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StPO II: Terminsverlegung wegen Urlaubs abgelehnt, oder: Besorgnis der Befangenheit?

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Und als zweite Entscheidung stelle ich dann einen Beschluss zum Verfahren bei der Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit vor.

Der Kollege Kabus aus Bad Saulgau, der mir den AG Hildesheim, Beschl. v. 11.08.2022 – 116 OWi 34 Js 19484/22 – geschickt hat, verteidigt in einem Bußgeldverfahren wegen einer Verkehrs-Owi beim AG Hildesheim. Dort ist Haupverhandlungstermin anberaumt. Der Verteidiger beantragt Terminsverlegung, da er am Terminstag in Urlaub ist. Das AG teilt mit, dass dem Verlegungsantrag nur stattgegeben wird, wenn die Verhinderung des Kollegen nachgewiesen sei, z.B. durch eine Buchungsbestätigung. Daraufhin lehnt der Kollege den Amtsrichter wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Danach muss der Termin wegen Erkrankung des Amtsrichters aufgehoben werden. Das AG hat den Antrag als „unbegründet“ zurückgewiesen.

„Die Vorschriften der Strafprozessordnung über die Ausschließung und Ablehnung von Gerichtspersonen gelten im Ordnungswidrigkeitenverfahren sinngemäß (vgl. beispielhaft Göhler, Ordnungswidrigkeitengesetz, 16. Aufl., Vor § 67, Rz. 8). Ein Richter kann wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters zu rechtfertigen (§ 24 Abs. 1 und Abs. 2 StPO). Das Vorliegen eines Ablehnungsgrundes ist grundsätzlich vom Standpunkt des Ablehnenden aus zu beurteilen (Meyer-Goßner, StPO, 57. Aufl., § 24, Rdr. 8). Dabei kommt es nicht auf die subjektive Sicht des Ablehnenden an, maßgebend sind der Standpunkt eines verständigen und vernünftigen Angeklagten und die Vorstellungen, die sich ein geistig gesunder, bei voller Vernunft befindlicher Prozessbeteiligter bei der ihm zumutbaren ruhigen Prüfung der Sachlage machen kann. Der Ablehnende muss daher Gründe vorbringen, die jedem unbeteiligten Dritten einleuchten (Meyer-Goßner, a.a.O., § 24 Rdnr. 8).

Das Verhalten des Richters während vor Hauptverhandlung kann die Ablehnung begründen, wenn es besorgen lässt, dass er nicht unvoreingenommen an die Sache herangeht, insbesondre von der Schuld des Betroffenen bereits endgültig überzeugt ist (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 60. Aufl., § 24 Rz. 15).

Der Betroffene und sein Verteidiger begründen ihr Ablehnungsgesuch damit, dass Herr Richter am Amtsgericht pp. auf den Antrag des Verteidigers auf Terminsverlegung wegen Urlaubs mit Schreiben vom 08.06.2022 darauf hingewiesen hat, dem Antrag auf Terminsverlegung nur stattgegeben wird, wenn die Verhinderung des Verteidigers nachgewiesen wird, beispielsweise durch Übersendung einer Buchungsbestätigung.

Die ermessensfehlerhafte Verweigerung der Verlegung eines Termins kann einen Ablehnungsrund nach § 24 StPO darstellen.

Ob hier eine ermessensfehlerhafte Verweigerung der Verlegung des Hauptverhandlungstermins vorliegt kann dahingestellt bleiben, denn der Hauptverhandlungstermin wurde mit Verfügung vom 13.06.2022 aufgehoben. Anlass für die Aufhebung war zwar die Erkrankung des abgelehnten Richters. Gleichwohl ist hierdurch das Rechtsschutzbedürfnis für das Ablehnungsgesuch entfallen, da dem Antrag auf Terminsverlegung faktisch entsprochen wurde. Eine darüber hinaus gehende Besorgnis der Befangenheit des abgelehnten Richters ist nicht erkennbar und wird vom Betroffenen und dessen Verteidiger. auch nicht substantiiert geltend gemacht. Für seine Vermutung, der abgelehnte Richter stehe dem Betroffenen und dem Verfahrensgegenstand nicht mit der erforderlichen Distanz gegenüber, finden sich keine Anhaltspunkte.“

Na ja, da hat das AG ja – unbeabsichtigt – die Kurve bekommen. Ich meine, man kann in solchen Fällen schon die Besorgnis (!!) der Befangenheit haben. Warum reicht allein die Erklärung des Kollegen nicht aus für die Verlegung?

Im Übrigen ist m.E. die Zurückweisung des Antrags als unbegründet nicht zutreffend. Wenn das AG davon ausgeht, dass durch die Terminsaufhebung das Rechtsschutzbedürfnis für den Ablehnungsantrag entfallen ist, dann ist/wird der Antrag doch nicht „unbegründet“, sondern er ist gegenstandslos und wird ggf. unzulässig.

Rohmessdaten a la AG Hildesheim, oder: Aus einem Saulus wird ein Paulus

entnommen wikimedia.org Urheber Jepessen

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In der Vergangenheit habe ich ja immer unter dem Titel: „Akteneinsicht a la….“ über amtsgerichtliche Entscheidungen betreffend Akteneinsicht im straßenverkehrsrechtlichen Bußgeldverfahren berichtet. Das ist dann inzwischen doch eine verhältnismäßig große Zahl Entscheidungen geworden, die vorgestellt habe. Meist ging es um die Bedienungsanleitung und/oder andere Messunterlagen. Seit einiger Zeit spielen die Fragen aber nicht mehr eine so große Rolle.  Jetzt geht es mehr um die (unverschlüsselten) Rohmessdaten, die Verteidiger sehen möchten und die Verwaltungsbehörden mit unterschiedlichen Begründungen nicht herausrücken wollen. Auch zu der Frage gibt es schon eine ganze Reihe von Entscheidungen, wie z.B. der AG Trier, Beschl. v. 09.09.2015 – 35 OWi 640/15 und dazu: Akteneinsicht a la AG Trier: Da gibt es die Token-Datei und das Passwort zur Messreihe, der AG Bergisch-Gladbach, Beschl. v. 02.10.2015 – 48 OWi 35/1 5 [b], und dazu: Akteneinsicht a la Bergisch-Gladbach: Auch da gibt es die unverschlüsselten Rohmessdaten, der OLG Oldenburg, Beschl. v. 06.05.2015 – 2 Ss (OWi) 65/15, und dazu „Messdatei bei PoliscanSpeed nicht bekommen“ – Verletzung des rechtlichen Gehörs, der im AG Weißenfels, Beschl. v. 03.09.2015 – 10 AR 1/15 und dazu Akteneinsicht a la AG Weißenfels: Herausgabe der unverschlüsselten Rohmessdaten, oder: Anders würde ich auch nicht entscheiden……. 

Heute will ich mit dem AG Hildesheim, Beschl. v. 20.11.2015 – 112 OWi 35 Js 26360/15 – fortsetzen. Und da es wieder um die Rohmessdaten geht, ändere ich den Titel der Serie in „Rohmessdaten a la ….“.

Erhalten habe ich den Beschluss von der VUT aus Püttlingen, die über ihn heute auch in ihrem Newsletter berichten. Und die VUT hatte ihn vom Kollegen Koch aus Stadtallendorf.  Besten Dank für diese (schöne) Entscheidung. Schön deshalb, weil der Amtsrichter – auf der Grundlage der wohl h.M. in der Rechtsprechung – das Verfahren gegen den Betroffenen nach § 47 Abs. 2 OWiG eingestellt hat. Er geht davon aus, dass es sich bei einer Messung mit ESO ES 3.0 zwar noch um ein standardisiertes Messverfahren handelt, der Betroffene dieses aber überpüfen können muss:

„Diese Vorgehensweise hält rechtsstaatlichen Grundsätzen nicht stand. Im Ergebnis werden pauschale Behauptungen und Einwendungen der Betroffenen mit dem Hinweis auf ein standardisiertes Messverfahren zurückgewiesen, die von den Betroffenen geforderten konkreten Einwendungen können diese aber rein faktisch nicht vorbringen, weil ihnen nunmehr jegliche Prüfungsmöglichkeit verwehrt ist. Mit anderen Worten, zwar steht ihnen mit dem Einspruch theoretisch ein Rechtsmittel gegen eine Messung durch ES 3.0 zur Verfügung, rein praktisch haben sie aber keine Verteidigungsmöglichkeit gegen die Richtigkeit der Messung…..“

Deshalb sieht er – jetzt – unter Hinweis einen Anspruch des Betroffenen auf Überlassung der unverschlüsselten Daten.

„Das Amtsgericht folgt nunmehr dieser überzeugenden Ansicht. Wie ausgeführt haben Betroffene ohne die Herausgabe unverschlüsselter Rohmessdaten keine reelle Möglichkeit, gegen die Messung vorzugehen. Der Einspruch wird zu einer reinen Formalie und die Begründungspflicht für den Betroffenen wird zu einer unüberwindbaren Hürde.

Ein neuerlicher Beschluss nach § 62 OWiG ist dem Gericht verwehrt, da das Verfahren bereits abgegeben ist. Das Gericht hätte daher im vorliegenden Fall das Verfahren gemäß § 69 V OWiG an die Verwaltungsbehörde zurück verweisen können. Da jedoch der Betroffene vorliegend nicht weiter vorbelastet ist und lediglich eine Geldbuße von 80,00 Euro Gegenstand des Verfahrens ist, hat das Gericht zur Vermeidung des sich ergebenden Aufwandes (Zurückverweisung, Übermittlung der Daten, Prüfung durch Sachverständige, neue Verhandlung) eine Einstellung vorgenommen. Das Gericht behält sich vor, künftig in ähnlich gelagerten Fällen eine entsprechende Zurückverweisung vorzunehmen.“

Der Beschluss ist vor allem aber auch aus folgendem Grund „bemerkenswert“. Der Amtsrichter hatte in dem Verfahren in einem Beschluss vom 23.07.2015 einen Antrag des Verteidigers auf Offenlegung der Rohmessdaten der einzelnen Messungen und der Messserie, zurückgewiesen. An der Rechtsauffassung hält er jetzt nicht mehr fest. Das ist dei Wandlung vom Saulus zum Paulus. Findet man leider nur selten.