Archiv für den Monat: Juli 2015

Was hat die Fahrtrichtung mit der Verjährung zu tun?

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Ein schöner Erfolg für die Verteidigung ist neben dem Freispruch natürlich auch die Einstellung (wegen Verjährung). Daher muss man als Verteidiger immer auch darauf achten, ob nicht ggf. Verjährung eingetreten ist. In dem Zusammenhang spielen dann die Frage der Verjährungsunterbrechung (§ 33 OWiG) in der Praxis eine große Rolle, vor allem auch § 33 Abs. 1 Nr. 9 OWiG. Und da dann die Frage, war der zugestellte Bußgeldbescheid eigentlich wirksam? Denn wenn nicht, ist die Verjährung durch die Zustellung dieses Bußgeldbescheides nicht unterbrochen.

Das hatte auch der Verteidiger eines Betroffenen in einem beim AG Lüdinghausen anhängigen Verfahren gesehen. Er hatte dort Unwirksamkeit des Bußgeldbescheides eingewendet und die damit begründet, dass im Bußgeldbescheid als Fahrtrichtung „innerorts“ angegeben sei, der Betroffene sei aber in Fahrtrichtung Ortsausgang gefahren.

Dem AG Lüdinghausen reicht das für die Unwirksamkeit des Bußgeldbescheides nicht. Es führt dazu im AG Lüdinghausen, Urt. v. 16.03.2015 – 19 OWi-89 Js 404/15-26/15 – aus:

„Es bestand kein Verfahrenshindernis, obwohl im Bußgeldbescheid eine falsche Fahrtrichtung angegeben war („Fahrtrichtung innerorts“). Tatsächlich fuhr der Betroffene in Fahrtrichtung des Ortsausganges. Zunächst ist darauf zu verweisen, dass die Fahrtrichtungsangabe im Bußgeldbescheid nicht nötig ist zur Tatkonkretisierung, vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 26.11.2012 –III – 4 RBs 291/12. Zudem hat der Betroffene nach eigenem Bekunden das Messgerät bei der Tatbegehung gesehen. Damit ist die Tat für ihn eingrenzbar.“

Zumindest der Umstand, dass der Betroffene sich dahin eingelassen hatte, er habe das Messgerät gesehen, trägt das Urteil. Ich frage mich: Warum die Einlassung? Über die Auffassung des OLG Hamm kann man nämlich m.E. im Übrigen streiten.

Gefangenengewerkschaft

© chris52 - Fotolia.com

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Und um die Herausgabe dieser Unterlagen ist dann gestritten worden. Nachdem die Unterlagen herausgegeben worden sind, geht es noch um die Feststellung der Rechtswidrigkeit der zunächst unterbliebenen Aushändigung der Unterlagen. Die StVK hat die Maßnahme der JVA nicht beanstandet. Das OLG hat das anders gesehen:

Aus dem Zusammenspiel dieser beiden Vorschriften ergibt sich, dass Gefangene bestimmte Gegenstände schon aufgrund gesetzlicher Anordnung nicht besitzen bzw. empfangen dürfen. Insoweit besteht allenfalls auf Tatbestandsseite ein gewisser Beurteilungsspielraum (vgl. dazu: Kment/Vorwalter, JuS 2015, 193) der Justizvollzugsanstalt. Bei anderen Gegenständen hängt der Besitz bzw. Empfang von einer Erlaubnis ab, welche im Ermessen der Anstalt steht.29

Bzgl. der Gefährdung der Sicherheit oder Ordnung ist auf eine abstrakte, vom Verhalten des einzelnen Gefangenen unabhängig zu beurteilende Gefährdung abzustellen (vgl. nur BVerfG NStZ 2003, 621 m.w.N.) Eine solche (auch nur abstrakte) Eignung der Antragsformulare für eine Gefährdung der Sicherheit der Anstalt ist nicht erkennbar. Es ist nicht ersichtlich und auch nicht Grund der Versagung, dass etwa mittels der Papierblätter gefährliche, waffenähnliche Gegenstände hergestellt werden könnten oder dass sie einen gedanklichen Inhalt aufweisen, der die Sicherheit der Anstalt gefährden könnte. Auch einen ordnungsgefährdenden Inhalt, also einen Inhalt, der das geordnete Zusammenleben der Gefangenen beeinträchtigen könnte, weist ein bloßes Antragsformular nicht auf. Zu dem Inhalt des Antragsformulars wurden nähere Feststellungen nicht getroffen, so dass angesichts der Bezeichnung „Antragsformular“ und angesichts der erfolgten Aushändigung eines Exemplars davon auszugehen ist, dass es lediglich die Erklärung erhält, dass der Vereinigung beigetreten wird und es Leerstellen enthält zur Angabe bestimmter persönlicher Daten des Antragstellers. Der gedankliche Inhalt des Antragsformulars ist damit nicht gefährlich. Auch eine Gefährdung des Vollzugsziels ist nicht zu erkennen.31

Letzteres ist indes so nicht zutreffend. Die Grundrechte der Vereinigungs- bzw. Koalitionsfreiheit sind – von Art. 9 Abs. 2 GG abgesehen – vorbehaltslos gewährleistet ist und gelten auch im Bereich des Strafvollzuges (OLG Karlsruhe NStZ 1983, 527; OLG Nürnberg NStZ 1986, 286; LG Mannheim NStZ 1982, 487, 488; wohl auch: KG Berlin NStZ 1982, 222). Vom Schutzbereich der Grundrechte ist auch die Mitgliederwerbung umfasst (BVerfGE 84, 372, 378). Diese Grundrechte unterliegen zwar verfassungsimmanenten Schranken (vgl. BVerfG NStZ 1983, 331; OLG Karlsruhe a.a.O.; OLG Nürnberg a.a.O.; BayObLG NStZ 1982, 84 m. Anm. Seebode). So mögen sie durch diese einschränkbar sein, soweit dies für einen funktionierenden Strafvollzug erforderlich ist. Diese Grundsätze wurden – nach Maßgabe der Ausführungen im angefochtenen Beschluss – aber weder durch den Leiter der Justizvollzugsanstalt im Rahmen der gebotenen Ermessensentscheidung noch durch die Strafvollstreckungskammer berücksichtigt.Bei der erneuten Behandlung und Entscheidung wird die Strafvollstreckungskammer mithin zu prüfen haben, ob der Leiter der JVA X I die Bedeutung des Grundrechts aus Art. 9 Abs. 1 oder Abs. 3 GG (der angefochtene Beschluss enthält keine näheren Angaben zu den Zwecken und dem Betätigungsfeld der Gefangenengewerkschaft; ebenso enthält er auch keine Angaben, ob der Betroffene in den personellen Schutzbereich von Art. 9 Abs. 1 GG fällt) im Rahmen seiner Ermessensentscheidung hinreichend berücksichtigt hat. Weitere Feststellungen erscheinen dem Senat möglich.

Lösung zu: Ich habe da mal eine Frage: Bezahlung Sonderleistung Besucherlaubnisse?

© haru_natsu_kobo Fotolia.com

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Meine Frage vom vergangenen Freitag: Ich habe da mal eine Frage: Bezahlung Sonderleistung Besucherlaubnisse?, hat immerhin drei Kommentare gebracht. Das zeigt, dass sich auch andere Kollegen offenbar Gedanken um das Problem machen. Frage, ist dann nur: Wie gehe ich damit um?

M.E. lautet die Antwort etwa wie folgt:

  • Über die Pflichtverteidigergebühren wird der Kollege nichts abrechnen können, denn die erbrachten Tätigkeiten sind m.E. keine Verteidigertätigkeit für den Angeklagten. Eine „Abrechnung“ wäre, wenn überhaupt, ja auch nur, über eine Pauschvergütung (§ 51 Abs. 1 Satz 1 RVG) möglich, da ansonsten ja nur Pauschalgebühren anfallen, mit den „Leistungen“ also nicht, was beim Wahlanwanlt grds. möglich wäre, eine Erhöhung des Rahmens begründet werden könnte (womit ich jetzt nicht sagen will, dass das zulässig/erfolgreich wäre). Beim „Betreuungsaufwand“ sind die OLG im Übrigen aber auch schon beim Angeklagten/Nebenkläger sehr restriktiv, das wird dann in der nachgefragten Konstellation erst Recht gelten.
  • Es bleibt dann nur, ggf. gegenüber dem Angehörigen dirket abzurechnen. Das muss natürlich vereinbart sein, ggf. mit einer Vergütungsvereinbarung (§ 3a RVG). Aus dem VV ist an die Gebühr Nr. 4302 Nr. 2 oder 3 VV RVG für eine Einzeltätigkeit zu denken. Gegenüber dem potentiellen JVA-Besucher ist der Kollege nicht Verteidiger, so dass die Subsidiaritätsklausel der Vorbem 4.3 Abs. 1 VV RVG nicht greift.

Am „charmantesten“ ist noch die „Lösung“, die ein Kommentator vorgeschlagen hat: „Der Kollege macht sich eine Schriftsatz-Vorlage, stellt eine Sekretärin ein, die die Besuchserlaubnisse beantragt und nutzt seine Zeit, für Geld zu arbeiten.“ Nur: Das löst die Problematik nicht wirklich.

Einzelzuweisung? Der Faux pas des OLG kostet die Staatskasse richtiges Geld

© Birgit Reitz-Hofmann - Fotolia.com

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Mit in meinen Augen deutlichen Worten hat der BGH im BGH, Beschl. v. 12.05. 2015 – 3 StR 569/14, der noch nicht auf der Homepage des BGH steht, die „Zuweisungspraxis“ in einem Umfangsverfahren beim OLG Düsseldorf gerügt.

Zum Sachverhalt: Beim OLG Düsseldorf war ein Verfahren wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung im Ausland anhängig. In dem war am 20.12.2012 die Anklage eingegangen. Nach dem Geschäftsverteilungsplan für 2012 war für die Verhandlung und Entscheidung der Sache der 6. Strafsenat zuständig. Dessen Vorsitzende zeigte am 7. 1. 2013 gegenüber dem Präsidium die Überlastung des Senats an. Der Senat sehe sich nicht in der Lage, in der gegenständlichen Sache mit der für Haftsachen gebotenen Beschleunigung das Zwischenverfahren durchzuführen und gegebenenfalls in einem „überschaubaren Zeitraum“ die Hauptverhandlung anzuberaumen. Daraufhin beschloss das Präsidium am 18.01.2013, dass der 5. Strafsenat das Verfahren gegen den Angeklagten übernimmt. Am 15.02. 2013 ergänzte die Vorsitzende des 6. Strafsenats „mit Rücksicht auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesgerichtshofs“ ihre Überlastungsanzeige. Das Präsidium fasste daraufhin am 06.03.2013 einen der Präsidiumsentscheidung vom 18.01.2013 gleichlautenden  Beschluss, den es ergänzend mit dem Vortrag der erweiterten Überlastungsanzeige begründete.

Der 5. Strafsenat des OLG begann die Hauptverhandlung ab dem 16. 04.2013 an. Zu Beginn der Hauptverhandlung erhob der Angeklagte noch vor Anklageverlesung die Besetzungsrüge, die das OLG zurückwies und u.a. damit begründete, dass auch keine unzulässige Einzelzuweisung vorliege. Nach Verurteilung des Angeklagten aufgrund der mehr als 50 Tage dauernden Hauptverhandlung, hat der Angeklagte Revision eingelegt und die mit der Verfahrensrüge begründet. Diese hatte Erfolg.

Aus dem recht umfangreichen Beschluss des BGH hier nur soviel:

b) Der Präsidiumsbeschluss vom 18. Januar 2013 wird auch in seiner „ergänzten“ Fassung vom 6. März 2013 den genannten Anforderungen nicht gerecht.

Das Präsidium hat ein einziges Verfahren, das in die Zuständigkeit des 6. Strafsenats fiel, dem 5. Strafsenat übertragen. Weitere Entlastungsmaßnahmen hat es nicht vorgenommen. Gründe für einen Verzicht auf eine abstrakte Erstreckung der Zuständigkeitsänderung über das gegenständliche Verfahren hinaus werden nicht genannt. Der erste Präsidiumsbeschluss wurde zu Beginn des Geschäftsjahres 2013 und damit nur wenige Wochen nach Inkrafttreten des auf dieses Jahr angelegten Geschäftsverteilungsplanes des Oberlandesgerichts gefasst. Bereits zu diesem Zeitpunkt sah sich der 6. Strafsenat auf unbestimmte Zeit hinaus als überlastet an. Auch noch bei Erlass des „nachgebesserten“ Präsidiumsbeschlusses am 16. März 2013, der ohnehin nur die Gründe des Ursprungsbeschlusses hätte präzisieren, nicht indes etwa nachträglich eingetretene Umstände als zusätzliche Begründungselemente hätte nachschieben können, bestand die Erwartung, dass der 6. Strafsenat keinesfalls vor September 2013 ein weiteres Verfahren würde bearbeiten können. Dennoch verzichtete das Präsidium auf eine Umverteilung über den vorliegenden Fall hinaus. Auch ein Gesamtkonzept zum Belastungsausgleich (vgl. BVerfG, Beschluss vom 18. März 2009 – 2 BvR 229/09, NJW 2009, 1734, 1735) kann der Präsidiumsentscheidung nicht entnommen werden. Es ist deshalb nicht ersichtlich, weshalb die Übertragung allein des vorliegenden Verfahrens auf einen anderen Senat der Überlastung des 6. Strafsenats für das Geschäftsjahr 2013 entgegenzuwirken geeignet sein sollte. Dem steht auch nicht entgegen, dass erfahrungsgemäß in Staatsschutzsachen nur wenige Verfahren eingehen. Denn dies schloss nicht aus, dass bereits zeitnah nach dem Präsidiumsbeschluss ein weiteres – und als Haftsache möglicherweise eilbedürftiges Verfahren – anhängig werden würde. Dieses hätte nach dem Grundkonzept der Präsidiumsentscheidung wiederum im Wege der Einzelzuweisung einem anderen Strafsenat zugeteilt werden müssen. Eine derartige Handhabung ist mit den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Bestimmung des gesetzlichen Richters indes nicht mehr in Einklang zu bringen.

Sicherlich – hoffentlich – ein Einzelfall, der aber den Leser dann doch verwundert zurücklässt. Man will nicht glauben, dass dem Präsidium eines OLG ein solcher Faux pas und dann auch noch einer so sensiblen Sache passiert. Einzelzuweisung sind immer gefährlich, weil sie schnell den Eindruck erwecken, dass gerade dieses bestimmte s einzelne Verfahren – aus welchen Gründen auch immer – gezielt einem bestimmten Senat bzw. einer bestimmten Strafkammer „zugeschoben“ werden soll. Und das dann hier auch noch zu Beginn des Geschäftsjahres. Von daher ist zu begrüßen, dass der BGH das Recht auf den gesetzlichen Richter so streng sieht. Alles in allem für den Verteidiger, der alles richtig gemacht hat (§§ 222a, 344 Abs. 2 Satz 2 StPO) ein schöner Erfolg. Für die Staatskasse allerdings nicht. Denn es folgt nun der zweite Durchlauf einer Hauptverhandlung, die bereits mehr als 50 Tage gedauert hatte.

Ich habe Angst

© Spencer - Fotolia.com

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„Ich habe Angst“ ja, richtig gelesen. Ich habe wirklich Angst und Bedenken, wenn ich die Meldungen vom vergangenen Freitag lese, u.a. in der SZ: Vater als Pädophiler beschimpft und verprügelt oder auch bei GMX „Eine völlig absurde Idee„. Danach ist, wenn die Meldungen stimmen, in Freising am Freitagabend ein 50-jähriger Ingolstädter von einer Gruppe von zunächst drei jüngeren Männeren verfolgt worden, als er mit seiner zehnjährigen Tochter in Freising spazieren ging. Weiter heißt es:

„Drei jungen Männern kam das Vater-Tochter-Paar komisch vor, sie gingen den beiden nach und machten auch eine Anwohnerin, die auf ihrem Balkon stand, auf die Situation aufmerksam.

Die Frau schloss sich mit einem Nachbarn den drei zwischen 18 und 23 Jahre alten Männern an. Nach Angaben der Freisinger Polizeiinspektion verfolgte die Gruppe den Mann mit seiner Tochter weiter. Irgendwann sprachen sie den Ingolstädter an und beschimpften ihn als Kinderschänder und Pädophilen. Ein 40-jähriger Freund der Anwohnerin kam dazu und schlug dem Vater ins Gesicht.“

Das macht mir Angst – wobei ich nicht verkenne, dass man die genauen Umstände nicht kennt. Denn ich frage mich: Womit muss ich denn ggf. rechnen, wenn ich demnächst mit meiner inzwischen einjährigen Enkelin spazieren gehe. Der Altersunterschied ist noch größer, also ist das „Großvater-Tochter-Paar“ noch „komisch“(er)? Und was heißt „komisch“.

Und wie schütze ich mich und auch das Kind? Muss ich mir von meiner Schwiegertochter und meinem Sohn einen „Spazierschein“ aussstellen lassen, der etwa den Inhalt hat, dass ich der Opa bin und mit dem Kind spazieren gehen darf? Nur, wer liest das und vor allem: Wer glaubt dem Gelesenen?

Damit kein falscher Eindruck entsteht: Ich bin auch für Wachsamkeit, aber man muss die berühmte „Kirche auch im Dorf lassen“. Wachsamn ja, ansprechen geht sicher auch noch, aber alles andere ist dann doch in meinen Augen zu viel.