Archiv für den Monat: November 2017

Bewährung, oder: Die Alkoholabstinenzweisung beim alkoholkranken Verurteilten

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Und als zweites Posting heute noch eine Entscheidung mit vollstreckungsrechtlichem Einschlag. Im LG Nürnberg-Fürth, Beschl. v. 12.07.201716 Qs 15/17 – geht es mal wieder um die Zulässigkeit einer Alkoholabstinenzweisung bei einem alkoholkranken Verurteilten. Dazu meint das LG: Die Weisung, jeglichen Konsum von Alkohol zu unterlassen, ist grundsätzlich zulässig. Bei einer alkoholkranken Person ist für eine Alkoholabstinenzweisung aber erforderlich, dass zuvor eine entsprechende Therapie erfolgreich abgeschlossen wurde:

„Der Widerruf nach § 56f StGB setzt voraus, dass der Verurteilte gegen eine zulässig angeordnete Auflage oder Weisung gröblich und beharrlich verstößt. Die Voraussetzungen eines Bewährungswiderrufs sind nicht erfüllt. Die Weisung, jeglichen Konsum von Alkohol zu unterlassen, wurde nicht zulässig angeordnet. Zwar ist eine Weisung nach § 56 c Abs. 1 Nr. 1 StGB, den Alkoholkonsum zu unterlassen, grundsätzlich zulässig (OLG Düsseldorf, NStZ 1984, 332). Eine solche Weisung (im Rahmen der Führungsaufsicht) verstößt jedoch bei einer alkoholkranken Person gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und ist nicht mit § 68b Abs. 3 StGB zu vereinbaren OLG Dresden, Beschluss vom 13.07.2009; NJW 2009, 3314). Gemäß § 68 Abs. 3 StGB dürfen bei den Weisungen an die Lebensführung der verurteilten Person keine unzumutbaren Anforderungen gestellt werden. Eine entsprechende Regelung sieht das Gesetz in § 56 e Abs. 1 S. 2 StGB auch für die Erteilung von Weisungen im Rahmen der Bewährung vor.

Eine Alkoholabstinenzweisung bei einer alkoholkranken Person ist regelmäßig erst zulässig, wenn zuvor eine entsprechende Therapie erfolgreich abgeschlossen wurde (OLG Dresden, NJW 2009, 3314)

Laut dem Arztbericht des Bezirksklinikums pp. vom 08.06.2015 wurde nach einem stationären Aufenthalt der Beschwerdeführerin in der Zeit von 05.06.2015 bis 06.06.2015 die Diagnose eines Abhängigkeitssyndrom bezüglich Alkohols (ICD F 10.2) gestellt.

In der Bescheinigung der psychologischen Psychotherapeutin … vom 14.10.2016 ist vermerkt, dass sich die Beschwerdeführerin bei ihr in ambulanter Verhaltenstherapie u.a. wegen einer Alkoholabhängigkeit nach F 10.2 befand.

Die Beschwerdeführerin hat, wie sich der Beschwerdebegründung vom 08.06.2017 entnehmen lässt, im Jahr 2013 eine Alkoholtherapie absolviert, diese jedoch vor einem erfolgreichen Abschluss abgebrochen. Andere Erkenntnisse diesbezüglich liegen nicht vor.

Aufgrund der Feststellungen aus dem Arztbericht des BKH A. vom 08.06.2015, den Feststellungen im Urteil vom 25.04.2016 (Feststellung zur Blutalkoholkonzentration in der Tatnacht: 1,90 Promille), sowie der zeitnah nach dem Urteil am 14.10.2016 ausgestellten Bescheinigung der behandelnden Psychotherapeutin ist von einer Alkoholabhängigkeit der Beschwerdeführerin zum Zeitpunkt des Erlasses des Bewährungsbeschlusses auszugehen. Da die Beschwerdeführerin zu diesem Zeitpunkt eine entsprechende Therapie nicht erfolgreich abgeschlossen hatte, zwar die Auferlegung der Weisung, jeglichen Konsum von Alkohol zu unterlassen, für die Beschwerdeführerin aufgrund ihrer Erkrankung unzumutbar gem. § 56 c Abs. 1 S. 2 StGB. Die Abstinenzweisung war insoweit nicht zulässig angeordnet.

Nachdem sich die Beschwerdeführerin im Anhörungstermin vor dem Amtsgericht Neustadt a.d. Aisch vom 20.04.2017 jedoch bereit erklärt hat eine stationäre Therapie zu machen, kommt derzeit aus Sicht der Kammer nach einer erneuten Anhörung der Beschwerdeführerin gegebenenfalls die Abänderung des Bewährungsbeschlusses unter Auferlegung einer Weisung nach § 56 c Abs. 3 Nr. 1 StGB in Betracht.“

Pflichtverteidiger in der Strafvollstreckung, oder: Achtung! Neuregelung nicht übersehen

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Beginnen wir den Tag mit einem kleinen = kurzen, aber feinen Beschluss des LG Mannheim, den mir der Kollege Patrick Welke aus Heidelberg übersandt hat. Es geht um die Beiordnung eines Pflichtverteidigers im Strafvollstreckungsverfahren – eine Stelle, an der es ja häufig zum Streit kommt. Im LG Mannheim, Beschl. v. 07.11.2017 – 19 StVK 306 R – heißt es nun kurz:

In der Strafvollstreckungssache wegen Diebstahls

hier: § 57 StGB, § 454b StPO – Bestellung eines Pflichtverteidigers

Dem Verurteilten pp. wird Rechtsanwalt Patrick Welke, Heidelberg, als notwendiger Verteidiger bestellt.

Gründe:

Angesichts der im vorliegenden Vollstreckungsverfahren relevanten Fragestellungen, in denen es um die Durchführung des Verfahrens nach § 454b Abs. 3 StPO n.F, geht, ist dem Verurteilten ein Verteidiger in entsprechender Anwendung des § 140 Abs. 2 StPO beizuordnen, da die besondere rechtliche Schwierigkeit der Sache die Mitwirkung eines Verteidigers gebietet (vgl. BT-Drucksache 18/11272, S. 35).“

BT-Drucksache 18/11272? Ja, das sind die Gesetzesmaterialien zum „Gesetz zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens“ vom 17.08.2017 (BGBl I, S. 3202). Und in § 454b Abs. 3 StPO heißt es jetzt:

„(3) Auf Antrag des Verurteilten kann die Vollstreckungsbehörde von der Unterbrechung der Vollstreckung von Freiheitsstrafen in den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 oder Nummer 2 absehen, wenn zu erwarten ist, dass nach deren vollständiger Verbüßung die Voraussetzungen einer Zurückstellung der Strafvollstreckung nach § 35 des Betäubungsmittelgesetzes für eine weitere zu vollstreckende Freiheitsstrafe erfüllt sein werden.“

Das ist eine Absage an die BGH-Rechtsprechung. Nach § 454b Abs. 3 StPO ist  nun wieder eine Änderung der Vollstreckungsreihenfolge nach § 43 Abs. 4 StVollstrO zur Ermöglichung einer Zurückstellung nach § 35 BtMG möglich. Das war ja, wenn es mindestens eine nicht zurückstellungsfähige Strafe gab, nach der BGH-Rechtsprechung nicht möglich. Nun kann diese nicht zurückstellungsfähige Strafe wieder komplett vorab vollstreckt werden, um im Anschluss eine einheitliche Zurückstellung für die anderen Strafen zu ermöglichen.

Und in dem Gesetzesentwurf der Bundesregierung hierzu (BT-Drucksache 18/11272, S. 34 f.) heißt es u.a.:

„Für die Durchführung des Verfahrens nach § 454b Absatz 3 StPO-E wird es regelmäßig geboten sein, dem Verurteilten wegen der Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage nach § 140 Absatz 2 StPO einen Verteidiger zu bestellen. Vielfach wird der Verurteilte ohne anwaltlichen Beistand nicht sicher beurteilen können, ob ein Antrag nach § 454b Absatz 3 StPO-E zweckmäßig ist. Hierbei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass die Vorabvollstreckung für den Verurteilten auch nachteilig sein kann, wenn die Strafzurückstellung nach § 35 BtMG letztlich doch nicht gewährt werden kann, etwa weil die Finanzierung der Therapie nicht gesichert ist.“

Der Kollege Welke hatte das gleich mal ausprobiert und hat die Beiordnung für das Vollstreckungsverfahren beantragt und dies damit begründet, dass aufgrund der Durchführung des Verfahrens nach § 454b Abs. 3 StPO bzw. § 43 Abs. 4 StVollstrO eine schwierige Sach- und Rechtslage vorliegt. Und er hat die eben o.a. Passage aus der BT-Drucksache zitiert und als Anlage beigefügt. Als Antwort kam der Beschluss des LG Mannheim.

Er meinte bei der Übersendung: „Könnte vielleicht für den ein oder anderen ganz interessant sein. Gerne dürfen Sie mich dabei als „Einsender“ benennen.“ Habe ich getan 🙂 . Denn Ehre, wem Ehre gebührt. Und ich räume ein: Ich hatte es übersehen.

Dashcam III: Dash-Cam-Aufzeichnungen zu Verkehrsunfällen im Zivilprozess verwertbar

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Und dann habe ich als dritte „Dash-Cam-Aufzeichnung“ den OLG Nürnberg, Beschl. v. 10.08.2017 – 13 U 851/17. Es handelt sich um einen sog. Hinweisbeschluss, der in einem beim OLG Nürnberg anhängigen Berufungsverfahren ergangen ist. Es handelt sich zwar um Zivilrecht, passt aber thematisch zum heutigen Tag

Gegenstand des Verfahrens war ein Verkehrsunfalls auf der BAB A 5, bei dem ein Lkw auf einen Pkw auffuhr. Der Pkw-Fahrer behauptete, er habe verkehrsbedingt abgebremst und der Fahrer des Lkws sei wegen zu hoher Geschwindigkeit und zu geringen Abstandes aufgefahren. Er hat Schadensersatz in Höhe von rund 15.000 € geltend gemacht. Der Lkw-Fahrer hat demgegenüber behauptet, dass der Pkw vor ihm von der linken über die mittlere auf die rechte Spur gewechselt sei und abrupt gebremst habe. Obwohl er sofort reagiert habe, sei der Unfall nicht vermeidbar gewesen.

Das LG hatte zur Rekonstruktion des Unfalls das Gutachten eines Sachverständigen eingeholt. Der wertete die Dashcam-Aufzeichnung des Beklagten aus und kam zu dem Ergebnis, dass die Unfallschilderung des Lkw-Fahrers zutraf. Das LG hat die Klage daraufhin abgewiesen.

Das OLG sieht das ähnlich. Hier der Leitsatz zu der umfangreichen Entscheidung:

„Die Verwertung von sog. Dash-Cam-Aufzeichnungen zur Beweisführung über Verkehrsunfälle ist im Zivilprozess zulässig. Dies gilt jedenfalls für im Fahrzeug auf dem Armaturenbrett fest installierte Kameras, die in Fahrtrichtung, also nach vorne, ausgerichtet sind und bei Autobahnfahrten betrieben werden. Persönlichkeitsrechte des Unfallgegners sind durch diese Art von Aufzeichnungen, auf welchen konkrete Personen typischerweise nicht zu erkennen sind, üblicherweise in so geringem Ausmaß betroffen, dass bei der gebotenen Abwägung zwischen beeinträchtigten Persönlichkeitsrechten einerseits und dem Anspruch auf rechtliches Gehör sowie dem Gebot des effektiven Rechtsschutzes andererseits letztere regelmäßig überwiegen. Dies gilt insbesondere dann, wenn andere zuverlässige Beweismittel im konkreten Fall nicht zur Verfügung stehen.

Bei der genannten Abwägung sind nur diejenigen Aufzeichnungsteile heranzuziehen, deren Verwertung konkret im Raum steht. Es kommt nicht darauf an, welche Aufzeichnungen mit der Dash-Cam ansonsten bei anderer Gelegenheit gefertigt wurden.2

Da es mit der Verwertbarkeit ein wenig hin und her geht, kann man die Voraussage wagen: Irgendwann wird es der BGH richten müssen. In diesem Fall allerdings nicht. Denn der Kläger hat seine Berufung nach dem Hinweis zurückgenommen.

OWi-Handbuch, 5. Auflage, da ist es!, oder: Wir haben dann fertig

So, hat etwas länger gedauert als geplant. Aber nun ist es da. Kurz: DAS OWi-Handbuch, oder länger: Burhoff (Hrsg.), Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, 5. Aufl, 2018.

Mein Lektor hat es mir gerade geschrieben und das passende Bild geschickt. Damit ist für mich das Buchprogramm 2017 abgeschlossen.

Wer vorbestellt hatte, darf damit rechnen, dass nun in den nächsten Tagen das druckfrische Werk geliefert wird. Und wer noch nicht (vor)bestellt hat: Der kann das hier beim Bestellformular noch schnell tun 🙂 . Schließlich stehen der Nikolaus und Weihnachten vor der Tür.

Und ja. Das war Werbung. 🙂

Dashcam II: Dashcam-Videoaufnahme aus dem privaten Pkw, oder: Geldbuße

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Und als zweite „Dashcam-Entscheidung“ weise ich auf das AG München, Urt. v. 09.08.2017 – 1112 OWi 300 Js 121012/17 – hin. Von dem habe ich leider keinen Volltext, so dass ich nur auf die PM des AG München zurückgreifen kann. In der heißt/hieß es:

Kameras an privatem PKW verstoßen gegen Bundesdatenschutzgesetz

Das AG München hat entschieden, dass der öffentliche Verkehrsraum mit einem privaten PKW nicht zur Ermittlung potentieller Täter einer Sachbeschädigung am PKW gefilmt werden darf und die Aufzeichnungen auch nicht der Polizei übergeben werden dürfen.

Die 52-jährige Geschäftsführerin parkte am 11.08.2016 von ca. 13.00 Uhr bis 16.00 Uhr ihren PKW BMW X1 in der Mendelssohnstraße in München. Das Fahrzeug war vorne und hinten mit einer Videokamera ausgestattet. Die Kameras fertigten laufend Videoaufzeichnungen des vor und hinter dem Fahrzeug befindlichen öffentlichen Verkehrsraumes. Diese Aufzeichnungen wurden gespeichert. Auf diese Weise wurden mindestens drei andere Fahrzeuge, die sich vor oder hinter dem Straßenraum des geparkten Fahrzeuges befanden, aufgezeichnet. Die Videoaufzeichnungen wurden durch die Betroffene der Polizei übergeben, da ein anderes Fahrzeug ihr geparktes Fahrzeug gestreift und beschädigt hat und sie die Videoaufzeichnungen als Beweismittel vorlegen wollte. Gegen die Betroffene wurde ein Bußgeldverfahren eingeleitet und ein Bußgeldbescheid erlassen wegen Verstoßes gegen das Bundesdatenschutzgesetz. Sie legte dagegen Einspruch ein. Sie war der Meinung, dass durch die Aufnahme von Autokennzeichen keine schützenswerten Daten erhoben und gespeichert worden seien. Es sei ihr nur darauf angekommen, potentielle Täter einer Sachbeschädigung am PKW ermitteln zu können. Die einzelnen Fahrer der entsprechenden vor oder hinter dem PKW parkenden Autos seien nicht erkennbar gewesen.

Das AG München hat die Betroffene wegen vorsätzlicher unbefugter Erhebung und Verarbeitung und Bereithaltung von personenbezogenen Daten, die nicht allgemein zugänglich sind, zu einer Geldbuße von 150 Euro verurteilt.

Nach Auffassung des Amtsgerichts ist das Verhalten der Betroffenen als vorsätzliche Ordnungswidrigkeit zu verurteilen. Es überwiege im vorliegenden Fall das Recht der gefilmten Personen auf informationelle Selbstbestimmung. Das Interesse der Betroffenen an der Aufdeckung von einer potentiellen Straftat müsse hierbei zurückstehen. Das permanente anlasslose Filmen des vor und hinter dem geparkten Fahrzeug befindlichen Straßenraumes verletze das Recht auf informationelle Selbstbestimmung und stelle einen schwerwiegenden Eingriff in dieses Recht dar. Es könnten nicht 80 Mio. Bundesbürger mit Kameras herumlaufen, um irgendwelche Situationen aufnehmen zu können, die eine Straftat aufdecken könnten. Eine permanente Überwachung jeglichen öffentlich Raumes durch Privatbürger sei nicht zulässig, da es in das Recht unbeteiligter Personen in schwerwiegender Weise eingreife, selbst bestimmen zu können, wo und wann man sich aufhalte, ohne dass unbeteiligte Personen dies dokumentieren und bei Behörden verwenden würden.

Das Gesetz sehe eine Geldbuße bis zu 300.000 Euro vor. Bei der Höhe habe das Amtsgericht berücksichtigt, dass die Betroffene nur 1.500 Euro netto verdiene. Zu ihren Gunsten habe gewertet werden können, dass offenbar in der Vergangenheit das Fahrzeug schon einmal beschädigt worden sei und die Betroffene subjektiv einen Anlass gehabt habe, die Kameras einzusetzen.

Das Urteil ist – so die PM – „nicht rechtskräftig.“ Vielleicht hören wir zu der Frage ja dann etwas vom OLG Bamberg.