Archiv für den Monat: Juni 2018

(Keine) Beschlagnahme von Verteidigungsunterlagen, oder: Wenn der Verteidiger der StA Mandatsinterna schickt…

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Ich eröffne die 23. KW mit dem LG Frankfurt/Main, Beschl. v. 09.11.2017 – 5/12 KLs 14/17, auf den mich der Kollege Garcia vom Blog delegibus gestern hingewiesen hat. Ihm und auch allen anderen Einsendern von Entscheidungen/Hinweisgebern an dieser Stelle mal ein ausdrücklicher Dank für die Hinweise/Entscheidungen. Das Blog lebt gerade auch von den Entscheidungen, die ein wenig außerhalb der großen Veröffentlichungswelle laufen und die man, wenn die Beteiligten sie nicht öffentlich gemacht hätten, sonst oft übersehen hätte/würde.

Der LG Frankfurt/Main, Beschl. v. 09.11.2017 – 5/12 KLs 14/17 – behandelt eine Problematik, die für jeden Verteidiger Horror ist, nämlich die Beschlagnahme von (Verteidiger)Unterlagen. Horror u.a. deshalb, weil in solchen Unterlagen ja häufig Mandatsinterna enthalten sind, die nur den Verteidiger und den verteidigten Mandanten etwas angehen.Und genau deshalb sind die Unterlagen dann ja auch nach § 97 Abs. 1 Nr. 2 StPO beschlagnahmefrei. Das allerdings nur – so § 97 Abs. 2 Satz 1 StPO – wenn sich die Unterlagen im Gewahrsam des Verteidigers befinden. Und genau da lag hier das Problem. Denn der Verteidiger – oder sein Büro – hatte bei der Rücksendung der Akten nach gewährter Akteneinsicht wohl nicht so genau hingeschaut. Jedenfalls lag den Akten und dem Rücksendeschriftsatz ein Schriftstück bei, bei dem es sich laut Auskunft des Verteidigers um handschriftliche Notizen handelte, die sich der Verteidiger während eines Gesprächs mit dem Mandanten gemacht habe.

Die Staatsanwaltschaft hatte flugs die Beschlagnahme des Schriftstücks beantragt und sich dabei auf den Wortlaut des § 97 StPO berufen. Der Ermittlungsrichter hatte die Beschlagnahme des Schriftstücks angeordnet. Da gegen die Beschwerde, die beim LG beim inzwischen erkennenden Gericht als Antrag auf neue Entscheidung durch das erkennende Gericht Erfolg hatte. Denn:

„Eine von einem Verteidiger gefertigte Verteidigungsunterlage ist auch dann beschlagnahmefrei, wenn der Verteidiger den Gewahrsam an dem betreffenden Schriftstück versehentlich verloren hat. Das folgt aus § 148 StPO i. V. m. den verfassungsrechtlichen Anforderungen an ein faires Strafverfahren, die auf Art. 2 Abs. 1, 20 Abs. 3 GG bzw. Art. 6 Abs. 3 EMRK fußen.

Zwar ist der Staatsanwaltschaft und dem Amtsgericht zuzugestehen, dass sich ein Beschlagnahmeverbot nicht auf den Wortlaut des § 97 StPO stützen lässt. Der Wortlaut dieser Vorschrift scheint vielmehr für die angegriffene Entscheidung des Amtsgerichts zu streiten. Denn in § 97 Abs. 2 Satz 1 StPO ist ausdrücklich geregelt, dass das dort normierte Beschlagnahmeverbot nur dann gilt, wenn sich der Gegenstand im Gewahrsam der zur Verweigerung des Zeugnis Berechtigten befindet. Dementsprechend wird in der Kommentarliteratur jedenfalls außerhalb des Bereichs der Verteidigerunterlagen vorherrschend die Auffassung vertreten, dass die Beschlagnahmefreiheit grundsätzlich auch dann endet, wenn der Berufsgeheimnisträger den Gewahrsam an den Unterlagen unfreiwillig verliert (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 60. Aufl. 2017, § 97 Rdnr. 13 m. w. N.; KK-StPO/Greven a. a. O. § 97 Rdnr. 8; LR-Menges, 26. Aufl. 2017, § 97 Rdnr. 9; MüKo-StPO/Hauschild, 1. Aufl. 2014, § 97 Rdnr. 19). Auf diese Auffassung stützt sich die angefochtene Entscheidung. In einem (ebenfalls Verteidigerunterlagen betreffenden) Urteil vom 15.12.1976 hat der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs unter Bezug auf Meyer-Goßner a. a. O. (ohne nähere Darlegungen in der Sache) bemerkt, dass viel dafür sprechen „mag“, dass die Beschlagnahmefreiheit des § 97 StPO auch bei unfreiwilligem Gewahrsamsverlust ende. Er hat diese Frage aber letztlich ausdrücklich offen gelassen (BGH 3 StR 432/76 Rdnr. 17).

Ob § 97 StPO insoweit insgesamt für alle Berufsgeheimnisträger verfassungskonform zu reduzieren ist, wie dies in der Literatur vereinzelt verlangt wird (Nachweise bei Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, a. a. O.), bedarf vorliegend keiner Entscheidung. Jedenfalls für Verteidigungsunterlagen sind zusätzlich der später in Kraft getretene § 148 StPO und verfassungsrechtliche Grundsätze heranzuziehen (so auch Meyer-Goßner/Schmitt a. a. O. Rdnr. 37; LR-Menges a. a. O. Rdnr. 105). Der verfassungsrechtlich durch Art. 2 Abs. 1, 20 Abs. 3 GG und Art. 6 Abs. 3 EMRK abgesicherte Grundsatz des fairen Verfahrens gebietet einen ungehinderten Verkehr zwischen Verteidiger und Beschuldigtem zum Zwecke der Verteidigung. Der Verkehr zwischen dem Verteidiger und dem Beschuldigten gehört zu den unabdingbaren Voraussetzungen der Verteidigung und ist grundsätzlich von jeder Behinderung und Erschwerung freizustellen. Mit Blick auf die Bedeutung dieses aus der Verfassung abgeleiteten Grundsatzes ist die Beschlagnahmefreiheit jedenfalls von Verteidigungsunterlagen in weit größerem Umfang anerkannt als es dem Wortlaut des § 97 StPO entspricht. So ist anerkannt, dass Verteidigungsunterlagen – im Widerspruch zum Wortlaut des § 97 StPO – auch dann beschlagnahmefrei sind, wenn sie sich auf dem Postweg befinden (BGH NJW 1990, 722 [BGH 13.11.1989 – I BGs 351/89]; Meyer-Goßner/Schmitt, a. a. O. Rdnr. 37; LR-Menges a. a. O. Rdnr. 105; MüKo-StPO/Hauschild, a. a. O. Rdnr. 31; SK-StPO/Wohlers/Greco, 5. Aufl. 2016, Rdnr. 87; jeweils m. w. N.). Ebenso ist anerkannt, dass Verteidigungsunterlagen auch dann beschlagnahmefrei sind, wenn sie sich nicht im Gewahrsam des Verteidigers, sondern im Gewahrsam des Beschuldigten befinden (BGH NJW 1973, 2035; 1982, 2508 [BGH 24.03.1982 – 3 StR 28/82 (S)]; Meyer-Goßner/Schmitt, a. a. O. Rdnr. 37; MüKo-StPO/Hauschild, Rdnr. 31; jeweils m. w. N.). (Das wird – ebenfalls aus verfassungsrechtlichen Gründen – weitgehend einhellig sogar auf Unterlagen ausgeweitet, die nicht vom Verteidiger angefertigt wurden, sondern die der Beschuldigte selbst zum Zwecke seiner Verteidigung angefertigt hat; BVerfG 2 BvR 2248/00 vom 30.1.2002 NJW 2002, 1410; BGHSt 44,46; OLG München NStZ 2006, 300; BT-Drucks. 16/5846, S. 35; Meyer-Goßner/Schmitt, a. a. O. Rdnr. 37; KK-StPO/Greven a. a. O. Rdnr.24; LR-Menges a. a. O. Rdnr. 107f; MüKo-Hauschild a. a. O. Rdnr. 31; SK-StPO/Wohlers/Greco a. a. O. Rdnr. 88; jeweils m. w. N.).

Von einer verbreiteten Literaturmeinung wird deshalb ausdrücklich die Auffassung vertreten, dass das Gewahrsamserfordernis für Verteidigungsunterlagen keine Bedeutung hat (so ausdrücklich SK-StPO/Wohlers/Greco a. a. O. Rdnr. 15, 87 und SSW-StPO/Eschelbach § 97 Rdnr. 21, vgl. auch KK-StPO/Greven, a. a. O. § 97 Rdnr. 24). Dieser Literaturauffassung dürfte aus den genannten verfassungsrechtlichen Gründen zu folgen sein. Jedenfalls sind die von Verfassungs wegen gebotenen Erweiterungen der Beschlagnahmefreiheit für Verteidigungsunterlagen auf die vorliegende Konstellation zu erstrecken.

Denn es würde der verfassungsrechtlichen Bedeutung des Rechts auf ungehinderten Verkehr mit dem Verteidiger nicht gerecht, wenn ein Beschuldigter die Sorge haben müsste, dass schriftliche Aufzeichnungen, die von seinen Angaben gegenüber dem Verteidiger gemacht werden, dann nicht mehr beschlagnahmefrei wären, wenn sie versehentlich aus dem Gewahrsam seines Verteidigers oder aus seinem eigenen Gewahrsam gelangen. …………………………..

Dieses Abwägungsergebnis gilt jedenfalls für vom Verteidiger selbst im Rahmen eines Mandantengesprächs gefertigte Aufzeichnungen. Ob etwas anderes etwa bei Urkunden zu gelten hätte, die dem Verteidiger zum Zwecke der Verteidigung übersandt (vgl. dazu MüKo- StPO/Hauschild a. a. O. Rdnr. 32) und von ihm später versehentlich herausgegeben wurden, bedarf im vorliegenden Fall keiner Entscheidung.

Vorliegend hat die Kammer aufgrund des übereinstimmenden Vortrags von Staatsanwaltschaft und Verteidigung keinen Zweifel daran, dass es sich bei dem hier sichergestellten Schriftstück tatsächlich um Aufzeichnungen handelt, die der Verteidiger während eines Mandantengesprächs gefertigt hat.“

Trotz dieser – m.E. zutreffenden – Entscheidung: Aufgepasst, was man zurückschickt und die Akten/unterlagen schön beisammen halten und sorgfältig voneinander trennen.

Sonntagswitz, heute mal wieder zu den Juristen

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Heute dann mal wieder ein Sonntagswitz zu den Juristen. Und ja, es kann sein, dass ich den ein oder anderen davon schon mal hatte. Das lässt sich bei der Vielzahl der Sonntagswitzpostings, die ich seit Beginn des Bloggens gemacht habe, kaum vermeiden. Denn nein, ich prüfe nicht alle Sonntagswitze auf Doppler. Von daher: Entspechende Kommentare kann man machen, kann man sich aber auch sparen.

Und dann zur Sache:

Immer wieder beliebt – so oder ähnlich:

Treffen sich zwei Männerauf der Straße.

Sagt der eine zum andern: „Heute morgen muss es wirklich unerträglich kalt gewesen sein.“ 

Fragt der andere: „Wie kommst du denn darauf und wie kalt war es?“

„Ich habe keine Ahnung, wie kalt es war, aber ich habe einen Anwalt gesehen, der die Hände in seinen eigenen Taschen hatte, so schlimm muss es gewesen sein!“


Fragt eine Frau ihre Freundin, die gerade Witwe geworden ist: 

„Sag mal, warum bist du dir plötzlich so sicher, dass du deinen Erbschaftsstreit gewinnen wirst?“ 

Diese antwortet„Weil mein Anwalt mir nach Einsicht der Akten einen Heiratsantrag gemacht hat.“


Die Grenze zwischen Himmel und Hölle ist von Unbekannten beschädigt worden.

Der Teufel schickt folgendes Telegramm an den Himmel: „Unsere Rechtsanwälte hier unten meinen, dass der Himmel die Reparatur vornehmen muss.“

Antworten die zuständigen Engel: „Müssen wir wohl. Können nämlich hier oben keinen Rechtsanwalt finden, die den Fall prüfen könnten.“


In der Hauptverhandlung

Richter: „Was genau war denn in dem Brief?“

Angeklagter: „Sag ich nicht, Briefgeheimnis!“

Richter: „Was haben Sie demjenigen, den Sie daraufhin angerufen haben wollen, gesagt?“

Angeklagter: „Sag ich auch nicht, Fernmeldegeheimnis.“

Richter: „Und wieviel Geld habe sie nun letztendlich bekommen?“

Angeklagter: „Sag ich nicht, Bankgeheimnis!“

Richter:“ Nun… dann verurteile ich sie zu 2 Jahren Haft!“

Angeklagter: „Warum das?“

Richter: „Staatsgeheimnis.“

Wochenspiegel für die 22. KW, das war nochmals DSGVO und Abmahnungen, Grillen, Kreuzfahrt und Kanzleihomepage

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Auch die ablaufende KW. hatte natürlich – wieder/noch – ein Thema: DSGVO. Allerdings verschiebt sich die Thematik ein wenig zur Frage der Abmahnungen. Es hat aber auch noch andere Themen gegeben, die einen Hinweis wert. Damit ergibt sich folgende Zusammenstellung:

  1. DSGVO Abmahnungen: Ein paar Worte zu Halb- und Unwahrheiten, oder: Alle erstmal runterkommen: Die DSGVO-Abmahnwelle ist ein Hirngespinst!,
  2. Tag zwei nach DSGVO: Eine Kuriositätensammlung,

  3. Ein Blitzer, der gar keiner ist,

  4. Die Lösung: Bedingten Vorsatz einfach abschaffen?,
  5. OLG Frankfurt: Mithaftung des Halter eines verkehrsgefährdend abgestellten Fahrzeugs bei nächtlichem Zusammenstoß,

  6. Grillen an öffentlichen Plätzen: Das ist erlaubt,

  7. Drogen als Bestandteil des strafrechtlich geschützten Vermögens,
  8. Entschädigung bei vereitelter Kreuzfahrt – Anmerkung zu BGH X ZR 94/17,

  9. und nochmals: Nutzungsausfall für ein verunfalltes Motorrad – Ja oder nein?,
  10. und dann war da noch: Stolperfalle Kanzlei-Homepage: Bei diesen 4 Details müssen Sie vorsichtig sein!

Liegestütze auf dem Altar der Basilika, oder: Beschimpfender Unfug, nicht durch die Kunstfreiheit gedeckt

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Und als zweite Entscheidung dann heute eine weitere aus dem Saarland, ebenfalls mit „kirchlichem Bezug“. 🙂 Es handelt sich um den OLG Saarbrücken, Beschl. v. 15.05.2018 – Ss 104/2017 (4/18), Ss 104/17 (4/18). In ihm beantwortet das OLG die Frage: Sind Liegestütze, die der Angeklagte auf dem Altar der katholische Basilika St. Johann in Saarbrücken gemacht hat, (nur) als Hausfriedensbruch oder auch als Störung der Religionsausübung (§ 167 Abs. 1 StGB) anzusehen und schließt ggf. Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG eine Bestrafung aus?

Ausgangspunkt der Entscheidung ist in etwa folgender Sachverhalt – entnommen der PM zu der Entscheidung:

„Nach den vom Oberlandesgericht zugrunde zu legenden Feststellungen des Landgerichts begab sich der Angeklagte im Januar 2016 in den mittels einer Balustrade und einer Kordel abgesperrten Altarraum der katholischen Basilika St. Johann in Saarbrücken, kletterte auf den dortigen Altar, führte auf diesem 26 Liegestützen aus und legte sich anschließend für wenige Sekunden mit in den Armen versenktem Kopf flach auf den Altar, um sich von der Anstrengung zu erholen. Ein Gottesdienst fand währenddessen nicht statt. Das Geschehen zeichnete er auf einer Videokamera auf. Hieraus erstellte er eine Videoinstallation mit dem Titel „pressure to perform“, die er in einer Endlosschleife auf einem Bildschirmgerät – zunächst im Schaufenster eines Anwesens in der Nauwieserstraße und später im Schaufenster eines Künstlerhauses in der Mainzer Straße in Saarbrücken – präsentierte. Mit der Videoinstallation wollte der Angeklagte seine kritische Haltung gegenüber dem Druck der Leistungsgesellschaft, der nichts mehr heilig sei, zum Ausdruck bringen. Um seinem Werk einen besonderen Charakter zu verleihen und auch die Produktionskosten zu minimieren, kam es ihm dabei auf die Benutzung des Altars einer geweihten Kirche an.“

Das OLG sagt: Auch Störung der Religionsausübung in der Tatbestandsalternative des § 167 Abs. 1 Nr. 2 StGB:

„bb) Das Verhalten des Angeklagten stellte entgegen der Auffassung des Landgerichts auch einen beschimpfenden Unfug i. S. des § 167 Abs. 1 Nr. 2 StGB dar………..

bbb) Ausgehend von diesen Maßstäben verübte der Angeklagte dadurch, dass er auf den Altar der katholischen Basilika St. Johann kletterte, dort Liegestützen ausführte und sich anschließend für wenige Sekunden mit in den Armen versenktem Kopf flach auf den Altar legte, beschimpfenden Unfug.

(1) Der Angeklagte hat durch dieses Verhalten aus der Sicht eines hypothetischen besonnenen Beobachters in einer besonders rohen und drastischen Art und Weise die Missachtung der religiösen Bedeutung des Altars zum Ausdruck gebracht. Dass der Angeklagte hierbei – wie das Landgericht gemeint hat – zurückhaltend ans Werk ging (angemessene Bekleidung, Betreten und Verlassen des Altarraums ruhigen Schrittes, Glattstreichen der Altardecke), rechtfertigt keine andere Beurteilung. Denn dies ändert nichts daran, dass der Angeklagte seine Leibesübungen nicht etwa in dem Besuchern frei zugänglichen Bereich des Hauptschiffs der Kirche ausgeführt hat, sondern er sich hierzu in den für Kirchenbesucher abgesperrten Altarbereich begeben, er den Altar einer geweihten römisch-katholischen Kirche – den zentralen Ort der christlichen Eucharistiefeier, auf dem die Gaben (Brot und Wein) dargebracht werden und von dem aus der Gemeinde anschließend die Kommunion gereicht wird, der zugleich das Symbol des Leibes Christi darstellen soll und Inbegriff christlicher Glaubensvorstellungen ist (https://de.wikipedia.org/wiki/Altar; vgl. zur Berücksichtigung offenkundiger Tatsachen durch das Revisionsgericht aus allgemein zugänglichen zuverlässigen Quellen: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 60. Aufl., § 244 Rn. 51, § 337 Rn. 25) – buchstäblich mit Füßen getreten und auf diesem, den Altar gleichsam als Unterlage für seine Leibesübungen benutzend, Liegestützen ausgeführt hat. Über einen bloßen Verstoß gegen gutes Benehmen oder eine bloße Ungehörigkeit geht das Verhalten des Angeklagten daher auch in Ansehung des Umstands, dass keine weiteren, religiöse Inhalte verhöhnenden Provokationen wie etwa sexuelle Handlungen, Beschädigungen oder politische Parolen hinzutraten, bei Weitem hinaus. Hinzu kommt – wie die Generalstaatsanwaltschaft zutreffend ausgeführt hat -, dass der Angeklagte sein Verhalten mit einer von ihm eigens hierzu im Hauptschiff der Kirche aufgestellten Videokamera aufzeichnete, er den Altarraum quasi als Filmset nutzte und er die objektiv durch sein Handeln zum Ausdruck gebrachte Missachtung der religiösen Bedeutung des Ortes durch die Videoaufzeichnung noch perpetuierte.

(2) Der vom Landgericht angeführte Umstand, dass das Verhalten des Angeklagten Teil eines künstlerischen Schaffensprozesses gewesen sei, bei dem der Altar zu einem wesentlichen Element des von ihm erstellten Kunstwerks erhoben worden sei, ist für die Tatbestandsmäßigkeit seines Verhaltens schon deshalb ohne Bedeutung, weil dieser Aspekt aus der Sicht eines hypothetischen besonnenen Beobachters in dem Verhalten des Angeklagten in der Basilika St. Johann keinen Ausdruck fand (vgl. zur Ermittlung des Sinngehalts von Aussagen in künstlerischen Ausdrucksformen bei Beleidigungsdelikten: LK-Hilgendorf, a. a. O., § 185 Rn. 22; Schönke/Schröder/Lenckner/Eisele, a. a. O., § 185 Rn. 8a; vgl. auch zu höheren Anforderungen an das Tatbestandsmerkmal des Beschimpfens in § 166 StGB bei künstlerischen Äußerungen: LK-Dippel, a. a. O., § 166 Rn. 40). Denn das Geschehen ging – worauf die Generalstaatsanwaltschaft zutreffend hingewiesen hat – wortlos und ohne sonstige Kundgabe eines Gedankens des Angeklagten vonstatten, ohne dass sich einem um Verständnis bemühten Betrachter nach den Gesamtumständen erschlossen hätte, dass es sich bei den Handlungen des Angeklagten um eine künstlerische Betätigung handelte……

(3) Die Annahme des Landgerichts, dem Verhalten des Angeklagten den Ausdruck roher Gesinnung beizumessen sei schon deshalb ausgeschlossen, weil es vom Schutzbereich der verfassungsrechtlich gewährten Kunstfreiheit erfasst gewesen sei, geht fehl. Träfe dies zu, wäre jedem als beschimpfender Unfug an geheiligten Orten allgemein anerkannten Verhalten wie etwa der Ausübung sexueller Handlungen in einer Kirche oder dem Beschmieren von Kirchenwänden mit Hakenkreuzen die Tatbestandsmäßigkeit nach § 167 Abs. 1 Nr. 2 StGB abzusprechen, wenn es nur in den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG fiele. Richtig ist vielmehr, dass – worauf sowohl die Staatsanwaltschaft als auch die Generalstaatsanwaltschaft zutreffend hingewiesen haben – dem Aspekt der Freiheit der Kunst regelmäßig – und so auch hier – nicht bereits im Rahmen der Prüfung der Tatbestandsmäßigkeit eines Verhaltens Rechnung zu tragen ist, sondern erst auf der Ebene der Rechtswidrigkeit, nämlich bei der Prüfung der Frage, ob ein tatbestandsmäßiges Verhalten durch die Wahrnehmung des Grundrechts der Freiheit der Kunst gerechtfertigt gewesen ist (vgl. Fischer, a. a. O., § 166 Rn. 16, § 193 Rn. 36; LK-Dippel, a. a. O., § 166 Rn. 33 mit Fußn. 83, Rn. 107; Schönke/Schröder/Lenckner/Eisele, a. a. O., § 185 Rn. 8a, § 193 Rn. 19).“

Und: Das Verhalten des Angeklagten war nicht durch die Wahrnehmung seines Grundrechts der Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG) gerechtfertigt:

„cc) Die Kunstfreiheit ist indes in Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG zwar vorbehaltlos, aber nicht schrankenlos gewährleistet. Die Schranken ergeben sich insbesondere aus den Grundrechten anderer Rechtsträger, aber auch aus sonstigen Rechtsgütern mit Verfassungsrang (vgl. BVerfG, Beschl. v. 08.02.2018 – 1 BvR 2112/15, juris Rn. 18 m. w. N.). Im vorliegenden Fall kollidiert das von dem Angeklagten wahrgenommene Recht der Kunstfreiheit mit dem ebenfalls nicht unter Gesetzesvorbehalt stehenden Recht der katholischen Kirchengemeinde St. Johann, ihrer Mitglieder sowie der ihre Kirche besuchenden Gläubigen auf ungestörte Religionsausübung nach Art. 4 Abs. 1, Abs. 2 GG, dessen Schutz § 167 StGB dient (vgl. Fischer, a. a. O., § 167 Rn. 1; MünchKomm.StGB/ Hörnle, a. a. O., § 167 Rn. 1). Das den Tatbestand des § 167 Abs. 1 Nr. 2 StGB erfüllende Verhalten des Angeklagten wäre daher nur dann durch die Wahrnehmung seines Rechts der Kunstfreiheit gerechtfertigt, wenn diesem aufgrund einer Abwägung der widerstreitenden grundrechtlich geschützten Interessen der Vorrang vor dem Recht auf ungestörte Religionsausübung gebührte (vgl. BVerfGE 75, 369 ff. – juris Rn. 24; 81, 278 ff. – juris Rn. 49; LK-Rönnau, a. a. O., Vor § 32 Rn. 138; LK-Dippel, a. a. O., § 166 Rn. 41, 107; Fischer, a. a. O., § 166 Rn. 16). Das ist nicht der Fall.

aaa) Der Angeklagte hat dadurch, dass er auf den Altar der geweihten katholischen Basilika St. Johann stieg und auf diesem Liegestützen ausführte, in schwerwiegender Weise in das Recht auf ungestörte Religionsausübung eingegriffen. Denn ungeachtet seiner im Übrigen zurückhaltenden Vorgehensweise hat er durch diese Handlung den Altar als für den christlichen Glauben besonders bedeutsamen und dessen Ausübung zentralen Gegenstand in einer mit christlichen Wertvorstellungen nicht vereinbaren Weise für die Herstellung seiner Kunst zweckentfremdet und hat damit in den Kern der durch Art. 4 Abs. 1, Abs. 2 GG geschützten Religionsausübung eingegriffen.

bbb) Die mit dem Verbot dieses Verhaltens verbundene Beschränkung der Kunstfreiheit des Angeklagten wiegt demgegenüber deutlich weniger schwer. Er ist hierdurch nur in einem marginalen Teil seines Rechts auf freie Ausübung der Kunst betroffen. Von dem Verbot ist nur die Herstellung der Videoinstallation auf die von dem Angeklagten bevorzugte, durch andere Handlungsmodalitäten ersetzbare Weise erfasst (vgl. Thüringer OLG NJW 2006, 1892 ff. – juris Rn. 14, 23). Seiner mit der Videoinstallation verfolgten Absicht, seine kritische Haltung gegenüber dem Druck der Leistungsgesellschaft, der nichts mehr heilig sei, zum Ausdruck zu bringen und dem Betrachter vor Augen zu führen, wie sich Menschen unnatürlich in Situationen verhalten, in denen sie viel Druck von außen spüren, hätte der Angeklagte ohne Weiteres auch dann Ausdruck verleihen können, wenn er seine Liegestützenperformance auf dem Altar einer entweihten Kirche oder auf einem nachgebauten Altar ausgeführt hätte.“

Bisschen viel Text. Aber am Samstag ist ja Zeit zum Lesen ….

Immer wieder – auch Sonntags – Glockengeläut, oder: „Klageerzwingungsverfahren“ im OWi-Verfahren?

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So, heute im Kessel Buntes dann zunächst mal keine Entscheidung mit verkehrs- oder strafrechtlichem Bezug. Aber mit Bezug zum Sonntag. Und zwar geht es in dem Verfahren, das nun mit dem OVG Saarland, Beschl. v. 29.03.2018 – 2 D 5/18 – geendet hat, um sonntägliches Glockengeläut. Ein Nachbar der Kirche, von der dieses Geläut stammte, fühlt(e) sich dadurch gestört.  Er hat sich deshalb mit Schreiben vom 10.9.2017 an die Gemeinde A-Stadt gewandt und beantragt, gegen die Verantwortlichen der Katholischen Kirche in A-Stadt ein Ordnungsgeld zu verhängen. Dieses Schreiben sandte die Gemeinde A-Stadt an den Nachbarn mit dem Hinweis zurück, dass für die Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten der Antragsgegner (?) zuständig sei. Daraufhin wandte sich der Nachbar an diesen und beantragte die „Verfolgung der Lärmbelästigung, Ruhestörung, gesundheitliche Beeinträchtigung durch Schlafentzug durch die Verantwortlichen der Katholischen Kirche in A-Stadt.“ Der Antragsgegner teilte „dem Antragsteller mit, dass er nicht beabsichtige ein Bußgeld zu verhängen, weil seiner Ansicht nach keine Ordnungswidrigkeit vorliege.“

Daraufhin dann der Eilantrag des Nachbarn beim VG. Mit diesem beantragte er, „den Verfahrensgegner zur amtlichen Tätigkeit gerichtlich zu zwingen und seine Eingabe wegen OWiG-Lärmbelästigung zu bearbeiten. Des Weiteren beantragte er, ihm Prozesskostenhilfe zu gewähren. Zur Begründung führte er unter anderem aus, er wende sich seit Monaten ungehört an Verwaltungen wegen unzumutbarer und auch rechtswidriger Lärmbelästigung durch die Katholische Kirche St. P. und P. in A-Stadt. Er habe auf seine Anzeige weder eine Eingangsbestätigung noch eine Abhilfe der gesundheitsschädlichen Lärmbelästigung erhalten. Er sei 63 Jahre alt, lungenkrank und brauche seinen Schlaf. Auch sehe er sich hinsichtlich Art. 4 GG als Jude diskriminiert. Es werde offenbar zuwider Art. 3 GG die Amtspflicht der Sachbearbeitung hinter die Katholikenbegünstigung gestellt. Er werde auch am Wochenende um 6.30 Uhr durch rechtswidriges Glockenläuten aus dem Schlaf gerissen und habe deshalb Kopfschmerzen, Schwindelgefühle und könne nicht mehr schlafen. Es gelte die verfassungsgarantierte Trennung von Kirche und Staat.“

Das VG hat die Anträge zurückgewiesen. Das OVG schließt sich dem an:

Die zum Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 123 Abs. 1 VwGO erforderliche Antragsbefugnis setzt zum Zwecke des Ausschlusses von Popularklagen analog § 42 Abs. 2 VwGO voraus, dass der Antragsteller die zumindest mögliche Verletzung eigener Rechte geltend macht. Als Rechte, deren Verletzung geltend gemacht werden können und die Voraussetzung für die Antragsbefugnis sind, kommen alle Normen in Betracht, die entweder ausschließlich oder – neben anderen Zwecken – zumindest auch dem Schutz der Interessen des Antragstellers zu dienen bestimmt sind. Nicht ausreichend sind dagegen lediglich ideelle, wirtschaftliche oder ähnliche Interessen.

An einem solchen subjektiv öffentlichen Recht des Antragstellers fehlt es hier. Das Verwaltungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass ein Anzeigeerstatter keinen durchsetzbaren Anspruch auf Tätigwerden der Bußgeldbehörde hat. Den objektiv-rechtlichen Verpflichtungen der Bußgeldbehörde bei Eingang einer Anzeige korrespondiert kein subjektives Recht des Anzeigeerstatters. Das Ordnungswidrigkeitenrecht kennt anders als das Strafverfahrensrecht keine subjektiven Rechtspositionen von Anzeigeerstattern, die auf eine Pflicht zur Bearbeitung, Durchführung eines Verfahrens und Ahndung eines festgestellten Verstoßes gerichtet wären. Insbesondere gibt es kein dem strafrechtlichen Klageerzwingungsverfahren entsprechendes „Ahndungserzwingungsverfahren“ (§ 46 Abs. 3 Satz 3 OWiG).22 Das Beschwerdevorbringen gibt zu keiner anderen Betrachtung Anlass. Daher ist die gegen die Versagung von Prozesskostenhilfe gerichtete Beschwerde mangels hinreichender Erfolgsaussichten des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung – aufgrund des Fehlens einer subjektiven Rechtsposition des Antragstellers hinsichtlich des Tätigwerdens des Antragsgegners als Bußgeldbehörde – zurückzuweisen.“