Archiv für den Monat: Juni 2017

Und nochmals „räuberischer Angriff auf Kraftfahrer, oder: Parkplatz ist öffentlicher Verkehrsraum

entnommen wikimedia.org Autor: Urheber Mediatus

Auch die zweite Entscheidung, die ich heute vorstelle, befasst sich mit § 316a StGB. Allerdings geht es nicht um ein „§ 316a-spezifisches-Problem“, sondern um ein allgemeines verkehrsstrafrechtliches. Nämlich die Frage der Öffentlichkeit des Tatortes. Der Angriff war auf einem Parkplatz einer Sparkasse unternommen worden. Die Revision hatte geltend gemacht: Kein öffentlicher Verkehrsraum. Dazu der BGH in einem Zusatz im BGH, Beschl. v. 22.05.2017 – 4 StR 165/17:

„Die Ansicht der Revision, den Urteilsgründen sei nicht zu entnehmen, dass der Angriff des Angeklagten im Sinne des § 316a StGB auf den Nebenkläger im öffentlichen Verkehrsraum (hier: Parkplatz einer Sparkasse) erfolgt sei, geht fehl. Dieses Tatbestandsmerkmal ist nach ständiger Rechtsprechung des Senats auch dann erfüllt, wenn die betreffende Verkehrsfläche ungeachtet der Eigentumsverhältnisse und ohne Rücksicht auf eine Widmung entweder ausdrücklich oder mit stillschweigender Duldung des Verfügungsberechtigten für jedermann oder aber zumindest für eine allgemein bestimmte größere Personengruppe zur Benutzung zuge-lassen ist und auch tatsächlich genutzt wird (Senatsbeschlüsse vom 9. März 1961 – 4 StR 6/61, BGHSt 16, 7, 10 f. und vom 30. Januar 2013 – 4 StR 527/12, VRR 2013, 148; vgl. auch OLG Düsseldorf, Beschluss vom 23. September 1991 – 5 Ss 343/91, NZV 1992, 120). Entgegenstehende äußere Umstände, etwa in Form von Zugangssperren, mit denen der Verfügungsberechtigte unmissverständlich erkennbar gemacht hat, dass ein öffentlicher Verkehr nicht (mehr) geduldet wird, hat das Landgericht nicht festgestellt. Der Parkplatz war für das vom Nebenkläger geführte Fahrzeug vielmehr ohne Schwierigkeiten erreichbar. Eine Aufklärungsrüge ist insoweit nicht erhoben.“

Mal wieder „räuberischer Angriff auf Kraftfahrer“, oder: Taxifahrerfall

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Urheber: Dirk

Zum Wochenende dann noch zwei (verkehrsstrafrechtliche) Entscheidungen des BGH. Zunächst das BGH, Urt. v. 27.04.2017 – 4 StR 592/16, das (noch einmal) zu Fragen des § 316a StGB Stellung nimmt. Zu der Vorschrift, die den „räuberischen Angriff auf Kraftfahrer“ unter Strafe stellt, hat es vor einigen Jahren eine ganze Reihe von BGH-Entscheidungen gegeben, die der Vorschrift ein anderes Gesicht gegeben haben. Inzwischen ist Ruhe eingekehrt. Nun hat der BGH aber wieder einmal Stellung nehmen müssen.

Gegenstand des Verfahrens ist einer der häufigeren „Taxifahrerfälle“ mit etwa folgendem Sachverhalt. Der Angeklagte und ein Mittäter wollten einen Taxifahrer überfallen und ausrauben. Sie planten, wie normale Fahrgäste in ein Taxi einzusteigen und sich eine kurze Strecke fahren zu lassen. Am Ankunftsort wollten sie den Taxifahrer bedrohen, wobei ihn der Angeklagte von der Rückbank „greifen“ sollte, und ihn so dazu veranlassen sollte, seine Geldbörse herauszugeben. Die beiden bestiegen dann ein Taxi, dass sie zu einer nicht weit entfernten Spielhalle fahren sollte. Der Taxifahrer stellte das Taxi vor der Spielhalle ab, ohne allerdings die Handbremse anzuziehen. Er stellte den Taxameter aus und verlangte den Fahrpreis. Er holte aus einem in der Fahrertür befindlichen Fach sein Portemonnaie hervor. In diesem Moment packte ihn der Angeklagte und zog seinen Kopf nach hinten. Zugleich verlangte der Mittäter die Herausgabe des Portemonnaies. Außerdem nahm er ein Messer in die Hand und hielt es dem Taxifahrer an den Hals. Der wehrte sich und verweigerte die Herausgabe des Portemonnaies. In dem Moment verließen mehrere Personen die Spielhalle und traten auf den Gehweg vor dem Taxi. Dem Taxifahrer gelang es, sich zu befreien. Er öffnete die Fahrertür und verließ das Taxi. Dabei fiel sein Portemonnaie zu Boden. Der Angeklagte und sein Mittäter gingen davon aus, dass sie aufgrund des Widerstands des Fahrers und der Zeugen ihre Tat nicht wie geplant würden vollenden können und flüchteten. Das Taxi hatte während des Gerangels zu rollen begonnen.

Das LG hat den A wegen versuchter räuberischer Erpressung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung. Hiergegen hat die StA Revision eingelegt. Der BGH hat das Urteil aufgehoben. Er beanstandet, dass das LG obwohl sich dies nach den Feststellungen aufgedrängt habe, nicht unter dem Gesichtspunkt des § 316a Abs. 1 StGB geprüft habe. Die Beanstandungen lassen sich etwa in folgenden Leitsätzen zusammen:

1. Ein Kraftfahrer bleibt so lange Führer des Kraftfahrzeugs i.S. des § 316a Abs. 1 StGB, wie er sich noch im Fahrzeug aufhält und mit dessen Betrieb oder mit der Bewältigung von Verkehrsvorgängen beschäftigt ist. Dies ist grundsätzlich erst dann nicht mehr der Fall, wenn er sein Fahrzeug zum Halten gebracht und den Motor ausgestellt hat.

2. Die besonderen Verhältnisse des Straßenverkehrs können auch bei einem nicht verkehrsbedingten Halt ausgenutzt werden, wenn verkehrsspezifische Umstände vorliegen, die zu einer Beeinträchtigung der Abwehrmöglichkeiten des angegriffenen Fahrzeugführers geführt haben.

3. Zu diesen Punkten müssen ausreichende tatsächliche Feststellungen getroffen werden.

Verwarnungsgeld, oder: Verfahrenshindernis auch bei „Aktenzeichendurcheinander“ bei der Polizei

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Ich habe länger gesucht, aber dann doch noch eine positive Entscheidung gefunden, mit der ich dann den Tag beenden will. Es ist der AG Dortmund, Beschl. v. 11.5.2017 – 729 OWi-305 Js 2252/16-153/17. Das AG hat das Verfahren nach § 206a StPO wegen eines Verfahrenshindernisse auf der Grundlage folgenden Sachverhaltes eingestellt:

Es geht um eine Geschwindigkeitsüberschreitung. Am Tattage hatte die Polizei Dortmund der Betroffenen die Ahndung durch Verwarnung gegen ein Verwarnungsgeld in Höhe von 15 EUR angeboten. Aktenkundig gemacht wurde dies unter dem Aktenzeichen der Polizei XXX. Der der Betroffenen überreichte Zahlschein enthielt jedoch als Kundenreferenznummer von der Polizei vorgedruckt die YYY. Genauso bewirkte die Betroffene innerhalb der gesetzten Wochenfrist die Zahlung der 15 EUR. Es wurde dann aber von der Stadt Dortmund dennoch ein Bußgeldbescheid erlassen. Nach dessen Erlass und Einspruchseinlegung stellte sich heraus, dass die Polizei die Zahlung dem Polizeiaktenzeichen nicht zuordnen konnte. Auch eine Umbuchung landesintern sei nicht möglich. Es sei Aufgabe der Betroffenen, zum richtigen Aktenzeichen einzuzahlen. Etwa einen Monat später hat dann die Polizei das Bußgeld von 15 EUR an die Betroffene zurück überwiesen.

Das AG sagt:

„Es besteht das Verfahrenshindernis des § 56 Abs. 4 OWiG, welches im derzeitigen Verfahrensstadium zur Verfahrenseinstellung nach § 206a StPO i.V.m. § 46 OWiG führt (vgl. dazu: Bohnert/Krenberger/Krumm, OWiG, § 56 Rn. 30). Dabei ist der Polizei zuzugeben, dass das Verwarnungsgeld richtig zu zahlen ist und zwar auch zum richtigen Aktenzeichen (vgl. auch: Göhler/Gürtler, OWiG, § 56 Rn. 23 m.w.N.). Dies ist insbesondere angesichts der notwendigen automatischen Zuordnung von Einzahlungen nötig – die Polizei hat insoweit angegeben, dass in der zuständigen Behörde jährlich etwa 250.000 Zahlungen automatisiert zuzuordnen sind. Hier wurde aber richtig gezahlt, nämlich so, wie von der Polizei im Zahlschein vorgegeben. Ein Aktenzeichendurcheinander innerhalb der Polizeibehörde ist nicht geeignet, die richtige Zahlung der Verwarnung in Zweifel zu ziehen. Ebenso ist es ohne Belang für das Bußgeldverfahren und das bereits vor dem Bußgeldverfahren eingetretene Verfahrenshindernis, ob die Polizei das Geld wieder zurücküberwiesen hat.“

Tja. Ohne das jetzt näher geprüft zu haben: Scheint mir richtig zu sein. Denn die Betroffene hat ja zum „richtigen Aktenzeichen“ gezahlt, nämlich zu dem ihr bekannt gegebenen. Ebenso wie die Polizei nicht unter 250.000 Zahlungen nach der richtigen Sache suchen will, kann das die Betroffene ja wohl erst recht nicht. „Es sei Aufgabe der Betroffenen, zum richtigen Aktenzeichen einzuzahlen„. Aber hallo, wie denn, wenn das Aktenzeichen falsch angegeben ist?

AG Tiergarten: Keine Belehrung über Kosten des SV-Gutachten, oder: Regressansprüche gegen den Verteidiger?

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Auch „schön“ (?), der AG Tiergarten, Beschl. v. 28.07.2016 – (290 OWi) 3032 Js-OWi 4616/16 (429/16). Schon etwas älter, aber ich bin erst jetzt über Beck-Online auf ihn gestoßen.

Es geht um die Frage, ob in einem straßenverkehrsrechtlichen Bußgeldverfahren die Kosten eines Sachverständigengutachten gegen den verurteilten Betroffenen festgesetzt werden können, wenn das Gericht nicht vor der Beauftragung des Sachverständigen den Betroffenen angehört hat. Die Betroffene hatte eine unrichtige Sachbehandlung nach § 8 Abs. 1 GKG geltend gemacht. Das AG sieht das anders:

„Dabei handelt es sich um ein qualifiziertes Vorbringen der Betroffenen, das ihrer eigenen Entlastung dienen und einen Freispruch vorbereiten sollte. Die Betroffene hat somit den ihr vorgeworfenen Rotlichtverstoß bestritten und musste damit rechnen, dass sich das Gericht ihres Vorbringens annehmen und ihre Einlassung in technischer Hinsicht genau prüfen würde, um seiner Pflicht zur gewissenhaften Erforschung der Wahrheit nachzukommen und auszuschließen, dass weiterhin ein etwa ungerechtfertigter Vorwurf gegen die Betroffene erhoben werde. Im gerichtlichen Bußgeldverfahren hat nämlich das Gericht den wahren Sachverhalt zu ermitteln und kann hierzu nach einem zulässigen Einspruch nach § 71 Abs. 2 Nr. 1 OwiG zur besseren Aufklärung der Sache einzelne Beweiserhebungen anordnen. Eines ausdrücklichen Beweisantrages bedarf es dann nicht, wenn die konkret erhobenen Einwände eines Betroffenen schon aus Gründen der Amtsaufklärungspflicht die sachverständige Begutachtung zweckmäßig erscheinen lassen.

Einen Betroffenen vor der Beauftragung des Sachverständigen anzuhören oder gar ergänzend die voraussichtlichen Kosten eines Gutachtens mitzuteilen, ist seitens des Gerichts nicht geboten. Keineswegs existiert ein allgemeiner Grundsatz – gar auf Grund einer Pflicht zum „fairen Verfahren“ -, dass kostenverursachende Verfahrensmaßnahmen erst dann erfolgen dürfen, wenn der Betroffene hierüber vorab informiert worden ist (vgl. LG Berlin, Beschluss vom 12. Juli 2016 – 501 Qs 84/15 -; LG Düsseldorf, Beschluss vom 7. November 2012 – 61 Qs 95/12, 314 Owi 13/12 -). Diese Rechtsansicht entspricht ständiger Rechtsprechung des Landgerichts Berlin (vgl. auch LG Berlin, Beschluss vom 27. Juli 2009 – 534 Qs 105/09 -; Beschluss vom 28. April 2010 – 502 Qs 49/10 -).

Die Auffassung, vorliegend gäbe es Kosten im Sinne des § 21 Abs. 1 Satz 1 GKG, ist rechtsirrig. Die Betroffene hat die Kosten für die Entschädigung des technischen Sachverständigen mithin zu tragen. Die Frage, ob der Betroffenen möglicherweise, Regressansprüche gegenüber ihrem Verteidiger zustehen, sollte dieser sie nicht darüber informiert haben, dass eine sich auf die technische Verwertbarkeit der Messung beziehende Einlassung eine von ihr ggf. zu tragende Pflicht zur Übernahme der Entschädigung eines Sachverständigen zur Folge haben könnte, braucht hier nicht beantwortet zu werden.“

Jetzt lassen wir mal dahin gestellt, ob das richtig ist. Ja, ich weiß, das LG Berlin sieht das so. Muss aber ja nicht richtig sein. Mir riecht das Ganze dann doch immer ein wenig nach „Disziplinierung“ des Betroffenen und seines Verteidigers. Ja, auch des Verteidigers. Dass man den auch im Blick hat, zeigt m.E. der letzte zitierte Satz: „Die Frage, ob der Betroffenen möglicherweise, Regressansprüche gegenüber ihrem Verteidiger zustehen, sollte dieser sie nicht darüber informiert haben, dass eine sich auf die technische Verwertbarkeit der Messung beziehende Einlassung eine von ihr ggf. zu tragende Pflicht zur Übernahme der Entschädigung eines Sachverständigen zur Folge haben könnte, braucht hier nicht beantwortet zu werden.“ Ja sicher, gleich mal den/die Betroffene(n) auf mögliche „Regressansprüche“ gegen seinen Verteidiger hinweisen. Ist/war m.E. mehr als überflüssig.

PoliscanSpeed und kein Ende, oder: Die PTB hat immer Recht, auch beim OLG Braunschweig

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Urheber KarleHorn

Ich hatte gestern über den OLG Karlsruhe, Beschl. v. 26.05.2017 – 2 Rb 8 Ss 246/17 betreffend Geschwindigkeitsmessungen mit dem Messgerät PoliScan Speed berichtet (vgl. PoliscanSpeed, oder: „ein bisschen schwanger“ bzw. Trauerspiel/Worthülse „standardisiertes Messverfahren“), mit dem m.E. das „standardisierte Messverfahren abgeschafft wird bzw. der Weg zur Abschaffung weiter gegangen wird. Zu dem Beschluss hätte ganz gut der OLG Braunschweig, Beschl. v. 13.06.2017 – 1 Ss (OWi) 115/17 – gepasst. Auf den bin ich aber erst gestern Abend gestoßen. Ich schiebe ihn dann heute hier nach. Nicht, weil ich ihn gut finden, sondern nur der Vollständigkeit halber.

In dem Beschluss steht auch nichts Neues, so dass m.E. die Leitsätze reichen. Die lauten:

  1. Bei Geschwindigkeitsmessungen mit dem Messgerät PoliScan Speed handelt es sich um die Anwendung eines standardisierten Messverfahrens (Anschluss an OLG Zweibrücken, Beschluss vom 27.01.2017, 1 OWi 1 Ss Bs 53/16; juris).
  1. Es ist nicht zu befürchten, dass das Messergebnis durch Rohmessdaten verfälscht wird, die in einem der Bauartzulassung nicht entsprechenden Messbereich erfasst werden.
  1. Solange konkrete Einwände gegen die Messung und das Messergebnis nicht erhoben werden, besteht kein Anlass, den Messvorgang sachverständig überprüfen zu lassen.

Und wenn man den Beschluss liest: Das Übliche. PoliscanSpeed ist standardisiert und bleibt standardisiert. Die PTB hat immer Recht. Ihre Bauartzulassung ist ein „antizipiertes Sachverständigengutachten“. Und das führt dazu, dass der Betroffene im Grunde genommen beantragen kann, was er will: Die PTB hat schon vorher gesagt: Nein, alles richtig. Und nicht zu vergessen: AG Mannheim ist Käse.

Das einzig Erfreuliche an dem Beschluss: Der Hinweis auf: „Burhoff, Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, 4. Auflage 2015, Rn. 2322“. Dadurch aber bitte nicht irritieren lassen. Natürlich setzt der Beweisantrag konkrete Anhaltspunkte für Messfehler voraus. M.E. sind die aber gegeben. Nur: Die OLG sehen es im Schulterschluss mit der PTB anders.

Na dann doch noch etwas Erfreuliches: Zumindest schnell sind sie in Niedersachsen. Der Beschluss datiert vom 13.06.2017. Und er war schon am 14.06.2017 online.

Und bevor ich es vergesse: Für alle die, die heute Feiertage haben: Trotzdem schönen Tag.