Archiv für den Monat: August 2018

Ich habe da mal eine Frage: Kann man auf Gebühren verzichten und dann eine Vergütungsvereinbarung treffen?

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Recht frisch ist folgende (An)Frage:

„Sehr geehrter Herr Burhoff,

zunächst vielen Dank für die schnelle Reaktion. Uns wurde durch andere Rechtsanwälte angetragen, dass dort auf eine Gebühr verzichtet werde (bzw.  diese nicht  gegenüber der Staatskasse geltend gemacht werde) und hinsichtlich dieses Verfahrensabschnittes sodann eine Vergütungsvereinbarung getroffen würde. Wir haben dies aber bislang so noch nicht gehört (und auch nicht praktiziert)  und konnten hierüber auch keinerlei weitere Informationen finden. Zumal sich uns dann auch die Frage nach der Anrechnung gestellt hat.“

Ich gebe es mal weiter. Vielleicht hat ja jemand eine Idee 🙂 .

Nachträgliche Gesamtstrafenbildung II: Die Gebühren des Verteidigers, oder: Was macht das OLG?

Ich hatte vorhin den LG Cottbus, Beschl. v. 20.04.2018 – 23 KLs 24/14  – vorgestellt (dazu Nachträgliche Gesamtstrafenbildung I: Welche Gebühren verdient der Verteidiger des Erkenntnisverfahrens?). 

Ich denke, niemand ist überrascht, wenn er nun erfährt, dass der Vertreter der Staatskasse natürlich ins Rechstmittel gegangen ist und Beschwerde eingelegt hat. Alles andere wäre eine Überraschung gewesen. Aber: Das hat auch etwas Gutes. Denn nun liegt eine OLG-Entscheidung zu der Problematik vor, nämlich der OLG Brandenburg, Beschl. v. 05.07.2018 – 2 Ws 106/18. Und der sieht es genauso wie das LG Cottbus und ich. Sehr schön:

„Das Landgericht hat mit Recht die vom Pflichtverteidiger geltend gemachte Verfahrensgebühr gemäß RVG-VV Nr. 4204 für die Tätigkeit im Verfahren der nachträglichen Gesamtstrafenbildung als erstattungsfähig bewertet.

Das Verfahren der nachträglichen Gesamtstrafenbildung erfasst die Fälle, in denen die nach § 55 StGB grundsätzlich zwingend gebotene Gesamtstrafenbildung im Erkenntnisverfahren unterblieben ist (Meyer Goßner/Schmitt, 61, § 460 Rn. 1). Das Gesetz ordnet dieses Verfahren ausweislich der Stellung von § 460 StPO im 7. Buch, 1. Abschnitt, der Strafprozessordnung systematisch der „Strafvollstreckung“ zu, was es rechtfertigt, die für das Vollstreckungsverfahren geltende Vergütungsregelung heranzuziehen. Dies entspricht auch der herrschenden, in der Kommentarliteratur vertretenen Auffassung (BeckOK RVG, v. Seltmann/Knaudt, RVG VV 4204 Rn. 3; Stollenwerk in: Schneider/Volpert/Fölsch, Gesamtes Kostenrecht 2. Aufl. VV RVG Nr. 4200-4207 Rn. 11; Kremer in: Riedel/Sußbauer, Rechtsanwaltsvergütungsgesetz 10. Aufl. RVG [VV 4204] Rn. 4; Burhoff StRR 2010, 93). Die vom Landgericht Bonn hierzu vertretene abweichende Auffassung, die in dem dort zu Grunde liegenden Einzelfall auch nicht entscheidungserheblich geworden ist (Beschluss vom 13. März 2017 — 29 Qs 5/17, zitiert nach juris), vermag aus den von der Strafkammer in dem angefochtenen Beschluss zutreffend dargestellten Gründen nicht zu überzeugen.“

Das macht das Argumentieren in diesen Fällen sicherlich leichter.

Und: Das OLG bestätigt inzidenter auch, dass die Pflichtverteidigerbestellung aus dem Erkenntnisverfahren für das Verfahren der nachträglichen Gesamtstrafenbildung fortgilt. Wird häufig übersehen.

Nachträgliche Gesamtstrafenbildung I: Welche Gebühren verdient der Verteidiger des Erkenntnisverfahrens?t

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In der FB-Gruppe „Strafverteidiger“ ist vor ein paar Tagen die Frage diskutiert worden, welche Gebühren der Rechtsanwalt verdient, der dem Angeklagten im Erkenntnisverfahren bereits beigeordnet war und der nun für ihn noch im Verfahren der nachträglichen Gesamtstrafenbildung tätig geworden ist. Für mich eigentlich kein Problem: Es entsteht die Nr. 4204 VV RVG. Aber es gibt dazu ja auch den LG Bonn, Beschl. v. 23.3.2017 – 29 Qs 5/17, der das (unzutreffend) anders sieht. Und daher war es schön, dass der Kollegen Kuntzsch, Finsterwalde, eine von ihm erstrittene Entscheidung des LG Cottbus in die Diskussion bringen konnte, die es (zutreffend) anders macht als das LG Bonn.

Die Entscheidung habe ich mir besorgt und daher kann ich heute hier den LG Cottbus, 23 KLs 24/14 – Beschl. v. 20.04.2018 – vorstellen:

„Mit der in der Rechtsprechung wohl überwiegend vertretenen Auffassung geht die Kammer davon aus, dass die im Erkenntnisverfahren erfolgte Pflichtverteidigerbestellung über die Rechtskraft des Urteils hinaus auch in dem Verfahren der nachträglichen Gesamtstrafenbildung fortwirkt (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 60. Aufl., 2017, Rn. 33 m. N.).

Eine Verfahrensgebühr nach RVG VV Nr. 4301 ist daher, wie durch die Rechtspflegerin in ihrem Beschluss vom 11. Dezember 2017 zu Recht ausgeführt wurde, nicht einschlägig, da diese Gebühr nur dann entsteht, wenn der Rechtsanwalt lediglich für einzelne Tätigkeiten beauftragt ist, ohne das ihm sonst die Vertretung bzw. die Verteidigung übertragen wurde. Dies ist vorliegend jedoch nicht der Fall, da Rechtsanwalt Pp. hier als Pflichtverteidiger für das Strafverfahren beigeordnet wurde und auch tätig geworden ist. Eine Gebühr nach RVG VV Nr. 4301 ist durch den Verteidiger der Verurteilten im Übrigen auch gar nicht geltend gemacht worden.

Nach Auffassung der Kammer steht dem Rechtsanwalt jedoch die geltend gemachte Verfahrensgebühr nach RVG VV Nr. 4204 zu.

Zwar wird durch das Landgericht Bonn in der Entscheidung vom 23. März 2017, AZ: 29 Qs 5/17 (zit. nach juris), die Auffassung vertreten, im Verfahren betreffend die nachträgliche Gesamtstrafenbildung entstehe eine Gebühr nach RVG VV Nr. 4204 nicht. Diese Nummer sehe eine Verfahrensgebühr für „sonstige Verfahren in der Strafvollstreckung“ vor. Das Verfahren zur nachträglichen Bildung einer Gesamtstrafe sei aber, trotz seiner Stellung im 7. Buch der StPO, kein solches Verfahren in der Strafvollstreckung. Vielmehr handele es sich bei diesem Verfahren lediglich um einen Annex zum Erkenntnisverfahren, der nicht separat vergütet werde.

Diese Ansicht überzeugt jedoch nicht. Dafür, dass das Verfahren zur nachträglichen Bildung einer Gesamtstrafe ein Verfahren in der Strafvollstreckung ist, spricht bereits seine Stellung im 7. Buch der StPO. Der Gesetzgeber ist mithin davon ausgegangen, dass die Nachholung der unterlassenen Gesamtstrafenbildung nach § 55 StGB Teil des Vollstreckungsverfahrens ist. Die Tätigkeit des Verteidigers in diesem Verfahrensstadium ist nach Auffassung der Kammer auch zu vergüten, wobei insoweit RVG VV Nr. 4204 einschlägig ist. Die Gebühr RVG VV Nr. 4204 stellt einen Auffangtatbestand gegenüber der Gebühr nach RVG VV Nr. 4200 dar, die dem Rechtsanwalt in den dort gesondert aufgeführten Angelegenheiten eine höhere Gebühr gewährt. Voraussetzung für die Entstehung der Gebühr ist, dass der Rechtsanwalt als Vollverteidiger tätig wird, er also für das gesamte fragliche Verfahren mandatiert oder – wie hier – vom Gericht bestellt ist.

Die Annahme, die Tätigkeit des Verteidigers im Rahmen der nachträglichen Gesamtstrafenbildung sei nicht vergütungspflichtig, führt aus Sicht der Kammer zu einer ungerechtfertigten Benachteiligung des mandatierten oder zum Pflichtverteidiger bestellten Rechtsanwaltes. Denn der Rechtsanwalt muss sich in dem Verfahren zur Bildung einer nachträglichen Gesamtstrafe erneut mit dem – bereits abgeschlossenen – Ursprungsverfahren beschäftigen, wobei die nachträgliche Gesamtstrafenbildung nicht immer in einem unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit der Abschluss des Verfahrens stehen muss. Es bedarf also unter Umständen – anders als bei einer Gesamtstrafenbildung im Erkenntnisverfahren – einer gewissen Einarbeitungszeit. Außerdem muss sich der Rechtsanwalt erstmals mit den in anderen Verfahren verhängten Strafen befassen, die in die zu bildende nachträgliche Gesamtstrafe einbezogen werden sollen. Der Anwalt wird regelmäßig Akteneinsicht nehmen und die Sach- und Rechtslage gegebenenfalls nochmals mit dem Mandanten gesondert erörtern müssen. All dies rechtfertigt es aus Sicht der Kammer, dem Rechtsanwalt, der im Verfahren der nachträglichen Gesamtstrafenbildung tätig wird, beim Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen eine Gebühr nach RVG VV Nr. 4204 zuzusprechen (so auch Riedel/Sußbauer, RVG, 10. Aufl., 2015, Rn. 4 zu VV Nr. 4204; Stollenwerk, in: Schneider/Volpert/Fölsch, NK-GK, 2. Aufl., 2017, Rn. 11 zu VV RVG Nr. 4200 – 4207).

Vorliegend ist der Antrag der Staatsanwaltschaft auf Bildung einer nachträglichen Gesamtstrafe am 6. November 2015 beim Landgericht Cottbus eingegangen. Das Verfahren, in dem Rechtsanwalt Pp. als Pflichtverteidiger bestellt war, wurde am 10. September 2015 durch das Urteil der Kammer abgeschlossen. Der Verteidiger erhielt zum Antrag der Staatsanwaltschaft Gelegenheit zur Stellungnahme und äußerte sich mit Schriftsatz vom 1. Dezember 2015 dazu. Die geltend gemachte Gebühr nach VV RVG Nr. 4204 in Höhe von 132,00 Euro entsteht mit der ersten Tätigkeit und ist dem beigeordneten Rechtsanwalt aus der Staatskasse zu zahlen.“

Das LG hat die Beschwerde gegen seine Entscheidung zugelassen. Ob und wie es weiter gegangen ist, dazu nachher mehr.

Verfahrensrüge III: Urkunde nicht verlesen, oder/aber: Die Begründungsanforderungen sollte man kennen

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Und zum Schluss des Reigens „unzulässige Verfahrensrügen“ dann noch der BGH, Beschl. v. 14.08.2018 – 4 StR 637/17. Das ist allerdings ein Klassiker – Stichwort „Inbegriffsrüge“; die Begründungsanforderungen insoweit sollte man als Verteidiger kennen:

„Die Rüge, das Landgericht habe gegen § 244 Abs. 2 StPO verstoßen, weil es das ihr seit dem 15. Mai 2017 bekannte (nicht rechtskräftige) Urteil des Amtsgerichts Erlangen vom 16. August 2016 gegen den Zeugen D.    nicht verlesen habe, ist nicht zulässig erhoben (§ 344 Abs. 2 StPO), weil die Revision nicht mitteilt, ob der Inhalt dieses Urteils – gegebenenfalls auf Vorhalt – Gegenstand der Vernehmung dieses Zeugen am 30. Mai 2017 war. Hierzu bestand insbesondere deshalb Anlass, weil der Zeuge nach § 60 Nr. 2 StPO trotz eines entsprechenden Antrages nicht vereidigt wurde. Dies und Urkundenfälschungen des Zeugen betreffende Ausführungen im Urteil (UA 37 unten) deuten aber darauf hin, dass die Straftaten des Zeugen D.  zum Gegenstand der Hauptverhandlung gemacht worden sind. Die Mitteilung in der Revisionsbegründungsschrift (dort auf Seite 14 unter 3.), dass die Kammer das Urteil „weder vor noch nach der Vernehmung des Zeugen“ in die Hauptverhandlung eingeführt habe, reicht dafür nicht aus.“

Verfahrensrüge II: Terminsnachricht nicht erhalten, oder/aber: Offensichtlich unbegründet?

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Im zweiten Posting des Tages stelle ich den BGH, Beschl. v. 10.07.2018 – 1 StR 628/17 – vor. Es geht um die Revision eines Verfallsbeteiligten in einem Verfahren, in dem die Angeklaagten wegen Bestechlichkeit/Bestechung im geschäftlichen Verkehr  verurteilt worden sind.  Das LG hatte Landgericht festgestellt, dass die Verfallsbeteiligte Firma P. GmbH aus der Tat des Angeklagten D. einen Wert von 1.100.999 Euro und die Verfallsbeteiligte A. aus der Tat einen Wert von 1.060.000 Euro erlangt haben, wobei beide Verfallsbeteiligte in Höhe einer Summe von 1.060.000 Euro als Gesamtschuldner haften. Dagegen die Revision der Verfallsbeteiligten A., mit der sie u.a. die Verletzung formellen Rechts gerügt hatte. Der BGH hat die Revision nach § 349 Abs. 2 StPO verworfen. Er führt zur Verfahrensrüge aus:

„5. Die von der Beschwerdeführerin erhobene Verfahrensrüge, sie habe ihre prozessualen Rechte als Verfallsbeteiligte nicht wahrnehmen können, weil die Hauptverhandlung entgegen § 436 Abs. 1 StPO aF i.V.m. § 442 Abs. 1 StPO aF durchgeführt worden sei, obwohl ihr die Terminsnachricht nicht gemäß § 435 StPO aF zugestellt worden sei, ist bereits unzulässig.

a) Sie ist unzulässig, weil sie den Darlegungsanforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO nicht genügt. Die Revision teilt nicht mit, dass die Terminsmitteilung vom 31. Mai 2017 der Verfallsbeteiligten A. am 10. Juni 2017 mittels Einwurf in den Briefkasten durch Niederlegung mit Postzustellungsurkunde zugestellt worden ist (SA Bd. VII, Bl. 368 mit Anlage). Dieser Mitteilung hätte es bedurft, da die Verfallsbeteiligte aufgrund der zugestellten Terminsmitteilung in die Lage versetzt wurde, von ihren prozessualen Rechten im Rahmen der Hauptverhandlung Gebrauch zu machen.

Auf diesen Vortrag kann auch nicht deswegen verzichtet werden, weil die Terminsmitteilung erst nach dem zweiten Hauptverhandlungstag zugestellt werden konnte. Damit lagen zwar für die ersten beiden Hauptverhandlungstage die Voraussetzungen für ein Verhandeln ohne die Verfallsbeteiligte gemäß § 436 Abs. 1 StPO aF nicht vor, sodass das Landgericht die Hauptverhandlung an diesen beiden Tagen nicht ohne die Verfallsbeteiligte hätte durchführen dürfen (vgl. Metzger in KMR, StPO, 81. EL, § 435 Rn. 7 und Weßlau in SK-StPO, 4. Aufl., § 435 Rn. 3). Andererseits wird aber gemäß § 431 Abs. 7 StPO aF der Fortgang des Verfahrens durch die Verfahrensbeteiligung nicht aufgehalten. So hätte – wenn dies nicht bereits im Vorfeld geschehen wäre – die Nebenbeteiligung gemäß § 431 Abs. 4 i.V.m. § 442 Abs. 2 StPO aF auch erst während laufender Hauptverhandlung bis spätestens zum Zeitpunkt der Verfallsentscheidung angeordnet werden dürfen. Auch in diesem Fall wären dann die prozessualen Rechte des Nebenbeteiligten, sofern sie ohne Verschulden vorher nicht wahrgenommen werden konnten, im Rechtsmittelverfahren gemäß § 437 Abs. 1 StPO aF und im Übrigen im Nachverfahren gemäß § 439 StPO aF gewahrt. Entscheidend ist daher hier, ob die Verfallsbeteiligte ihre prozessualen Rechte noch in der Hauptverhandlung hätte geltend machen können. Die weiteren fünf Hauptverhandlungstage nach Zustellung der Terminsnachricht (20., 21., 26., 27. und 30. Juni 2017) hätten aber ausgereicht, um von den prozessualen Befugnissen als Verfallsbeteiligte Gebrauch zu machen. Denn der Grundsatz, dass der Fortgang des Verfahrens durch die Verfahrensbeteiligung nicht aufgehalten wird (§ 431 Abs. 7 StPO aF), kann im Einzelfall durch den Anspruch des Verfallsbeteiligten auf rechtliches Gehör eingeschränkt sein (vgl. Weßlau in SK-StPO, 4. Aufl., § 431 Rn. 27). Soweit zur Wahrung der prozessualen Rechte der Verfallsbeteiligten erforderlich, hätte das Landgericht deshalb etwa bereits gehörte Zeugen für einen der weiteren Hauptverhandlungstage ein weiteres Mal laden können, wenn die Verfallsbeteiligte nach der Terminsmitteilung noch Einwendungen erhoben oder Anträge gestellt hätte.“

Wenn ich mir den Beschluss des BGh so insgesamt ansehe, frage ich mich mal wieder: „OU-Verwerfung“ – jedenfalls führt der BGH in den Gründen § 349 Abs. 2 StPO an. Dann aber eine gut sechs Seiten lange Begründung. So „offensichtlich… “ kann die Unbegründetheit also nicht gewesen sein.