechtslage gegebenenfalls nochmals mit dem Mandanten gesondert erörtern müssen. All dies rechtfertigt es aus Sicht der Kammer, dem Rechtsanwalt, der im Verfahren der nachträglichen Gesamtstrafenbildung tätig wird, beim Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen eine Gebühr nach RVG VV Nr. 4204 zuzusprechen (so auch Riedel/Sußbauer, RVG, 10. Aufl., 2015, Rn. 4 zu VV Nr. 4204; Stollenwerk, in: Schneider/Volpert/Fölsch, NK-GK, 2. Aufl., 2017, Rn. 11 zu VV RVG Nr. 4200 – 4207).
Vorliegend ist der Antrag der Staatsanwaltschaft auf Bildung einer nachträglichen Gesamtstrafe am 6. November 2015 beim Landgericht Cottbus eingegangen. Das Verfahren, in dem Rechtsanwalt Pp. als Pflichtverteidiger bestellt war, wurde am 10. September 2015 durch das Urteil der Kammer abgeschlossen. Der Verteidiger erhielt zum Antrag der Staatsanwaltschaft Gelegenheit zur Stellungnahme und äußerte sich mit Schriftsatz vom 1. Dezember 2015 dazu. Die geltend gemachte Gebühr nach VV RVG Nr. 4204 in Höhe von 132,00 Euro entsteht mit der ersten Tätigkeit und ist dem beigeordneten Rechtsanwalt aus der Staatskasse zu zahlen.“
Das LG hat die Beschwerde gegen seine Entscheidung zugelassen. Ob und wie es weiter gegangen ist, dazu nachher mehr.