Archiv für den Monat: Januar 2016

Wochenspiegel für die 2. KW., das war NSU, Dashcam, der Hakenkreuzpflasterer und Pfefferspray

© Aleksandar Jocic - Fotolia.com

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Die zweite Arbeitswoche des noch jungen neuen Jahres liegt hinter uns. Allmählich geht wirklich alles wieder seinen gewohnten Gang, und es gibt natürlich auch wieder einen Wochenspiegel, in dem ich berichte über:

  1. NSU: Das BKA hat Ihnen eine wichtige Mitteilung zu machen!!!!,

  2. Sexuelle Übergriffe an Silvester aus strafrechtlicher Sicht,

  3. Nein, Pfefferspray ist nicht verboten,

  4. Kein Beweisverwertungsverbot für Dashcam-Videos,

  5. Keine Halterhaftung für Vertragsstrafe bei un­be­rech­tig­tem Parken auf Privatgelände,

  6. Straßburg nimmt den Kampf gegen Überwachungsstaat auf – die Entscheidung hatte ich auch übersehen,

  7. für alle die, die einen Google-Account haben: Achtung Änderungen: Google+ Account und Impressumspflicht,

  8. das Hakenkreuz im Straßenpflaster, vgl. auch hier:  Straßenbauer-Azubi pflastert Hakenkreuz – und verliert seinen Ausbildungsplatz, oder: Hakenkreuz-Pflasterer entschuldigt sich in 2. Instanz,

  9. OLG Koblenz: Zögerliches Regulierungsverhalten kann zu hö­he­rem Schmerzensgeld füh­ren, dazu passt dann aus der Vergangenheit: 150.000 € Schmerzensgeld, nach erheblichen Verletzungen/Folgen aufgrund eines Verkehrsunfalls,

  10. und dann waren da noch: Beamtenwitze und ihre Wahrheit.

Tod eines nahen Angehörigen – 20.000 € Schmerzensgeld für jedes Familienmitglied

buch_paragraphenzeichen_BGB_01Beim LG Bochum ist vor einiger Zeit um Schadensersatz und ein Schmerzensgeld und dessen Höhe für Angehörige gestritten worden, das diese nach einem Tötungsdelikt auf einer Klassenfahrt, auf der der Sohn bzw. der Bruder duch den Beklagten durch Messerstiche getötet worden ist, vom Beklagten verlangt haben.

Das LG Bochum hat im LG Bochum, Urt. v. 29.10.2015 – I-2 O 574/12 – den Eltern des Getöteten einen Anspruch auf Zahlung von Schmerzensgeld aus übergegangenem Recht ihres getöteten Sohnes i. H. v. 50.000 € gemäß §§ 823 Abs. 1 BGB, 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 212, 223, 224 StGB, 253 Abs. 2 BGB, 1922 BGB, zuerkannt, Schadensersatz nach § 844 BGB zugesprochen und den Eltern und auch der Schwester des Getöteten ein Schmerzensgeld von jeweils 20.000 € aus eigenem Recht zuerkannt. Dazu führt das LG in seinem doch recht umfangreichen Urteil u.a. aus: Ein Schmerzensgeld für nahe Angehörige sei jedenfalls dann zuzuerkennen, wenn eine pathologisch fassbare Gesundheitsbeeinträchtigung von einigem Gewicht und einiger Dauer festzustellen ist, die über den üblicherweise mit dem Tod eines nahen Angehörigen einhergehenden seelischen Schmerz hinausgehe. Dies ist nach Auffassusng des LG der Fall, wenn alle Familienmitglieder nach fehlgeschlagener intensivmedizinischer Behandlung des Opfers den Tod des Sohnes/Bruders miterleben mussten, seitdem unter depressiven Episoden und posttraumatischen Belastungsstörungen leiden und dadurch in ihrer Lebensführung und Lebensfreude beeinträchtigt sind. Ein Schmerzensgeld in Höhe von 20.000 € pro Person sei daher angemessen.

Nachtrag: Leider scheint es heute (16.01.2016) wieder beim Provider ein Problem zu geben, so dass der Volltext nicht abrufbar ist. Der Support ist natürlich nicht erreichbar – und meldet sich übrigens auch nicht am nächsten Werktag. Ich kann nur davor warnen, bei Domianbox zu hosten.

Das nicht abgewartete Restwertangebot des Haftpflichtversicherers: Mitverschulden?

© momius - Fotolia.com

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Heute dann zunächst mal im „Kessel-Buntes“ eine Entscheidung zur Unfallschadensregulierung. Und zwar die Frage: Muss sich der Geschädigten bei der Unfallschadensregulierung allein deshalb ein Mitverschulden anrechnen lassen, weil er das Unfallfahrzeug veräußert hat, ohne zuvor ein Restwertangebot des Haftpflichtversicherers des Unfallgegners abzuwarten. Dem Einwand hat sich in Berlin ein Geschädigter nach einem Verkehrsunfall ausgesetzt gesehen. Die Frage ist dann vom KG im KG, Urt. v. 06.08.2015 – 22 U 6/15 – verneint worden, und zwar mit folgenden Begründung:

„3. Der Geschädigte kann sich ferner dann dem Einwand aussetzen, er habe den Schaden nicht zumutbar gemindert (§ 254 Abs. 2 S. 1, 2. Alt. BGB), wenn er ein ihm rechtzeitig übermitteltes und zumutbares höheres Restwertangebot des Versicherers des Unfallgegners nicht annimmt. Vorliegend hatte der Kläger das Unfallfahrzeug jedoch zuvor bereits veräußert gehabt.

a) Anders als das Landgericht meint, musste er auf ein Restwertangebot des Versicherers des Schädigers, insbesondere eines außerhalb des allgemeinen regionalen Marktes, nicht warten, weil dies die dem Geschädigten zustehende Ersetzungsbefugnis unterlaufen würde ( BGH, Urteil vom 6. April 1993 – VI ZR 181/92NJW 1993, 1849, 1851 [II.4.]; vgl. ferner BGH, Urteil vom 30. November 1999 – VI ZR 219/98NJW 2000, 800, 802 [B.1.c)cc)]; BGH, Urteil vom 23. November 2010 – VI ZR 35/10NJW 2011, 667, 668 [12]; vgl. auch Knerr in: Geigel, Der Haftpflichtprozess, 27. Aufl., Kap. 3 Rn. 46). Auch wenn diese Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes offenbar gelegentlich übersehen wird, gilt die Rechtsfrage als „seit langem geklärt“ (so Schneider, jurisPR-VerkR 17/2010 Anm. 3 zu C.).

b) Ausnahmen müssen in engen Grenzen gehalten werden und dürfen insbesondere nicht dazu führen, dass dem Geschädigten bei der Schadensbehebung die von dem Schädiger bzw. dessen Versicherer gewünschten Verwertungsmodalitäten aufgezwungen werden, weshalb lediglich ein rechtzeitiges bzw. vorheriges zumutbares erheblich höheres Angebot berücksichtigt werden muss ( BGH, Urteil vom 1. Juni 2010 – VI ZR 316/09NJW 2010, 2722 [9]), wobei dann zumutbare überregionale Angebote bzw. zumutbare Angebote spezialisierter Händler einzubeziehen sind.

c) Das lässt sich auch nicht dadurch unterlaufen, dass der Versicherer des Schädigers dem Geschädigten ein Restwertangebot ankündigt, um ihn auf diese Weise entgegen der ausgeführten Rechtslage zur Aufgabe der ihm zustehenden Befugnis und zum Abwarten zu zwingen.“

Nachtrag: Leider scheint es heute (16.01.2016) wieder beim Provider ein Problem zu geben, so dass der Volltext nicht abrufbar ist. Der Support ist natürlich nicht erreichbar – und meldet sich übrigens auch nicht am nächsten Werktag. Ich kann nur davor warnen, bei Domianbox zu hosten.

Ich habe da mal eine Frage: Hinzuverbindung beim Schwurgericht – welcher Rahmen?

© AllebaziB - Fotolia

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Eine Kollegin stellte vor einiger Zeit folgende Frage:

„Ich habe in einer Schwurgerichtssache verteidigt. Das Schwurgericht hat ein Verfahren hinzuverbunden, das zunächst beim AG anhängig war und dann an die Kammer abgegeben wurde, dort aber nur als KLs-Sache geführt wurde (kurz der Verbindungsbeschluss des Ks/Schwurgerichts: Die Verfahren Ks und KLs werden zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden. Ks führt.) Für Ks bekomme ich die Gebühr Nr. 4119 VV RVG, das ist klar, aber welche Verfahrensgebühr bekomme ich für das Verbundverfahren, Nr. 4113 oder Nr. 4119 VV RVG (Haft)?

Letztlich hat sich ja das „Schwurgericht“ mit dem Verbundverfahren für die Frage der Verbindung befasst und ist das ranghöchste Gericht.“

Nun: Hat die Kollegin Recht?

Ruf aus dem „richterlichen Dschungelcamp“: „Ich will hier nicht raus“, bleibt unerfüllt

© Haramis Kalfar - Fotolia.com

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Da sag noch mal einer Richter seien so (über)müdet und belastet und ihre Arbeit so leid, dass sie möglichst schnell in den Ruhestand gehen wollen. Das trifft zumindest auf eine Richterin am AG Bochum nicht zu, die 1950 geboren ist und mit Ablauf des Monats Januar 2016 in den gesetzlichen Ruhestand treten müsste. Das will sie aber nicht. Sie hat deshalb beantragt, bis zum 67. Lebensjahr weiter arbeiten zu können. Begründet hat sie das mit den (neuen) §§ 4, 101 des Richter- und Staatsanwältegesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen (LRiStaG), das als Art. 1 des Gesetzes zur Neuregelung der Rechtsverhältnisse der Richterinnen und Richter sowie der Staatsanwältinnen und Staatsanwälte im Land Nordrhein-Westfalen – soweit vorliegend einschlägig – am 01.01.2016 in Kraft getreten ist (§ 105 Abs. 1 Satz 1 LRiStaG). Gemäß § 4 Abs. 2 Satz 2 LRiStaG ist die Regelaltersgrenze (vollendetes siebenundsechzigstes Lebensjahr, § 4 Abs. 1 LRiStaG) für Richterinnen und Richter, die nach dem 31. Dezember 1946 und vor dem 1. Januar 1964 geboren sind, gestaffelt (zwischen 23 und 2 Monate) abgesenkt. Gemäß § 4 Abs. 3 Satz 1 LRiStaG wird aber der Eintritt in den Ruhestand der Richterinnen und Richter, die vor Vollendung des siebenundsechzigsten Lebensjahres (Regelaltersgrenze) in den Ruhestand eintreten, längstens bis zum Ende des Monats hinausgeschoben, in dem sie die Regelaltersgrenze erreichen, wenn sie dies beantragen. Diesen Antrag, der spätestens sechs Monate vor Eintritt in den Ruhestand zu stellen, § 4 Abs. 3 Satz 2 LRiStaG, hat die Richterin am AG gestellt.

Aber: Der Dienstherr konnte dem nicht nachkommen. Dem stand § 101 LRiStaG entgegen, wonach solche Anträge erst ab Inkrafttreten der Vorschrift am 01.01.2016 gestellt werden können. Die Kollegin hat das vom VG Gelsenkirchen m einstweiligen Anordnungsverfahren überprüfen lassen. Das hat im VG Gelsenkrichen, Beschl. v. 05.01.2015 – 12 L 6/16 – „mitgeteilt“: No chance. Denn:

„Da die Antragstellerin mit Ablauf des Monats Januar 2016 wegen Erreichens der – gestaffelten – Altersgrenze gemäß § 4 Abs. 2 LRiStaG in den Ruhestand tritt, kann ein nach dem 1. Januar 2016 gestellter Antrag auf Hinausschieben der Altersgrenze diesem Fristerfordernis nicht genügen. Der von der Antragstellerin bereits unter dem 29. Mai 2015 gestellte Antrag auf Hinausschieben des Ruhestandseintritts bis zur Vollendung des siebenundsechzigsten Lebensjahres ist nicht fristwahrend, da gemäß § 101 LRiStaG entsprechende Anträge nicht vor dem 1. Januar 2016 wirksam gestellt werden können. Geht man zugunsten der Antragstellerin gleichwohl von der Wirkung ihres Ende Mai 2015 gestellten Antrages am 1. Januar 2016 aus, vermag das aus den nachstehenden Gründen ihrem Begehren nicht zum Erfolg zu verhelfen.

Es bestehen keine durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die in §§ 4 Abs. 3 und 101 LRiStaG geregelte Frist sowohl im Hinblick auf deren zeitliche Komponente (sechs Monate) als auch im Hinblick auf den frühstmöglichen Zeitpunkt der wirksamen Antragstellung (1. Januar 2016).

Die in § 4 Abs. 3 Satz 2 LRiStaG normierte Sechsmonatsfrist trägt – auch ausweislich der Gesetzesbegründung (LT-Drs. 16/9520, S. 107 und 135) – dem Umstand Rechnung, dass dem Dienstherrn ausreichend Zeit verbleiben muss, um auf den ansonsten voraussetzungslosen Anspruch der Richterinnen und Richter auf Verlängerung der Dienstzeit mit der daraus erforderlichen personalwirtschaftliche Planung zu reagieren. Die Frist ist im Hinblick auf die Notwendigkeit, ansonsten erforderliche Neueinstellungen und ggf. mögliche Beförderungen zeitlich zu verschieben, nicht zu lang bemessen. In diese Wertung ist einzustellen, dass die bei Einstellungen und Beförderungen vorgeschalteten Auswahlverfahren durchaus zeitintensiv sein können und es sich bei der Einstellung von Richtern um eine mitbestimmungspflichtige Angelegenheit (§ 41 Abs. 1 Nr. 1 LRiStaG) mit einem zusätzlichen Zeitfenster handelt.

Dass eine wirksame Antragstellung erst ab dem Zeitpunkt des Inkrafttretens des LRiStaG möglich ist, § 101 LRiStaG, rechtfertigt sich gleichfalls unter den oben genannten personalwirtschaftlichen Gesichtspunkten und der Notwendigkeit der Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit der Justiz.“

Na ja, ob die „Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit der Justiz“ (?) nicht ggf. auch eine andere rechtliche Regelung erfordert hätte, lassen wir mal dahinstehen. So, wie es geregelt ist, bliebt für das VG wohl kein anderer Weg.

Und geholfen hat auch nicht der Hinweis auf Personalprobleme bei der Justiz:

„Soweit die Antragstellerin den gegenwärtigen Notstand bei der Rekrutierung von Richterinnen und Richtern anführt, vermag dies nicht zu verfangen. Ob der Bedarf an geeigneten Richterinnen und Richtern gegenwärtig gedeckt werden kann, ist eine Frage des Augenblicks, die die Justizverwaltung in angemessener Weise beantworten muss. Eine problematische Rekrutierung des Richternachwuchses entfaltet aber keinen Verfassungsrang, der die grundsätzlichen Entscheidungen des Gesetzgebers zum Hinausschieben des Eintritts in den Ruhestand in Zweifel ziehen könnte.“

Also: Der Ruf aus dem „richterlichen Dschungelcamp“ „Ich will hier nicht raus“ bleibt – in diesem Fall – also unerhört….