Archiv für den Monat: Juli 2016

Wie sichtbar muss ein Parkverbot sein, oder: Nachschaupflicht?

entnommen wikimedia.org Urheber Mediatus

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Die Konstellation, die das BVerwG im BVerwG, Urt. v. 06.04.2016 – 3 C 10.15 –  entschieden hat, trifft man in der Praxis häufig(er) an: Ein Pkw wird in einem Straßenabschnitt geparkt, wo wegen eines demnächst stattfindenden Straßenfestes durch vorübergehend angebrachte Verkehrszeichen ein absolutes Haltverbot (Zeichen 283) ausgeschildert ist. Die Verwaltungsbehörde veranlasst dann die Umsetzung dieses Fahrzeugs durch ein Abschleppunternehmen und nimmt den Halter auf Zahlung einer Umsetzungsgebühr in Anspruch. So geschehen 2012 in Berlin. Da ging es um die Zahlung von 125 €. Der „Falschparker“ hat geklagt und u.a. eingewandt,  die Verkehrszeichen seien nicht mit einem raschen und beiläufigen Blick erkennbar gewesen; daher seien die Haltverbote nicht wirksam bekanntgemacht worden.

Er hatte beim VG und auch beim OVG Berlin-Brandenburg keinen Erfolg. Das OVG ist von einer anlasslosen Nachschaupflicht ausgegangen und hat angenommen, dass das Haltverbot für den Kläger erkennbar gewesen wäre, wenn er dieser Nachschaupflicht genügt hätte. Anders das BVerwG. Es verweist darauf, dass Verkehrszeichen für den ruhenden Verkehr ihre Rechtswirkungen zwar gegenüber jedem von der Regelung betroffenen Verkehrsteilnehmer äußern, gleichgültig, ob er das Verkehrszeichen tatsächlich wahrnimmt oder nicht. Aber: Sie müssen so aufgestellt sein, dass ein durchschnittlicher Kraftfahrer bei Einhaltung der nach § 1 StVO erforderlichen Sorgfalt und ungestörten Sichtverhältnissen während der Fahrt oder durch einfache Umschau beim Aussteigen ohne Weiteres erkennen kann, dass ein Ge- oder Verbot durch ein Verkehrszeichen verlautbart wurde. Zu einer Nachschau ist der Verkehrsteilnehmer nach Auffassung des BVerwG nur verpflichtet, wenn hierfür ein Anlass besteht. Und dazu:

„Anlass für eine über den einfachen Rundumblick nach dem Abstellen des Fahrzeugs hinausgehende Nachschau, etwa durch Abschreiten des Nahbereichs, kann beispielsweise bestehen, wenn ein Halt- oder Parkverbotszeichen durch dort abgestellte besonders hohe Fahrzeuge verdeckt sein könnte oder wenn die Sichtverhältnisse wegen Dunkelheit oder der Witterungsverhältnisse so beeinträchtigt sind, dass der Verkehrsteilnehmer damit rechnen muss, Verkehrszeichen schon deshalb nicht zu erkennen.“

Ganz interessante Ausführungen zum Sichtbarkeitsgrundsatz, der ja auch im Bußgeldverfahren eine Rolle spielen kann.

Zusammenstoß wartepflichtiger Rechtsabbieger/Vorfahrtsberechtigter – wer haftet wie?

© Thaut Images - Fotolia.com

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Fährt ein Wartepflichtiger aus einer untergeordneten Straße nach rechts in eine bevorrechtigte Straße ein und stößt er in dem durch die Vorfahrt geschützten Bereich mit einem vorfahrtsberechtigten Fahrzeug zusammen, spricht gegen den Wartepflichtigen jedenfalls dann der Anscheinsbeweis, wenn er – etwa wegen der Straßenbreite – nicht darauf vertrauen durfte, dass er ohne Behinderung oder Gefährdung des bevorrechtigten Verkehrs in die Straße einfahren durfte. Das ist das Fazit aus dem LG Saarbrücken, Urt. v. 29.04.2016 – 13 S 3/16, das dann im Rahmen der Haftungsabwägung nach § 17 Abs. 1, 2 StVG zu einer Alleinhaftung des Klägers, des wartepflichten Rechtsabbiegers, kommt:

„a) Allerdings ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass ein Verstoß des Vorfahrtsberechtigten gegen das Rechtsfahrgebot nach § 2 Abs. 2 StVO in Fällen wie hier zu einer Mithaftung des Vorfahrtsberechtigten wegen erhöhter Betriebsgefahr seines Fahrzeugs führen kann (vgl. KG, NZV 2007, 406; OLG Köln, VersR 1998, 1044; OLG Oldenburg, Schaden-Praxis 2002, 227; Thüring. OLG, DAR 2000, 570; Kammer, Urteil vom 18.09.2015 – 13 S 58/15). Von einem unfallursächlichen Verstoß gegen § 2 Abs. 2 StVO kann hier allerdings nicht ausgegangen werden.

aa) Gemäß § 2 Abs. 2 StVO ist möglichst weit rechts zu fahren. Bei der Beurteilung, ob ein Vorfahrtsberechtigter gegen dieses Gebot verstoßen hat, ist aber stets zu berücksichtigen, dass jeder Verkehrsteilnehmer auf der vorfahrtsberechtigten Straße grundsätzlich darauf vertrauen darf, dass einbiegende Fahrzeuge sein Recht beachten und ihn vorbeilassen werden, bevor sie einbiegen. Dies gilt auch dann, soweit er nicht ganz rechts fährt (vgl. OLG Köln, VersR 1998, 1044). Das Rechtsfahrgebot bedeutet deshalb nicht, äußerst rechts oder soweit technisch möglich rechts zu fahren (OLG Düsseldorf, Urteil vom 19.05.2011 – I-1 U 232/07, juris; OLG Zweibrücken, VRS 74, 420). Es gilt auch nicht starr, sondern gewährt je nach den Umständen im Rahmen des Vernünftigen einen Spielraum (vgl. BGHZ 74, 25; OLG Stuttgart, OLG-Report 2007, 254; OLG Naumburg, OLG-Report 2004, 352). Welche Anforderungen das Rechtsfahrgebot im konkreten Fall stellt, ist daher unter Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere der Örtlichkeit, der Fahrbahnbreite und -beschaffenheit, der Fahrzeugart, eines vorhandenen Gegenverkehrs, der erlaubten und der gefahrenen Geschwindigkeit sowie der jeweiligen Sichtverhältnisse zu bestimmen (vgl. BGHZ 74, 25; OLG Stuttgart, VRS 128, 145; OLG Hamm, DAR 2004, 90).

bb) Hiervon ausgehend ist ein unfallursächlicher Verstoß der Erstbeklagten gegen das Rechtsfahrgebot nicht nachgewiesen. Denn die Verkehrssituation war – wie bereits gezeigt – aufgrund der Verengung der Fahrbahn, insbesondere durch beiderseits parkende Fahrzeuge, dadurch geprägt, dass für den Wartepflichtigen mit Gegenverkehr auf der eigenen Fahrbahnhälfte zu rechnen war und somit alleine durch möglichst weites Rechtsfahren der konkreten Gefahr einer Frontalkollision nicht sicher begegnet werden konnte (vgl. OLG Düsseldorf, Urteil vom 19.05.2011 – I-1 U 232/07, juris).

b) Entgegen der Auffassung der Berufung lässt die vorliegende Fallgestaltung auch keinen Raum für eine Mithaftung der Beklagten aus der einfachen Betriebsgefahr ihres Fahrzeugs. Vielmehr gilt auch hier, dass die einfache Betriebsgefahr des bevorrechtigten Fahrzeugs grundsätzlich gegenüber dem Verkehrsverstoß gegen § 8 StVO zurücktritt und die Alleinhaftung des Wartepflichtigen begründet (vgl. OLG München, Urteil vom 29.07.2011 – 10 U 1131/11, juris; Kammer, st. Rspr.; vgl. Urteile vom 01.02.2013 – 13 S 176/12, Zfs 2013, 378). Diese Beurteilung folgt aus der besonderen Bedeutung der Vorfahrtsregelung, die dem wartepflichtigen Verkehrsteilnehmer die Pflicht zu erhöhter Sorgfalt auferlegt und deren Verletzung daher besonders schwer wiegt (so bereits BGH, Urteil vom 18.09.1964 – VI ZR 132/63, VersR 1964, 1195; vgl. auch BGH, Urteil vom 23.06.1987 – VI ZR 296/86, VersR 1988, 79).“

Ich habe da mal eine Frage: Welche Gebührensätze nach „Wiederaufnahme“ – altes oder neues Recht?

© AllebaziB - Fotolia

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Ich hatte in der vergangenen Woche ein Rätsel, das sich mit der Frage altes/neues Recht nach dem Inkrafttreten des 2. KostRMoG befasst hat (vgl. hier Ich habe da mal eine Frage: Zweimal Bestellung zum Pflichtverteidiger im Strafbefehlsverfahren – altes oder neues Recht ). Und da lege ich dann heute noch einmal nach. Die Thematik scheint die Praxis zu bewegen. Daher dann folgende Frage, die mir gestellt worden ist:

„Sehr geehrter Herr Burhoff,

in meiner Akte hatte die Staatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren gegen unseren Mandanten am 08.10.2013 gem. § 170 Abs. 2 StPO eingestellt, im Anschluss wurde das Verfahren jedoch im Jahr 2014 weiter betrieben. Das Verfahren endete dann mit einem Freispruch am 21.03.2016.

Dass mir die Gebühr gem. Nr. 4141 VV RVG zusteht, konnte ich dank Ihnen herausfinden.

Jetzt will das Gericht die Gebühren aber nach dem alten RVG festsetzen, da die meinen, die Vollmacht datiert aus 2012.

Ist diese „Wiederaufnahme“ nicht eine neue Angelegenheit und die hiernach angefallenen Gebühren (4106, 4108 VV RVG + Auslagen) entstehen nach dem neuen Recht?“

Also: Wer wagt, gewinnt…..

Verteidiger, aufgepasst bei der Anfechtung eines KFB, oder: Nicht im eigenen Namen

© frogarts -Fotolia.com

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Über den LG Duisburg, Beschl. v. 25.04.2016 – 69 Qs 11/16 – kann man nur schreiben und doppelt unterstreichen: Verteidiger, aufgepasst bei der Anfechtung eines Kostenfestsetzungsbeschlusses. Denn sonst ergeht es dir, wie dem Verteidiger in dem Verfahren und du schaust nach einem erfolgreichen (Bußgeld)Verfahren ggf. gebührenrechtlich „in die Röhre“. Es hatte nämlich der Wahlverteidiger – wie das LG meint „im eigenen Namen“ – sofortige Beschwerde gegen einen Kostenfestsetzungsbeschluss eingelegt. Das LG hat sie verworfen, weil er dazu nicht befugt sei, was aus § 46 Abs. 1 OWiG i. V. m. §§ 464b, 304, 311 StPO, 104 Abs. 3 S. 1 ZPO folge.

Formuliert war: „In dem Bußgeldverfahren gegen P. […] lege ich gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss des Amtsgerichts Duisburg-Hamborn v. 05.02.2016 Beschwerde ein.“ Das wertet das LG vom Wortlaut her als in eigenem Namen und misst dem Inhalt der Begründung des Rechtsmittels keinen Auslegungswert zu. Kann man so sehen, muss man aber nicht (vgl. dazu LG Berlin, Beschl. v. 14.12.2015 – 534 Qs 142/15 – zwar keine gebührenrechtliche Problematik, aber passt 🙂 ).

Mit ein bisschen „Good will“ wäre also m.E. auch eine andere Entscheidung möglich gewesen.

Darf man als Verteidiger die ganzen Akten kopieren?

AktenstapelUnd dann zum Auftakt des letzten Arbeitstages der Woche aus der schier unerschöpflichen Flut der Entscheidungen zum Ersatz von Auslagen für Kopien aus der Gerichtsakte. Es geht mal wieder um die Frage, ob der Verteidiger zu viel aus der Akte – die wohl digitalisiert zur Verfügung gestanden hat – ausgedruckt hat, nämlich die ganze Akte. Das LG Aachen sagt im LG Aachen, Beschl. v. 15.06.2016 – 61 KLs 22/15: Ja, der Verteidiger darf ggf. die ganze Akte ausdrucken, aber nicht ungeprüft…

„Ein Anspruch des Rechtsanwalts auf (pauschalen) Ersatz seiner Auslagen für Kopien aus Gerichtsakten besteht nur in dem Umfang wie deren Herstellung zur sachgemäßen Bearbeitung der Rechtssache geboten ist. Was in diesem Zusammenhang zur „Bearbeitung“ einer Sache sachgemäß ist, bestimmt sich nicht nach der subjektiven Auffassung des. beigeordneten. Rechtsanwalts, sondern nach dem objektivem Standpunkt eines vernünftigen sachkundigen Dritten, Es kommt dabei auf die Verfahrensart und- den konkreten Sachverhalt sowie auf die aktuelle Verfahrenslage an. Eine bloße Erleichterung oder Bequemlichkeit reicht jedoch ebenso wenig, wie eine bloße Zweckmäßigkeit. Allerdings hat der Anwalt einen. gewissen nicht zu engen, sondern eher großzügigen Ermessensspielraum, den er allerdings auch pflichtgemäß handhaben muss, indem er den allgemeinen Grundsatz kostenschonender Prozessführung. Zu berücksichtigen ist, dass der Rechtsanwalt die Pauschale – auch gegenüber der Staatskasse.- nur in Rechnung stellen kann, soweit die Herstellung. der Dokumente zur sachgemäßen Bearbeitung durch ihn geboten, war. Die Darlegungs- und Beweislast dafür liegt also bei ihm (vgl. OLG Rostock, Beschl. v. 04.08.2014, Az.: 20 Ws 193/14 m.w.N. — zitiert nach. juris). Das ungeprüfte, vorsorgliche Ablichten der gesamten Verfahrensakte, welche regelmäßig für die Verteidigung in jedem Fall irrelevante Dokumente wie Verfügungen, Empfangsbekenntnisse etc, enthält, stellt allerdings insoweit keine ordnungsgemäße Ermessensausübung des Verteidigers mehr dar. Das Kopieren der gesamten Verfahrensakten mag- aus. Vereinfachungsgründen durchaus zweckmäßig sein, kann aber im Rahmen der Prüfung von Kostenerstattungsansprüchen nicht in gleicher Weise als geboten angesehen werden (vgl. OLG Köln, Beschl. v. 15.01.2015, Az.: 2 Ws 651/14 — zitiert nach juris).

Nach diesen Grundsätzen durfte der Verteidiger vorliegend nicht ungeprüft die gesamte Akte kopieren. Dies gilt umso mehr als dass seine Mandantin vorliegend nicht in allen Fällen Mitangeklagte war und dem Verteidiger eine digitale Hauptakte inklusive Fallakten und Sonderbänden zur Verfügung gestellt worden ist. Es. kann vorliegend dahinstehen, ob das Studium umfangreicher Akten „am Bildschirm“ für einen Rechtsanwalt tatsächlich beschwerlicher und für die Augen ermüdender ,ist als das Lesen von Akten auf Papier (a.A. – OLG Rostock, a.a.O., m.w.N.), da hieraus jedenfalls nicht die objektive Notwendigkeit hervorgeht, die vollständige Akte auszudrucken. Es ist dem Rechtsanwalt nämlich zumindest zuzumuten, digitalisierte Akten „am Bildschirm“ wenigstens daraufhin durchzusehen, ob und welche Teile er für seine weitere Tätigkeit, insbesondere während einer eventuellen Hauptverhandlung, zur sachgerechten Verteidigung des Mandanten auch in Papierform benötigt. Vor diesem Hintergrund hätte es dem Verteidiger oblegen darzulegen, welche Teile der Akte notwendigerweise hätten kopiert werden müssen.

Die Kammer ist aber der Auffassung, dass zumindest ein Teil der Akte von dem Verteidiger hätte ausgedruckt werden dürfen. Dieser Teil ist aber — da es an einer konkreten Darlegung des Rechtsanwalts fehlt — mit 20% der angesetzten Kopien zu bemessen. Unter Berücksichtigung der doppelt angesetzten 232 Kopien verbleiben bei insgesamt somit zu Grunde legenden 2.031 Kopien — 406 Kopien. Desweiteren ist zu- berücksichtigen, dass die heutigen Drucker über die Möglichkeit eines doppelseitigen Druckes verfügen und der Pflichtverteidiger gegenüber der Staatskasse zur kostensparenden Prozessführung verpflichtet ist, so dass die Kopierkosten insoweit um die Hälfte reduziert werden können. Insgesamt sind mithin – ohne weitere, hier nicht erfolgte Darlegung — nur 10% der Kopien — mithin 203 Kopien — erstattungsfähig.

Es ergibt sich mithin ein erstattungsfähiger Mindestbetrag von 47,95 € für 203 Kopien.“

Na ja, das wird teilweise auch – zu Recht – anders gesehen. Und was „irrelevant“ ist, wer bestimmt das eigentlich. Ist jedes „Empfangsbekenntnis“ irrelevant. Und warum muss ich darlegen, warum ein bestimmtes EB für mich für die Verteidigung von Bedeutung ist? Darf ich das als Verteidiger überhaupt?

Und: Warum muss man als Verteidiger eigentlich mit doppelseitig bedruckten Blättern/Akten arbeiten. Das tun die Gerichte i.d.R. doch auch nicht.