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Zum Wochenauftakt zwei OWi-Entscheidungen. Zunächst:
In meinem Blogordner hängt noch (immer) der OLG Düsseldorf, Beschl. v. 25.04.2017 – IV-2 RBs 49/17, über den ja schon in einigen anderen Blogs berichtet worden und den wir ja auch bereits im VRR veröffentlicht haben mit einer Anmerkung vom Kollegen Kroll aus Berlin. Bei dem Beschluss handelt es sich um die Entscheidung, in der das OLG den Begriff von der der „Gehörsrügefalle“ verwendet/geprägt hat. Es geht um ein Verfahren wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung. Der Betroffene legt Einspruch ein. Der Verteidiger teilt dann – ich zitiere aus dem VRR
„in einem Schriftsatz an das AG mit, dass er eine Erklärung des Betroffenen weitergäbe, die nachfolgend im Schriftsatz eingerückt war und in wörtlicher Rede wiedergeben wurde. Diese hatte einen Umfang von gut 1.000 Wörtern bei über 7.000 Zeichen (einschließlich Leerzeichen) und acht Absätzen. Bei Schriftgröße 11 pt. in Arial, Blocksatz über Seitenbreite entspricht dies ca. 1 ¾ DIN-A4-Seiten. Die Erklärung stellt eine Einlassung zur Messung dar, danach folgt eine Stellungnahme zum Meßprotokoll, zum Eichschein verbunden mit einem im Absatz enthaltenen, nicht hervorgehobenen Antrag, den Eichoberrat der Eichdirektion zu laden und zur Weiterverarbeitung der Meßdateien über USB-Sticks und DVDs etc., dort wiederum mit einem nicht hervorgehobenen Antrag auf Vernehmung einer Sachbearbeiterin im Hinblick auf die Datensicherheit bei der Meßdateienweitergabe.
Im weiteren Absatz erfolgte dann folgende Erklärung: „Bei dem Amtsgericht steht Hauptverhandlungstermin an am 19.12.2016. Angesichts der dargelegten Umstände würde ich es für nutzlos halten, zur Wahrnehmung dieses Termins von meiner Wohnung aus zum Amtsgericht nach R. zu fahren. Ich könnte nämlich in einem Termin nicht mehr als das sagen, was ich hiermit ausgeführt habe. Dazu muss ich aber nicht anwesend sein, weil ich eben schon das gesagt habe, was aus meiner Sicht zu sagen war. Weitere Erklärungen könnte und würde ich auch in einem Termin nicht abgeben.
Ich bitte darum, meine hiermit insgesamt gestellten Anträge zu bescheiden in absehbarer Zeit“. Danach folgt ein weiterer Absatz mit Ausführungen zur Notwendigkeit baldiger Bescheidung.
Das AG entscheidet nicht durch Beschluß, sondern in der Hauptverhandlung, zu der weder Betroffener noch Verteidiger erschienen war, ergeht ein Verwerfungsurteil. Das greift der Betroffene mit der Gehörsrüge im Rahmen des Zulassungsantrags für die Rechtsbeschwerde anf. Aus den zitierten Ausführungen in dem vorletzten Abschnitt der Erklärung leitet er ab, dass der Betroffene „mit seiner eigenen und von dem Verteidiger wiedergegebenen Erklärung“ einen Antrag auf Entbindung von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen gestell habet. Die Nichtbescheidung dieses Entbindungsantrags stelle eine Verletzung des rechtlichen Gehörs dar. Der Antrag wird vom OLG verworfen
Aus dem OLG-Beschluss:
b) Die zitierte Erklärung hat in Wahrheit nicht der Betroffene, sondern der Verteidiger selbst verfasst. Der von dem Verteidiger teils in naiver Sprache formulierte Text enthält in der Sache typisches Verteidigervorbringen, das Vorkenntnisse zu den grundsätzlichen Abläufen bei standardisierten Messverfahren wie auch zu der konkreten Fallbearbeitung gerade bei der Autobahnpolizei in H. voraussetzt. Der Kunstgriff, das Verteidigervorbringen dem Betroffenen als dessen vermeintlich eigene Erklärung in den Mund zu legen, dient wesentlich dem Zweck, durch bewusst unklare und verklausulierte Formulierungen eine „Gehörsrügefalle“ zu schaffen.
Diese Vorgehensweise des Verteidigers ist bereits aus einer Reihe von Bußgeldsachen bekannt, die bei dem Oberlandesgericht Düsseldorf in zweiter Instanz anhängig waren. So war der 1. Senat für Bußgeldsachen in den Verfahren IV-1 RBs 135/14, 193/14, 197/14, 56/15, 119/15 und 16/16 schon mehrfach mit einem gleichgelagerten Prozessverhalten des Verteidigers befasst, welches jeweils dadurch gekennzeichnet war, dass ein etwaiges Entbindungsbegehren bewusst unklar und verklausuliert in eine so bezeichnete eigene „Erklärung des Betroffenen“ eingekleidet wurde, um sodann aus der Nichtbescheidung des vermeintlichen Antrags eine Gehörsrüge herzuleiten.
Der erkennende Senat teilt die Auffassung des 1. Senats für Bußgeldsachen, dass sich diese Vorgehensweise des Verteidigers als Missbrauch prozessualer Rechte darstellt, da sie verfahrensfremden oder verfahrenswidrigen Zwecken dient (vgl. dazu im Allgemeinen: BGH NJW 2006, 708; NStZ 2007, 49; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 59. Aufl., Einl. Rdn. 111; zu einem rechtsmissbräuchlich gestellten „Entbindungsantrag“: OLG Rostock NJW 2015, 1770; OLG Hamm NStZ-RR 2015, 259).
Der Verteidiger wäre hier ohne Weiteres in der Lage gewesen, einen klaren und eindeutig als solchen erkennbaren Entbindungsantrag zu stellen. Die dafür erforderliche schriftliche Vertretungsvollmacht hatte ihm der Betroffene erteilt. Es ist kein sachlicher Grund für das von dem Verteidiger auch im vorliegenden Verfahren gewählte Vorgehen ersichtlich, eine eigene Erklärung des Betroffenen vorzutäuschen und ein darin verstecktes Entbindungsbegehren unkommentiert an das Gericht „weiterzugeben“.
Bei der Abfassung der ein Entbindungsbegehren verschleiernden „Erklärung des Betroffenen“ bestand auch nicht ernsthaft die Absicht, eine Entbindung des Betroffenen von dessen Anwesenheitspflicht in der Hauptverhandlung zu erreichen. Hierfür spricht nicht nur die unklare und verklausulierte Wortwahl, bei der in dem betreffenden Absatz anders als bei den vor der Hauptverhandlung mitgeteilten Beweisanregungen („ich beantrage“) die Formulierung eines bestimmten Antrags gerade vermieden wurde, sondern auch der Umstand, dass der Verteidiger nach Ablauf der benannten Frist (1. Dezember 2016) trotz Ausbleibens einer gerichtlichen Reaktion nichts mehr unternommen hat, um vor dem Hauptverhandlungstermin vom 19. Dezember 2016 auf eine Entbindungsentscheidung hinzuwirken. Auch hat er nicht von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, im Hauptverhandlungstermin zu erscheinen und dort noch einen Entbindungsantrag zu stellen.
Dies verdeutlicht, dass es bei dem Kunstgriff mit der vorgespiegelten „Erklärung des Betroffenen“ wesentlich darum ging, eine „Gehörsrügefalle“ zu schaffen. Eine solche Zweckverfolgung verstößt indes gegen das prozessuale Missbrauchsverbot und verdient keinen Rechtsschutz. Eine Verfahrensrüge, die aus einem rechtsmissbräuchlichen Verhalten hergeleitet wird, ist unzulässig (vgl. BGH NStZ 2007, 49, 51).
Im Übrigen bemerkt der Senat, dass sich das rechtsmissbräuchliche Verhalten des Verteidigers nicht mit dessen Stellung als unabhängiges Organ der Rechtspflege (§ 1 BRAO) vereinbaren lässt.
Zudem dürfte es nicht im Interesse des Mandanten liegen, eine auf Irreführung des Tatrichters und Schaffung einer „Gehörsrügefalle“ angelegte Prozesstaktik, die bei dem Rechtsbeschwerdegericht in gleichgelagerten Fällen schon mehrfach gescheitert ist, gleichwohl fortzusetzen.“
M.E. in diesem Fall wohl zutreffend. Denn der Verteidiger ist ja offenbar schon mehrfach vom OLG „abgemahnt“ worden. Irgendwann ist dann Schluss und es wird die Keule „Missbrauch“ herausgeholt, kombiniert natürlich mit Verteidiger als Organ der Rechtspflege.
Das hatten wir so oder ähnlich schon im OLG Rostock, Beschl. v. 15.04.2015 – 21 Ss OWi 45/15 [Z] (dazu: Der „versteckte“ Entbindungsantrag ist „arglistig“) und im OLG, Hamm, Beschl. v. 19.05.2015 – 5 RBs 59/15 („Neue Masche“ der OLG? oder: Wie werde ich mit einem „versteckten Entbindungsantrag fertig“?). Die OLG mögen das nicht 🙂 und die Vorgehensweise bringt – wie man sieht – auch nichts, zumindest nicht, wenn man sie wiederholt.