Archiv für den Monat: April 2015

Strafzumessung: Strafschärfung wegen Schädigung des Ansehens der Eltern der Braut?

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Das LG hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt. Seine dagegen gerichtete Revision hat beim BGH im Rechtsfolgenausspruch Erfolg, weil das LG nach Auffassung des BGG im BGH, Beschl. v. 18.03.2015 – 3 Str 7/15  rechtsfehlerhaft einen minder schweren Fall des Totschlags abgelehnt hat. Der BGH gibt dem LG für den neuen Durchlauf mit auf den Weg:

Der Senat weist vor dem Hintergrund, dass die Strafkammer es strafschärfend berücksichtigt hat, durch die Tat seien die Brautleute finanziell und die Eltern der Braut in ihrem Ansehen geschädigt worden, darauf hin, dass derartige Auswirkungen der Tat dem Täter nur dann straferschwerend angelastet werden können, wenn sie von ihm nach Art und Gewicht im Wesentlichen vorausgesehen werden konnten und ihm vorwerfbar sind (Fischer, StGB, 62. Aufl., § 46 Rn. 34 mwN).

Der „gerade idealtypische Drogenkurierfall“

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Mal wieder etwas aus dem BtM-Bereich, dazu habe ich schon länger nicht mehr gepostet. Es geht im BGH, Beschl. um die Annahme eines minder schweren Falles beim „gerade idealtypischen Drogenkurier“. Die hoch verschuldete Angeklagte wird gezwungen, Drogen zu schmuggeln. Dazu werden ihr zehn verpackte Presstücke Kokain mit 89,3 Gramm Kokaingemisch in den Anus eingeführt und sie führt s 197,4 Gramm verpacktes Kokain in ihre Vagina einzuführen. Damit sollte sie über F. und Z. nach B. fliegen. Sie erhielt 350 schweizerische Franken Spesengeld und sollte für den Transport eine Belohnung von 1.000 € erhalten sowie den Erlass ihrer Schulden erlangen. Auf dieser Reise wurde sie in F. von Zollbeamten kontrolliert, stritt zuerst den Verdacht des Drogentransports ab, räumte diesen dann aber ein und wies auf die Bedrohungssituation hin. Das von der Angeklagten im Körper mitgeführte Kokaingemisch hatte einen Wirkstoffanteil von 212,9 Gramm. Das LG hatte ausgeführt, eine Rechtfertigung oder Entschuldigung der Tat durch eine Notstandslage komme nicht in Betracht, weil sich die Angeklagte jedenfalls bei ihrer Einreise nach Deutschland nicht mehr in einer Notstandslage befunden habe und sich hier sogleich habe offenbaren können. Bei der Strafzumessung hat sie einen minder schweren Fall verneint. Dazu der BGH im BGH, Beschl. v. 19.03.2015 – 2 StR 35/15:

„“Einen minder schweren Fall gemäß § 30 Abs. 2 BtMG hat sie [die Strafkammer]verneint. Der Sonderstrafrahmen sei vom Gesetzgeber geschaffen worden, um außergewöhnliche Fallkonstellationen zu erfassen. Eine solche liege hier nicht vor. Vielmehr handele es sich „um einen geradezu idealtypischen Drogenkurierfall“. Die Angeklagte sei eine junge Frau aus dem Ausland, die erstmals straffällig geworden sei, sich aufgrund einer desolaten wirtschaftlichen Situation und einer Bedrohung durch einen erfahrenen Hintermann dazu habe „verleiten oder zwingen“ lassen, einen unter Umständen für sie lebensgefährlichen Drogentransport für geringen Kurierlohn auszuführen. Damit entspre-che sie einem verbreiteten „Drogenkuriertypus“, auf den die Merkmale des minder schweren Falls nicht zuträfen. Das gelte auch im Hinblick darauf, dass sie frühzeitig ein Geständnis abgelegt, nur mit bedingtem Vorsatz in Bezug auf Art und Wirkstoffgehalt des Kokaingemischs gehandelt habe und die Droge sicher-gestellt worden sei. Die Menge der eingeführten Drogen sei nicht atypisch gering, da die Angeklagte als Körperschmugglerin tätig geworden sei, weshalb die transportierte Menge von vornherein begrenzt gewesen sei.
…..
2. Die Strafzumessung begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
Nach der Rechtsprechung ist für das Vorliegen eines minder schweren Falles entscheidend, ob das gesamte Tatbild einschließlich aller subjektiven Momente und der Täterpersönlichkeit vom Durchschnitt der erfahrungsgemäß gewöhnlich vorkommenden Fälle in einem so erheblichen Maß abweicht, dass die Anwendung des milderen Strafrahmens geboten erscheint. Für das Verbrechen der unerlaubten Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge gilt nichts anderes.
Die Ausführungen der Strafkammer zur Strafrahmenwahl lassen besorgen, dass sie von einem falschen Maßstab ausgegangen ist. Bei der Prüfung, ob § 30 Abs. 2 BtMG zur Anwendung kommt, ist nicht darauf abzustellen, ob ein „typischer Drogenkurierfall“, auch in der Variante des Körperschmuggels, vorliegt. Die Frage, ob der Einzelfall vom Durchschnitt der üblicherweise anzutreffenden Fälle derart abweicht, dass die Anwendung des Normalstrafrahmens unangemessen erscheinen müsste, ist vielmehr am Durchschnitt aller Fälle der Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu messen. Das Landgericht führt, auch bei der Strafzumessung im engeren Sinne, eine ganze Reihe erheblicher Strafmilderungsgründe auf, so dass die Annahme eines minder schweren Falls bei der gebotenen Gesamtbetrachtung nicht ausgeschlossen erscheint.

Aus der Reihe: Was AG so alles ohne Verteidiger verhandeln (wollen)

© pedrolieb -Fotolia.com

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In lockerer Folge berichte ich ja immer mal wieder unter der Überschrift „Was AG so alles ohne Verteidiger verhandeln (wollen)“ über landgerichtliche Beschlüsse, die Ablehnungen von Pflichtverteidigeranträgen reparieren. Dazu dann heute der LG Braunschweig, Beschl. v. 20.03.2015 – 14 Qs 21/15 -, den mir der Kollege Funk aus Braunschweig übersandt hat. Er ist übrigens einer meiner eifrigsten „Urteilseinsender“, dafür mal hier herzlichen Dank.

Wir haben einen Angeklagten, dem eine „nicht schwere“ Tat i.S. des § 140 Abs. 2 StPO vorgeworfen wird, nämlich unerlaubter Erwerb von 0,82 g Marihuana für 10 €. Der Angeklagte ist einschlägig vorbestraft. Er ist in einem weiteren Verfahren wegen Verstoßes gegen das BtMG zu einer Freiheitsstrafe von 4 Monaten verurteilt worden. Hiergegen hat der Angeklagte Berufung eingelegt. Die Entscheidung steht noch aus. In noch einem anderen Verfahren  ist er wegen Diebstahls zu einer Freiheitsstrafe von 7 Monaten verurteilt. Hiergegen hat der Angeklagte Berufung eingelegt. Der Angeklagte steht unter Betreuung.

Das AG meint, er brauche keinen Pflichtverteidiger. Anders dann das LG, es stellt – zutreffend – auf das Gesamtübel ab:

  • „Vor allem in dem Verfahren vor dem Landgericht Hannover droht dem Angeklagten eine Maßregelunterbringung nach § 64 StGB….. Auch wenn die Maßregelunterbringung nach § 64 StGB nicht in dem hiesigen Verfahren droht, so ist doch das drohende „Gesamtübel“ entscheidend. Eine neben der Strafe drohende Unterbringung nach § 64 StGB ist stets eine schwerwiegende Rechtsfolge im Sinne vom § 140 Abs. 2 StPO (vgl. LG Bremen StV 1990, 400)“
  • „Gegen den Angeklagten sind zur Zeit jedoch mehrere Verfahren anhängig, …… Demnach ist nicht abzusehen, in welcher Höhe eine Gesamtstrafenbildung bei möglichen weiteren Verurteilungen ausfällt.“
  • „Zudem ist der Angeklagtee bereits erheblich -auch einschlägig – strafrechtlich vorbelastet. Die Auskunft des Bundeszentralregisters vom 15.02.2014 enthält 13 Einträge. In der Vergangenheit wurden bereits wiederholt erkannte Strafaussetzungen zur Bewährung nachträglich widerrufen und Freiheitsstrafen gegen den Angeklagten vollstreckt.“
  • „Zuletzt steht der Angeklagte unter Betreuung, was zusätzlich berücksichtigt werden muss und für die Verteidigungsunfähigkeit des Angeklagten spricht (vgl. Lüderssen/Jahn Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Auflage 2007, § 140, Rn. 60).“

Manchmal frage ich mich: Wenn nicht der, wer denn dann?

Ein Einspruch, der sich lohnte – der hier bringt 1.341,90 €

© fotomek - Fotolia.com

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Ich hatte am Montag über eine Gegenvorstellung gegen einen LG, Beschluss berichtet, die dem Verteidiger 212 € „gebracht“ hat (vgl. hier  LG Saarbrücken, Beschl. v. 03.02.105 – 2 Qs 8/15 und dazu: Lernfähig, oder: Die Gegenvorstellung hat 212 € gebracht).

Heute berichte ich über den Einspruch eines Betroffenen gegen einen Bußgeldbescheid der noch lukrativer war. Nämlich eine Verminderung der Geldbuße um 5 €, was nicht sp spektakulär ist 🙂 , aber gleichzeitig auch eine Ersparnis bei den Kosten/Auslagen des Verfahrens um 1.336,90 €, was schon interessanter ist. Es geht um den AG Osterode am Harz, Beschl. v. 16.03.2015 – 3b OWi 26 Js 32702/14 (257/14). Ergangen in einem Bußgeldverfahren gegen eine Betroffene, gegen die ursprünglich ein Strafverfahren wegen des Verdachts auf unerlaubtes Entfernen vom Unfallort (§ 142 StGB) geführt wurde, nachdem sie einen am Straßenrand parkenden PKW beim Ausparken gestreift haben soll. Die Betroffene hat den Tatvorwurf bestritten und darauf hingewiesen, dass sie einen Unfall nicht bemerkt habe. Daraufhin holte die Staatsanwaltschaft ein Gutachten ein zur Frage der Unfallverursachung und Bemerkbarkeit. Der Sachverständige kam in seinem Gutachten zu dem Ergebnis, dass die Betroffene den Unfall verursacht habe, sie dies jedoch weder optisch noch akustisch oder taktil bemerken konnte. Das Strafverfahren wurde daraufhin eingestellt und an die Bußgeldbehörde abgegeben. Diese erließ dann den Bußgeldbescheid. Es wurde eine Geldbuße in Höhe von 35,00 € nebst Gebühren sowie weitere 1.336,90 € als „Auslagen“ für das Sachverständigengutachten festgesetzt.

Die Betroffene hat Einspruch eingelegt und das AG ist im Beschlussverfahren (§ 72 OWiG) (nur) von der Beschädigung eines anderen PKW bei einem Ein- oder Ausparkvorgang ausgegangen und hat nach Nr. 1.5 BKat eine Geldbuße von lediglich 30 € verhängt. Die Gutachterkosten hat es der Betroffenen nicht auferlegt. Begründung u.a.: § 465 Abs. 2 StPO, welcher nach § 46 Abs. 1 OWiG Anwendung findet. Nach der – oft übersehenen – Vorschrift  hat das Gericht die entstandenen Auslagen teilweise oder auch ganz der Staatskasse aufzuerlegen, wenn durch Untersuchungen zur Aufklärung bestimmter belastender oder entlastender Umstände besondere Auslagen entstanden und sind diese Untersuchungen zugunsten des Angeklagten ausgegangen sind, wenn es unbillig wäre, den Angeklagten damit zu belasten. Dies gilt namentlich dann, wenn der Angeklagte wegen einzelner abtrennbarer Teile einer Tat oder wegen einzelner von mehreren Gesetzesverletzungen nicht verurteilt wird. Davon ist das AG ausgegangen:

b) Eine Belastung mit diesen Kosten wäre zudem unbillig. Dies ist namentlich dann der Fall, wenn der ursprüngliche Vorwurf und die letztlich getroffene Entscheidung eklatant voneinander abweichen. So verhält es sich hier. Der Vorwurf einer Straftat wurde nicht nachgewiesen, vielmehr ist die Betroffene lediglich wegen der fahrlässigen Verursachung eines Unfalles zu einem Bußgeld von 30,00 € zu verurteilen. Dieser Vorwurf, der bereits aufgrund seiner Manifestation in § 1 Abs. 2 StVO als unterste Stufe des Unrechts zu bewerten ist, rechtfertigt nicht die Einholung eines Gutachtens für 1.336,90 €. Die Einholung eines so kostenintensiven Gutachtens wegen der Begehung einer solch marginalen Ordnungswidrigkeit wäre unter Verhältnismäßigkeitsgerichtspunkten schwer vertretbar, ebenso, dass die Verwaltungsbehörde die hierfür anfallenden Kosten, die nach § 467 Abs. 1 StPO eigentlich der Staat zu tragen hat, über die Umwege des Ordnungswidrigkeitenrechts geltend macht.

Auch ist entgegen der Auffassung der Bezirksrevisorin und der Bußgeldbehörde eine Teilung der Kosten nicht angezeigt. Dies auch unter dem soeben erwähnten Aspektes, dass die Einholung eines solchen Gutachtens für so marginale Schäden wie im vorliegenden Fall bereits dem Grunde nach unverhältnismäßig wäre. Es kann auch nicht zu Lasten der Betroffenen gehen, dass sie den Vorwurf nicht eingeräumt hat. Denn das Gutachten belegt, dass die Betroffene die Beschädigung des anderen PKW nicht gemerkt hat. Insofern ist das Verhalten der Betroffenen nur logisch. Denn wer die Beschädigung nicht bemerken kann, muss diese auch nicht einräumen.

Ähnlich: LG Wuppertal Beschl. v. 25.11.2009 – 26 Qs 309/09 – und dazu:  Erfreuliches aus Wuppertal: SV-Kosten bleiben bei der Staatskasse.

Für die Urteilsgründe gibt es kein Fleisskärtchen

FleisskaertchenMan kennt die Redensart „Wer schreibt, der bleibt“. Wie immer man die auch versteht oder verstehen will, bezogen auf strafverfahrensrechtliche Urteilsgründe gilt die Redensart zumindest hinsichtlich des Umfangs der Gründe nicht. Denn der BGH moniert immer wieder, dass in den Urteilsgründen im Rahmen der Beweiswürdigung zu viel Unnützes geschrieben wird. So jetzt auch noch einmal im BGH, Beschl. v. 25.02.2015 – 4 StR 39/15:

„Dabei dienen die schriftlichen Urteilsgründe nicht der Nacherzählung des Ablaufs der Ermittlungen oder der Dokumentation des Gangs der Hauptverhandlung. Die Annahme, es sei notwendig, das Revisionsgericht im Detail dar-über zu unterrichten, welche Ergebnisse die im Hauptverhandlungsprotokoll verzeichneten Beweiserhebungen erbracht haben, ist verfehlt (BGH aaO). Auch muss der Tatrichter nicht für alle Feststellungen einen Beleg erbringen (BGH, Urteil vom 17. April 2014 – 3 StR 27/14, NStZ-RR 2014, 279 f. mwN). Er ist im Fall einer Verurteilung des Angeklagten grundsätzlich aber verpflichtet, die für den Schuldspruch wesentlichen Beweismittel im Rahmen seiner Beweiswürdigung heranzuziehen und einer erschöpfenden Würdigung zu unterziehen (vgl. etwa BGH, Beschluss vom 20. März 2002 – 5 StR 448/01). Insofern beurteilt sich die Erörterungsbedürftigkeit nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme; (nur) mit Umständen, die im Zeitpunkt der Urteilsfällung noch beweiserheblich waren, muss sich der Tatrichter im Urteil auseinandersetzen (vgl. BGH, Beschluss vom 30. Mai 2000 – 1 StR 183/00, NStZ-RR 2001, 174 f.; Urteil vom 24. Januar 2006 – 5 StR 410/05). Es ist deshalb regelmäßig überflüssig, nach den tatsächlichen Feststellungen sämtliche in der Hauptverhandlung erhobenen Beweismittel, auf denen das Urteil beruhen soll, aufzuzählen; dies kann die Würdigung der Beweise nicht ersetzen (so bereits BGH, Beschluss vom 17. Oktober 1996 – 1 StR 614/96) und stellt lediglich eine vermeidbare Fehler-quelle dar, da sie Anlass zu Rügen nach § 261 StPO geben kann (BGH, Beschluss vom 17. November 1999 – 3 StR 385/99, NStZ 2000, 211).

Daran gemessen ist verfehlt, dass das Landgericht im Anschluss an die Feststellungen mitteilt, dass diese unter anderem auf den Angaben von 17, teils sogar mit ihren Geburtsnamen bezeichneten Zeugen, auf im Einzelnen aufgeführten, in der Hauptverhandlung verlesenen Urkunden und in Augenschein genommenen Lichtbildern beruhen, es indes auf die Lichtbilder weder  gemäß § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO verweist, noch die Inhalte der Urkunden näher mitteilt und von den 17 vernommenen Zeugen im Folgenden lediglich fünf Aussagen dargestellt und erörtert werden.“

Also: Die Urteilsgründe sind kein Tätigkeitsnachweise und Fleißkärtchen gibt es auch nicht. Schön(er) wäre es, wenn Beweise dann auch wirklich „gewürdigt“ würden.