(Keine) Beschlagnahme von Verteidigungsunterlagen, oder: Wenn der Verteidiger der StA Mandatsinterna schickt…

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Ich eröffne die 23. KW mit dem LG Frankfurt/Main, Beschl. v. 09.11.2017 – 5/12 KLs 14/17, auf den mich der Kollege Garcia vom Blog delegibus gestern hingewiesen hat. Ihm und auch allen anderen Einsendern von Entscheidungen/Hinweisgebern an dieser Stelle mal ein ausdrücklicher Dank für die Hinweise/Entscheidungen. Das Blog lebt gerade auch von den Entscheidungen, die ein wenig außerhalb der großen Veröffentlichungswelle laufen und die man, wenn die Beteiligten sie nicht öffentlich gemacht hätten, sonst oft übersehen hätte/würde.

Der LG Frankfurt/Main, Beschl. v. 09.11.2017 – 5/12 KLs 14/17 – behandelt eine Problematik, die für jeden Verteidiger Horror ist, nämlich die Beschlagnahme von (Verteidiger)Unterlagen. Horror u.a. deshalb, weil in solchen Unterlagen ja häufig Mandatsinterna enthalten sind, die nur den Verteidiger und den verteidigten Mandanten etwas angehen.Und genau deshalb sind die Unterlagen dann ja auch nach § 97 Abs. 1 Nr. 2 StPO beschlagnahmefrei. Das allerdings nur – so § 97 Abs. 2 Satz 1 StPO – wenn sich die Unterlagen im Gewahrsam des Verteidigers befinden. Und genau da lag hier das Problem. Denn der Verteidiger – oder sein Büro – hatte bei der Rücksendung der Akten nach gewährter Akteneinsicht wohl nicht so genau hingeschaut. Jedenfalls lag den Akten und dem Rücksendeschriftsatz ein Schriftstück bei, bei dem es sich laut Auskunft des Verteidigers um handschriftliche Notizen handelte, die sich der Verteidiger während eines Gesprächs mit dem Mandanten gemacht habe.

Die Staatsanwaltschaft hatte flugs die Beschlagnahme des Schriftstücks beantragt und sich dabei auf den Wortlaut des § 97 StPO berufen. Der Ermittlungsrichter hatte die Beschlagnahme des Schriftstücks angeordnet. Da gegen die Beschwerde, die beim LG beim inzwischen erkennenden Gericht als Antrag auf neue Entscheidung durch das erkennende Gericht Erfolg hatte. Denn:

„Eine von einem Verteidiger gefertigte Verteidigungsunterlage ist auch dann beschlagnahmefrei, wenn der Verteidiger den Gewahrsam an dem betreffenden Schriftstück versehentlich verloren hat. Das folgt aus § 148 StPO i. V. m. den verfassungsrechtlichen Anforderungen an ein faires Strafverfahren, die auf Art. 2 Abs. 1, 20 Abs. 3 GG bzw. Art. 6 Abs. 3 EMRK fußen.

Zwar ist der Staatsanwaltschaft und dem Amtsgericht zuzugestehen, dass sich ein Beschlagnahmeverbot nicht auf den Wortlaut des § 97 StPO stützen lässt. Der Wortlaut dieser Vorschrift scheint vielmehr für die angegriffene Entscheidung des Amtsgerichts zu streiten. Denn in § 97 Abs. 2 Satz 1 StPO ist ausdrücklich geregelt, dass das dort normierte Beschlagnahmeverbot nur dann gilt, wenn sich der Gegenstand im Gewahrsam der zur Verweigerung des Zeugnis Berechtigten befindet. Dementsprechend wird in der Kommentarliteratur jedenfalls außerhalb des Bereichs der Verteidigerunterlagen vorherrschend die Auffassung vertreten, dass die Beschlagnahmefreiheit grundsätzlich auch dann endet, wenn der Berufsgeheimnisträger den Gewahrsam an den Unterlagen unfreiwillig verliert (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 60. Aufl. 2017, § 97 Rdnr. 13 m. w. N.; KK-StPO/Greven a. a. O. § 97 Rdnr. 8; LR-Menges, 26. Aufl. 2017, § 97 Rdnr. 9; MüKo-StPO/Hauschild, 1. Aufl. 2014, § 97 Rdnr. 19). Auf diese Auffassung stützt sich die angefochtene Entscheidung. In einem (ebenfalls Verteidigerunterlagen betreffenden) Urteil vom 15.12.1976 hat der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs unter Bezug auf Meyer-Goßner a. a. O. (ohne nähere Darlegungen in der Sache) bemerkt, dass viel dafür sprechen „mag“, dass die Beschlagnahmefreiheit des § 97 StPO auch bei unfreiwilligem Gewahrsamsverlust ende. Er hat diese Frage aber letztlich ausdrücklich offen gelassen (BGH 3 StR 432/76 Rdnr. 17).

Ob § 97 StPO insoweit insgesamt für alle Berufsgeheimnisträger verfassungskonform zu reduzieren ist, wie dies in der Literatur vereinzelt verlangt wird (Nachweise bei Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, a. a. O.), bedarf vorliegend keiner Entscheidung. Jedenfalls für Verteidigungsunterlagen sind zusätzlich der später in Kraft getretene § 148 StPO und verfassungsrechtliche Grundsätze heranzuziehen (so auch Meyer-Goßner/Schmitt a. a. O. Rdnr. 37; LR-Menges a. a. O. Rdnr. 105). Der verfassungsrechtlich durch Art. 2 Abs. 1, 20 Abs. 3 GG und Art. 6 Abs. 3 EMRK abgesicherte Grundsatz des fairen Verfahrens gebietet einen ungehinderten Verkehr zwischen Verteidiger und Beschuldigtem zum Zwecke der Verteidigung. Der Verkehr zwischen dem Verteidiger und dem Beschuldigten gehört zu den unabdingbaren Voraussetzungen der Verteidigung und ist grundsätzlich von jeder Behinderung und Erschwerung freizustellen. Mit Blick auf die Bedeutung dieses aus der Verfassung abgeleiteten Grundsatzes ist die Beschlagnahmefreiheit jedenfalls von Verteidigungsunterlagen in weit größerem Umfang anerkannt als es dem Wortlaut des § 97 StPO entspricht. So ist anerkannt, dass Verteidigungsunterlagen – im Widerspruch zum Wortlaut des § 97 StPO – auch dann beschlagnahmefrei sind, wenn sie sich auf dem Postweg befinden (BGH NJW 1990, 722 [BGH 13.11.1989 – I BGs 351/89]; Meyer-Goßner/Schmitt, a. a. O. Rdnr. 37; LR-Menges a. a. O. Rdnr. 105; MüKo-StPO/Hauschild, a. a. O. Rdnr. 31; SK-StPO/Wohlers/Greco, 5. Aufl. 2016, Rdnr. 87; jeweils m. w. N.). Ebenso ist anerkannt, dass Verteidigungsunterlagen auch dann beschlagnahmefrei sind, wenn sie sich nicht im Gewahrsam des Verteidigers, sondern im Gewahrsam des Beschuldigten befinden (BGH NJW 1973, 2035; 1982, 2508 [BGH 24.03.1982 – 3 StR 28/82 (S)]; Meyer-Goßner/Schmitt, a. a. O. Rdnr. 37; MüKo-StPO/Hauschild, Rdnr. 31; jeweils m. w. N.). (Das wird – ebenfalls aus verfassungsrechtlichen Gründen – weitgehend einhellig sogar auf Unterlagen ausgeweitet, die nicht vom Verteidiger angefertigt wurden, sondern die der Beschuldigte selbst zum Zwecke seiner Verteidigung angefertigt hat; BVerfG 2 BvR 2248/00 vom 30.1.2002 NJW 2002, 1410; BGHSt 44,46; OLG München NStZ 2006, 300; BT-Drucks. 16/5846, S. 35; Meyer-Goßner/Schmitt, a. a. O. Rdnr. 37; KK-StPO/Greven a. a. O. Rdnr.24; LR-Menges a. a. O. Rdnr. 107f; MüKo-Hauschild a. a. O. Rdnr. 31; SK-StPO/Wohlers/Greco a. a. O. Rdnr. 88; jeweils m. w. N.).

Von einer verbreiteten Literaturmeinung wird deshalb ausdrücklich die Auffassung vertreten, dass das Gewahrsamserfordernis für Verteidigungsunterlagen keine Bedeutung hat (so ausdrücklich SK-StPO/Wohlers/Greco a. a. O. Rdnr. 15, 87 und SSW-StPO/Eschelbach § 97 Rdnr. 21, vgl. auch KK-StPO/Greven, a. a. O. § 97 Rdnr. 24). Dieser Literaturauffassung dürfte aus den genannten verfassungsrechtlichen Gründen zu folgen sein. Jedenfalls sind die von Verfassungs wegen gebotenen Erweiterungen der Beschlagnahmefreiheit für Verteidigungsunterlagen auf die vorliegende Konstellation zu erstrecken.

Denn es würde der verfassungsrechtlichen Bedeutung des Rechts auf ungehinderten Verkehr mit dem Verteidiger nicht gerecht, wenn ein Beschuldigter die Sorge haben müsste, dass schriftliche Aufzeichnungen, die von seinen Angaben gegenüber dem Verteidiger gemacht werden, dann nicht mehr beschlagnahmefrei wären, wenn sie versehentlich aus dem Gewahrsam seines Verteidigers oder aus seinem eigenen Gewahrsam gelangen. …………………………..

Dieses Abwägungsergebnis gilt jedenfalls für vom Verteidiger selbst im Rahmen eines Mandantengesprächs gefertigte Aufzeichnungen. Ob etwas anderes etwa bei Urkunden zu gelten hätte, die dem Verteidiger zum Zwecke der Verteidigung übersandt (vgl. dazu MüKo- StPO/Hauschild a. a. O. Rdnr. 32) und von ihm später versehentlich herausgegeben wurden, bedarf im vorliegenden Fall keiner Entscheidung.

Vorliegend hat die Kammer aufgrund des übereinstimmenden Vortrags von Staatsanwaltschaft und Verteidigung keinen Zweifel daran, dass es sich bei dem hier sichergestellten Schriftstück tatsächlich um Aufzeichnungen handelt, die der Verteidiger während eines Mandantengesprächs gefertigt hat.“

Trotz dieser – m.E. zutreffenden – Entscheidung: Aufgepasst, was man zurückschickt und die Akten/unterlagen schön beisammen halten und sorgfältig voneinander trennen.

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