Archiv für den Monat: November 2015

Lösung zu: Ich habe da mal eine Frage: Altes oder neues Recht beim Nebenkläger?

© haru_natsu_kobo Fotolia.com

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Die Frage vom vergangenen Freitag: Ich habe da mal eine Frage: Altes oder neues Recht beim Nebenkläger?, ist m.E. wie folgt zu beantworten:

  • Für die Frage, welches Recht anwendbar ist, ist auf § 60 Abs. 1 Satz 1 RVG zu verweisen. Da davon auszugehen sein dürfte, dass der unbedingte Auftrag an den RA schon 2012 erteilt worden ist, findet nach überwiegender Meinung altes Recht Anwendung. Denn es wird davon ausgegangen, dass – anders als beim Pflichtverteidiger – das Wahlmandat durch die Bestellung zum Beistand nicht erlischt (KG RVGreport 2005, 262 = AGS 2005, 450; OLG Düsseldorf AGS 2006, 135 OLG Hamm RVGreport 2004, 419 = AGS 2005, 556; Burhoff/Volpert, RVG, 4. Aufl. 2014, Teil A: Rn. 1946 f.). Anknüpfungspunkt ist also die Auftragserteilung in 2012.
  • Über § 48 Abs. 6 Satz 1 RVG erhält der Nebenklägerbeistand aber auch die vor seiner Beiordnung in seiner Funktion als Wahlanwalt entstandenen Gebühren als gesetzliche Gebühren. Die Grundsätze der Erstreckung nach § 48 RVG gelten auch für den Nebenklägerbeistand (zur Erstreckung die Kommentierung zu § 48 Abs. 6 RVG bei Burhoff/Burhoff, RVG, m.w.N.).
  • Zur Dauer bzw. zum Umfang der Beiordnung vgl. BGH StraFo 2008, 131 und StraFo 2009, 349.

„..die lichtvollen Ausführungen … hat die Kammer dankbar ….. zur Kenntnis genommen“, oder: Muss das sein?

© J.J.Brown - Fotolia.com

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Bei manchen Entscheidungen frage ich mich: Was soll das eigentlich bzw. musste das sein? Da geht es dann aber häufig nicht um die entschiedene Rechtsfrage, also den rechtlichen Inhalt der Entscheidung, sondern meist um Formulierungen in der Entscheidung. So war es beim OLG Rostock, Beschl. v. 17.11.2015 – 21 Ss OWi 158/15 betreffend die Zulässigkeit der Auswertung einer Geschwindigkeitsmessung durch einen privaten Dienstleister (vgl. dazu Ring frei III: OLG Rostock zur Auswertung von Messungen durch Private, oder: Alles in allem – unschön). Da hatte mich der in meinen Augen schon harsche Rüffel des Amtsrichters durch den Einzelrichter des OLG erstaunt/geärgert.

Und so ist es auch mit einem Beschluss der LG Augsburg, der mir in den vergangenen Tagen „zugespielt“ worden ist. Ergangen ist der Beschluss in einem Haftprüfungsverfahren. Das AG Augsburg hat gegen den Beschuldigten Haftbefehl erlassen – der Vorwurf und die Haftgründe tun hier jetzt nichts zur Sache. Gegen diesen Beschluss legt der Verteidiger beim Amtsgericht Haftbeschwerde ein. Und da er damit beim AG Augsburg schon mal leidvolle Erfahrung gemacht hat – das Haftgericht hatte früher, alledings ein anderer als der jetzt zuständige Ermittlungsrichter, mal eine Haftbeschwerde 11 Tage liegen lassen, bevor die dem Beschwerdegericht vorgelegt wurde -, hat er in seiner Haftbeschwerde unter „6“. wie folgt formuliert/ausgeführt:

„Nach allem ist der Haftbefehl aufzuheben.

Hilfsweise ist er gegen geeignete Auflagen außer Vollzug zu setzen.

Ich bitte um Verständnis dafür, dass ich das Gericht ausdrücklich darauf hinweisen muss, dass über die Beschwerde binnen drei Tagen entschieden werden muss oder unverzüglich dem Beschwerdegericht vorzulegen ist.

Ich verweise auf § 306 Abs. 2 HS. 2 StPO. Die inzwischen als Mindermeinung anzusehende Ansicht, dass es sich hier um eine reine Sollvorschrift handele, die lediglich „nach Möglichkeit anzuhalten sei“ verkennt, dass die Vorschrift unmittelbarer Ausfluss des zu beachtenden Beschleunigungsgebotes in Haftsachen ist (so ausdrücklich OLG Naumburg NStZ-RR 2011, 123 f. = StraFo 2010, 464 f. = StRR 2011, 34 = StV 2011, 39; ebenso bereits früher OLG Hamm StV 2006, 91; OLG Hamm StV 2002, 492; OLG Hamm StV 2000, 153). Eine Verzögerung kann und darf deshalb nicht hingenommen werden. Die Frist darf nicht nur zur Formalie mutieren. Konsequenz eines Verstoßes muss deshalb die Aufhebung des Haftbefehls sein. Ich verweise zum ganzen auf Herrmann in: Satzger/Schluckebier/Widmaier, StPO, 2. Auflage 2016, § 117 Rn. 46.

Die Staatsanwaltschaft wurde unmittelbar informiert. Ich habe ihr eine Kopie der Haftbeschwerde per Telefax zugeleitet und um Vorlage der Akten an das Haftgericht gebeten.

Ich darf das Gericht dennoch bitten, die Frist zur Entscheidung über die Haftbeschwerde vorzumerken.

Sollte die Staatsanwaltschaft nicht rechtzeitig die Akte vorlegen, dann müsste ohne Akten entschieden werden.

Sollte die Staatsanwaltschaft eine Stellungnahme zur Sache abgeben, dann bitte ich, mir diese bekannt zu machen. Ich beanspruche für meinen Mandanten insofern rechtliches Gehör. Um die Sache nicht zu verzögern bitte ich um Übersendung per Telefax.“

Und er bekommt eine Haft(fortdauer)entscheidung des LG Augsburg, in der seine Beschwerde zurückgewiesen wird; auch die dafür angeführten Gründe tun hier nichts zur Sache. In der Entscheidung heißt es dann am Schluss:

„Die lichtvollen Ausführungen am Ende der Beschwerdeschrift (unter Punkt 6) hat die Kammer dankbar und voller Interesse zur Kenntnis genommen.“

Ja, das steht da wirklich so. Da frage ich mich nun wirklich, was soll das? Hat eine Strafkammer es nötig, so auf in der Darstellung neutrale und m.E. in keiner Weise zu beanstandenden Vortrag eines Verteidigers zu reagieren? Es ist ja schön und zu begrüßen, wenn die  Kammer den hinter diesen Ausführungen des Verteidigers stehenden Streit in Rechtsprechung und Literatur kennt. Dann nehme ich diesen Vortrag zur Kenntnis, kommentiere ihn aber nicht, jedenfalls nicht so. Kannte die Kammer den Streit nicht, dann sollte sie wirklich „dankbar“ sein über die „lichtvollen Ausführungen“. Jedenfalls liegen für mich die Ausführungen neben der Sache. Sind sie arrogant und/oder überheblich, sind sie nur – aus welchem Grund – spöttisch, oder auch zynisch? Das mag jeder für sich entscheiden. Jedenfalls zeigen sie mir ein doch – gelinde ausgedrückt – recht eigenartiges richterliches Selbstverständnis. Also: Muss das sein? Und: Man mag sich auch mal Gedanken darum machen, welchen Eindruck solche Formulierungen bei dem Beschuldigten hinterlassen…..

Rohmessdaten a la AG Hildesheim, oder: Aus einem Saulus wird ein Paulus

entnommen wikimedia.org Urheber Jepessen

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Urheber Jepessen

In der Vergangenheit habe ich ja immer unter dem Titel: „Akteneinsicht a la….“ über amtsgerichtliche Entscheidungen betreffend Akteneinsicht im straßenverkehrsrechtlichen Bußgeldverfahren berichtet. Das ist dann inzwischen doch eine verhältnismäßig große Zahl Entscheidungen geworden, die vorgestellt habe. Meist ging es um die Bedienungsanleitung und/oder andere Messunterlagen. Seit einiger Zeit spielen die Fragen aber nicht mehr eine so große Rolle.  Jetzt geht es mehr um die (unverschlüsselten) Rohmessdaten, die Verteidiger sehen möchten und die Verwaltungsbehörden mit unterschiedlichen Begründungen nicht herausrücken wollen. Auch zu der Frage gibt es schon eine ganze Reihe von Entscheidungen, wie z.B. der AG Trier, Beschl. v. 09.09.2015 – 35 OWi 640/15 und dazu: Akteneinsicht a la AG Trier: Da gibt es die Token-Datei und das Passwort zur Messreihe, der AG Bergisch-Gladbach, Beschl. v. 02.10.2015 – 48 OWi 35/1 5 [b], und dazu: Akteneinsicht a la Bergisch-Gladbach: Auch da gibt es die unverschlüsselten Rohmessdaten, der OLG Oldenburg, Beschl. v. 06.05.2015 – 2 Ss (OWi) 65/15, und dazu „Messdatei bei PoliscanSpeed nicht bekommen“ – Verletzung des rechtlichen Gehörs, der im AG Weißenfels, Beschl. v. 03.09.2015 – 10 AR 1/15 und dazu Akteneinsicht a la AG Weißenfels: Herausgabe der unverschlüsselten Rohmessdaten, oder: Anders würde ich auch nicht entscheiden……. 

Heute will ich mit dem AG Hildesheim, Beschl. v. 20.11.2015 – 112 OWi 35 Js 26360/15 – fortsetzen. Und da es wieder um die Rohmessdaten geht, ändere ich den Titel der Serie in „Rohmessdaten a la ….“.

Erhalten habe ich den Beschluss von der VUT aus Püttlingen, die über ihn heute auch in ihrem Newsletter berichten. Und die VUT hatte ihn vom Kollegen Koch aus Stadtallendorf.  Besten Dank für diese (schöne) Entscheidung. Schön deshalb, weil der Amtsrichter – auf der Grundlage der wohl h.M. in der Rechtsprechung – das Verfahren gegen den Betroffenen nach § 47 Abs. 2 OWiG eingestellt hat. Er geht davon aus, dass es sich bei einer Messung mit ESO ES 3.0 zwar noch um ein standardisiertes Messverfahren handelt, der Betroffene dieses aber überpüfen können muss:

„Diese Vorgehensweise hält rechtsstaatlichen Grundsätzen nicht stand. Im Ergebnis werden pauschale Behauptungen und Einwendungen der Betroffenen mit dem Hinweis auf ein standardisiertes Messverfahren zurückgewiesen, die von den Betroffenen geforderten konkreten Einwendungen können diese aber rein faktisch nicht vorbringen, weil ihnen nunmehr jegliche Prüfungsmöglichkeit verwehrt ist. Mit anderen Worten, zwar steht ihnen mit dem Einspruch theoretisch ein Rechtsmittel gegen eine Messung durch ES 3.0 zur Verfügung, rein praktisch haben sie aber keine Verteidigungsmöglichkeit gegen die Richtigkeit der Messung…..“

Deshalb sieht er – jetzt – unter Hinweis einen Anspruch des Betroffenen auf Überlassung der unverschlüsselten Daten.

„Das Amtsgericht folgt nunmehr dieser überzeugenden Ansicht. Wie ausgeführt haben Betroffene ohne die Herausgabe unverschlüsselter Rohmessdaten keine reelle Möglichkeit, gegen die Messung vorzugehen. Der Einspruch wird zu einer reinen Formalie und die Begründungspflicht für den Betroffenen wird zu einer unüberwindbaren Hürde.

Ein neuerlicher Beschluss nach § 62 OWiG ist dem Gericht verwehrt, da das Verfahren bereits abgegeben ist. Das Gericht hätte daher im vorliegenden Fall das Verfahren gemäß § 69 V OWiG an die Verwaltungsbehörde zurück verweisen können. Da jedoch der Betroffene vorliegend nicht weiter vorbelastet ist und lediglich eine Geldbuße von 80,00 Euro Gegenstand des Verfahrens ist, hat das Gericht zur Vermeidung des sich ergebenden Aufwandes (Zurückverweisung, Übermittlung der Daten, Prüfung durch Sachverständige, neue Verhandlung) eine Einstellung vorgenommen. Das Gericht behält sich vor, künftig in ähnlich gelagerten Fällen eine entsprechende Zurückverweisung vorzunehmen.“

Der Beschluss ist vor allem aber auch aus folgendem Grund „bemerkenswert“. Der Amtsrichter hatte in dem Verfahren in einem Beschluss vom 23.07.2015 einen Antrag des Verteidigers auf Offenlegung der Rohmessdaten der einzelnen Messungen und der Messserie, zurückgewiesen. An der Rechtsauffassung hält er jetzt nicht mehr fest. Das ist dei Wandlung vom Saulus zum Paulus. Findet man leider nur selten.

Sonntagswitz: Heute natürlich zum 1. Advent

© Teamarbeit - Fotolia.com

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Heute ist der 1. Adventssonntag, da ist es nicht schwer, ein Thema für den Sonntagswitz zu finden, eben der Advent.

„Am Tag vor Heilig Abend sagt das kleine Mädchen zu seiner Mutter: „Mami, ich wünsche mir zu Weihnachten ein Pony!“ Darauf die Mutter: „Na gut, mein Schatz, morgen gehen wir zum Friseur.“


Fragt ein Schotte seine Frau: „Was wünschst du dir dieses Jahr zu Weihnachten?“
„Ich weiß nicht“, antwortet seine Frau.
„Gut, dann schenke ich dir ein weiteres Jahr zum Überlegen.“


Eine Frau schwelgt in Erinnerungen: „Als Kind liebte ich es, an Winterabenden in der Stube vor knisterndem Feuer zu sitzen. Leider gefiel das meinem Vater nicht. Er hat es verboten.“
Fragt er: „Warum denn ?“
Sie: „Nun. wir hatten keinen Kamin !“


Und dann war da noch:

Steht ein kleines Mädchen mit seinem neuen Fahrrad an der Ampel. Da kommt ein Polizist zu Pferd angeritten und fragt: „Na, hast du das Fahrrad vom Christkind bekommen?“
Das Mädchen antwortet: „Ja, habe ich!“
Darauf der Polizist: „Entschuldige, aber ich muss Dir leider 20 € abnehmen. Sag dem Christkind nächstes Jahr, es soll dir ein Fahrrad mit Reflektoren schenken, okay?“
Da fragt das Mädchen: „Haben Sie das Pferd auch vom Christkind bekommen?“ Der Polizist überlegt kurz und nickt dann.
Darauf das Mädchen: „Na, dann sagen Sie dem Christkind nächstes Jahr, das Arschloch kommt hinten hin und nicht oben drauf!“

Wochenspiegel für die 48. KW., das war die Weihnachtsmarktangst, der kostenlose Rechtsrat und nochmal VW

© Aleksandar Jocic - Fotolia.com

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Der November ist fast vorbei, wir nähern uns mit Riesenschritten dem Weihnachtsfest und damit dann auch (schon wieder) dem Jahresende. Aber erst gibt es noch ein paar Wochenspiegel. Heute dann den für die 48. KW., aus der ich berichten kann über – wobei ich mir die (vielen) Postings über das beA, das nun doch nicht zum 01.01.2016 kommt, spare:

  1. die Weihnachtsmarkt-Angst essen Seele auf,
  2. Geheimdienste und Massenüberwachung sind nicht Teil der Problemlösung
  3. die Zustellung von Anwalt zu Anwalt – und die Verweigerung der Mitwirkung,
  4. den Arzt, der keine Flüchtlinge behandeln will……,
  5. die Kurze Frage mit der Bitte um kostenlose Rechtsberatung oder Rechtsrat…..,
  6. Wenn das Räum­fahr­zeug Schnee und Salz in Vor­gär­ten wir­belt, sind Schä­den an der Thuja-Hecke zu ersetzen,
  7. Der VW-Abgasskandal – Worin ist der Mangel zu sehen?,
  8. Zur Überzeugungsbildung des Tatrichters,
  9. Klageerzwingungsverfahren – und die überspannten Darlegungsanforderungen,
  10. und dann waren da noch: 5 Tipps, wie du Entscheidungsschwierigkeiten überwinden kannst.