Archiv für den Monat: Februar 2017

Sexualstraftaten des Rechtsanwalts, oder: Berufsbezogenheit

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Heute zum Auftakt mal eine – m.E. ganz interessante – berufsrechtliche Entscheidung, nämlich der AnwG Frankfurt, Beschl. v. 21.12.2016 – IV AG 55/16-4 EV 411/14, über den der Kollege Vetter auch schon berichtet hat. Das AnwG hat in dem Beschluss die Eröffnung des Hauptverfahrens vor dem Anwaltsgericht abgelehnt. RAK Frankfurt und die GStA hatten versucht, ein anwaltsgerichtliches Verfahren gegen einen Rechtsanwalt einzuleiten. Der war durch das AG Frankfurt mit Urteil vom 29.07.2015 wegen sexueller Nötigung gem. § 177 Abs. 1 Nr. 1 StGB in einem Fall sowie wegen sexuellen Missbrauchs von Jugendlichen gem. § 182 Abs. 2 StGB in fünf Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 11 Monaten, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde, verurteilt worden. Im ersten Fall stellte er über eine Internetplattform zu einer volljährigen Frau einen Kontakt her, mit der er gegen Zahlung eines Geldbetrages sexuelle Handlungen vereinbarte. Zu diesem Zweck traf er sich mit ihr am 15.12.2014 in deren Wohnung in Köln. Nachdem die sexuellen Handlungen zunächst einvernehmlich erfolgten, setzte er dann seine sexuellen Wünsche gegen den nun eindeutig und unmissverständlich artikulierten Willen der Frau mit Gewalt durch. In den fünf Fällen des sexuellen Missbrauchs von Jugendlichen bahnte er über Kontaktplattformen Kontakt zu jugendlichen Mädchen zwischen 15 und 17 Jahren an, denen er Geld für sexuelle Handlungen anbot. Diese Jugendlichen traf er jeweils in Hotels und veranlasste diese zu sexuellen Handlungen, für die er als Gegenleistung Beträge zwischen 40,00 € und 200,00 € zahlte.

Das AnwG hat das Vorliegen der Voraussetzungen des § 113 Abs. 2 BRAO verneint und die Eröffnung des Verfahrens abgelehnt. Begründung u.a.: Keinerlei Verbindung zwischen den rein auf privater Ebene erfolgten sexuellen Handlungen des Rechtsanwalts mit seinen Opfern mit einer anwaltlichen Tätigkeit im weitesten Sinne. Und weiter:  Eine anwaltsgerichtliche Ahndung wäre nur dann möglich, wenn das Verhalten nach den Umständen des Einzelfalls in besonderem Maße geeignet ist, Achtung und Vertrauen des Rechtssuchenden in einer für die Ausübung der Anwaltstätigkeit bedeutsamen Weise zu beeinträchtigen. Diese Voraussetzungen seien aber, was der Wortlaut nahelegt eng auszulegen:

„Vor dem Hintergrund dieser Grundsätze ist ein anwaltsgerichtliches Ahndungsbedürfnis i.S. des § 113 Abs. 2 BRAO zu verneinen. Die in den Straftaten zum Ausdruck kommenden Verhaltensdefizite des Rechtsanwalts tangieren nicht die allgemein an einen Rechtsanwalt zu stellenden charakterlichen Anforderungen, wie sie gerade für eine seriöse und zuverlässige Bearbeitung von Rechtsfällen gefordert ist. Die vom Rechtsanwalt begangenen Straftaten verlangen zwar eine sexualpsychologische Aufarbeitung, zeigen aber keine charakterlichen Defizite etwa im Bereich der Wahrheitspflicht oder des Umgangs mit Vermögenswerten, die im Rechtsverkehr eine erhebliche Rolle spielen. Auch spielte bei den Taten sein Beruf als Rechtsanwalt in keiner Weise eine Rolle. Den Entscheidungsgründen des strafgerichtlichen Urteils ist nicht zu entnehmen, dass die Opfer überhaupt wussten, dass der Täter Rechtsanwalt war. Insoweit hatte die berufliche Stellung als Rechtsanwalt auch nicht in irgendeiner Weise bei der Tatbegehung eine Funktion. Soweit der Rechtsanwalt in einem Fall dem Opfer nicht das erwartete gesamte Geld, sondern nur einen geringeren Betrag bezahlt hat, folgt hieraus keine andere Bewertung, da es sich hier nur um einen Nebenaspekt handelt, der dem Geschehen nicht das Gepräge gibt. Es erfolgte insoweit auch keine Verurteilung wegen Betruges, da der Sachverhalt nicht belegt, dass der höhere Betrag nicht lediglich von der Geschädigten erwartet wurde, sondern auch vereinbart war.

Ergänzend ist noch von Relevanz, dass auch ein sachlicher Bezug zwischen den begangenen Straftaten und der anwaltlichen Tätigkeit des Rechtsanwalts fehlt. Der Rechtsanwalt ist als Syndikusanwalt bei einer Bank im Bereich Compliance beschäftigt. Weshalb die vorliegende Tat seine Zuverlässigkeit in seinem Arbeitsbereich in Frage stellen soll, ist nicht ersichtlich. Die Eröffnung des Hauptverfahrens war deshalb abzulehnen. Aus diesem Grund sind die Kosten und notwendigen Auslagen des Rechtsanwalts von der Rechtsanwaltskammer zu tragen.“

Strafzumessung III: Mehrere Angeklagte, oder: Gleichbehandlung erforderlich

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Strafzumessung bei mehrere Angeklagten ist nicht so ganz einfach. Zu der Problemati hate es vor einigen Jahren Rechtsprechung des BGH gegeben, die nun der BGH, Beschl. v. 03.11.2016 – 2 StR 363/16 – noch einmal ins Gedächtnis gerufen hat. Das LG Bonn hatte den Angeklagten K. wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen und wegen Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und neun Monaten nebst Wertersatzverfall, den Angeklagten H. wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Dem BGH „passen“ die beiden Strafaussprüche nicht:

„….. Hingegen begegnen die sie betreffenden Strafaussprüche durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

Bei Aburteilung mehrerer Beteiligter an derselben Tat durch dasselbe Gericht in demselben Verfahren müssen die jeweiligen Strafmaße in einem sachgerechten, nachprüfbaren Verhältnis zur Strafe anderer Beteiligter stehen (vgl. etwa BGH StV 2011, 725; 2011, 725, 726; s. auch BGHSt 56, 262, 263). Auch wenn es keinen allgemeinen Anspruch auf Gleichbehandlung gibt (s. Fischer, StGB, 63. Aufl., § 46 Rn. 23), gilt dies – mit Einschränkungen – doch auch dann, wenn in einem Verfahren im Kern vergleichbare Tatvorwürfe gegen verschiedene Beteiligte abgeurteilt werden. Insoweit muss sich den Urteilsgründen hinreichend entnehmen lassen, dass der Strafbemessung gegen mehrere Angeklagte der gleiche Maßstab zugrunde liegt und die gegen sie verhängten Strafen in einem gerechten Verhältnis zueinander stehen.

Diesem Maßstab wird die angegriffene Entscheidung nicht gerecht. Das Landgericht hat beide Angeklagte wegen eines im Kern vergleichbaren Tatvorwurfs, dem Anbau von Marihuana in einer Indoorplantage, jeweils zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Dies lässt sich anhand des festgestellten Sachverhalts und der mitgeteilten Strafzumessungserwägungen nicht mehr nachvollziehen. Der Betrieb der von dem Angeklagten H. betriebenen Plantage im Fall C.I der Urteilsgründe war auf eine Menge gerichtet, die die nicht geringe Menge um mehr als das 900fache überschritt, während der Anbau durch den Angeklagten K. im Fall C.II (2. Ernte) eine Betäubungsmittelmenge von 450fachen der nicht geringen Menge erbrachte. Dass die Strafkammer für diese Taten mit maßgeblich unterschiedlichen Wirkstoffmengen die gleiche Strafe verhängt hat, obwohl die weiter angeführten Strafzumessungserwägungen beide Angeklagte in gleicher Weise betreffen (Geständnis, weiche Droge, Untersuchungshaft zu ihren Gunsten und erheblicher Aufwand an Arbeit und Kapital sowie großes Maß an krimineller Energie zu ihren Lasten), ist nicht nachzuvollziehen, auch wenn im Fall C.I die Betäu-bungsmittel sichergestellt werden konnten. Dies gilt umso mehr, als das Landgericht zusätzlich beim Angeklagten K. berücksichtigt hat, dass er als Marihuanakonsument eher tatgeneigt sei, und er zudem länger als der Angeklagte H. Untersuchungshaft verbüßt hat.“

Also: Gerecht muss die Strafzumessung bei mehreren Angeklagten sein………….

Strafzumessung II: „Allein eine Verwarnung mit Strafvorbehalt…“, oder: Nikolausgeschenk

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Eine (große) Ausnahme stellt m.E. der BGH, Beschl. v. 07.12.2016 – 5 StR 418/16 – dar. Denn: Wann liest man schon mal, dass der BGH selbst eine Strafe/Sanktion festsetzt. So aber in dieser Entscheidung. Das LG hatte den Angeklagten wegen Bestechlichkeit in Tateinheit mit Beihilfe zum Betrug zu einer Geldstrafe verurteilt, eine Entscheidung über die als vollstreckt anzusehende Geldstrafe – wegen Verfahrensverzögerung – und eine Ratenzahlungsanordnung getroffen. Der BGH ändert den Schuldspruch ab:

„Hingegen hat der Strafausspruch keinen Bestand, weil allein eine Verwarnung mit Strafvorbehalt gemäß § 59 StGB auszusprechen ist. Zwar hat die genannte Vorschrift Ausnahmecharakter und erfordert grundsätzlich eine Ermessensentscheidung des Tatgerichts. Allerdings kann die Besonderheit eines Falles das Ermessen der Strafkammer derart verengen, dass allein eine Verwarnung mit Strafvorbehalt in Betracht kommt. In diesem Fall kann auch das Revisionsgericht auf die besondere Sanktion gemäß § 59 StGB erkennen (BGH, Urteil vom 7. Februar 2001 – 5 StR 474/00, BGHSt 46, 279, 290, 291 mwN). So liegt es angesichts der vom Landgericht festgestellten außergewöhn-lichen Umstände hier. Zwischen Tat und erstinstanzlicher Verurteilung sind bald zehn Jahre vergangen. Hiervon entfallen allein auf den Zeitraum zwischen An-klage und Eröffnung des Hauptverfahrens über vier Jahre. Die Belastungen durch das Verfahren und dessen Länge haben dazu beigetragen, dass der An-geklagte dienstunfähig erkrankt ist. Ferner ist er zwischenzeitlich in den Ruhe-stand versetzt worden und noch einem Disziplinarverfahren ausgesetzt. Darüber hinaus ist nach den Feststellungen des Tatgerichts davon auszugehen, dass der Angeklagte nicht eigennützig gehandelt und die Tat gewissermaßen „unter den Augen“ des zweiten Bürgermeisters stattgefunden hat. Schließlich ist der Schaden bei den jeweils betroffenen Anliegern gering.

Unter diesen Umständen erkennt der Senat auf die in der Beschlussformel verhängte Sanktion.“

Nun. Ein „Nikolausgeschenk“ für den Angeklagten.

Strafzumessung I: Die „einbezogene Jugendstrafe“, oder: So passt es nicht

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Jeder Verteidiger, der im Jugendrecht tätig ist, weiß – oder sollte wissen -, dass es nach dem JGG anders als im Erwachsenenrecht keine Gesamtfreiheitsstrafe gibt, sondern nur eine Einheitsjugendstrafe (§ 31 Abs. 2 JGG). Was bei deren Bildung zu beachten und vor allem wie diese Strafe zu begründen ist, zeigt noch einmal der BGH, Beschl. v. 16.11.2016 – 2 StR 316/16. Da hatte die Jugendkammer den Angeklagten wegen besonders schweren Raubes unter Einbeziehung „der Strafe“ aus einer anderen Verurteilung wegen desselben Tatvorwurfs zu einer Einheitsjugendstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Das hat beim BGH „nicht gehalten“:

„Auch der Strafausspruch hinsichtlich des Angeklagten M. hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Es ist zwar nicht zu beanstanden, dass die Jugendkammer die Verhängung einer Jugendstrafe gegen den Angeklagten für erforderlich erachtet hat. Sowohl schädliche Neigungen wie auch die Schwere der Schuld hat das Landgericht rechtsfehlerfrei angenommen. Hingegen begegnen die Ausführungen zur Höhe der Einheitsjugendstrafe durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Die Jugendkammer hat diese – wie sich dem Tenor der angefochtenen Entscheidung entnehmen lässt – „unter Einbeziehung der Strafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Stralsund – Zweigstelle Bergen – vom 14. Januar 2016 (35 Ls 20/15 jug.)“ gebildet. Dies ist rechtsfehlerhaft.

Bei Anwendung von § 31 Abs.2 JGG wird nicht lediglich die Strafe, sondern das Urteil in die Bildung der Einheitsjugendstrafe übernommen. Dabei hat der Tatrichter eine neue, selbständige, von der früheren Beurteilung unabhängige einheitliche Rechtsfolgenbemessung für die früher und jetzt abgeurteilten Taten vorzunehmen (BGHR JGG § 31 Abs. 2 Einbeziehung 4, 5). Ist – wie hier – in der einzubeziehenden Entscheidung bereits eine frühere Entscheidung einbezogen worden, sind sämtliche Entscheidungen unter Neubewertung zur Grundlage einer einheitlichen Sanktion zu machen (BGHR JGG § 31 Abs. 2 Einbeziehung 7). Daran fehlt es hier. Das Landgericht hat zwar im Rahmen der konkreten Strafbemessung berücksichtigt, dass der Angeklagte erheblich vorbestraft ist und unter laufender Bewährung stand. Es hat auch einleitend – ohne nähere Erläuterung, und im Widerspruch zur Tenorierung – das „Urteil“ des Amtsgerichts Stralsund – Zweigstelle Bergen – vom 14. Januar 2016 einbezogen. Gleichwohl lassen die Ausführungen der Jugendkammer besorgen, dass sie sich der Notwendigkeit, eine neue, selbständige Bewertung aller früher und jetzt abgeurteilten Taten vornehmen zu müssen, nicht bewusst war. Die Strafzumessungserwägungen beziehen sich lediglich auf die jetzt neu abzuurteilende Tat. Eine Auseinandersetzung mit den früheren Entscheidungen und ihrer Bedeutung für den Erziehungsbedarf lässt sich den Urteilsgründen nicht entnehmen. Die „Einbeziehung“ des Urteils des Amtsgerichts Stralsund vom 14. Januar 2016 erfolgt lediglich formelhaft und erfasst zudem – obwohl geboten – auch nicht die in die genannte Entscheidung einbezogene frühere Verurteilung des Amtsgerichts Stralsund – Zweigstelle Bergen – vom 26. August 2014.“

Fahreridentifizierung mittels anthropologischer Begutachtung, oder: „Wortreich“

entnommen openclipart.org

Zum Abschluss des heutigen Tages dann noch der Hinweis auf den OLG Bamberg, Beschl. v. 29. 12. 2016 – 3 Ss OWi 1566/16 – betreffend die Anforderungen, die an das amtsgerichtliche Urteil gestellt werden, wenn der Amtsrichter zur Täteridentifizierung auf ein anthropologisches Gutachten zurückgreift. Wie fast immer bei OLG Bamberg-Entscheidungen reicht der Hinweis auf den Leitsatz des OLG. Der ist – wie auch fast immer – „wortreich“ 🙂 :

„Beruht die Überzeugung des Tatgerichts von der Fahrereigenschaft des Betroffenen ohne weitere eigene Erwägungen auf der Übernahme von Darlegungen eines anthropologischen Sachverständigen, müssen im Urteil die wesentlichen Anknüpfungstatsachen und fachbezogenen Ausführungen des Sachverständigen derart wiedergegeben werden, wie dies zum Verständnis des Gutachtens und zur Beurteilung seiner Schlüssigkeit unabdingbar ist. Hierzu zählen Angaben, auf wie viele und welche konkreten übereinstimmenden medizinischen Körpermerkmale sich der Sachverständige bei seiner Bewertung bezogen, wie er die Übereinstimmungen ermittelt, auf welches biostatische Vergleichsmaterial sich die von ihm vorgenommene Wahrscheinlichkeitsberechnung gestützt und welche Beweisbedeutung er den einzelnen Merkmalen beigemessen hat (u.a. Anschluss an OLG Bamberg, Beschl. v. 20.02.2008 – 3 Ss OWi 180/08 = NZV 2008, 211 = VRS 114, 285 m.w.N.).“

Wenn man den Leitsatz und den mit Zitaten „gespickten Beschluss so liest, ist man – jedenfalls ich – über die Formulierung des OLG: „Das AG durfte sich deshalb nicht damit begnügen, lediglich – wenn auch wortreich – das Ergebnis der anthropologischen Begutachtung mitzuteilen, ….“ ein wenig amüsiert 🙂 🙂 .