Archiv für den Monat: Juni 2014

Nettostraferwartung – darauf kommt es an

entnommen wikimedia.org Urheber Robb at de.wikipedia

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Nichts wesentlich Neues bringt der OLG Frankfurt, Beschl. v. 03.01.2014 – 1 Ws 206/13. Eines Hinweises wert ist die Entscheidung aber deshalb, weil sie die bei der Anordnung und Aufrechterhaltung eines Haftbefehls für die Beurteilung der Fluchtgefahr zu beachtenden Umstände noch einmal ins Gedächtnis ruft (vgl. dazu eingehend Burhoff, Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, 6. Aufl., 2013, Rn. 2557 ff. m.w.N. aus der Rechtsprechung). Dabei ist die Straferwartung ein (maßgebliches) Kriterium, aber sie allein kann die Fluchtgefahr i.d.R. nicht begründen. Daneben sind auch alle anderen Umstände von Bedeutung und abzuwägen, wie z.B. in der Entscheidung das hohe Alter der Angeklagte. Und das OLG weist eben noch einmal darauf hin, dass bei der Ermittlung der vom Beschuldigten/Angeklagten noch zu erwartenden Strafe von der sog. Nettostraferwartung auszugehen ist:

„Auch der Haftgrund der Fluchtgefahr nach § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO, auf welchen die Strafkammer die Aufrechterhaltung des Haftbefehls stützt, liegt nicht mehr vor. Fluchtgefahr besteht, wenn die Würdigung der Umstände des Falles es wahrscheinlicher macht, dass sich der Beschuldigte dem Strafverfahren entziehen, als dass er sich ihm zur Verfügung halten werde (vgl. Meyer-Goßner a. a. O., § 112 Rdnr. 17). Die nichtrechtskräftige Verurteilung der Angeklagten zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 3 Jahren und 6 Monaten bietet aber unter Anrechnung der bisher – vom 14.09.2011 bis zum 12.11.2013 – erlittenen Untersuchungshaft von ca. 26 Monaten sowie der nach dem Urteil vom 12.11.2013 anzurechnenden Auslieferungshaftzeiten – vom 16.01.2000 bis zum 22.03.2000 und vom 30.10.2007 bis zum 28.11.2007 – von insgesamt ca. 3 Monaten keinen erheblichen Anreiz mehr, sich dem weiteren Fortgang des Strafverfahrens einschließlich der Strafvollstreckung nicht zur Verfügung zu halten. Bei der Frage der Straferwartung kommt es auf den tatsächlich zu erwartenden Freiheitsentzug an; zu berücksichtigen ist daher, dass die Untersuchungshaft angerechnet wird und ob die Angeklagte mit einer Aussetzung eines Strafrestes zur Bewährung nach § 57 StGB rechnen kann (vgl. Meyer-Goßner a. a. O. Rdnr. 23 m. w. N.). Maßgeblich für die Bewertung des Fluchtanreizes ist damit die Netto-Straferwartung. Die Angeklagte hat aber vorliegend keine weitere Strafvollstreckung mehr zu erwarten. Aufgrund der bisher erlittenen Untersuchungs- und Auslieferungshaft, welche anzurechnen sind hat die Angeklagte bereits ca. 2 Jahre und 5 Monate der verhängten Gesamtfreiheitsstrafe verbüßt, so dass lediglich noch ca. 1 Jahr und 1 Monat der verhängten Gesamtfreiheitsstrafe offen stehen. Diese sind nach derzeitigem Sachstand aber bei der Nettostraferwartung nicht zu berücksichtigen, da die Angeklagte hiernach mit einer Aussetzung des Strafrestes nach § 57 Abs. 1 StGB rechnen kann. Der hiermit maßgebliche 2/3-Zeitpunkt – welcher bei einer Gesamtfreiheitsstrafe von 3 Jahren und 6 Monaten nach einer Verbüßung von 2 Jahren und 4 Monaten erreicht ist – bezogen auf die verhängte Gesamtfreiheitsstrafe ist aber bereits um einen Monat überschritten. Es ist derzeit auch nicht ersichtlich, dass die zwischenzeitlich fast 80 Jahre alte Angeklagte – hinsichtlich derer bei der Entscheidung nach § 57 Abs. 1 StGB auch zu berücksichtigen sein wird, dass die letzte ihr vorgeworfene Tat vom …19… (Tat zu Ziffer 4. der Anklageschrift vom 24.10.2011) bereits über 35 Jahre zurückliegt – nicht mit einer Reststrafenaussetzung rechnen könnte. Auch die in der Anklageschrift aufgeführte Verurteilung in Land1 im Jahre 19… wegen des Besitzes von Kriegswaffen und Sprengstoff (Tatzeit August 197…) rechtfertigt insoweit keine maßgeblich abweichende Bewertung. In Deutschland ist die Angeklagte nicht vorbestraft.“

Personalien vom/am BGH – jetzt wohl geklärt, es wird eine Frau

© Thomas Becker - Fotolia.com

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Seit einiger Zeit gibt es ja schon die Meldungen über die Besetzung des Chef-Sessels beim BGH, der seit der Pesnionierung von K. Tolksdorf im Januar 2014 vakant war. Im Gespäch war die Amtschefin aus dem baden-württembergischen Justizministerium Bettin Limperg. Nun hat gestern das Bundeskabinett entschieden und Frau Limperg zur Präsidentin ernannt, sorry, berufen, denn ernannt wird sie wohl vom Bundespräsidenten. Damit ist sie die erste Frau auf dem Chef-Sessel beim BGH. Also: Frauenquote? :-). Jedenfalls hatte die Stellenausschreibung Erfolg 🙂 .

Näheres hier bei LTO oder bei Spiegel-online

Heute geht es los, aber: Es gibt auch etwas für „Fussballhasser“ (?)

entnommen wikimedia.org

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So, heute startet dann die Fußball-WM in Brasilien und das öffentliche Leben wird sicherlich wieder an dem ein oder anderen Tag zu erliegen kommen – mal sehen, wie lange es dauert. Ja, ist mir schon klar – vier Wochen. Ich meinte mit „unseren Jungs“. Aber bei ca. 83.000.000 Bundestrainern kann ja an sich nichts schief gehen. Der vierte Stern muss her – ok, aber, ob er auch kommt?

Der aufmerksame Leser wird merken: So ein richtiger Fußball-Fan ist er nicht 🙂 . Stimmt 🙂 , und die, die mich kennen, wissen das auch. Und sie sind rührend. Sie bieten mir verschiedene Ausweichalternativen an. Nun, AIDA geht nicht, die haben einen Fußballbeauftragten, das haben wir 2013 bei der Fußball-EM erlebt (der war übrigens nett). Und richtig weglaufen kann man vor dem Fußball auch nicht – das Fernsehen deckt einen schon zu – und auf dem jeweils anderen Sender laufen Wiederholungen 🙁 . Daher vielen Dank an meinen Kollegen aus Berlin, der mich auf den Beitrag im Postillon hingewiesen hat: „Klinik bietet Fußballhassern an, sie über die WM in künstliches Koma zu versetzen„. Allerdings: So schlimm ist es nun auch nicht. Da muss man durch.. und vor allem: Dann könnte ich ja vier Wochen nicht bloggen. Nun ja, wird der ein oder andere sagen: Das wäre es doch mal 🙂 .

Klassischer Fehler IX: Einen Angeklagten kann man nicht von der Hauptverhandlung „freistellen“

© sss78 – Fotolia.com

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Ich habe länger überlegt. Ist es nun ein „klassischer Fehler“ oder nicht, was zur Aufhebung eines Urteils des LG Hamburg durch den BGH, Beschl. v. 06.05.2014 – 5 StR 160/14 geführt hat. Ich habe mich dann für die Antwort „Jein“ entschieden. Ein „klassischer Fehler“ ist sicherlich die dort vom BGH monierte und dann zur Grundlage der Aufhebung gemachte Verhandlung ohne die Angeklagte. Nicht ganz so klassisch ist m.E. die Begründung der Strafkammer, die dazu geführt hatte, dass die Angeklagte in der Hauptverhandlung nicht anwesend war. Sie hatte die Angeklagte nämlich von der Hauptverhandlung „frei gestellt“. Das habe ich bisher so noch nicht gelesen. Der BGH wohl auch nicht, jedenfalls hat er kurz und zackig aufgehoben, und zwar mit folgenden Ausführungen:

„Die Revision hat mit der Verfahrensrüge Er-folg (§ 349 Abs. 4 StPO), wesentliche Teile der am 30. Juli 2013 begonnenen Hauptverhandlung seien zu Unrecht in Abwesenheit der Angeklagten durchgeführt worden (§ 230 Abs. 1, § 231 Abs. 2, § 338 Nr. 5 StPO).

Insofern hat der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift vom 1. April 2014 dargelegt:

Die Verfahrensrüge … dringt im Hinblick auf das Geschehen am 21. Ok-tober2013 durch. Das Landgericht hat seine Entscheidung über die Verhandlung ohne die Angeklagte ersichtlich auf § 231 Abs. 2 StPO gestützt. Nach dieser Vorschrift hätte aber nur ohne die Angeklagte verhandelt werden dürfen, wenn sie der Fortsetzung der Hauptverhandlung eigenmächtig ferngeblieben wäre. Eine solche Eigenmächtigkeit hat die Strafkammer nicht dargelegt … Vielmehr hatte das Gericht der Angeklagten die weitere Teilnahme an der Hauptverhandlung ‚freigestellt‘. Die Voraussetzungen des § 231c StPO liegen nicht vor. Die Angeklagte war auch bei einem wesentlichen Teil der Hauptverhandlung – dem Schlussvortrag ihres Verteidigers (vgl. OLG Hamburg StV 1984, 111) – abwesend. Letztlich kann die Beanstandung nicht als ‚verwirkt‘ angesehen werden, da die Verteidigung das in Rede stehende Geschehen nicht provoziert hatte.“

Diesen zutreffenden Ausführungen schließt sich der Senat mit der Bemerkung an, dass der genannte Teil der Hauptverhandlung in deren weiterem Verlauf auch nicht im Beisein der Angeklagten wiederholt worden ist. Der Verfahrensverstoß macht die Aufhebung des Urteils notwendig (§ 338 Nr. 5 StPO).“

Strafzumessung: Neue Tat nach der Tat –> Strafschärfung?

© Dan Race - Fotolia.com

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Einen an sich auf der Hand liegenden Strafzumessungsfehler behandelt der BGH, Beschl. v. 17.04.2014 -3 StR 133/14, nämlich die (grds. unzulässige) Berücksichtigung einer nach der verfahrensgegenständlichen Tat liegenden Tat/Verurteilung:

„Der Strafausspruch hat keinen Bestand. Bei der Bemessung der Freiheitsstrafe hat das Landgericht zu Lasten der Angeklagten an erster Stelle berücksichtigt, sie sei einmal, wenn auch nicht einschlägig, vorbestraft. Dies begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken, denn festgestellt ist lediglich eine Verurteilung zu (der Höhe nach nicht mitgeteilter) Geldstrafe am 17. Oktober 2013, somit nach der verfahrensgegenständlichen, am 22. Oktober 2011 begangenen Tat. Eine nach der verfahrensgegenständlichen Tat ergan-gene Verurteilung darf daher nur dann strafschärfend berücksichtigt werden, wenn die dieser Verurteilung zugrunde liegende Straftat nach ihrer Art und nach der Persönlichkeit des Täters auf Rechtsfeindlichkeit, Gefährlichkeit und die Gefahr künftiger Rechtsbrüche schließen lässt (BGH, Beschluss vom 9. November 2006 – 5 StR 338/06, NStZ 2007, 150). Dies lässt sich den bisherigen Feststellungen nicht entnehmen.“