Archiv für den Monat: Dezember 2017

Zumutbarkeit/Höhe Pauschgebühr, oder: „Düsseldorfer Altbier“ wird nicht angerechnet

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Als zweite gebührenrechtliche Entscheidung stelle ich den OLG München, Beschl. v. 16.11.2017 – 1 AR 413/17 – vor. Den hat mir der Kollege Wamser aus Passau übersandt. Es geht um die Bewilligung einer Pauschgebühr nach § 51 RVG. Als der Kollege die Übersendung eines  Pauschgebührbeschlusses durch das OLG München angekündigt hat, hatte ich nur gedacht: Oh ha, OLG München zur Pauschgebühr nach § 51 RVG, das ist fast so schlimm wie das OLG Frankfurt am Main. Denn beide OLG sind in meinen Augen besonders restriktiv bei der Bewilligung. Nun, ganz so schlimm war es dann doch nicht. Denn das OLG hat immerhin einen Zuschlag von 50% auf die gesetzlichen Gebühren gewährt. Ob das ausreicht, lassen wir mal, da sich aus dem Beschluss (mal wieder) nicht die Einzelheiten der Inanspruchnahme ergeben dahin gestellt.

Im Übrigen im Beschluss die Formulierungen, die wir fast immer lesen, wenn es um eine Pauschgebühr geht. Die gesetzlichen Gebühren sind zumutbar, die Gewährung einer Pauschgebühr ist die Ausnahme usw.:

„Die Bewilligung einer Pauschvergütung ist daher die Ausnahme, die bei besonders umfangreichen und schwierigen Verfahren unzumutbare Sonderopfer des beigeordneten Rechtsanwalts vermeiden soll. Es ist nicht Zweck der Pauschgebühr, den Pflichtverteidiger wirtschaftlich dem Wahlverteidiger gleich zu stellen. Nur in extrem aufwändigen Verfahren, die in jeder Hinsicht auch Verfahren in den Schatten stellen, bei denen eine Pauschgebühr schon angezeigt ist, kommt eine Bewilligung in Höhe der Wahlverteidigergebühren in Betracht. Ihre Überschreitung ist so gut wie immer ausgeschlossen.“

Das ist m.E. so nicht richtig.

Aber eine Formulierung im Beschluss war dann doch „bemerkenswert“, und zwar.

„Auch unter Berücksichtigung der mit Schriftsätzen vom 23.10.2017 und 04.11.2017 vorgetragenen Argumente des Antragstellers erscheint jedoch ein Zuschlag von 50 % auf die gesetzlichen Gebühren ausreichend und angemessen, wobei dem Antragsteller darin gefolgt werden kann, dass das erhaltene Düsseldorfer Altbier nicht anzurechnen ist.hat mich dann doch stutzig gemacht.“

„Bemerkenswert“ nicht deshalb, weil eine Anrechnung von „Erhaltenem“/erhaltenen Zahlungen nicht im Rahmen der Bewilligung der Pauschgebühr erfolgt, sondern im Festsetzungsverfahren. Das kann einem OLG schon mal durchgehen. Nein bemerkenswert, wegen der Art der empfangenen Leistung – nämlich „Düsseldorfer Altbier“. Ich habe deswegen dann beim Kollegen nachgefragt, der mir mitgeteilt hat:

„Hallo Herr Kollege, im Verfahren ging es um Gewerbe- und bandenmäßigen Betrug durch den Verkauf fiktiver Aktien im Telefonvertrieb mit phantastischen Gewinnaussichten. Vor einer „normalen“ Kammer des LG Passau fanden 8 Hauptverhandlungstermine statt. Das Verfahren endete mit Verurteilungen aller Angeklagten. Die Pflichtverteidigervergütung wurde mit dem Standardsatz „Vorschüsse und Zahlungen nach § 58 Abs. 3 RVG habe ich nicht erhalten. Später eingehende Zahlungen, die für die Pflicht zur Rückzahlung der Gebühren an die Staatskasse von Bedeutung sind, werde ich der Staatskasse anzeigen“ beantragt. Im Rahmen des Antrages auf die Pauschvergütung hat dann die Bezirksrevisorin eine detaillierte Darlegung von allem im Mandat erlangten begehrt. Diese Darlegung bekam sie gerne. Erlangt wurde lediglich das Düsseldorfer Altbier gemäß meinem Schreiben, das ich Ihnen glaublich beigefügt hatte und das dann in den Beschluss mündete.

Aus meiner Stellungnahme:
„Zahlungen Dritter sind an mich nicht erfolgt. Soweit erinnerlich wurden mir durch einen Bekannten des Angeklagten im Laufe des Verfahrens einige Flaschen Düsseldorfer Altbier geschenkt, das dieser wohl selbst braut. Der genaue Wert ist mir unbekannt, dürfte sich aber im unteren 2-stelligen Eurobereich bewegen. Der Vorgang wurde nicht als Gewährung einer Vergütung aufgefasst, sondern als – vergeblichen – Versuch mich als künftigen Kunden für rheinische Brauprodukte zu gewinnen.“

Damit klärt sich also die „Altbierfrage“. Zumindest Humor scheint man beim OLG München gelegentlich zu haben 🙂 .

Fahrtkostenerstattung, oder: Bis zu 2 Stunden Fahrtzeit darf der Verteidiger entfernt sein

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Am letzten Arbeitstag des Jahres dann noch ein wenig Gebührenrecht. Zunächst kommt der Hinweis auf den AG Chemnitz, Beschl. v. 14.12.2017 – 10 Ds 940 Js 2084/12 -, den mir der Kollege Stephan, Dresden, übersandt hat. Gestritten worden ist im Rahmen der Kostenfestsetzung um die Fahrtkosten. Der Angeklagte/Verteidiger hatte Fahrtkosten von Dresden nach Chemnitz geltend gemacht. Das AG/der Rechtspfleger hat die (zunächst) nicht festsetzen wollen, sondern nur die Fahrtkosten eines Rechtsanwaltes angesetzt, die bei Beauftragung eines Anwaltes am Wohnsitz des Angeklagten entstanden wären. Anders dann das AG auf die Erinnerung des Verteidigers:

„Der Antrag des Verteidigers des Angeklagten pp. Rechtsanwalt Stephan auf Erstattung seiner Anreise aus Dresden ist jedoch zu Recht erfolgt. Es kann einem Be­schuldigten, Angeschuldigten oder Angeklagten in einer immer mobiler werdenden Welt sch­licht und ergreifend nicht zugemutet werden, sich bei der Suche nach einen Verteidiger auf Rechtsanwälte aus seinem Wohnort zu verlassen. Jedenfalls werden die Kosten zu erstatten sein, die bei einer Fahrt zu einem Verteidiger innerhalb von 2 Stunden Fahrt entstehen. Das betrifft vorliegend in jedem Fall die Kosten des Verteidigers des Angeklagten

Rechtsanwalt Stephan. Ob darüberhinaus auch Kosten von Verteidigern zu erstatten sind, die noch weiter entfernt ihren Kanzleisitz haben, kann dahinstehen.“

Schöner Ansatz.

Der „Kölner Blitzerskandal“ zieht Kreise, oder: Kein Fahrverbot

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Und als dritte AG-Entscheidung bringe ich dann den AG Koblenz, Beschl. v. 06.12.2017 – 34 OWi 2010 Js 32805/17, also ein Nikolausbeschluss. Und das AG hat dem Betroffenen auch ein schönes Nikolausgeschenk gemacht. Denn es hat von einem an sich nach § 4 Abs. 2 BKatV verwirkten Regelfahrverbot abgesehen. Begründung:

„Eine Erhöhung der Geldbuße bzw. die Verhängung eines Fahrverbotes gegen den Betroffenen war nicht angezeigt. Denn die im Fahreignungsregister vom 12.07.2017 noch aufgeführte Vorein­tragung – es handelte sich dabei um den Vorwurf einer Überschreitung der zulässigen Höchstge­schwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 27 km/h im Bereich Kreuz Köln Ost (Heumarer Dreieck) – besteht nicht mehr. Die an der betreffenden Stelle vorgenommenen Mes­sungen sind auch unter der Bezeichnung „Kölner Blitzerskandal“ bekannt geworden, da es sich um inhaltlich falsche Messungen handelte, aufgrund derer rechtswidrige Bußgeldbescheide bzw. Eintragungen im Fahreignungsregister ergingen. Die o.g. Eintragung des Betroffenen wurde da­her durch Anordnung der Bezirksregierung Köln am 21.08.2017 getilgt.“

Der Beschluss stammt vom „Hexer“ 🙂 , dem Kollegen T. Geißler, Wuppertal. Besten Dank.

Kinderbeaufsichtigung im Beratungszimmer, oder: Besorgnis der Befangenheit?

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Bei der zweiten amtsgerichtlichen Entscheidung, die eine Ablehnungsfrage zum Gegenstand hat, handelt es sich um den AG Bielefeld, Beschl. v. 05.12.2017 – 39 Ds-6 Js 42/17-824/17. In ihm geht es letztlich auch um Terminschwierigkeiten. Das AG und der Verteidiger haben nach einem Termin, der wegen Verhinderung eines Zeugen ausgefallen ist, „die Enden nicht wieder zusammen bekommen“. Der Angeklagte hat dann das Mandant zu seinem ursprünglichen Verteidiger beendet. Ein weiterer Verteidiger hat dann einen Ablehnungsantrag gestellt und den wie folgt begründet: „Während des Termins vom 29.08.2017 habe sich ein Schulkind zur Beaufsichtigung der Richterin im Beratungszimmer bei geöffneter Tür befunden. Die Verteidigung nimmt insoweit auf die Entscheidung des BGH in dem Verfahren 2 StR 228/17 Bezug. Zudem werde die Verteidigung durch die Terminsverfügungen der Richterin ausgeschlossen. …). Der Antrag hat beim AG keinen Erfolg. Zur Kinderbeaufsichtigung heißt es:

„Auch der Umstand, dass sich während des Termins vom 29.08.2017 ein Schulkind – der 9-jährige Sohn der Richterin – im Beratungszimmer aufhielt und die Richterin die Tür zum Sitzungssaal geöffnet hielt, führt nicht zu ihrer Befangenheit Allerdings trifft es zu, dass dann, wenn der Richter der Sitzung nicht die volle Aufmerksamkeit widmet, sondern sich parallel privaten Aufgaben zuwendet, eine Befangenheit angenommen werden kann. Dies hat der BGH etwa für die private Handy-Nutzung während der Sitzung bejaht (vgl. BGH 2 StR 228/14). Dieser Fall unterscheidet sich aber von dem vorliegenden. Denn die Richterin war Im vom BGH entschiedenen Fall die Beisitzerin; sie nutzte das Handy während der laufenden Sitzung, Der hier vorliegende Fall ist eher damit zu vergleichen, dass das Handy auf Rufbereitschaft gestellt wird und gelegentlich aufs Handy geschaut wird. Denn wenn ein 9-jähriges Kind allein im Beratungszimmer spielt, weil an dem Tag die Kinderbetreuung nicht gewährleistet werden konnte, lenkt das als solches die Aufmerksamkeit der Richterin nicht ab. Dies wäre erst dann der Fall – ähnlich der Nutzung des Handys – wenn konkreter Betreuungsbedarf besteht. Dies war aber offensichtlich nicht der Fall. Die bloße beiläufige Überwachung des Sitzungszimmers führt aber nicht zu einer Reduzierung der Aufmerksamkeit in der Hauptverhandlung. Der weitere Antrag vom 27.11.2017 enthält keine weiteren Argumente und war deshalb ohne erneute dienstliche Stellungnahme zurückzuweisen. Einzig der Umstand, dass die dienstliche Äußerung inhaltsleer gewesen sei, wird zusätzlich vorgetragen. Die dienstliche Stellungnahme ist zwar kurz, aber keinesfalls inhaltsleer.“

Na, ich habe erhebliche Zweifel, ob das aus der zitierten BGH-Entscheidung folgt. Denn m.E. stellt der BGH in seiner Entscheiung – für mich zutreffend – darauf ab, dass die dort abgelehnte Richterin offenbar bereit gewesen sei, ihre private Kommunikation über ihre dienstliche Pflicht zur Aufmerksamkeit in der Hauptverhandlung zu stellen. Was unterscheidet den Fall von dem hier vom AG Bielefeld entschiedenen, in dem während der Hauptverhandlung das Kind im Beratungszimmer beaufsichtigt wird.

Eine ganz andere Frage ist, ob der Antrag nach so langer Zeit überhaupt noch zulässig oder ob der vorgetragene Grund nicht verspätet (vorgetragen) war.

Nachträgliche Terminskollision, oder: Wenn die Amtsrichterin die Terminsverlegung nicht will, befangen

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Heute dann drei amtsgerichtliche Entscheidungen, zwei davon befassen sich mit Ablehnungsfragen (§§ 24 ff. StPO). Ich eröffne mit dem AG Wuppertal, Beschl. v. 05.12.2017 – 28 OWi 623 Js 1805/17 (131/17), den mir der Kollege T.F. Schubert aus Marl während meines Urlaubs übersandt hat.

Es geht um die in der Praxis immer wieder auftretenden und Schwierigkeiten bereitenden Fragen der Terminsverlegung; dass sie Schwierigkeiten machen, zeigen die vielen Postings zu der Problematik in der Facebook-Gruppe: „Fachanwälte für Strafrecht….“. Ausgangspunkt der Entscheidung ist folgender Sachverhalt:

Mit Verfügung der Abteilungsrichterin vom 12.11.2017 ist zunächst Termin zur Durchführung der Hauptverhandlung auf Mittwoch, den 24.01.2018 bestimmt worden. Nachdem ein für diese Hauptverhandlung geladener Zeuge mitgeteilt hat, dass er diesen Termin nicht wahrnehmen könne, da es sich zum Termintage in Urlaub befinde, hat die Abteilungsrichterin den Termin mit Verfügung vom
22.11.2017 auf den 06.12.2017 vorverlegt. Dies geschah, nachdem dieser Termin mit dem Sekretariat des Verteidigers abgesprochen war. Das EB des Verteidigers ist am 24.11.2017 hinsichtlich der Umladung unterzeichnet worden. Mit Schriftsatz vom 28. November hat der Verteidiger sodann beantragt, den Termin vom 6. Dezember aufzuheben. Zur Begründung hat er vorgetragen und anwaltlich versichert, er habe im Rahmen einer Pflichtverteidigung vor dem Landgericht Essen am 28.11.2017 einen Fortsetzungstermin für den 06.12.2017 um 9:15 Uhr erhalten. Auch könne im hiesigen Verfahren ein Kollege der Anwaltskanzlei nicht einspringen, da diese entweder urlaubsabwesend oder durch andere Termine gebunden seien. Mit Verfügung der Abteilungsrichterin vom 30.11.2017 wurde dem Verteidiger mitgeteilt, dass der Termin vom 06.12.2017 bestehen bleibe. Die Ladung sei ihm am 24. November zugegangen. Die Ladung des Termins, wegen dem Verlegung beantragt worden sei, sei aber erst am 28.11.2017 erfolgt. Ergänzend hat die Abteilungsrichterin mitgeteilt, dass der Verteidiger abwägen möge, ob er den Termin am 06.12.2017, bei dem kein Anwaltszwang herrsche, wahrnehmen wolle. Mit weiterem Schriftsatz des Verteidigers vom 01.12.2017 hat er dann nochmals darauf hingewiesen, dass der Fortsetzungstermin in Essen erst in der Hauptverhandlung am 28.11.2017 festgesetzt worden sei und er als Pflichtverteidiger diesen auch wahrnehmen müsse. Er halte diesen Termin auch für vorrangig. Erneut bat er um Aufhebung des Termins am 06.12.2017. Mit Verfügung der Abteilungsrichterin vom 01.12.2017 wurde dem Verteidiger mitgeteilt, dass der Termin bestehen bleibe. Eine weitergehende Begründung erfolgte nicht.

Das AG macht dann Ernst mit den §§ 24 ff. StPO und sieht den Ablehnungsantrag als begründet an:

„Bei einer Gesamtbetrachtung und Gesamtwürdigung dieses Sachverhaltes liegt ein oben beschriebener Ausnahmefall vor, bei dem wegen verweigerter Terminverlegung die Besorgnis der Befangenheit der Abteilungsrichterin zu bejahen ist.

Der Verteidiger hat erhebliche und nachvollziehbare Gründe für seinen Terminverlegungsantrag vorgetragen und die Tatsachen anwaltlich versichert. Es ist nach Akteninhalt zweifelsfrei, dass er den Hauptverhandlungstermin hier wegen eines erst am 28_11.2017 von einer Strafkammer in Essen bestimmten Fortsetzungstermins am 06.12.2017, in welchem er zum Pflichtverteidiger bestellt ist, nicht wahrnehmen kann. Auch hat er anwaltlich versichert, dass ein Mitglied der Anwaltskanzlei nicht an seiner Stelle einspringen kann, da alle verhindert seien. Unter dem Gesichtspunkt des fairen Verfahrens und des Rechts des Betroffenen, sich von einem Verteidiger seiner Wahl vertreten zu lassen, war die Zurückweisung des – erstmaligen – Antrags auf Terminverlegung für den Betroffenen schlechthin unzumutbar, wodurch sein Grundrecht auf rechtliches Gehör und das auf ein faires Verfahren verletzt worden ist. Dies begründet die Besorgnis der Befangenheit der zuständigen Abteilungsrichterin.“

M.E. passend.