Archiv für den Monat: Juli 2018

OLG Hamm zur Akteneinsicht im Bußgeldverfahren, oder: Das haben wir immer schon so gemacht

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Inzwischen gibt es einen Beschluss des OLG Hamm zum Einsichtsrecht in Messunterlagen, der zeitlich nach dem VerfG Saarland, Beschl. v. 27.04.2018 – Lv 1/18 (vgl. dazu Paukenschlag beim (Akten)Einsichtsrecht, oder: Der Rechtsstaat lebt…) ergangen ist. Es ist der OLG Hamm, Beschl. v. 20.06.2018 – 4 RBs 163/18. Wer allerdings meint, dass sich das OLG zu den vom Verfg Saarland angesprochenen Fragen äußert, der sieht sich getäuscht. Nichts. Kein Wort des OLG. Noch nicht einmal ein verdikt, wie wir es aus Bamberg lesen durften (OLG Bamberg, Beschl. v. 13.06.2018 – 3 Ss OWi 626/18, vgl. dazu Antwort vom OLG Bamberg: Das VerfG Saarland hat keine Ahnung, oder: Von wegen der Rechtsstaat lebt).

Getreu dem Satz: „Das haben wir schon immer so gemacht“ heißt es im Beschluss:

„Zu ergänzen ist, dass der Anspruch des Betroffenen auf rechtliches Gehör im Rahmen eines gerichtlichen Verkehrsordnungswidrigkeitenverfahrens nicht dadurch verletzt wird, dass ihm die Rohmessdaten, die sich -wie hier- nicht in der Verfahrensakte, sondern bei der Verwaltungsbehörde befinden, nicht überlassen werden (vgl. OLG Bamberg, Beschlüsse vom 05.09.2016, Az. 3 Ss OWi 1050/16, und vom 04.04.2016, Az. 3 Ss OWi 1444/15; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 22.07.2015, Az. IV-2 RBs 63/15). Durch den Grundsatz des rechtlichen Gehörs soll garantiert werden, dass einer Entscheidung nur Tatsachen zugrunde gelegt werden, zu denen der Betroffene Stellung nehmen konnte; einen Anspruch auf Aktenerweiterung vermittelt der Anspruch auf rechtliches Gehör demgegenüber nicht. Da das Amtsgericht hier aber ausschließlich auf der Grundlage des in der Hauptverhandlung ausgebreiteten und abgehandelten Tatsachenstoffs entschieden und der Betroffene insoweit hinreichende Gelegenheit hatte, sich zu diesem Tatsachenstoff umfassend zu äußern, ist durch die Nichtüberlassung der Rohmessdaten und sonstiger Unterlagen, die das Gericht zu seiner Überzeugungsbildung gerade nicht herangezogen hat, ein Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör nicht gegeben.

Letztlich vermochte der Senat über die Sache zu entscheiden, ohne vorab die Sache – wie vom Verteidiger angeregt – dem Bundesgerichtshof gemäß § 121 GVG vorzulegen, da die Frage einer Gehörsverletzung bereits geklärt ist (vgl. OLG Bamberg, Beschluss vom 05.09.2016, Az. 3 Ss OWi 1050/16).“

Man fragt sich: Warum das Schweigen? Kannte das OLG Hamm den Beschluss aus dem Saarland nicht, was ich mir kaum vorstellen kann. Und wenn es stimmt, wäre das erschreckend. Aber vielleicht ist es ja einfacher zu schweigen als sich mit dem VerfG Saarland auseinander zu setzen. Das hat das OLG Bamberg zumindest getan, wenn auch in meinen Augen mit dem falschen Ergebnis

Rotlichtverstoß, es kommt auf die Sekunde an, oder: Messung mit Stoppuhr

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So, heute damm mal wieder ein wenig Bußgeldverfahren. Das ist in den letzten Tagen recht kurz gekommen.

Den Opener macht der KG, Beschl. v. 21.03.2018 – 3 Ws (B) 91/18. Er betrifft einen „qualifizierten Rotlichtverstoß“, also länger als eine Sekunde Rotlichtzeit. Problematisch war die Rotlichtzeitmessung durch Polizeibeamte mit Stoppuhr. Das KG nimmt zur Höhe des Toleranzabzugs bei einer Zeitmessung per Stoppuhr nach Inkrafttreten des MessEG sowie der MessEV Stellung:

„Das Amtsgericht Tiergarten hat den Betroffenen wegen eines Rotlichtverstoßes zu einer Geldbuße von 200 Euro verurteilt und ein einmonatiges Fahrverbot gegen ihn angeordnet. Die Urteilsfeststellungen weisen aus, dass der Betroffene die Haltlinie einer Lichtzeichenanlage passierte, als das rote Ampellicht bereits 1,5 Sekunden leuchtete. Die Beweise würdigt das angefochtene Urteil dahin, dass zwei Polizeibeamten bei einer gezielten Rotlichtüberwachung den Verstoß mit einer geeichten Stoppuhr zuverlässig festgestellt hätten. Der Betroffene wendet sich mit der Rechtsbeschwerde gegen das Urteil. Das Rechtsmittel hat mit der allgemein erhobenen Sachrüge Erfolg.

Die Beweiswürdigung begegnet hinsichtlich der Rotlichtdauer von 1,5 Sekunden, die das verhängte Regelfahrverbot indiziert, durchgreifenden Bedenken, denn sie ist lückenhaft. Namentlich versäumt es das Amtsgericht mitzuteilen, ob es zur Beseitigung möglicher Fehlerquellen den bei der händischen Zeitmessung gebotenen Toleranzabschlag vorgenommen hat. Zwar ist anerkannt, dass es bei Rotlichtverstößen der Mitteilung des Toleranzwertes dann nicht bedarf, wenn die Rotlichtzeit auch nach Abzug des „für den Betroffenen günstigsten Toleranzwertes“ wenigstens eine Sekunde gedauert hat (vgl. OLG Braunschweig NJW 2007, 391; OLG Bremen DAR 2002, 225; OLG Frankfurt NZV 2008, 588; OLG Schleswig SchlHA 2005, 335; Janker-Hühnermann in BHHJJ, 24. Aufl., § 37 StVO Rn. 30d). Dies ist hier jedoch nicht der Fall.

Nach gefestigter Rechtsprechung bestimmt sich der bei einer Zeitmessung mit geeichter Stoppuhr erforderliche Toleranzabzug einerseits durch den Ausgleich einer eventuellen Reaktionsverzögerung bei der Bedienung. Er wird mit 0,3 Sekunden veranschlagt. Andererseits ist eine etwaige Gangungenauigkeit, die so genannte Verkehrsfehlergrenze, auszugleichen (vgl. Senat NZV 2008, 587). Die Verkehrsfehlergrenze dürfte sich nach Inkrafttreten des MessEG sowie der MessEV nach § 22 Abs. 2 MessEV iVm Nr. 12.10 der nach § 46 Abs. 1 Nr. 3 MessEG ermittelten „Regeln und Erkenntnisse des Regelermittlungsausschusses“ (Stand 27. Oktober 2016) richten. Nr. 12.10 dieses Regelwerks bestimmt, dass die Verkehrsfehlergrenze bei Stoppuhren nach § 33 Abs. 4 der am 31. Dezember 2014 geltenden Fassung der (hiernach außer Kraft getretenen) Eichordnung von 1988 bestimmt wird. Nach der Anlage 19 („Zeitzähler – Stoppuhren“) zu § 33 Abs. 4 Satz 1 EichO ist die Eichfehlergrenze „gleich dem kleinsten Skaleneinteilungswert bzw. Ziffernschritt vermehrt um 0,5 Promille der gemessenen Zeit“.

Das Amtsgericht wäre damit gehalten gewesen, den kleinsten Skalenwert bzw. den kleinsten Ziffernschritt der verwendeten Stoppuhr zu ermitteln. Betrüge dieser zB 0,01 Sekunden, so beliefe sich die Fehlergrenze bei der hier gemessenen Zeit (1,5 Sekunden) auf  0,0115 (0,01 zuzüglich 0,015) Sekunden. Nach § 22 Abs. 2 MessEV bemisst sich die Verkehrsfehlergrenze nach dem Doppelten der Fehlergrenze. Bei dem hier nur beispielhaft vermuteten Ziffernschritt (0,01) wären dies 0,023 Sekunden. Beliefe sich der kleinste Skalenwert hingegen auf 0,1, so betrüge die Verkehrsfehlergrenze 0,203 Sekunden. Die mit dem Wert für die mögliche Reaktionsverzögerung (0,3 Sekunden) gebildete Summe beliefe sich je nach kleinstem Skalenwert/Ziffernschritt mithin auf 0,323 bzw. 0,503 Sekunden. Im bei einer geeichten Uhr zwar wenig wahrscheinlichen, aber auch nicht auszuschließenden Fall eines Skalenwerts von 0,1 läge damit kein „qualifizierter“ Rotlichtverstoß vor.

In der neuen Hauptverhandlung dürfte es angezeigt sein, neben dem kleinsten Skalenwert bzw. Ziffernschritt auch zu ermitteln, ob und gegebenenfalls wie die polizeilichen Zeugen gerundet haben. Gerade wenn die Stoppuhr kleine Ziffernschritte hatte, legt der glatte Wert von 1,5 Sekunden nahe, dass auf- oder abgerundet wurde. Dies müsste gegebenenfalls in die Berechnung der Rotlichtzeit einfließen.“

Da es bei Nr. 132 Nr. 3 BKatV auf die Sekunde ankommt, muss man schon genau rechnen/hinschauen.

Lösung zu: Ich habe da mal eine Frage: Wenn die HB-Eröffnung in die HV umgewandelt wird – zwei Terminsgebühren?

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Nun, die Lösung bzw. den Lösungsansatz zur Frage vom vergangenen Freitag: Ich habe da mal eine Frage: Wenn die HB-Eröffnung in die HV umgewandelt wird – zwei Terminsgebühren? hat der Kollege in seiner Frage gleich mitgeliefert.

Also: Es ist richtig, bei der Abrechnung an die Gebühren Nr. 4102 Nr. 3 VV RVG i.V.m. der Nr. 4108 VV RVG zu denken. Von den beiden macht die Nr. 4108 VV RVG mit Sicherheit keine Probleme. Bei der Nr. 4102 VV RVG wird man sehen müssen, was die Staatskasse sagt/meint und wie dann die Gericht entscheiden werden.

Grundsätzlich hat der Kollege Recht: Die ggf. angefallene Nr. 4102 VV RVG wird nicht im Hinblick auf die Beschränkung in der Anm. Satz 2 mit der Terminsgebühr Nr. 4108 VV RVG zusammengefasst. Das hat das AG Münster schon 2007 im AG Münster, Beschl. v. 30.04.2007, 21 Ls. 63 Js 960/04 – 248/04 jug.E gesagt, allerdings in einer etwas anderen Konstellation. Hier stellt sich aber möglicherweise ein anderes Problem bzw. man wird versuchen, es zu stellen: Die Frage des „Erscheinens“. Allerdings dürfte es da an sich kein Problem geben. denn der Kollege hatte ja auf meine Nachfrage mitgetielt:

„Der HB-Termin wurde gewissermaßen “konkludent aufgehoben”. Er hatte noch nicht begonnen, Häftling noch nicht vorgeführt. Dann Wechsel vom Vorführzimmer in einen Sitzungssaal und dort Beginn der Hauptverhandlung.”

Also war der Kollege im Sitzungssaal erschienen. Dann wird der „HB-Termin“ aufgehoben. Was also soll noch mehr erforderlich sein?

Unfallflucht II: Wenn der Geschädigte am Unfallort keine Feststellungen treffen will/kann, oder: Präjudiz

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Bei der zweiten Entscheidung zu § 142 StGB handelt es sich um den LG Saarbrücken, Beschl. v. 10.04.2018 – 8 Qs 5/18. Er ist im Verfahren wegen einer Beschwerde gegen die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 111a-StPO ergangen. Nach dem (verkürzten) Sachverhalt waren der Beschuldigte und der Geschädigte an einem Auffahrunfall beteiligt. Nach dem Unfall sind beide aus ihren Pkws ausgestiegen. Der Beschuldigte versuchte den Geschädigten zu überreden, den Unfall ohne Polizei zu regeln“, was der Geschädigte abgelehnt und sogleich mit seinem Mobiltelefon die zuständige Polizeiinspektion informiert hat. Von dort wurde mitgeteilt, dass ein Streifenkommando zum Unfallort kommen werde, was aber wegen Überlastung etwas dauern könne. Der Beschuldigte hat dann nochmals den Geschädigten zu einer Regulierung ohne Einschaltung der Polizei zu überreden versucht, was dieser wiederum abgelehnt und auf das Abwarten des Eintreffens der Polizeibeamten bestanden hat. Der Beschuldigte ist dann nach ca. fünf bis zehn Minuten in sein Fahrzeug gestiegen und weggefahren. Er hat sich in der Folge weder mit dem Geschädigten noch einer Polizeidienststelle zum Zwecke der Regulierung des Schadens in Verbindung gesetzt.

Das LG hat die Beschwerde gegen den amtsgerichtlichen Beschluss, der die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis auf § 142 Abs. 1 Nr. 1 StGB gestützt hatte, verworfen. Es weist darauf hin, dass nicht nur die Anwendung von § 142 Abs. 1 Nr. 1 StGB, sondern auch von § 142 Abs. 1 Nr. 2 StGB oder gegebenenfalls von § 142 Abs. 2 Nr. 1 StGB in Betracht. Das LG setzt sich dann umfangreich mit den Fragen auseinander,

  • ob der Geschädigte bis zum Sich-Entfernen des Beschuldigten als feststellungsbereite Person anzusehen,
  • ob er auf die Hinzuziehung der Polizei bestehen durfte, und
  • ob er auch nicht auf die Feststellungen verzichtet.

Zum ersten Punk:

a) Die Anwendung von § 142 Abs 1 Nr. 1 StGB setzt zunächst voraus, dass am Unfallort eine feststellungsbereite Person anwesend ist (Umkehrschluss aus Nr. 2; Zopfs in Münchener Kommentar zum StGB, Band 3, 3. Auflage 2017 [nachfolgend zitiert: MüKo – Bearbeiter], § 142 Rn. 53; Fischer, StGB, 65. Auflage 2018, §142 Rn. 23; Niehaus in Freymann/Wellner, juris-Praxiskommentar Straßenverkehrsrecht, 1. Auflage 2016 [nachfolgend zitiert: juris-PK – Bearbeiter], § 142 StGB Rn. 8, 38; Ernemann in Satzger/Schluckebier/Widmaier, StGB, 3. Auflage 2016 [zitiert: SSW – Bearbeiter], § 142 Rn. 22). Feststellungsbereit ist eine Person, die geeignet und fähig ist und ggf. ein Interesse daran hat, die erforderlichen Feststellungen zugunsten des Berechtigten zu treffen (MüKo – Zopfs, a.a.O., Rn. 53; ebenso, aber lediglich in Bezug auf Dritte, die nicht selbst Berechtigte sind: juris-PK – Niehaus, a.a.O., Rn. 38; Geppert in Leipziger Kommentar zum StGB, 12. Auflage 2009 [nachfolgend zitiert: LK – Bearbeiter], § 142 Rn. 52). Nicht ausreichend ist hingegen, dass ein Feststellungsberechtigter am Unfallort anwesend ist, wenn dieser nicht in der Lage ist, die erforderlichen Feststellungen selbst zu treffen (so zutreffend MüKo – Zopfs, a.a.O., Rn. 53). Ob ein Anwesender am Unfallort insbesondere dazu fähig ist, Feststellungen selbst zu treffen, richtet sich danach, welche Feststellungen im Einzelfall notwendig sind und ob der Anwesende tatsächlich und rechtlich in der Lage ist, die jeweiligen Tatsachen selbst zu erheben (MüKo – Zopfs, a.a.O., Rn. 53 und ausführlich zur rechtlichen Befugnis in Rn. 66). Im Falle der Anwesenheit feststellungsbereiter Personen hat der Unfallbeteiligte durch die Angabe, dass er an dem Unfall beteiligt war (aktive Vorstellungspflicht) und durch seine Anwesenheit (passive Duldungspflicht) die Feststellung seiner Person, seines Fahrzeugs und der Art seiner Beteiligung zu ermöglichen. Der Umfang der zu ermöglichenden und zu duldenden Feststellungen erstreckt sich unter Berücksichtigung des Schutzzwecks der Norm auf alle Umstände, die zur Durchsetzung berechtigter bzw. Abwehr unberechtigter Schadensersatzansprüche erforderlich sind (LK – Geppert, a.a.O., Rn. 102; MüKo – Zopfs, a.a.O., Rn. 64; SSW – Ernemann, a.a.O., Rn. 27). Diese Umstände erschöpfen sich indes regelmäßig nicht in den Personalien des Unfallbeteiligten. Die erforderliche Feststellung des Fahrzeugs des Unfallbeteiligten umfasst etwa auch die Angabe des Fahrzeughalters und des Haftpflichtversicherers (LK – Geppert, a.a.O., Rn. 105; a.A.: MüKo – Zopfs, a.a.O., Rn. 73), die Feststellungen zur Art der Beteiligung umfassen jedes tatsächliche Verhalten eines Unfallbeteiligten, das nach Lage der Dinge zur Entstehung des Unfalls geführt und für die erfolgversprechende Durchsetzung begründeter bzw. die Abwehr unbegründeter zivilrechtlicher Schadensersatzansprüche Bedeutung haben kann (LK – Geppert, a.a.O., Rn. 106), wozu u.a. auch die Sicherung von Unfallspuren, Art und Umfang der verursachten Schäden und auch der körperliche Zustand eines Beteiligten, insbesondere eine mögliche Alkoholisierung zählen können, sofern dies für die zivilrechtliche Haftungsfrage und gerade nicht nur für die Strafverfolgung von Bedeutung ist (LK – Geppert, a.a.O., Rn. 107; MüKo – Zopfs, a.a.O., Rn. 74 f.; Fischer, a.a.O., Rn. 27; SSW – Ernemann, a.a.O., Rn. 28; Lackner/Kühl, StGB, 28. Auflage 2014, § 142 Rn. 17; BGH, VRS 39, 184; OLG Köln, NStZ-Rr 1999, 251).

Zu den in diesem Sinne erforderlichen Feststellungen war der am Unfallort anwesende Geschädigte nach dem derzeitigen Stand der Ermittlungen selbst nicht in der Lage und daher auch nicht als feststellungsbereite Person im Sinne des § 142 Abs. 1 StGB anzusehen. Selbst wenn der Geschädigte in den nach seiner eigenen Aussage mehreren Minuten, die der Beschuldigte am Unfallort verblieben ist, in der Lage gewesen sein mag, die Person des Beschuldigten durch Befragen – unterstellt, der Beschuldigte sei kooperationswillig gewesen und hätte auch wahrheitsgemäß geantwortet und seine Angaben auf Verlangen durch Vorzeigen geeigneter Identitätspapiere freiwillig belegt (vgl. hierzu MüKo – Zopfs, a.a.O., Rn. 54, 65) – und dessen Fahrzeug durch Inaugenscheinnahme und ggf. Anfertigen von Lichtbildern festzustellen, wäre dies im Hinblick auf die nicht völlig geklärte Unfallsituation unzureichend gewesen. Denn einerseits soll der Beschuldigte nach Angaben des Geschädigten sinngemäß geäußert haben, der Geschädigte habe ohne zureichenden Grund zu stark gebremst, andererseits will der Geschädigte bei dem Beschuldigten vor dem Unfall ein Fahren in Schlangenlinien als Anzeichen einer etwaigen Alkoholisierung wahrgenommen haben. Ersterer Umstand darf den Geschädigten befürchten lassen, dass die Tatsachen des Unfallgeschehens bei der Regulierung des Schadens keineswegs unstreitig sein werden, weshalb der Geschädigte ein beachtenswertes Interesse an der Feststellung äußerer Anzeichen für den Unfallhergang (etwa Bremsspuren, Beschädigungen oder Beeinträchtigungen der Betriebssicherheit des Fahrzeugs des Beschuldigten) haben durfte. Angesichts eines bei streitigem Unfallhergang mit dem möglichen Vorwurf grundlosen Abbremsens in Betracht kommenden Verursachungsbeitrags des Geschädigten kommt weiterhin auch anderen verschuldensrelevanten Umständen mit Blick auf die zivilrechtliche Haftungsverteilung Bedeutung zu, insbesondere der Frage einer etwaigen Alkoholisierung des Beschuldigten. Zumindest zu den hierzu erforderlichen Feststellungen war der Geschädigte selbst unzweifelhaft weder in der Lage noch befugt (MüKo – Zopfs, a.a.O., Rn. 66 spricht insoweit von einer Kompetenzlücke). Gleiches gilt auch mit Blick auf die Feststellung der Identität des Beschuldigten, sofern dieser auf etwaige Nachfrage seine Personalien nicht freiwillig angegeben oder belegt haben sollte (MüKo – Zopfs, a.a.O., Rn. 53, 66).“

Diese und die weiteren Ausführungen des LG zeigen mir mal wieder, dass man es sich immer gut überlegen muss, ob man in solchen Fällen ins Rechtsmittel geht und damit ein Präjudiz für das weitere Verfahren schafft.

Unfallflucht I: Auch, wenn der Täter erst nach dem Feststellungsberechtigten geht, Unfallflucht ….

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Den Auftakt machen in dieser Woche zwei Entscheidungen zur Unfallflucht. Zunächst der BGH, Beschl. v. 11.04.2018 – 4 StR 583/17 -, der für eine Veröffentlichung in BGHSt vorgesehen ist. Die hat den amtlicher Leitsatz:

Der Tatbestand des § 142 Abs. 1 Nr. 1 StGB ist auch dann erfüllt, wenn der Täter den Unfallort erst nach der letzten feststellungsberechtigten Person verlässt, sofern er zuvor seine Vorstellungspflicht verletzt hat.

Zugrunde liegt folgender Sachverhalt:

Das LG hat den Angeklagten, um den es hier geht, u.a. wegen eines Verstoßes gegen § 142 StGB verurteilt. Dem liegt ein Verkehrsunfall zugrunde, an dem neben dem Angeklagten noch zwei weitere Verkehrsteilnehmer beteiligt waren. Nach dem Verkehrsunfall stellt der Angeklagte das von ihm geführte Fahrzeug am Straßenrand ab und kehrte zu Fuß zur Unfallstelle zurück. Dort gab er sich bewusst nicht als Unfallbeteiligter zu erkennen, sondern schilderte den zwischenzeitlich erschienenen Polizeibeamten, er habe den Unfall als am Fahrbahnrand befindlicher Fußgänger beobachtet. Er machte Angaben zum Unfallhergang, wobei er allerdings in seiner Schilderung des Geschehens seine eigene Unfallbeteiligung durch die eines vermeintlich unbekannten Fahrers ersetzte. Schließlich verließ der Angeklagte den Unfallort zu Fuß. Ob dies zu einem Zeitpunkt geschah, als noch Polizeibeamte vor Ort waren, oder ob er das Ende des Einsatzes abwartete und erst fortging, als keine andere Person mehr anwesend war, hat die die Strafkammer nicht feststellen können. Jedenfalls hatte er bis zu diesem Zeitpunkt niemandem etwas von seiner Unfallbeteiligung mitgeteilt.

Die Revision des Angeklagten hatte hinsichtlich des Schuldspruchs – § 142 StGB – keinen Erfolg. Der BGH hatte keine Bedenken gegen die die Verurteilung des Angeklagten wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort gemäß § 142 Abs. 1 Nr. 1 StGB. Dem stehe – so der BGH – nicht entgegen, dass die Strafkammer nicht auszuschließen vermocht hat, dass der Angeklagte den Unfallort erst zu einem Zeitpunkt verließ, als keine andere Person mehr vor Ort war. Das begründet der BGH u.a. mit dem Wortlaut der Regelung In § 142 Abs. 1 Nr. 1 StGB:

a) Gemäß § 142 Abs. 1 Nr. 1 StGB macht sich strafbar, wer sich nach einem Unfall im Straßenverkehr als Unfallbeteiligter vom Unfallort entfernt, bevor er zugunsten der anderen Unfallbeteiligten und der Geschädigten die Feststellung seiner Person, seines Fahrzeugs und der Art seiner Beteiligung durch seine Anwesenheit und durch die Angabe, dass er an dem Unfall beteiligt ist, ermöglicht hat. Ob dieser Tatbestand auch dann erfüllt ist, wenn sich der Unfallbeteiligte als Letzter vom Unfallort entfernt, ist bislang in Rechtsprechung und Literatur unterschiedlich beurteilt worden.

aa) Nach der vom Oberlandesgericht Hamm – allerdings bislang nicht tragend entschieden – und dem ganz überwiegenden Schrifttum vertretenen Auffassung ist der Tatbestand des § 142 Abs. 1 Nr. 1 StGB auch dann erfüllt, wenn der Täter den Unfallort erst nach der feststellungsberechtigten Person verlässt, sofern er zuvor seine Vorstellungspflicht verletzt hat (vgl. OLG Hamm, NJW 1979, 438; Fischer, StGB, 65. Aufl., § 142 Rn. 31a; Lackner/Kühl, StGB, 28. Aufl., § 142 Rn. 18; MüKo-StGB/Zopfs, 3. Aufl., § 142 Rn. 62; MüKo-StVR/Schwerdtfeger, § 142 StGB Rn. 61; Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben, StGB, 29. Aufl., § 142 Rn. 43; Rengier, Strafrecht BT II, 19. Aufl., § 46 Rn. 20; Bernsmann, NZV 1989, 49, 53; Berz, DAR 1975, 309, 311; Horn/Hoyer, JZ 1987, 965, 971; Janiszewski, JR 1983, 506, 507 f.; Küper, GA 1994, 49, 68; ders., JuS 1988, 286, 288 f.).

bb) Nach der Gegenansicht, die insbesondere vom Bayerischen Obersten Landesgericht vertreten wurde, scheidet in einer solchen Fallkonstellation eine Strafbarkeit nach § 142 Abs. 1 Nr. 1 StGB aus.

Das Bayerische Oberste Landesgericht hat hierzu ausgeführt: Nach § 142 Abs. 1 Nr. 1 StGB sei das Verlassen der Unfallstelle nur strafbar, wenn sich der Unfallbeteiligte vom Unfallort entferne, solange es ihm noch möglich sei, seine Vorstellungspflicht gegenüber (anwesenden) feststellungsbereiten Personen zu erfüllen. Die Vorstellungspflicht sei sinnlos, wenn der feststellungsberechtigte Unfallgegner nicht mehr am Unfallort zugegen sei; ein Sich-Entfernen durch den Unfallbeteiligten zu diesem Zeitpunkt könne keine Feststellungen mehr vereiteln und sei nicht geeignet, die Interessen der feststellungsberechtigten Person weiter zu beeinträchtigen. Es führe daher nicht zu einer Strafbarkeit nach § 142 Abs. 1 Nr. 1 StGB, wenn der Täter die Unfallstelle erst nach den feststellungsbereiten Personen verlasse. Sonst müsste ein Unfallbeteiligter in einem solchen Fall – gegebenenfalls zeitlich unbegrenzt – am Unfallort verharren, um sich nicht strafbar zu machen. Allerdings könne sich noch eine Strafbarkeit gemäß § 142 Abs. 2 Nr. 2 StGB ergeben, sollten die gebotenen Feststellungen durch den Unfallbeteiligten nicht unverzüglich nachträglich ermöglicht werden (BayObLG, NJW 1983, 2039, 2040; NJW 1984, 66, 67; NJW 1984, 1365, 1366).

Dieser Auffassung haben sich das Oberlandesgericht Frankfurt am Main sowie einzelne Autoren im Schrifttum angeschlossen (vgl. OLG Frankfurt, NJW 1990, 1189, 1190; SK-StGB/Rudolphi/Stein, 8. Aufl., § 142 Rn. 29; BeckOK-StGB/Kudlich, Stand: 1. Februar 2018, § 142 Rn. 25; Bauer, NStZ 1985, 301, 302).

b) Der Senat folgt der vom Oberlandesgericht Hamm und dem ganz überwiegenden Schrifttum vertretenen Auffassung. Hierfür sprechen der Wortlaut der Vorschrift, ihre Entstehungsgeschichte, systematische Erwägungen sowie Sinn und Zweck der Vorschrift. Im Einzelnen:

aa) Der Wortlaut des § 142 Abs. 1 Nr. 1 StGB setzt nicht voraus, dass der Feststellungsberechtigte noch am Unfallort anwesend ist, wenn sich der Täter von dort entfernt. Erforderlich ist nach dem Wortlaut nur, dass sich der Täter entfernt, „bevor“ er die gebotenen Feststellungen ermöglicht hat. Da der Tatbestand gerade an die Verletzung der Vorstellungspflicht anknüpft, ist das Merkmal „bevor“ so zu verstehen, dass der Täter den Unfallort verlassen haben muss, ohne zuvor die gebotenen Feststellungen ermöglicht zu haben (vgl. MüKo-StGB/Zopfs, 3. Aufl., § 142 Rn. 62; Rengier, Strafrecht BT II, 19. Aufl., § 46 Rn. 20; Küper, JuS 1988, 286, 289; ders., GA 1994, 49, 68 f.). Damit setzt die Vorschrift des § 142 Abs. 1 Nr. 1 StGB ihrem Wortlaut nach eine Verletzung der Vorstellungsplicht voraus, zu der – faktisch – ein Sich-Entfernen hinzukommen muss (vgl. Küper, GA 1994, 49, 68 f.). Hierfür ist es jedoch ohne Bedeutung, in welcher Reihenfolge die Unfallbeteiligten den Unfallort verlassen und ob der Täter im Zeitpunkt seines Sich-Entfernens die Pflicht noch gegenüber einer anwesenden Person hätte erfüllen können…..“

Die Ausführungen zur Entstehungsgeschichte und zum Sinn und Zweck bitte selbst lesen 🙂 .