Archiv für den Monat: Juli 2015

Öffentlichkeitsfahndung mit Videoprints – welche Voraussetzungen?

entnommen wikimedia.org Urheber User:Mattes

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So ganz viele Entscheidungen zu den §§ 131 ff. StPO gibt es nicht. Umso schöner, wenn man dann mal auf eine Entscheidung aus dem Bericht stößt bzw. gestoßen wird (besten Dank an „OG“), und zwar den AG Hannover, Beschl. v. 23.04.2015 – 174 Gs 434/15. In dem Verfahren ging es um den Antrag der Staatsanwaltschaft Hannover auf Anordnung der Veröffentlichung von Videoprints der Überwachungskamera der Sparkassenfiliale Hannover pp.  in den Medien gem. §§ 131, 131b StPO (sog. Öffentlichkeitsfahndung). Das AG hat den Antrag abgelehnt:

„Die Anordnungsvoraussetzungen der §§ 131, 131b StPO liegen nicht vor. Bei der der Beschuldigten vorgeworfenen Tat handelt es sich nicht um eine Straftat von erheblicher Bedeutung.

Die Vorschrift gestattet die Veröffentlichung von Bildmaterial über die in § 131 Abs. 4 S. 1 StPO und § 131a Abs. 4 StPO enthaltene Befugnis hinaus. § 131 Abs. 4 S. 1 StPO ist auf den Zweck der Festnahme des Beschuldigten und § 131a Abs. 4 StPO auf denjenigen der Aufenthaltsermittlung von Beschuldigten und Zeugen beschränkt. Nach § 131b StPO können weitergehend auch mit dem Ziel der Verbrechensaufklärung (Aufklärungsfahndung) Abbildungen eines Beschuldigten und zur Identitätsfeststellung (Identitätsfahndung) Bildmaterial von Beschuldigten und Zeugen veröffentlicht werden. Die Aufklärungsfahndung bezweckt dabei die Ermittlung des Tatgeschehens einer Straftat von erheblicher Bedeutung sowie der Art und des Umfangs des Tatbeitrags des Beschuldigten sowie etwaiger weiterer Beteiligter und ist nicht auf die Ermittlung des Aufenthalts bzw. die Festnahme der betroffenen Person gerichtet.

Voraussetzung ist jedoch, dass der Beschuldigte einer Straftat von erheblicher Bedeutung verdächtig ist. Die tatbestandliche Voraussetzung einer Straftat von erheblicher Bedeutung bringt das Übermaßverbot zum Ausdruck und stellt klar, dass eine Öffentlichkeitsfahndung bei geringfügigen Straftaten untersagt ist (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 57. Auflage, § 131 Rn. 2). Maßgeblich für eine Beurteilung der Erheblichkeitsschwelle ist – da der Gesetzgeber anders als z.B. bei § 98a Abs. 1 StPO auf einen konkretisierenden Deliktskatalog verzichtet hat – eine einzelfallbezogene Beurteilung. Das Gewicht der Straftat muss so groß sein, dass der mit einer Öffentlichkeitsfahndung verbundene intensive Eingriff in das Persönlichkeitsrecht angemessen ist. Anhaltspunkt für die Beurteilung der Erheblichkeitsschwelle können die Rechtsfolgen der Tat sein, soweit sie hinreichend genau prognostizierbar sind. Kommt nur eine Geldstrafe in Betracht, wird die Öffentlichkeitsfahndung regelmäßig ausscheiden.

Vorliegend wird der bisher unbekannten Beschuldigten ein Computerbetrug gem. § 263a StGB zur Last gelegt. Diese soll mittels einer zuvor rechtswidrig erlangten Debitkarte der Geschädigten bei einem Geldausgabeautomaten der Sparkasse Hannover, Filiale pp., insgesamt einen Geldbetrag in Höhe von 1.000 Euro abgehoben haben.

Hierbei handelt es sich hingegen nicht um eine solche Straftat von erheblicher Bedeutung.

Dieser einzelfallbezogenen Beurteilung steht insbesondere nicht die häufig zitierte Entscheidung des Landgerichts Saarbrücken vom 08.04.2004 (wistra 2004, 279, vgl. auch Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 57. Auflage, § 131 Rn. 2 a.E.) entgegen…..“

Ein Bisschen was Neues zu PoliscanSpeed

Poliscan Speed - Radar„Ein Bisschen was Neues zu PoliscanSpeed“ – mit dem Begleitsatz hat mir der Verteidiger, der den Beschluss „erstritten“ hat, den OLG Karlsruhe, Beschl. v. 10.07.2015 – 2 (6) SsBs 368/15-AK 117/15 – übersandt. In der Tat: Keine Sensation. Das wäre es gewesen, wenn das OLG von seiner und der Meinung anderer OLG (endlich) abgewichen wäre und man PoliscanSpeed – wie es einige AG tun – nicht (mehr) als standardisiertes Messverfahren angesehen hätte. Daran hält das OLG aber fest, schraubt jedoch ein wenig an den erforderlichen Feststellungen:

Nach den Feststellungen wurde die Geschwindigkeitsmessung mit einem Lasermessgerät des Typs PoliScan Speed des Herstellers Vitronic durchgeführt. Dabei handelt es sich nach gefestigter obergerichtlicher Rechtsprechung – auch aller drei Bußgeldsenate des Oberlandesgerichts Karlsruhe – um ein sog. standardisiertes Messverfahren (Senat VRS 127, 241; OLG Karlsruhe NStZ-RR 2014, 352; OLG Düsseldorf VRR 2010, 116 und Beschluss vom 14.7.2014 – IV-1 RBs 50/14, bei juris; KG VRS 118, 367; OLG Frankfurt VRR 2010, 203; DAR 2015, 149; OLG Stuttgart Die Justiz 2012, 302; OLG Köln Beschluss vom 30.10.2012 – 111-1 RBs 277/12, bei juris, und NZV 2013, 459; OLG Bamberg DAR 2014, 38; OLG Schleswig SchlHA 2013, 450), bei dem sich der Tatrichter ohne Vorliegen besonderer Anhaltspunkte darauf beschränken kann, in den Urteilsgründen das verwendete Messverfahren und das Messergebnis unter Berücksichtigung des Toleranzabzugs mitzuteilen (BGHSt 39, 291; 43, 277). Voraussetzung ist indes, dass die Messung unter Beachtung der Betriebsanleitung des Geräteherstellers und der Zulassungsbedingungen der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) vorgenommen wurde (BGHSt 43, 277). Nachdem der Betroffene vorliegend ausdrücklich in Frage gestellt hatte, ob die Auswertung mit einer Softwareversion vorgenommen wurde, die von der PTB zugelassen war, hätte es dazu näherer Feststellungen bedurft. Deren Fehlen stellt deshalb einen Darlegungsmangel dar, der zur Aufhebung des Urteils mit Ausnahme der Feststellungen zur Fahrereigenschaft des Betroffenen, die von dem Rechtsfehler nicht betroffen sind, führt.“

Also: Nur ein Bisschen was Neues …..

Mehrere Fahrverbote bei Tatmehrheit? – das beantwortet demnächst der BGH

FragezeichenBislang war es einhellige Rechtsprechung der OLG, dass innerhalb derselben Entscheidung auch dann nicht mehrfach auf ein Fahrverbot erkannt werden kann, wenn mehrere Verkehrsordnungswidrigkeiten geahndet werden, von denen jede bereits für sich allein die Anordnung eines Fahrverbots rechtfertigen würde (u.a. OLG Brandenburg VRS 106, 212; DAR 2013, 391 = VRR 2013, 470; OLG Düsseldorf NZV 1998, 298). Auch das OLG Hamm – 3. Senat für Bußgeldsachen – hat diese Ansicht vertreten (NZV 2010, 159 = DAR 2010, 335 = VRR 2010, 155).

Davon will das OLG Hamm – 3. Senat für Bußgeldsachen – jetzt weg. Begründung u.a.: Der Gesetzgeber habe sich bewusst dafür entschieden, von der Einführung einer an die Bildung einer Gesamtstrafe angelehnten Gesamtgeldbuße abzusehen. Diese unterschiedliche, vom Gesetzgeber getroffene Rechtsfolgenlösung entkräfte wesentlich das Argument, der Betroffene stünde bei der Begehung zweier Straftaten besser als bei der Begehung zweier Ordnungswidrigkeiten; denn eine unterschiedliche Behandlung habe der Gesetzgeber bewusst vorgenommen. Es erscheine in sich wenig schlüssig, einerseits hinsichtlich der Geldbußen nach § 20 OWiG von einem „Kumulationsprinzip“, hinsichtlich der Nebenfolge „Fahrverbot“ dagegen von einer einheitlichen Rechtsfolge auszugehen („Asperationsprinzip“).

Damit war wegen der o.a. Rechtsprechung ein Vorlagebeschluss erforderlich. Und der liegt mit dem OLG Hamm, Beschl. v. 30.04.2015 – 3 RBs 116/15 – vor. In dem fragt das OLG den BGH:

„Kann bei zwei Ordnungswidrigkeiten, die in Tatmehrheit stehen, die jeweils mit einem Fahrverbot als Nebenfolge geahndet werden können und über die gleichzeitig zu urteilen ist, stets lediglich ein einheitliches Fahrverbot verhängt werden oder ist es möglich, hinsichtlich jeder Ordnungswidrigkeit gesondert ein Fahrverbot – mithin zwei Fahrverbote nebeneinander- zu verhängen?“

Warten wir ab, was passiert und ob der BGH die h.M. kippt. Der Kollege Deutscher hat in Burhoff (Hrsg.) Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, 4. Aufl. 2015, übrigens schon immer diese jetzt auch vom OLG Hamm vertretene Auffassung vertreten.

„Kindlich naiv“ im „Elfenbeinturm“

MascheEs war zu erwarten, dass mein gestriges Posting „Neue Masche“ der OLG? oder: Wie werde ich mit einem „versteckten Entbindungsantrag fertig“? zum OLG Hamm, Beschl. v. 19.05.2015 – 5 RBs 59/15 nicht ohne Widerspruch bleiben würde. Und es haben sich auch einige (Amts)Richter gemeldet, die offenbar getroffen bzw. betroffen sind. Ich kann aber nur vermuten, dass es (Amts)Richter waren, weil man sich natürlich – wie so häufig – nicht mit offenem Visier, sondern nur anonym meldet.

Die Kommentare waren schon ganz interessant. Allerdings für mich (teilweise) nicht so ganz nachvollziehbar, denn es soll so sein, dass der „gewöhnliche“ Amtsrichter an einem Sitzungstag keine Zeit hat/findet, einen Schriftsatz von 1 1/2 Seiten zwischen den angesetzten Terminen zu lesen. Wirklich? Ich bezweifle das. Zumal, wenn es in einem der Kommentare dann heißt: „Und ich begrüße es ausdrücklich, dass sich nicht alle OLGs zu den Bütteln vermeintlich gerissener Anwälte machen.“ Das deutet für mich in eine ganz andere Richtung.

Aber lassen wir das, und das ist auch gar nicht der Grund für dieses Nachposten, sondern: Mir wäre schon lieb, wenn in Zukunft solche Kommentare/Formulierungen wie „kindlich naiv“ oder „Elfenbeinturm“ unterblieben. Auch wenn man offenbar getroffener Betroffener ist, sollte man Contenance bewahren, auch wenn einem die „ewige Schelte aus dem Elfenbeinturm“ nicht passt. Im Übrigen – und darauf hatte ich auch gestern schon hingewiesen: „Kindlich naiv“ muss ich mir nicht sagen lassen. Ich war selbst beim AG und 30 Jahre Richter. Ich kenne das Geschäft also – und wie ich meine, ganz gut. Und das hat jetzt nichts damit zu tun, dass wer austeilt, auch einstecken können muss. Kann ich. Dafür war ich lange genug „im Geschäft“.

Also: Contenance. Und wenn es nicht klappt? Ich muss mir dann vielleicht doch überlegen, die Kommentarfunktion zu sperren. Aber, das geht ja auch nicht. Dann heißt es: Zensur! (vgl. Burhoff ist „feige“ und betreibt „öffentliche Zensur“ – wirklich ?

Auch im OWi-Verfahren: Das allerletzte Wort hat der Betroffene

© freshidea - Fotolia.com

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Vor einigen Tagen hatte ich das Posting Das letzte Wort nach dem letzten Wort zum im BGH, Beschl. v. 09.06.2015 – 1 StR 198/15 veröffentlicht. Und kurze Zeit später flattert mir der OLG Celle, Beschl. v. 24.06.2015 – 2 Ss (OWi) 165/15 ins Haus. Nichts Dramatisches, aber eben der Beweis dafür, dass man als Verteidiger immer auch die formelle Seite im Blick haben muss. Und das hatte der Verteidiger bei folgendem Verfahrensgeschehen beim AG:

Die Hauptverhandlung wurde in Anwesenheit des Betroffenen durchgeführt. Nach dem Schluss der Beweisaufnahme erhielten der Betroffene sowie sein Verteidiger zu ihren Ausführungen und Anträgen das Wort. Der Verteidiger beantragte die Einstellung des Verfahrens. Der Betroffene hatte das letzte Wort und erklärte, er schließe sich seinem Verteidiger an. Danach ergriff erneut der Verteidiger das Wort und beantragte ergänzend und hilfsweise, lediglich eine Geldbuße von 39 € gegen den Betroffenen zu verhängen. Sodann ist das Urteil gegen den Betroffenen verkündet worden.  Dazu das OLG:

„Die Verfahrensrüge ist auch begründet, denn ausweislich der – mit der Rechtsbeschwerde vorgetragenen – Sitzungsniederschrift hat der Angeklagte nach den nochmaligen Ausführungen seines Verteidigers nicht erneut das letzte Wort erhalten. Eine Verletzung des § 258 StPO begründet zugleich eine Verletzung des Art. 103 Abs. 1 GG (vgl. Ott a. a. 0. Rdnr 32). Zwar ist die Verletzung von § 258 kein absoluter Revisionsgrund. das Beruhen des Urteils bei einem solchen Verstoß kann jedoch nur in besonderen Ausnahmefällen ausgeschlossen werden (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, § 258 Rdnr. 34 m. w. N.). Das Beruhen kann hier nicht ausgeschlossen werden, weil der Betroffene den gegen ihn erhobenen Vorwurf bestritten hat und es daher jedenfalls möglich erscheint. dass er zum Schuldvorwurf erneut Stellung genommen und möglicherweise weitere für die Beweiswürdigung maßgebliche, ihn entlastende Umstände vorgebracht hätte.“

Fazit: Das letzte Wort nach dem letzten Wort hat eben auch im Bußgeldverfahren der Betroffene.