Archiv für den Monat: August 2017

Wenn der Motorradfahrer nur Turnschuhe trägt, oder: Mitverschulden?

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Urheber Anmab82

Noch ist es Sommer, aber er neigt sich dem Ende entgegen. Dem Ende entgegen neigt sich damit auch die Motorradsaison, da ja doch viele Motorradfans ihre Maschinen für den Winter stilllegen. Daher will ich dann noch schnell das OLG München, Urt. v. 19.05.2017 – 10 U 4256/16 – vorstellen. Es behandelt Fragen der Haftungsverteilung bei einer Kollision zwischen Pkw und Krad – insoweit bitte nachlesen. Hier soll es dann nur um die Frage gehen: Besteht eine Obliegenheit zum Tragen von Motorradstiefeln mit der Folge, dass ein Mitverschulden angenommen werden muss, wenn die nicht getragen werden?

Das OLG sagt nein und meint: Es gibt kein allgemeines Verkehrsbewusstsein, nach dem es für Motorrad innerhalb geschlossener Ortschaften erforderlich ist, Motorradstiefel zu tragen. Den Fahrer eines Motorrades trifft deshalb keine generelle, ein Mitverschulden begründende Obliegenheit, innerhalb geschlossener Ortschaften Motorradstiefel zu trage. Das entspricht der überwiegenden Rechtsprechung in vergleichbaren Fällen, vor allem des BGH im BGH, Urt. v. 17.06.2014 – VI ZR 281/13 – zur Helmpflicht bei Fahrradfahrern:

„….

d) Der Einwand, der Berufungsbeklagte müsse sich gem. § 9 StVG i.V.m. § 254 I BGB ein Mitverschulden anrechnen lassen, weil er statt Motorradstiefeln unstreitig nur Turnschuhe trug, ist, wie auch bereits im Ersturteil zutreffend ausgeführt, unbegründet. Ob die streitgegenständlichen Verletzungen überhaupt durch das Tragen eines festeren Schuhwerks verhindert worden wären bzw. zumindest weniger schwerwiegend ausgefallen wären, kann daher dahin gestellt bleiben.

Es existiert gem. § 21 a II 1 StVO zwar eine gesetzliche Helmpflicht, aber keine darüber hinausgehende Pflicht, besondere Motorradschutzkleidung wie etwa Motorradstiefel zu tragen. Zwar ist allein deswegen eine Anspruchskürzung gem. § 9 StVG i.V.m. § 254 I BGB noch nicht ausgeschlossen. Ein Mitverschulden ist nämlich bereits dann anzunehmen, wenn der Verletzte diejenige Sorgfalt außer Acht lässt, die ein ordentlicher und verständiger Mensch zur Vermeidung eigenen Schadens anzuwenden pflegt. Dass festere Schuhe grundsätzlich einen besseren Schutz bieten, ist allgemein bekannt. Allerdings liegen dem Senat keine belastbaren Zahlen vor, wonach es hinsichtlich der hier maßgeblichen Zeit des streitgegenständlichen Verkehrsunfalls vom 06.11.2012 dem allgemeinen Verkehrsbewusstsein (vgl. zur Bedeutung dieses Umstands BGH, Urteil vom 17.06.2014, Az.: VI ZR 281/13, juris) entsprochen hätte, dass es für Leichtkraftradfahrer innerhalb geschlossener Ortschaften erforderlich ist, Motorradstiefel zu tragen (vgl. – bzgl. Protektoren-Schutzkleidung – auch das umfassend begründete Urteil des LG Heidelberg vom 13.03.2014, Az.: 2 O 203/13, juris, mit zustimmender Anmerkung von Lang, juris). Inwieweit ein derartiges allgemeines Verkehrsbewusstsein grundsätzlich, bei jeder Art von Kraftrad und auch außerhalb geschlossener Ortschaften, derzeit fehlt, wie es das OLG Nürnberg in seinem Beschluss vom 09.04.2013, Az.: 3 U 1897/12, juris, ausführt, muss hier nicht entschieden werden. Das Urteil des Brandenburgischen OLG vom 23.07.2009, Az.: 12 U 29/09, juris, wiederum steht dem bereits deswegen nicht entgegen, weil es sich auf Schutzkleidung an den Beinen bezieht, nicht auf die Frage des Schuhwerks. Im Übrigen gilt diesbezüglich Folgendes: Nach der o.g. Rechtsprechung des BGH kommt es entscheidend auf das allgemeine Verkehrsbewusstsein an, wovon streng zu unterscheiden sind Aspekte wie das Verletzungsrisiko, der Erkenntnisstand hinsichtlich Schutzmaßnahmen oder Empfehlungen von Verbänden etc. Entscheidend sind vielmehr zureichend verlässliche Unterlagen wie Umfrageergebnisse, Statistiken und amtliche oder nichtamtliche Erhebungen. Dass das Brandenburgische Oberlandesgericht seine o.g. Entscheidung bzw. die Berufungsführer die Berufungsbegründung auf derartige Unterlagen gestützt hätten, ist demgegenüber nicht ersichtlich. Bloße Behauptungen wie „die meisten Motorradfahrer empfinden es heutzutage als eine persönliche Verpflichtung, mit Schutzkleidung zu fahren“ bzw. „jeder weiß, dass das Fahren ohne Schutzkleidung ein um ein vielfach höheres Verletzungsrisiko in sich birgt“ (vgl. das o.g. Urteil des Brandenburgischen Oberlandesgerichts, juris, Rdnr. 18) vermögen die Heranziehung hinreichend belastbarer Unterlagen nicht zu ersetzen. Wie auch der BGH seinem o.g. Urteil vom 17.06.2014 hat der Senat nun zur Beurteilung der Frage, ob das Tragen von Motorradschutzkleidung dem allgemeinen Verkehrsbewusstsein entspricht, als Quelle die auf www.bast.de veröffentlichte amtliche Statistik der Bundesanstalt für Straßenwesen herangezogen. Demnach gibt es zwar tatsächlich eine Erhebung bzgl. des Tragens von Motorradschutzkleidung in Deutschland, und zwar auch bzgl. des hier relevanten Zeitraums, nämlich des Jahres 2012, wonach 53% aller motorisierten Zweiradfahrer ergänzend zum Helm Schutzbekleidung trugen. Die Zahl ist jedoch weitaus niedriger, soweit es um das Tragen einer kompletten Schutzkleidung geht: Eine solche trugen nämlich nur 21% aller motorisierten Zweiradfahrer. Hinzu kommt, dass diese Statistik sehr ungenau ist: Offen bleibt, was im Einzelnen unter einer „kompletten“ Schutzkleidung zu verstehen ist. Unklar ist weiter, welche Schutzkleidungsstücke im Einzelnen (nur Motorradschuhe oder nur Motorradhosen oder nur Motorradjacken oder auch nur Motorradhandschuhe oder etwa bestimmte Kombinationen?) von denjenigen getragen wurden, welche eine unvollständige Schutzkleidung trugen. Unklar ist, auf welche Jahreszeit(en) sich die Untersuchung bezog. Unklar ist schließlich, wie sich bei den Untersuchungen die doch sehr heterogenen Gruppen der „motorisierten Zweiradfahrer“ im Einzelnen jeweils zusammensetzten (Anteil der Mofa- bzw. Kleinkraftradfahrer? Anteil der Leichtkraftradfahrer? Anteil der größeren Maschinen?).

Auf eine solche Statistik aufbauend lässt sich nichts hinreichend Verlässliches hinsichtlich der hier entscheidenden Frage, ob es am Unfalltag, dem 06.11.2012, dem allgemeinen Verkehrsbewusstsein entsprach, mit dem streitgegenständlichen Leichtkraftrad auf der streitgegenständlichen Strecke nur mit Motorradschutzstiefeln zu fahren. Nachdem dem Senat auch keine weiteren Zahlen hinsichtlich des allgemeinen Verkehrsbewusstseins bzgl. der o.g. Fragestellung bekannt sind, kann hier der Vorwurf des Mitverschuldens nicht begründet werden.“

Hier dann zur Helmpflicht beim Fahrrad: Der Fahrradhelm beim BGH – hier geht es zum Volltext.

Wiedereinsetzung, oder: Kalender zu klein und zu weit weg, das passt nicht

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Am vergangenen Samstag habe ich ja bereits über zwei zivilrechtliche Fristen-/Wiedereinsetzungssachen berichtet, und zwar in den Postings: Organisationsverschulden I, oder: Die wirksame Ausgangskontrolle fristwahrender Schriftsätze und in Organisationsverschulden II, oder: Wie regelt man die Urlaubsvertretung richtig?. In der ablaufenden Woche bin ich nun noch auf eine Entscheidung des BGH gestoßen, die dazu ganz gut passt, und zwar auf den BGH, Beschl. v. 27.07.2017 – III ZB 76/16. Da geht es auch um eine Fristversäumung, und zwar am OLG Nürnberg. Das klageabweisende landgerichtliche Urteil war dem Kläger am 14.07.2016 zugestellt worden. Die Berufungsfrist lief also an sich am 14.08.2016 ab. Das war ein Sonntag, so das Fristablauf am folgenden Montag, dem 15.08.2016m war. Der Klägeranwalt ist davon ausgegangen, dass es sich bei dem Tag – Mariä Himmelfahrt – (auch) um einen Sonn-/Feiertag handelt, da das am Kanzleisitz in A(ugsburg [?] der Fall ist/war. Was er übersehen hatte: In Nürnberg ist der 15.08 kein Feiertag, die Feiertagsregelung gilt in Bayern nicht landeseinheitlich.

Das OLG hat das Wiedereinsetzungsgesuch des Klägers zurückgewiesen. Begründung: „.…es könne dahinstehen, ob die Prozessbevollmächtigten des Klägers die Berechnung der Berufungsfrist der Rechtsfachwirtin O. hätten überlassen dürfen, da sich der Sachverhalt wegen des nicht bayernweit geltenden Feiertages nicht als einfach zu beurteilen dargestellt habe. Jedenfalls falle ihnen deshalb ein eigenes Verschulden zur Last, weil sie ihren Angestellten für die Fristberechnung einen Wandkalender zur Verfügung gestellt hätten, der die erforderliche Unterscheidung, dass Mariä Himmelfahrt nicht in ganz Bayern Feiertag sei, nicht treffe. …„. Dazu hat der Klägeranwalt in der Rechtsbeschwerde dann vorgetragen. Geholfen hat es nicht: Der BGH weist darauf hin, dass sein weiterer Vortrag zum Kalender nach § 234 Abs. 1 Satz 1, § 236 Abs. 2 Satz 1 ZPO schon innerhalb der zweiwöchigen Antragsfrist hätte erfolgen müssen. Und selbst wenn er rechtzeitig gewesen wäre, hätte es nichts gebracht, denn:

„bb) Ungeachtet dessen würde selbst bei Berücksichtigung des neuen Vortrags in der Beschwerdebegründung dieser Vorwurf nicht entfallen, denn der vorgetragene und mit der Vorlage des Kalenderblatts in Originalgröße und -farbe belegte Verweis auf die nur für Teile Bayerns geltende Feiertagsregelung für Mariä Himmelfahrt ist nicht hinreichend deutlich, um nicht übersehen zu werden. Der Hinweis besteht aus einem winzigen, im Durchmesser maximal einen halben Millimeter großen Sternchen mit einer entsprechend kleinen Klammer an der senkrecht zur Leserichtung neben der Zahl 15 angebrachten abgekürzten, in etwa zwei Millimeter großen Buchstaben gehaltenen Bezeichnung des Feiertags. Das Sternchen verweist auf den unten auf dem Kalenderblatt, ebenfalls nur in etwa zwei Millimeter Schriftgröße gehaltenen Vermerk zur nicht bayernweiten Geltung des Feiertags. Es liegt auf der Hand, dass ein solch unauffälliger Hinweis – insbesondere auf einem Wandkalender, der üblicherweise aus einer größeren Leseentfernung als ein Tischkalender betrachtet zu werden pflegt – leicht zu übersehen ist, woraus sich das auch in diesem Fall verwirklichte erhebliche Risiko ergibt, dass bei der Fristberechnung eine Orientierung allein anhand der farblichen Hervorhebung des Tages als Feiertag erfolgt.“

Also: Kalender zu klein und zu weit weg. Es kommt also auf den richtigen Kalender an.

Ich habe da mal eine Frage: Worauf bezieht sich die Kostenentscheidung des BVerfG nach erfolgreicher Verfassungsbeschwerde?

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Heute dann im RVG-Rätsel mal eine Frage, die sich sicher nicht so häufig stellt, die aber in der Praxis dann doch von Bedeutung sein kann. Sie hat verfassungsrechtlichen Bezug, und zwar:

„Lieber Herr Burhoff,

ich stehe gerade vor einer Abrechnungsfrage und brauche leider Ihre Hilfe:

Ich hatte im Ausgangsverfahren den Beschwerdeführer vertreten, es ging um die Verlegung aus einer bayerischen JVA in die JVA Bochum, weil dort die Familie lebt.

Die JVA hatte den Verlegungsantrag abgelehnt, dann Antrag auf gerichtliche Entscheidung, das LG lehnt ab, wir legen Rechtsbeschwerde ein, das OLG lehnt auch ab.

Ich sage dem Mdt, er müsse Verfassungsbeschwerde einlegen, das könne ich aber nicht pro bono machen. Er kann nicht zahlen, legt aber SELBST Verfassungsbeschwerde ein, nimmt Bezug auf meine Schriftsätze im Ausgangsverfahren, fügt diese bei und das war’s. Das BVerfG nimmt die VB zur Entscheidung an und er gewinnt (pppppp.; hätte ein RA die VB eingelegt, wäre sie wahrscheinlich nicht zur Entscheidung angenommen worden…). Dazu stellt das BVerfG fest, dass die Staatskasse seine notwendigen Auslagen zu tragen hat, der Gegenstandswert betrug in der Instanz jeweils 1.000 Euro. Er hat mir nun den Gebührenanspruch gegen die Staatskasse abgetreten. Beigeordnet war ich nicht.

Erste Frage: Bezieht sich die Kostenentscheidung des BVerfG auch auf die Instanzen oder nur auf die VB? Dann ginge ich ganz leer aus…

Zweite Frage: Wonach rechne ich – falls die erste Frage mit „ja“ beantwortet wird – ab? Ich dachte zunächst an 3x 4204, 4205 (vor Entscheidung des LG, dann vor Entscheidung des OLG und dann nochmal nach Entscheidung BVerfG), aber da es ja um eine Verlegung ging und damit eine Angelegenheit des Strafvollzugs betroffen war, findet 4204, 4205 gar keine Anwendung, sondern ich muss nach Abschnitt 2 (Geschäftsgebühr für Beratung vor 109er-Antrag) und Abschnitt 3 (für 109er-Antrag und Rechtsbeschwerde) abrechnen; nach der Aufhebung durch das BVerfG gibt’s dann nochmal eine Geschäftsgebühr, da neue Sache, richtig?`

Das ist ja alles reichlich mickrig. § 13 sagt: Bei einem Streitwert von 1000 Euro gibt’s 80 Euro – 80×1,3 und x1,6, das ist ja wirklich ein Trauerspiel… Oder habe ich was übersehen?“

Also beantwortet ist die Frage beim Kollegen. Aber vielleicht hat ja hier noch der ein oder andere Kollege eine zündende Idee.

Übernachtungskosten, oder: Wann muss der Rechtsanwalt morgens aufstehen?

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Author User: Mattes

Der VG Würzburg, Beschl. v. 11.07.2017 – W 8 M 17.30937 – rückt noch einmal eine Frage in den Fokus, die mit der Erstattungsfähigkeit von Übernachtungskosten eines auswärtigen Rechtsanwaltes zusammenhängt. Die Entscheidung ist zwar in einem verwaltungsrechtlichen Verfahren ergangen, die Problematik stellt sich aber auch in anderen Verfahrenszweigen.Hier hatte der Kläger im Verwaltungsverfahren einen Bevollmächtigten aus Münster. Der war im zur mündlichen Verhandlung am 19.10.2016, 11:00 Uhr schon am Vortag aus Münster nach Würzburg angereist und hatte dort übernachtet. Die Übernachtungskosten hat er dann zur Erstattung angemledet (Nr. 7006 VV RVG). Sie sind nicht festgesetzt worden:

„Jedoch sind die konkret geltend gemachten Übernachtungskosten nicht angemessen. Denn sonstige Auslagen, zu denen auch die Übernachtungskosten eines auswärtigen Rechtsanwalts gehören, sind nach Nr. 7006 VV RVG als Auslagen nur erstattungsfähig, soweit sie angemessen sind. Gerade bei den Übernachtungskosten ist die Angemessenheit zu prüfen. Nur wenn eine Übernachtung erforderlich ist, sind die tatsächlich angefallenen Übernachtungskosten zu vergüten. Dies ist bereits dann anzunehmen, wenn die Übernachtung zweckmäßig, jedenfalls aber wenn eine Hin- oder Rückreise am selben Tag nicht möglich oder nicht zumutbar ist. Hiervon geht die Rechtsprechung aus, wenn der Reiseantritt vor 06:00 Uhr morgens läge bzw. die Rückreise nach 22:00 Uhr abends angetreten werden müsste (vgl. Ebert in Mayer/Kroiß, RVG, 6. Aufl. 2013, Nr. 7006 VV RVG Rn. 3 m.w.N.). Erforderlich ist eine Reise, die ein Beteiligter in der maßgeblichen Situation zur Führung des Rechtsstreits und zum Erreichen des angestrebten Prozesserfolges als sachdienlich ansehen darf. Wegen der so genannten Kostenminimierungspflicht ist jeder Beteiligte, dies bezieht sich auch auf den Bevollmächtigten, verpflichtet, die Kosten so niedrig zu halten, wie sich das mit der Wahrung der prozessualen Belange vereinbaren lässt. Nur solche Aufwendungen sind erstattungsfähig, die ein objektiver und verständiger Beteiligter, der sich bemüht, die Kosten so niedrig wie möglich zu halten, im Zeitpunkt ihres Anfalls (ex-ante-Sicht) nach Art und Höhe als geeignet, erforderlich und angemessen ansehen würde, um das mit ihnen zu befördernde prozessuale Ziel unter voller Berücksichtigung seiner sämtlichen berechtigten Belange zu erreichen (vgl. BFH, B.v. 15.6.2015 – III R 17/13AGS 2015, 412; Kunze in Beck’scher Online-Kommentar, VwGO, Hrsg. Posser/Wolff, 41. Edition, 1.4.2017, § 162 Rn. 51 und 78.3).

Ausgehend davon waren die Übernachtungskosten (Hotel) in Höhe von 126,20 EUR mangels Angemessenheit nicht erstattungsfähig. Denn erstattungsfähige Prozesskosten sind die Übernachtungskosten eines Rechtsanwalts nur dann, wenn es ihm nicht zuzumuten ist, am Tag des Termins der mündlichen Verhandlung anzureisen. Einem Bevollmächtigten kann es etwa nicht abverlangt werden, die in der Rechtssache notwendig werdenden Reisen in der Nachtzeit durchzuführen. Als Nachtzeit ist in Anlehnung an § 758a Abs. 4 ZPO die Zeit von 21:00 Uhr bis 06:00 Uhr anzusehen. Eine Anreise, bei welcher der Prozessbevollmächtigte seine Wohnung vor 06:00 Uhr morgens hätte verlassen müssen, müsste dieser nicht durchführen. Dem Bevollmächtigten ist nicht zuzumuten, die Reise vor 06:00 Uhr anzutreten. Ein Reisantritt ab 06:00 Uhr ist indes im Regelfall zumutbar (vgl. OLG LSA, B.v. 8.6.2016 – 12 W 36/16 [KfB] – AGS 2016, 593; OLG Nürnberg, B.v. 13.12.2012 – 12 W 2180/12AGS 2013, 201; OLG Koblenz, B.v. 21.9.2010 – 14 W 528/10AGS 2012, 50; Hanseatisches OLG Hamburg, B.v. 3.3.2010 – 4 W 249/09AGS 2011, 463).

Demnach verfängt der Einwand des Prozessbevollmächtigten nicht, ihm sei nicht zuzumuten gewesen, schon um 06:00 Uhr seine Reise zum Termin anzutreten. Von 06:00 Uhr bis 11:00 Uhr (5 Stunden) war ausreichend Zeit, insbesondere mit dem Pkw von Münster nach Würzburg anzureisen. Bei einer laut Routenplaner knapp vierstündigen Fahrtdauer erscheint es auch unter Berücksichtigung einer ausreichenden Pause sowie einer rechtzeitigen Ankunft am Terminsort zumutbar, am Verhandlungstag selbst anzureisen. Bei einem Fahrtbeginn um 06:00 Uhr bestand auch ein ausreichender zeitlicher Puffer. Besondere Umstände, die ausnahmsweise eine andere Beurteilung rechtfertigen könnten, etwa das hohe Alter des Prozessbevollmächtigten, bekannte erhöhte Staugefahren oder winterliche Straßenverhältnisse (vgl. OLG LSA, B.v. 8.6.2016 – 12 W 36/16 [KfB] – AGS 2016, 593) wurden nicht vorgebracht und sind auch nicht sonst ersichtlich. Subjektive Schlafgewohnheiten rechtfertigen keine Ausnahme.

Hinzu kommt, dass das Gericht den Termin eigens auf 11:00 Uhr terminiert hatte, um eine Anreise am Reisetag zu ermöglichen. Ein Verlegungsantrag wurde nicht gestellt, insbesondere nicht eine spätere Terminierung am Verhandlungstag. Im Übrigen ist es beim Verwaltungsgericht Würzburg – wie wohl auch bei den meisten anderen Gerichten – gängige Praxis, bei kurzfristigen verkehrsbedingten Verschiebungen ohne Nachteile für den Betreffenden auf das (unverschuldet verspätete) Erscheinen des Prozessbevollmächtigten zu warten.“

Nun ja, kann man so machen, wie es die h.M. in der Rechstprechung macht. Zwingend ist das m.E. allerdings nicht. Denn an einem Tag von Münster nach Würzburg und wieder zurück und zusätzlich ein Verhandlungstermin ist schon ganz schön happig. Zumal die 5 Stunden Fahrtzeit auch kaum einzuhalten sein werden. Ich wage die Behauptung: Der ein oder andere Angehörige des öffentlichen Dienstes wird aus einem solchen Termin sicherlich eine Dienstreise mit Übernachtung machen.

Befriedungsgebühr Nr. 4141 VV RVG, oder: Was hat Gebührenrecht mit anwaltlicher Schweigepflicht zu tun?

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Der ein oder andere Leser wird sich sicherlich daran erinnern, dass ich vor ein paar Tagen sehr über den AG Aschaffenburg, Beschl. v. 24.07.2017 – 390 AR 46/17 geschimpft habe (vgl. Zusätzliche Verfahrensgebühr, oder: Warum schaut der „Proberichter“ nicht mal in einen Kommentar?). Jetzt kann ich aber mal über einen positiven Beschluss zu Nr. 4141 VV RVG vom AG Aschaffenburg berichten, den mir ebenfalls die Kollegin Waterstradt übersandt hat.

In dem AG Aschaffenburg, Beschl. v. 08.08.2017 – 302 Ls 207 Js 7836/16 jug – geht es um die Abrechnung der zusätzlichen Verfahrensgebühr Nr. 4141 VV RVG nach Berufungsrücknahme -also ein Fall der Anm. 1 Satz 1 Nr. 3. Die Berufung ist aber nicht von der Kollegin zurückgenommen worden, sondern von der Mandantin selbst. Die hat dann später mitgeteilt, „dass sie einen Brief zurück haben wolle, in dem sie die Berufung zurückgezogen hatte. Sie wolle dies nicht endgültig beschließen, bevor sie Post von Ihrer Anwältin bekäme. Es wäre ein großer Schritt für sie und den wolle sie nicht ohne Rücksprache mit ihrer Anwältin durchführen.“ Daraus hat der Kostenbeamte den Schluss gezogen, „dass bis zum Zeitpunkt der Berufungsrücknahme durch die Verurteilte keine anwaltliche Mitwirkung bei der Berufungsrücknahme erfolgte. Die Verurteilte wollte schließlich erst noch auf Nachricht von RA’in W. warten. Soweit RA’in Waterstradt ausführt das eine rege Kommunikation stattgefunden hat, so lässt sich dem Aktenverlauf entnehmen das dies erst zu einem Zeitpunkt erfolgt ist als die Berufung schon durch die Verurteilte zurückgenommen war.

Die Amtsrichterin hat es dann anders gesehen:

„Für eine Mitwirkung im Sinne dieser Vorschrift reicht nach diesem Wortlaut jede Tätigkeit gegenüber dem Mandanten, der Staatsanwaltschaft oder dem Gericht auf den später erzielten Erfolg, die wirksam erklärte Rücknahme der Berufung, aus.

Angesichts der in Nr. 4141 Absatz 2 VV RVG normierten „Beweislastumkehr“ wonach eine Gebühr nur dann nicht entsteht, wenn eine auf die Förderung des Verfahrens gerichtete Tätigkeit nicht ersichtlich ist, genügt es auch unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck der Vorschrift, wenn die Pflichtverteidigerin hier anwaltlich versichert, es habe zwischen ihr und ihrer Mandantin ein reger Briefwechsel stattgefunden, der maßgeblich für die Berufungsrücknahme gewesen sei. Da hier der Bereich anwaltlicher Schweigepflicht tangiert wird, kann eine Vorlage dieses Briefwechsels und weiterer Vortrag zum dessen Inhalt durch die Verteidigerin nicht erfolgen. Es kann daher nicht alleine auf das Schreiben der Angeklagten vom 03.02.2017 abgestellt werden, bei der Feststellung, dass eine auf die Förderung des Verfahrens gerichtete Tätigkeit der Verteidigerin nicht ersichtlich sei. Sondern unter Berücksichtigung des Vorbringens der Verteidigerin ist von einer ausreichenden Mitwirkung an der Berufungsrücknahme im Sinne der Vorschrift auszugehen, zumal die Verteidigerin dargelegt hat, das Zurückziehen der Berufungsrücknahme durch die Angeklagte im Schreiben vom 03.02.2017, sei erfolgt, um den Zeugenstatus in einem Parallelverfahren wieder zu verlieren, den sie durch die Rechtskraft erlangt hatte.“

M.E. richtig. Denn die anwaltliche Versicherung ist sicherlich ein insoweit zulässiges „Beweismittel“. Es sei denn, man wollte die Behauptung aufstellen, dass diese grundsätzlich falsch sind. Das ist mit Sicherheit aber nicht der Fall, so dass nach Abgabe der Versicherung der „Ball im Feld der Staatskasse liegt“.

Ich schreibe jetzt nicht: Geht doch, und zwar auch ohne Kommentar 🙂 .