Archiv für den Monat: November 2016

Wer hätte es gewusst?, oder: Kostenentscheidung bei Mithaftung mehrerer Verurteilter

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Das LG hat den Angeklagten sowie zwei Mitangeklagte wegen versuchter schwerer räuberischer Erpressung verurteilt; zudem hat es den drei Angeklagten die Kosten des Verfahrens auferlegt. Gegen die Kostenentscheidung hat der Angeklagte sofortige Beschwerde eingelegt. Die hatte beim OLG Hamm keinen Erfolg. Das führt dazu im OLG Hamm, Beschl. v. 01.09.2016 – 4 Ws 253/16 – aus:

Die Kostenentscheidung des Landgerichts entspricht dem Gesetz(§ 465 Abs. 1 StPO). Für die vom Angeklagten I angestrebte Kostenregelung gibt es keine Rechtsgrundlage. Soweit eine ausschließliche Haftung einzelner Mitangeklagter gem. § 466 StPO in Betracht kommt, ist diese erst im Kostenansatzverfahren zu berücksichtigen (zu vgl. BGH, NStZ 1986, 210; Hilger, in: Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 466 Rdnr. 11; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 58. Aufl., § 466 Rdnr. 3 jeweils m.w.N.).

Tja, wer hätte es gewusst? Die Beschwerde war zu früh. § 466 StPO regelt die Haftung mehrerer Verurteilter/Angeklagter für Auslagen der Staatskasse. Vorgesehen ist in § 466 Satz 1 StPO eine gesamtschuldnerische Haftung. In § 466 Satz 2 StPO wird davon zwar eine Ausnahme gemacht u.a. für die Pflichtverteidigergebühren, Auslagen eines Dolmetschers, für die durch die Untersuchungshaft eines Angeklagten oder durch eine nur gegen einen Angeklagten gerichtete Untersuchungshandlung (§ 81a StPO) entstandenen Kosten. Für diese Kosten haften nicht alle Angeklagte als Gesamtschuldner, sondern nur derjenige Angeklagte, den die Kosten betreffen. Das ergibt sich aber aus der StPO und muss daher in der Kostenentscheidung nicht ausdrücklich bestimmt werden. Bedeutung erlangen die Fragen vielmehr erst im Kostenansatzverfahren. Dann werden die Kosten auf die jeweiligen Angeklagten/Verurteilten verteilt; die Verteilung steht nach § 8 Abs. 3 KostVfG im pflichtgemäßen Ermessen des Kostenbeamten. Gegen die in dem Verfahren ergehende Entscheidung steht dem Verurteilten dann, wenn er nicht einverstanden ist, Erinnerung und ggf. Beschwerde und weitere Beschwerde nach § 66 GKG zu.

Eigennutz, oder: Das sollte man wissen

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Nur mal so zur Erinnerung bringe ich dann jetzt den BGH, Beschl. v. 17.08.2016 – 2 StR 163/16. Er behandelt eine Frage, die m.E. die in der Tatsacheninstanz entscheidende Strafkammer des LG Schwerin schon hätte wissen müssen. Die Problematik gehört zu den Basics, wenn es um Betäbungsmittelstrafrecht geht. Nämlich der Umstand, dass zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln der Eigennutz gehört. Das war dem LG dann aber wohl nicht bekannt – wirklich? – und hat zur Aufhebung beim BGH geführt:

Der Schuldspruch hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Das Landgericht hat die Annahme von Mittäterschaft auf die Erwägung gestützt, die Rolle des Angeklagten beim Drogenhandel gehe über ein bloßes Hilfeleisten und Unterstützen des Haupttäters J. deutlich hinaus; aufgrund der von ihm selbst ausgeführten Handlungen und deren Bedeutung für das Gelingen der Geschäfte sei er als Täter anzusehen. Dabei hat das Landgericht keine Feststellungen treffen können, welche Einnahmen der Angeklagte erzielt hat. Dies steht jedoch nach Ansicht der Strafkammer der Annahme einer Täterschaft nicht entgegen, wenn – wie hier – die tatsächlich eingenommene Rolle so bedeutend sei, dass Tatherrschaft zu bejahen sei.

Diese Erwägungen tragen eine Verurteilung wegen täterschaftlichen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln nicht. Eine solche Verurteilung setzt in jedem Fall die Feststellung voraus, dass der Handelnde selbst eigennützige Bemühungen entfaltet, die darauf gerichtet sind, den Umsatz mit Betäubungsmitteln zu ermöglichen oder zu fördern. Nicht ausreichend ist es hingegen, wenn ein Täter nur den Eigennutz eines anderen mit seinem Tatbeitrag unter-stützen will (st. Rspr.; BGH NStZ-RR 2013, 282; NStZ-RR 2014, 213, 275). Das Fehlen von Eigennützigkeit kann nicht durch den Hinweis auf Tatherrschaft er-setzt werden. Aus diesem Grund waren Feststellungen zu einem eigennützigen Handeln des Angeklagten nicht entbehrlich. Da auch weder dem Hinweis der Strafkammer, Feststellungen dazu, welche Einnahmen der Angeklagte erzielt habe, hätten nicht getroffen werden können, noch dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe zu entnehmen ist, ob der Angeklagte in Ge-winnerzielungsabsicht (auch) ein eigenes Betäubungsmittelgeschäft durchführen wollte und welche Vorteile er sich davon versprochen hat, bedarf die Sache neuer Verhandlung und Entscheidung.“

Im zweiten Durchlauf wird es nach der Belehrung dann sicherlich klappen.

Ein Beamter kann auch auf der Toilette einen Dienstunfall erleiden …

Absaugwagen_für_mobile_ToilettenSchon etwas länger hängt in meinem Blogordner für einen Samstag das VG Berlin, Urt. v. 4.05.2016 – VG 26 K 54.14 -, das ich dann heute hier auf der Grundlage der PM vorstelle. Ihc bin da, wenn es um reines Verwaltungsrecht und dann auch noch um die Abgrenzung zum Versicherungsrecht geht, lieber vorsichtig. In der PM zu der Entscheidung heißt es:

„Ein Dienstunfall eines Beamten kann sich nach einem Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin auch in den Toilettenräumen des Dienstgebäudes ereignen.

Die Klägerin, eine Stadtamtfrau im Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg von Berlin, stieß im August 2013 während der Dienstzeit gegen den Fensterflügel eines weit geöffneten Fensters im Toilettenraum des Dienstgebäudes. Hierdurch erlitt sie eine blutende Platzwunde sowie eine Prellung, so dass sie ärztlich versorgt werden musste. Den Antrag auf Anerkennung dieses Ereignisses als Dienstunfall lehnte der Dienstherr unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung bayrischer Verwaltungsgerichte mit der Begründung ab, beim Aufenthalt in einer Toilettenanlage handele es sich um eine rein private Angelegenheit, die in keinem Zusammenhang mit der dienstlichen Tätigkeit stehe. Das Risiko sei daher allein dem privaten Bereich zuzuordnen.

Die hiergegen gerichtete Klage hatte Erfolg. Die 26. Kammer des Verwaltungsgerichts verpflichtete das Land, das Ereignis als Dienstunfall anzuerkennen. Ein solcher Unfall setze einen Körperschaden infolge eines plötzlichen Ereignisses in Ausübung oder infolge des Dienstes voraus. Dies sei hier der Fall. Der erforderliche Zusammenhang des Unfalls mit dem Dienst sei im Regelfall gegeben, wenn sich der Unfall – wie auch hier – während der Dienstzeit am Dienstort ereignet habe. Zwar stelle das Aufsuchen der Toilette selbst erkennbar keine dienstlich geprägte Tätigkeit dar, sondern falle in die private Sphäre des Beamten. Gleichwohl gehörten Toiletten zum vom Dienstherrn unmittelbar beherrschbaren räumlichen Risikobereich. Soweit sozialgerichtliche Rechtsprechung zur gesetzlichen Unfallversicherung den Aufenthalt im Toilettenraum – anders als den Weg zur Toilette selbst – als sog. „eigenwirtschaftliche Tätigkeit“ vom Versicherungsschutz ausnehme, sei dies auf das Beamtenrecht nicht übertragbar.“

Die Sache hat grundsätzliche Bedeutung. Daher hat das VG die Berufung und die Sprungrevision zugelassen. Wir werden also davon noch hören.

Radfahrersturz auf (stillgelegten) Bahngleisen, oder: Selbst schuld

entnommen wikimedia.org Urheber Roulex 45

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Im „Kessel Buntes“ dann heute der OLG Hamm, Beschl. v. 09.06.2016 – 6 U 35/16. Es handelt sich um einen sog. Hinweis-Beschluss nach § 522 ZPO, der dazu geführt hat, dass die beim OLG Hamm anhängige Berufung von der Klägerin zurückgenommen worden ist.

Es ging im Verfahren um Schadensersatz nach einem Fahrradsturz der Klägerin, den sie 2013 auf der Zeche Zollverein erlitten hat. Die Klägerin befuhr einen Fuß- und Radweg, auf dem alte Bahnschienen verlaufen. Diese sind auf dem Fuß- und Radweg in Asphalt eingebettet, während sie im aus Betonteilen bestehenden Kreuzungsbereich mit einer Straße ihren ursprünglichen Zustand aufweisen, so dass zwischen dem Beton und den Schienen Zwischenräume aus losem Erdreich existieren. Beim Überqueren der Kreuzung geriet die Klägerin mit dem Vorderreifen ihres Fahrrades in die Rille einer Schiene und stürzte. Sie fiel auf den Kopf und zog sich ein schweres Schädelhirntrauma zu, dass operativ versorgt werden musste. Das LG Essen hat die Klage abgewiesen, die Berufung hatte dann beim OLG auch keinen Erfolg.

Das OLG verneint eine haftungsbegründende Verkehrssicherungspflichtverletzung der Beklagten. Dazu aus der PM des OLG:

„Die Klägerin sei, so der vom Senat erteilte Hinweis, an einer Stelle gestürzt, die als Gefahrenquelle offensichtlich gewesen sei. Auf Radwegen könne ein Radfahrer nicht mit einer ebenen, schadlosen und von Hindernissen befreiten Fahrbahn rechnen. Er müsse die gegebenen Verhältnisse so hinnehmen, wie sie sich ihm erkennbar darböten und sein Fahrverhalten entsprechend anpassen. Insbesondere im Bereich von Schienen oder in die Fahrbahn eingelassenen Gleisen habe er sich auf die typischen damit verbundenen Gefahren einzustellen. Dazu gehöre auch die naheliegende Gefahr, mit Reifen in eine Schienenspur zu gelangen und dadurch die Lenkfähigkeit des Fahrrades zu verlieren. Das gelte jedenfalls dann, wenn sich die Gleisanlage vom übrigen Straßenbelag deutlich abhebe und der Schienenverlauf gut sichtbar sei. Bei der an der Unfallstelle in den Straßenbelag eingelassenen Gleisanlage handle es sich um ein schon von weitem sichtbares Hindernis, welches zudem vor dem Kreuzungsbereich durch in die Straße eingelassene, rot-weiß markierte Pfeiler als solches angekündigt werde. Die für einen Radfahrer und auch die Klägerin erkennbar auf die Kreuzung zu laufenden und im Kreuzungsbereich deutlich sichtbaren Schienen stellten eine typische Gefahrenlage dar, auf die sich die Klägerin als Radfahrerin habe einstellen können und müssen. Vor dieser Gefahrenlage habe die Beklagte nicht noch durch zusätzliche Hinweisschilder warnen müssen.

Der Umstand, dass die Schienen an anderen Stellen auf dem ehemaligen Betriebsgelände der Zeche mit Asphalt verfüllt worden seien, rechtfertige keine andere Beurteilung. Die Zeche Zollverein sei – dies stelle eine Besonderheit des Falles dar – ein Industriedenkmal. Sinn und Zweck eines solchen Denkmals sei es, den Besuchern bauliche Besonderheiten der Anlage möglichst originalgetreu nahezubringen. Zu den baulichen Besonderheiten der Zeche Zollverein gehöre u.a. der zum Rangieren von Gütern bestimmte Gleisbereich der Anlage, der im Unfallbereich im ursprünglichen Zustand belassen worden und daher nur mit losem Erdreich verfüllt gewesen sei. Aufgrund dieses Charakters der Anlage habe die Klägerin nicht davon ausgehen können, dass der Radweg an allen Stellen des ehemaligen Betriebsgeländes frei von nicht asphaltierten Schienen oder weiteren Gefahrenquellen sei, auch wenn Schienen an weniger exponierten Stellen bündig in den Asphalt eingelassen seien.“

Also – wie der Westfale sagt: Selbst in schuld 🙂 .

Ich habe da mal eine Frage: Verfahrensgebühr im Straf- und im Bußgeldverfahren?

© AllebaziB - Fotolia

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Zur Diskussion stelle ich heute folgende Frage eines Kollegen:

Sehr geehrter Herr Kollege Burhoff!

Ein Kollege hat mich kürzlich angerufen und mich gefragt, wie er folgendes Verfahren abrechnen soll:

Ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren gegen seinen Mdt. wurde nach § 170 II StPO eingestellt und an die Verwaltungsbehörde zur Verfolgung als OWi abgegeben. Nach Bußgeldbescheid und Einspruch kommt es zum Verfahren vor dem AG. Das leitet auf Antrag der StA wieder nach § 81 Abs. 2 OWiG in das Strafverfahren über. In der Hauptverhandlung wird nach § 153a II StPO eingestellt. Ob im OWi-Verfahren bereits ein Termin vor dem AG stattgefunden hatte, weiß ich nicht.

Jetzt will er wissen, ob beide Verfahrensgebühren für das Verfahren vor dem AG Nr. 5109 (OWi) und Nr. 4106 (Straf) anfallen, oder ob die 5109 von der 4106 „absorbiert“ wird. So wie die Grundgebühr bei Nr. 5100 Abs. 2.

Ich meine, dass beide Verfahrensgebühren für das Verfahren vor dem AG anfallen, weil – anders als in Nr. 5100 Abs. 2 zur Grundgebühr – im Gesetz nichts davon steht, dass die Verfahrensgebühr nicht anfallen soll. Außerdem wird das OWi-Verfahren teilweise nach einer anderen Prozessordnung geführt, so dass sich der Verteidiger zwei Mal einarbeiten muss.

Was meinen Sie? Falls ich die Fundstelle in Ihrem RVG-Handbuch nicht gefunden haben sollte, genügt ein kurzer (zorniger) Hinweis 🙂 .

Und: Was meinen die Mitlesenden? Keine Angst – es gibt keinen „zornigen“ Hinweis 🙂 .