Archiv für den Monat: Oktober 2014

Ich habe da mal eine Frage: Gibt es „einen warmen Regen im Herbst“?

© AllebaziB - Fotolia.com

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In der vergangenen Woche erhielt ich folgende Anfrage zu einer Problematik, über die ich schon häufiger berichtet habe, die aber – wie auch diese Anfrage zeigt – wohl leider noch immer nicht bei allen Kollegen verinnerlicht ist. Der Kollege fragt:

„Hallo Herr Burhoff,
 
wir kennen uns vom Fachanwaltslehrgang Strafrecht und Verkehrsrecht in Y. In der Vergangenheit haben wir öfters mal in gebührenrechtlichen Fragen miteinander gemailt. Jetzt brauche ich wieder Ihre Hilfe. Mir hat das LG X. meine Gebühren in einer Höhe von über 4000,- ¬ gekürzt und ich bin mir (eigentlich) sicher, dass die Begründung Humbug ist. Wäre nett, wenn Sie mir ein kurzes Statement geben können. Ich versuche, den Sachverhalt zu straffen.

Ich werde im Verfahren A am 12.3.14 im Ermittlungsverfahren zum Pflichtverteidiger bestellt. Am 8.4.14 bestelle ich mich für die Verfahren B, C, D und E ebenfalls im Ermittlungsverfahren. Am 22.5.14 verfügt die StA, dass die Verfahren B, C, D und E mit dem Verfahren A, welches nunmehr führen soll, verbunden wird. Am 10.6.14 erfolgt Anklageerhebung. Mandant wird in allen Fällen (A bis E) verurteilt.

Ich stelle nunmehr den Kostenfestsetzungsantrag auf Erstattung von Grundgebühr und Verfahrensgebühr für die Verfahren A, B, C, D und E. Das LG X. will aber nur die Gebühren für das Verfahren A erstatten. Begründung: Durch die Verfahrensverbindung erstreckt sich nicht automatisch die Bestellung auf die hinzuverbundenen Verfahren. Eine Erstreckung nach § 48 Abs. 6, Satz 3 RVG sei nicht erfolgt.

Zu Recht??! 

Über eine kurze Rückmeldung würde ich mich sehr freuen. Der Kostenerstattungsantrag sollte eigentlich ein warmer Regen im Herbst sein. Schon mal vielen Dank!!!“

Tja, ob es „ein warmer Regen im Herbst“ wird“ oder doch eher ein vorgezogener Wintersturm, dazu dann am Montag mehr.

Keine Wiedereinsetzung, oder: Das eigene Verschulden wird zu einem des Verteidigers?

entnommen open.clipart.org

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Es gibt – so finde ich – dann doch recht viele Entscheidungen des BGH zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§§ 44, 45 StPO). Dabei sind die, in denen der BGH dem Verteidiger ein Verschulden an einer Fristversäumung „vorwirft“ i.d.R. für den Angeklagten nicht so fatal, da dem Angeklagten das Verschulden seine Verteidigers nicht zugerechnet wird. „Schlimmer“ sind die, in denen der BGH ein eigenes Verschulden des Angeklagten an der Fristversäumung sieht. Das war es dann nämlich mit dem Rechtsmittel, weil dann Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ausgeschlossen ist. So jetzt der BGH, Beschl. v. 09.10.20174 – 4 StR 374/14 mit einer in der Praxis sicherlich häufigeren Konstellation:

„1. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach Versäumung der Revisionsbegründungsfrist bleibt ohne Erfolg, weil der Angeklagte weder dargelegt noch glaubhaft gemacht hat, dass er ohne Verschulden gehindert war, die versäumte Frist einzuhalten (§ 44 Abs. 1 StPO).

Dem Angeklagten war aus dem Schreiben seines früheren Verteidigers vom 5. Juni 2014 bekannt, dass dieser die nur „fristwahrend“ (vgl. den Revisionseinlegungsschriftsatz vom 15. Mai 2014) eingelegte Revision für nicht aussichtsreich hielt und sich dabei im Einvernehmen mit ihm sah. Unter diesen Umständen musste er damit rechnen, dass sein Verteidiger die Revision – ungeachtet einer vorherigen anderslautenden Absprache, für die es zudem an jeder Glaubhaftmachung fehlt – nicht von sich aus begründen würde. Wenn der Angeklagte seine Revision gleichwohl durchführen wollte, hätte er dies seinem früheren Verteidiger ausdrücklich mitteilen, einen anderen Rechtsanwalt beauftragen oder die Revision selbst zu Protokoll der Geschäftsstelle begründen müssen. Da er stattdessen untätig blieb und die Frist zur Begründung der Revision verstreichen ließ, trifft ihn an der Versäumung der Frist ein Verschulden (vgl. BGH, Beschluss vom 5. Dezember 1989 – 4 StR 537/89, BGHR StPO § 44 Satz 1 Verhinderung 9; Beschluss vom 13. März 1984 – 4 StR 56/84, Rn. 2; MüKoStPO/Valerius, § 44 Rn. 56).

Was man sich jetzt natürlich fragen kann/muss: Und wie ist es dann jetzt doch mit einem Verschulden des Verteidigers? Muss er nicht ggf. den Mandanten über das, was er nach einem „fristwahrenden Rechtsmittel“ ggf. tun muss ausdrücklich belehren? Und handelt es sich, wenn er es nicht tut, dann nicht doch wieder um ein Verschulden des Verteidigers? Ich würde den Mandanten in diesen Fällen (ausdrücklich) so bzw. darüber belehren, was der BGH wünscht.

„Lass das Saufen/Kiffen usw….“

Bierglas§ 68 b Abs. 1 Nr. 10 StGB räumt die Möglichkeit einer sog. Abstinenzweisung ein, also kurz und knapp die Weisung, vom Alkohol und anderen berauschenden Mitteln zu lassen. Problematisch wird diese Weisung ggf. bei einer Suchterkrankung. Da stellt sich dann immer die Frage, ob man von dem Abhängigen nicht etwas Unmögliches erwartet und deshalb die Weisung unzulässig ist. Die Frage spielt dann eine Rolle, wenn es um die Strafbarkeit nach § 145a StGB wegen eines Weisungsverstoßes geht. Dazu hat sich jetzt aber noch einmal das OLG Bamberg im OLG Bamberg, Beschl. v. 18.06.2014 – 3 Ss 76/14 -geäußert, der den Leitsatz hat:

„Wenn auch die sog. Abstinenzweisung nach § 68 b I 1 Nr. 10 StGB in erster Linie für im Vollzug erfolgreich behandelte alkohol- oder rauschmittelabhängige Probanden in Betracht kommt, macht allein der Umstand, dass es sich bei dem Verurteilten um einen langjährigen, bislang nicht oder jedenfalls (noch) nicht erfolgreich behandelten Suchtkranken handelt, die Weisung nicht von vornherein unzulässig (u.a. Anschluss an OLG Hamm NStZ-RR 2013, 158; Beschl. v. 11.03.2010 – 2 Ws 39/10; OLG Rostock NStZ-RR 2012, 222 und OLG Köln NStZ-RR 2011, 62 f. = OLGSt StGB § 68 b Nr. 7).“

Man sollte das Gesetz immer ganz lesen….

hawk88_Calendar_1Etwas weiter hinten 🙂 enthält das BZRG eine Vorschrift, die manchmal übersehen wird, die aber für den Angeklagten von erheblicher Bedeutung sein kann, wenn es um die Frage geht, ob Vorbelastungen vorliegen oder nicht. Es ist § 63 Abs. 1 BZRG, der bestimmt, dass Eintragungen im Erziehungsregister entfernt werden, sobald der Betroffene das 24. Lebensjahr vollendet hat. Werden sie aber entfernt = müssen sie getilgt werden, dann dürfen sie nach § 51 Abs. 1 BZRG „dem Betroffenen im Rechtsverkehr nicht mehr vorgehalten und nicht zu seinem Nachteil verwertet werden.“ Das wird manchmal übersehen – warum auch immer, ggf. weil man das Gesetz nicht zu Ende liest?. Der BGH weiß es aber und achtet darauf, so auch im BGH, Beschl. v. 03.09.2014 – 1 StR 343/14, was dann ggf. zur Aufhebung führt – der GBA und der Verteidiger haben es übrigens auch gewusst 🙂 :

„Das Landgericht hat u.a. festgestellt, dass der Angeklagte im August 2006 wegen Diebstahls in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung zur Teilnahme an einem Öko-Wochenende und der Ableistung von vier Tagen Sozialdienst verurteilt wurde. Diese Vorahndung hat das Landgericht im Rahmen der Strafzumessung ausdrücklich zu Lasten des Angeklagten gewürdigt. Der Verwertung dieser Vorverurteilung stand indes – worauf die Revision und der Generalbundesanwalt zutreffend hinweisen – § 51 Abs. 1 BZRG i.V.m. § 63 Abs. 4 BZRG entgegen, nachdem Tilgungsreife mit Ablauf des 24. Lebensjahrs des Angeklagten eingetreten war (vgl. § 63 Abs. 1 BZRG). Angesichts der Tatsache, dass die Grenze zur nicht geringen Menge THC beim komplett sicher-gestellten Marihuana nur unwesentlich überschritten wurde und der teilgestän-dige Angeklagte in der Hauptverhandlung Angaben zu einem Hintermann ge-macht hat, liegt es nicht fern, dass das Landgericht trotz gewisser erschweren-der Umstände bei Berücksichtigung der bisherigen Unbestraftheit des Ange-klagten einen minder schweren Fall nach § 30a Abs. 3 BtMG angenommen hätte, weshalb gemäß dem Antrag des Generalbundesanwalts der Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufzuheben war.“

Klassischer Fehler XVIII: Hauptverhandlung ohne den Angeklagten

© J.J.Brown - Fotolia.com

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Ich hatte ja schon einige Male Postings zu § 338 Nr. 5 StPO betreffend einen Teil der der Hauptverhandlung in Abwesenheit des Angeklagten. Meist stehen diese Fragen in Zusammenhang mit § 247 StPO. Im BGH, Beschl. v. 17.09.2014 – 1 StR 212/14 – ist es dann mal nicht die Entfernung nach § 247 StPO, sondern eine nach § 231b StPO. Zum Ablauf und zur Begründung führt der BGH aus:

1. Die Rüge einer Verletzung des § 338 Nr. 5 StPO (§ 231b Abs. 1 StPO) hat Erfolg, weil die Hauptverhandlung (hier Einnahme eines Augenscheins) in Abwesenheit des Angeklagten erfolgt ist.
Durch Beschluss des Landgerichts wurde der Angeklagte gemäß § 177 GVG für die weitere Vernehmung der Zeugin B. am 15. November 2013 aus dem Sitzungszimmer entfernt, nachdem er zuvor mehreren sitzungspolizeilichen Anordnungen des Vorsitzenden … nicht nachgekommen war …
Nach Entfernung des Angeklagten machte die Zeugin weitere Angaben. Im Protokoll heißt es sodann: „Die von der Polizei gefertigten Lichtbilder der Wohnung der Geschädigten B. wurden in Augenschein genommen.“
Die Zeugin machte sodann weitere Angaben zur Sache. Der Angeklagte wurde über den wesentlichen Inhalt der Zeugenaussage B. informiert (§§ 231b Abs. 2, 231a Abs. 2 StPO).
Die Lichtbilder werden im Protokoll anschließend nicht mehr erwähnt.
…..

b) Die Rüge ist auch begründet.
Durch die Niederschrift über die Hauptverhandlung wird bewiesen (§ 274 StPO), dass während der Vernehmung der Zeugin B., bei der der Angeklagte nach § 177 GVG ausgeschlossen war, die Inaugenscheinnahme der Lichtbilder durchgeführt wurde. Nach den Gesamtumständen ist hier davon auszugehen, dass es sich um einen förmlichen Augenschein gehandelt hat und die Lichtbilder nicht lediglich als Vernehmungsbehelf eingesetzt worden sind (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 12. Dezember 2002 – 5 StR 477/02).

Die Verwendung von Augenscheinsobjekten als Vernehmungsbehelfe im Verlaufe einer Zeugenvernehmung hätte keiner Aufnahme in die Sitzungsniederschrift bedurft (vgl. u.a. BGH, Beschluss vom 14. Januar 2014 – 4 StR 529/13 mwN).

Der Wortlaut des Protokolls ist eindeutig: Die Bilder wurden „in Augenschein genommen“. Auf die Einschätzung des Sitzungsstaatsanwalts in seiner Gegenerklärung, wo nach seiner Erinnerung die Lichtbilder „als Hilfe dienten, die Angaben des Zeugen B. betreffend ihrer Wohnverhältnisse nachvollziehen zu können“, kommt es danach nicht an.

Den Urteilsgründen lässt sich auch nicht entnehmen, dass kein förmlicher Augenschein erfolgt ist. Denn dort heißt es: „Dieses Geschehen konnte B. anhand von in Augenschein genommenen Lichtbildern …“ (UA S. 20) und „beruhen u.a. … auf den in Augenschein genommenen Lichtbildern der Wohnung von B.“ (UA S. 26). Umstände, die die Beweiskraft des Urteils in Zweifel ziehen könnten (vgl. hierzu u.a. BGH, Beschluss vom 13. November 2002 – 1 StR 270/02), liegen danach nicht vor.

Eine gegebenenfalls zulässige Protokollberichtigung ist nicht erfolgt.

Danach ist ein wesentlicher Teil der Hauptverhandlung in Abwesenheit des Angeklagten vorgenommen und auch nicht in seiner Anwesenheit wieder-holt worden (vgl. hierzu u.a. BGH, Beschluss vom 19. Juli 2007 – 3 StR 163/07). Dass der Angeklagte hier nicht nach § 247 StPO sondern nach § 177 GVG entfernt wurde, ist für die Beurteilung des Verstoßes ohne Bedeutung. Es liegt der absolute Revisionsgrund des § 338 Nr. 5 StPO vor, weil ein Teil der Hauptverhandlung in Abwesenheit des Angeklagten durchgeführt wurde (vgl. u.a. BGH, Beschluss vom 14. Januar 2014 – 4 StR 529/13), ohne dass dies durch den Entfernungsbeschluss gedeckt war; denn die Augenscheinnahme gehörte nicht zur Vernehmung (vgl. auch Meyer-Goßner/Schmitt 57. Aufl. Rn. 7 und 20 ff. zu § 247 StPO). Es stand auch nicht zu befürchten (vgl. § 231b Abs. 1 StPO), dass der Angeklagte bei nachträglicher Inaugenscheinnahme der Lichtbilder (bei seiner Unterrichtung gemäß §§ 231b Abs. 2, 231a Abs. 2 StPO) den Ablauf der Hauptverhandlung in schwerwiegender Weise beeinträchtigen würde.“