Archiv für den Monat: Juli 2015

Ich habe mal eine Frage: Verfahrensgebühr für die Revision oder für die Berufung?

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Heute kann ich mal wieder aus einer recht aktuellen Anfrage der letzten Woche mein RVG-Rätsel „basteln“. Der Kollege, der gefragt hat, hat es gleich so schön formuliert, dass ich 1 : 1 nach hier übertragen kann. In der Mail hieß es (nämlich).

„Hallo Herr Kollege,

mitten aus der Praxis ein Problem für Ihr RVG-Rätsel aufgrund folgenden Falles:

Mandant wird am AG verurteilt und erklärt danach, das Urteil werde er “nie akzeptieren”. Verteidiger (Pflichtverteidigung) legt also vorsorglich ganz abstrakt “Rechtsmittel” ein.

Nach Zustellung eines schriftlichen Urteils kommt es zu einer ausgiebigen Beratung und zwar über die Möglichkeiten einer Berufung einerseits und über die einer Sprungrevision andererseits.

Ergebnis: Der Mandant will es sich in Ruhe noch überlegen und dann eine Entscheidung treffen.

Eine Woche später (noch innerhalb der Revisionsbegründungsfrist) dann ein Anruf des Mandanten: Das “Rechtsmittel” soll zurückgenommen werden. So wird es auch gehandhabt.

Welche Verfahrensgebühr ist nun im Rechtsmittelverfahren entstanden?

Im Revisionsverfahren (Nr. 4130 VV RVG) bekommt der Pflichtverteidiger ja fast doppelt so viel wie in der Berufung (Nr. 4124 VV RVG). Dafür kann er im Berufungsverfahren die Rechtsmittelrücknahme nach Nr. 4141 VV RVG zusätzlich abrechnen. Bei der Revision wird diese Gebühr ja entgegen dem Wortlaut nicht gewährt. Rechnerisch differieren die Gebühren letztlich um 20,- EUR, aber dennoch muss es ja Kriterien geben, für welches Rechtsmittel nun die reine Verfahrensgebühr abgerechnet wird.“

Na? Vielleicht hat ja der ein oder andere Leser eine Idee.

Dreimal Pech für die Frau Bezirksrevisorin mit der Dokumentenpauschale

© mpanch - Fotolia.com

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Und dann habe ich vor dem RVG-Rätsel noch einen interessanten Beschluss des OLG Frankfurt am Main. Interessant in doppelter Hinsicht. Einmal, weil es sich – so weit ich den Überblick habe – um die erste gerichtliche Entscheidung zu einer Frage handelt, die sich aus Änderungen aus dem 2. KostRMoG ergeben hat. Zum anderen aber auch deshalb „interessant“, weil die h.M. in der Literatur auf die Frage eine einhellige Antort gegeben hat, die aber mal wieder einem Bezirksrevisor nicht gepasst hat. Und der hat dann das Verfahren   durch dei Gerichtsinstanzen gejagt, die ihm alle bescheinigt haben, dass er nicht Recht hat. Zuletzt das OLG Frankfurt im OLG Frankfurt, Beschl. v. 30.06.2015 – 2 Ws 10/15.

Es stellte sich folgende (Abrechnungs)Problematik: Der Rechtsanwalt war Pflichtverteidiger des Verurteilten. Gestritten wird im Kostenfestsetzungsverfahren noch um die Festsetzung von Kopierkosten. Der Pflichtverteidiger hat für das Ermittlungsverfahren und das gerichtliche Verfahren die Erstattung von Auslagen wie folgt beantragt:
Kopierkosten vorbereitendes Verfahren Nr. 7000 Nr. 1 VV RVG
72 Seiten (50 x 0,50 €; 22 x 0,15 €)                                                        28,30 €
Kopierkosten gerichtliches Verfahren Nr. 7000 Nr. 1 VV RVG
51 Seiten (50 x 0,50 €; 1 x 0,15 €)                                                         25,15 €

Die Staatskasse/der Bezirksrevisor war der Ansicht, dass die Kopien für das Ermittlungsverfahren und das Hauptverfahren einheitlich zu zählen und zu berechnen seien. Deshalb seien nur für die ersten 50 Kopien des Ermittlungs- und Hauptverfahrens 0,50 €/Kopie anzusetzen, für die übrigen 73 Kopien jeweils 0,15 €.

Die Frage – wie gesagt von allen drei Instanzen – wird im OLG Frankfurt, Beschl. v. 30.06.2015 – 2 Ws 10/15 – im Sinne des Pflichtverteidigers entschieden:

„b) Die Auslagenpauschale Nr. 7000 Nr. 1 VV-RVG ist im Lichte der gesetzlichen Regelung in § 17 Nr. 10 RVG, der durch das am 1. August 2013 in Kraft getretene 2. Kostenrechtsmodernisierungsgesetz (vgl. zur alten Rechtslage noch BGH NJW 2013, 1610 m. w. N.) neu eingeführt wurde, auszulegen. In § 17 Nr. 10 RVG ist geregelt, dass das strafrechtliche Ermittlungsverfahren und ein nachfolgendes gerichtliches Verfahren gebührenrechtlich verschiedene Angelegenheiten darstellen. Mit dieser Neuregelung hat der Gesetzgeber die Frage der „verschiedenen Angelegenheiten“ in Bezug auf das Gebührenrecht entschieden und dabei auch die Auswirkungen auf die Auslagentatbestände („in erster Linie […] auf die in jeder Angelegenheit entstehende Postlauslagenpauschale“) im Blick gehabt (BT-Drucksache 17/11741, S. 267). Gestützt wird diese Auslegung von Nr. 7000 Nr. 1 VV¬RVG durch deren Anmerkung 1, wonach die Höhe der Dokumentenpauschale (nur) in derselben Angelegenheit einheitlich zu berechnen ist, mithin bei „verschiedenen Angelegenheiten“ — so nun ausdrücklich § 17 Nr. 10 RVG — nicht einheitlich, sondern getrennt zu berechnen ist.

Diese Auslegung von Nr. 7000 Nr. 1 VV-RVG unter Berücksichtigung von § 17 Nr. 10 RVG hat zur Folge, dass die Dokumentenpauschale sowohl im Ermittlungsverfahren als auch im erstinstanzlichen Verfahren geltend gemacht werden kann. Dies führt dazu, dass die Reduzierung der Vergütung ab der 50. Kopie für das Ermittlungsverfahren und das erstinstanzliche Verfahren jeweils erst ab der 50. Kopie anfällt und der Verteidiger im Ermittlungsverfahren und im nachfolgenden gerichtlichen Verfahren jeweils für die ersten 50 Seiten die volle Dokumentenpauschale berechnen darf (ebenso Rohn, in: Mayer/Kroiß, RVG, 6. Auflage, Rdnr. 84; BeckOK RVG, 27. Ed., v. Seltmann § 17 RVG Rdnr. 21 in Verbindung mit Sommerfeld/Sommerfeldt, W 7000 RVG, Rdnr. 15; Müller-Rabe, in: Gerold/Schmidt, RVG, 21. Auflage, § 17 RVG Rdnr. 127; Pankatz, in: Riedel/Sußbauer, RVG, 10. Auflage, § 17 RVG Rdnr. 47; Burhoff, StraFo 2013, 411; ders., RVG-Report 2014, 290; Schneider, NJW 2013, 3768, a. A. noch zur alten Rechtslage LG Zweibrücken, BeckRS 2012, 17846.).“

Mich wundert es mal wieder, warum es drei Gerichtssinstanzen braucht, bis die Bezirksrevisorin es dann hoffentlich begriffen/eingesehen hat.

Urinkontrolle im Strafvollzug – geht immer

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Zum Wochenausklang nichts Großes und nichts Schweres mehr, sondern zunächst nur einen (kleinen) Beschluss des OLG Hamm, betreffend eine Frage des Strafvollzugs. Nämlich die nach der Zulässigkeit einer Urinkontrolle. Braucht die einen konkreten Verdacht auf Betäubungsmittelmissbrauch? Der OLG Hamm, Beschl. v. 16.06.2015 – 1 Vollz (Ws) 250/15 – sagt: Nein:

„Der Senat hat bereits zu § 56 Abs. 2 StVollzG entschieden, dass eine Urinkontrolle auch ohne konkreten Verdacht auf Betäubungsmittelmissbrauch angeordnet werden kann (Beschl. v. 03.04.2007 – 1 Vollz(Ws) 113/07). Für das neue Recht ergibt sich dies unmittelbar aus § 65 StVollzG NW. Insofern besteht mithin kein Bedarf an Rechtsfortbildung.“

Pflichtverteidigerbestellung „unterlaufen“ läuft nicht

© pedrolieb -Fotolia.com

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Meine Sammlung von Entscheidungen, die eine rückwirkende Bestellung des Pflichtverteidigers als zulässig/möglich ansehen, ist gewachsen, nämlich um den LG Dessau-Roßlau, Beschl. v. 26.06.20152 – Qs 593 Js 275114 (118/15). Der macht – mal wieder – ein Ausnahme, in dem in AG – mal wieder  das Verfahren nach § 154 Ab. 2 StPO eingestellt hat, einen Beiordnungsantrag des Verteidigers – aus welchen Gründen auh immer – aber übersehen hat. Das LG ordnet dann rückwirkend bei:

„Nach Auffassung der Kammer kann die Entscheidung über die Bestellung als Pflichtverteidiger im vorliegenden Fall auch rückwirkend vorgenommen werden.

Die Kammer teilt zwar die Auffassung des Amtsgerichts, wonach grundsätzlich die rückwirkende Bestellung eines Verteidigers unzulässig und damit unwirksam ist, weil die Beiordnung eines Pflichtverteidigers grundsätzlich ausschließlich zur Wahrung der Belange des Angeklagten erfolgt. Ist das Verfahren abgeschlossen, scheidet eine dem Zweck der Pflichtverteidigung entsprechende Tätigkeit insoweit aus. Eine nachträgliche Bestellung würde somit ausschließlich dem verfahrensfremden Zweck dienen, dem Verteidiger für einen bereits abgeschlossenen Verfahrensabschnitt einen Vergütungsanspruch gegen die Staatskasse zu verschaffen, nicht jedoch eine notwendige ordnungsgemäße Verteidigung des Angeklagten zu gewährleisten (OLG Düsseldorf, StraFo, 03,94).

Von diesem Grundsatz ist jedoch nach Ansicht der Kammer jedenfalls dann abzuweichen, wenn die gerichtliche Beiordnung vor Verfahrensabschluss beantragt worden war, aber darüber, trotz des Vorliegens der Voraussetzungen der §§ 140, 141 StPO nicht entschieden wurde (LG Potsdam, StraFo 04,381; LG Hamburg, StV 00,16: 05, 207; ). In einem solchen Fall dient die Beiordnung nämlich nicht dazu, dem Verteidiger nachträglich einen Vergütungsanspruch gegen die Staatskasse zu verschaffen, vielmehr soll verhindert werden, dass sich gerichtsinterne Umstände, auf die ein Außenstehender keinen Einfluss hat, zu Lasten des Angeklagten auswirken.

Im vorliegenden Fall hat die Verteidigerin des Angeklagten bereits am 10.04.2014 für den Beschwerdeführer einen Antrag auf Beiordnung gesteilt, und Verteidigungstätigkeit vorgenommen, indem gegen den Strafbefehl Einspruch eingelegt wurde.

Mit Zustimmungserklärung zur beabsichtigten Einstellung des Verfahrens vom 06.10.2014 mahnte die Verteidigerin eine Entscheidung über den Beiordnungsantrag an. Es erfolgte anschließend jedoch lediglich die Einstellung des Verfahrens gemäß § 154 Abs. 2 StPO.

Damit liegen Umstände vor, die auch bei einer Annahme einer grundsätzlichen Unzulässigkeit einer rückwirkenden Bestellung eine solche ausnahmsweise zulässig erscheinen lassen.

Wäre in diesen Fällen eine rückwirkende Bestellung unzulässig, so könnte die erforderliche Bestellung eines Pflichtverteidigers durch Nichtbescheidung eines entsprechenden Antrags unterlaufen werden. Die Beiordnung war daher, auch wenn später das Verfahren gemäß § 154 Abs.2 StPO eingestellt wurde, geboten. Es kommt ausschließlich darauf an, ob die Voraussetzungen der Beiordnung zum Zeitpunkt der Einstellung des Verfahrens vorgelegen haben, nicht entscheidend ist, ob sie später entfallen sind. Der Verfahrensabschnitt, für den die Beiordnung beantragt wurde, war zum Zeitpunkt der Beantragung noch nicht abgeschlossen und die Beiordnung diente keinem verfahrensfremden Zweck (LG Schweinfurth, StraFo 06, 25; LG Saarbrücken, StV 05, 82; LG Berlin, StV 05, 83).“

Pflichtverteidigerbestellung „unterlaufen“ läuft also nicht.

Das verbotene Parken vor der „Bordsteinabsenkung“

© rcx - Fotolia.com

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Wir wissen alle: Nach § 12 Abs. 3 Nr. 5 StVO ist das Parken vor „Bordsteinabsenkungen“ unzulässig. Nur: Was ist eine „Bordsteinabsenkung“ bzw. wie lang darf/muss die Bordsteinabsenkung sein, wenn das Parken vor ihr verboten sein soll. Das OLG Köln hatte sich schon 1997 dazu geäußert (vgl. DAR 1997, 79) und war davon ausgegangen, dass nur ein Bordstein, der eine Fahrzeuglänge nicht überschreitet, ein Parkverbot nach § 12 Abs. 3 Nr. 5 StVO begründen kann.

Anders jetzt das KG im KG, Beschl. v. 22.o6.2015 – 3 Ws (B) 291/15 – 122 Ss 88/15. Danach kann auch ein Bordstein, der auf einer eine Fahrzeuglänge überschreitenden Strecke abgesenkt ist – beim KG waren es etwa 20 m – ein Parkverbot nach § 12 Abs. 3 Nr. 5 StVO begründen. Das begründet das KG u.a.

  • mit dem Wortlaut der Vorschrift, dem eine Begrenzung auf eine Fahrzeuglänge nicht zu entnehmen sei. Eine Bordsteinabsenkung setze nach dem Wortsinn lediglich voraus, dass es in unmittelbarer Nähe eine „regulär“ höhere Bordsteinkante gibt, das heiße: Im Anschluss an die Absenkung müsse der Bordstein wieder höher werden Eine Längenbegrenzung ergebe sich aus dem Begriff der Absenkung jedenfalls nicht.
  • und dem Regelungszweck des § 12 StVO. Die Vorschrift solle vorrangig der Erleichterung der Auf- und Abfahrt von Rollstuhlfahrern dienen. Es sei nicht einzusehen, warum diese Erleichterung auf einen Bereich von nur wenigen Metern beschränkt sein sollte.

Die Entscheidung wird Rollstuhlfahrer freuen, diejenigen, die einen Parkplatz suchen, allerdings eher nicht.