Archiv für den Monat: September 2013
Abstandsunterschreitung – 3 Sekunden oder 140 m müssen es sein…
Für die Ahndung eines Abstandsverstoßes ist es nach der Rechtsprechung des BGH wie auch der OLG erforderlich, dass die Abstandsunterschreitung (§ 4 StVO) nicht nur ganz vorübergehend ist. Damit soll dem Umstand Rechnung getragen werden, dass es Situationen geben kann, wie z.B. das plötzliche Abbremsen des Vorausfahrenden oder einen abstandsverkürzenden Spurwechsel eines vorausfahrenden Fahrzeugs, die kurzzeitig zu einem sehr geringen Abstand führen, ohne dass dem Nachfahrenden allein deshalb eine schuldhafte Pflichtverletzung angelastet werden könnte.
Bislang nicht einheitlich wird in der Rechtsprechung der OLG die Frage beantwortet, wann denn nun eine Abstandsunterschreitung nicht nur vorübergehend ist. Damit hat sich jetzt das OLG Hamm im OLG Hamm, Beschl. v. 09.07.2013 – 1 RBs 78/13 – befasst. Die Antwort: Dann, wenn die vorwerfbare Dauer der Abstandsunterschreitung mindestens 3 Sekunden oder (alternativ) die Strecke der vorwerfbaren Abstandsunterschreitung mindestens 140 m betragen hat. Abzustellen ist nach (zutreffender) Auffassung des OLG auf die vorwerfbare Dauer bzw. Strecke, denn:
„Im Gesetz selbst ist keine Mindestdauer in zeitlicher oder örtlicher Hinsicht Voraussetzung der Ahndung einer Abstandsunterschreitung. Die vom Bundesgerichtshof aufgestellte Voraussetzung, dass die Abstandsunterschreitung nicht nur vorübergehend sein darf, bezieht sich nach Auffassung des Senats auf die Dauer oder Länge der vorwerfbaren Abstandsunterschreitung, nicht auf die Dauer oder Länge der insgesamt festgestellten Abstandsunterschreitung. Nach § 10 OWiG kann nur vorsätzliches oder – wenn das Gesetz dies (wie hier) ausdrücklich vorsieht – fahrlässiges Handeln als Ordnungswidrigkeit geahndet werden. Auf die Dauer oder Länge der insgesamt festgestellten Abstandsunterschreitung kann es daher letztlich nicht entscheidend ankommen. Maßgeblich ist also, dass der Anteil an der Gesamtstrecke der Abstandsunterschreitung, der von dem Betroffenen verschuldet wurde (und nicht etwa durch ein Verhalten Dritter oder durch andere Ereignisse, auf die der Betroffene noch nicht reagieren und den erforderlichen Abstand wieder herstellen konnte), nicht nur „vorübergehender“ Natur ist.“
Berichtigungsbeschluss? Vorsicht und nur ausnahmsweise…
Wir hatten ja vor einiger Zeit das Posting zur Rechtsbeugung (vgl. hier Rechtsbeugung: Heimliche “Nachbearbeitung” der Urteilsgründe – Finger weg) zum das BGH, Urt. v. 18.07.2013 – 4 StR 84/13. Nicht um eine nachträgliche Änderung, dann auch noch heimlich, geht es im BGH, Beschl. v. 16.07.2013 – 4 StR 144/13, sondern um einen zulässigen Berichtigungsbeschluss. Aber auch da gilt: Vorsicht und nur ausnahmsweise.
„Gegen die Wirksamkeit des Berichtigungsbeschlusses des Landgerichts vom 22. Oktober 2012 bestehen im vorliegenden Fall keine Bedenken. Die nachträgliche Berichtigung eines schriftlichen Urteils ist allerdings nur ganz ausnahmsweise bei offenbaren Versehen möglich. Es muss zweifelsfrei fest-stehen, dass sich hinter der Berichtigung nicht etwa eine nachträgliche sach-liche Änderung verbirgt. Daraus folgt, dass eine Berichtigung dann zulässig ist, wenn sie sich zwanglos aus Tatsachen ergibt, die für alle Verfahrensbeteiligten klar zu Tage liegen und jeden Verdacht einer späteren sachlichen Änderung ausschließen, wo also das Versehen schon ohne die Berichtigung offensichtlich ist (BGH, Urteile vom 3. Februar 1959 – 1 StR 644/58, BGHSt 12, 374, 377; vom 22. November 1960 – 1 StR 426/60 S. 2 f.; vom 29. Januar 1975 – 3 StR 165/74 S. 3 f.; vom 22. Januar 1981 – 4 StR 97/80 S. 4 f.; Beschluss vom 23. November 2004 – 4 StR 362/04 S. 3 f.).
So liegt der Fall hier. Wie im Berichtigungsbeschluss überzeugend dar-gelegt wird, war die Verurteilung wegen Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge im Fall 8 der Urteilsgründe von der Strafkammer beraten und beschlossen worden. Unmittelbar vor der Urteilsverkündung ist die Strafkammer erneut in die Beweisaufnahme eingetreten und hat einen Hinweis zur möglichen rechtlichen Würdigung bezüglich dieses Falles gegeben. Die mündliche Mitteilung des wesentlichen Inhalts der Urteilsgründe verhielt sich ausdrücklich zu den tatsächlichen Feststellungen, den Strafzumessungsgesichtspunkten und der Einzelstrafe in diesem Fall. Durch die Berichtigung hat die Strafkammer lediglich die äußere Übereinstimmung zwischen dem Urteilsspruch und den Urteilsgründen im Sinne des wirklich Beschlossenen wieder hergestellt.“
Vertrauen ist gut, Kontrolle (durch den BGH) ist besser
Zu den Entscheidungen, mit denen der BGH die Rechtsprechung des BVerfG zur Verständigung im Urteil vom 19.03.2013 (vgl dazu hier Da ist die Entscheidung aus Karlsruhe: Die genehmigte Verständigung, der verbotene Deal) in der letzten Zeit aufgearbeitet hat, gehört auch das BGH, Urt. v. 10.07.2013 – 2 StR 195/12 (übrigens auch für BGHSt bestimmt) (zum Ganzen auch die Zusammenstellung in Zwar nicht belehrt, aber darauf beruht das Urteil hier nicht – BGH arbeitet BVerfG auf). In dem Verfahren gin es (auch) um Dokumentation, und zwar der außerhalb der Verhandlung geführten Verständigungsgespräche. Dazu hieß es im Protokoll der HV nur:
„Der Vorsitzende gab bekannt, dass in der Verhandlungspause eine tatsächliche Verständigung nach § 257c StPO erörtert worden ist. Das Gericht hat für den Fall eines Geständnisses eine Strafobergrenze von drei Jahren und eine Strafuntergrenze von zwei Jahren und zehn Monaten Gesamtfreiheitsstrafe in Aussicht gestellt. …
Die Vertreter der Staatsanwaltschaft stimmten zu.
Die Hauptverhandlung wurde von 12.40 Uhr bis 12.46 Uhr unterbrochen.
Der Angeklagte und der Verteidiger erklärten Zustimmung. …“
Der Angeklagte hatte dazu dann in der Revision geltend gemacht „, die „formellen Anforderungen an eine Verständigung“ seien nicht eingehalten worden, „da insbesondere die erforderlichen Protokollierungsanforderungen nicht beachtet“ worden seien. Er trägt vor, anhand des Protokolls müssten zumindest die Fragen beantwortet werden können, von wem die Initiative zur Verständigung ausgegangen sei, ob alle Verfahrensbeteiligten an dem Gespräch beteiligt gewesen und von welchem Sachverhalt sie ausgegangen seien, ferner welche Vorstellungen sie vom Ergebnis der Verständigung gehabt hätten. Das Protokoll besage nichts darüber.
Und: Er hatte Erfolg. Nach Ausführungen zur Verfahrensrüge/Protokollrüge bejaht der 2. Strafsenat einen Verfahrensfehler vor, auf dem das Urteil auch beruht.
a) Nach § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO teilt der Vorsitzende nach Verlesung des Anklagesatzes mit, ob Erörterungen im Sinne der §§ 202a, 212 StPO statt-gefunden haben, wenn deren Gegenstand die Möglichkeit einer Verständigung gewesen ist, und gegebenenfalls deren wesentlichen Inhalt (vgl. dazu auch Senat, Urteil vom 10. Juli 2013 – 2 StR 47/13). Diese Mitteilungspflicht ist gemäß § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO weiter zu beachten, wenn Erörterungen erst nach Beginn der Hauptverhandlung stattgefunden haben (vgl. BT-Drucks. 16/12310 S. 12; Meyer-Goßner, StPO, 56. Aufl. 2013, § 243 Rn. 18c). Das Gesetz will erreichen, dass derartige Erörterungen stets in der öffentlichen Hauptverhandlung zur Sprache kommen und dies auch inhaltlich dokumentiert wird. Gespräche außerhalb der Hauptverhandlung dürfen kein informelles und unkontrollierbares Verfahren eröffnen (vgl. BGH, Beschluss vom 5. Oktober 2010 – 3 StR 287/10, StV 2011, 72 f.). Alle Verfahrensbeteiligten und die Öffentlichkeit sollen nicht nur darüber informiert werden, ob solche Erörterungen stattgefunden haben, sondern auch darüber, welche Standpunkte gegebenenfalls von den Teilnehmern vertreten wurden, von welcher Seite die Frage einer Verständigung aufgeworfen wurde und ob sie bei anderen Gesprächsteilnehmern auf Zustimmung oder Ablehnung gestoßen ist (vgl. BVerfG aaO NJW 2013, 1058, 1065, Tz. 85; BGH, Beschluss vom 5. Oktober 2010 – 3 StR 287/10, StV 2011, 72 f.). Zur Gewährleistung der Möglichkeit einer effektiven Kontrolle ist die Mitteilung des Vorsitzenden hierüber gemäß § 273 Abs. 1a Satz 2 StPO in das Protokoll der Hauptverhandlung aufzunehmen. Das Fehlen der Protokollierung ist ein Rechtsfehler des Verständigungsverfahrens (vgl. BVerfG aaO NJW 2013, 1058, 1067, Tz. 97); er wird durch das Protokoll der Hauptverhandlung bewiesen.
Der Senat braucht hier nicht zu entscheiden, ob der Dokumentationspflicht nur dann ausreichend Genüge getan worden wäre, wenn der Protokollvermerk verlesen und genehmigt wurde (vgl. § 273 Abs. 3 Satz 3 StPO), wie es sinnvoll sein kann, weil ein erhebliches Interesse des Angeklagten (vgl. unten II.2.b) an der Feststellung des Wortlauts der Mitteilung besteht.
b) Ein Mangel des Verfahrens an Transparenz und Dokumentation der Gespräche, die mit dem Ziel der Verständigung außerhalb der Hauptverhandlung geführt wurden, führt – ebenso wie die mangelhafte Dokumentation einer Verständigung – regelmäßig dazu, dass ein Beruhen des Urteils auf dem Rechtsfehler nicht auszuschließen ist (vgl. BVerfG aaO NJW 2013, 1058, 1067, Tz. 97)…..“.
Also: Vertrauen ist gut, Kontrolle – auch durch den BGH – ist besser. Das bedeutet, dass ggf. also eine ganze Menge protokolliert werden muss. Nur „Verständigungsgespräche haben stattgefunden, reicht nicht.
Und: Der BGH hat zwar offen gelassen hat, „ob der Dokumentationspflicht nur dann ausreichend Genüge getan worden wäre, wenn der Protokollvermerk verlesen und genehmigt wurde (vgl. § 273 Abs. 3 Satz 3 StPO)“. Ich würde das als Vorsitzender im Hinblick auf: „wie es sinnvoll sein kann, weil ein erhebliches Interesse des Angeklagten (vgl. unten II.2.b) an der Feststellung des Wortlauts der Mitteilung besteht.“ zur Sicherheit in Zukunft immer tun.
Die Zueignungsabsicht beim Raub muss schon konkret sein….
Das LG verurteilt die Angeklagten wegen schweren Raubes – Wegnahme einer Stofftüte unter Anwendung von Gewalt. Dem BGH gefällt das nicht und er hebt im BGH, Beschl. v. 09.07.2013 – 3 StR 174/13 – auf:
„Nach den Feststellungen des Landgerichts hatten der Angeklagte und der Mitangeklagte K. bei Wegnahme der Stofftüte weder Kenntnis noch konkrete Vorstellungen von deren Inhalt, sondern lediglich die Hoffnung, diese enthalte Gegenstände, die sie entweder selbst verwenden oder mit Gewinn veräußern könnten (UA S. 11, 16 ff). Wie die Angeklagten mit den in der Tüte befindlichen Gegenständen – Prospekten und einem Schlüsselbund nebst Anhänger – letztendlich verfahren waren, konnte nicht geklärt werden. Insbesondere vermochte die Jugendkammer nicht auszuschließen, dass die Angeklagten diese Gegenstände alsbald weggeworfen hatten, weil sie damit nichts anzufangen wussten (UA S. 17). Diese Feststellungen tragen die Annahme eines vollendeten Raubes nicht, weil sich die Zueignungsabsicht der Angeklagten nur auf für sie verwendbare Gegenstände richtete, nicht auf die Tüte selbst oder für sie nutzlose Gegenstände. Auch wenn sich die Angeklagten ‚keine konkreten Vorstellungen‘ vom Inhalt der Tüte machten, andererseits aber auch klar war, dass sie nicht zum Eigengebrauch oder zum Verkauf geeignete Gegenstände alsbald wegwerfen wollten, schließt letzteres aus, dass sie sich den gesamten Inhalt der Tüte – ungeachtet seiner Verwendungsfähigkeit – (zumindest vorübergehend) aneignen wollten. Dies umso mehr, als die Jugendkammer auch fest-gestellt hatte, dass der Angeklagte die verfahrensgegenständlichen Taten begangen hat, ‚um an Geld zu gelangen‘ (UA S. 15, 24). … Auch wenn sich die Vorstellung der Angeklagten vom Inhalt der Tüte demnach nicht auf einen bestimmten Gegenstand konkretisiert (vgl. zu Bar-geld BGH StV 1983, 460; 1987, 245; 1990, 205f), sondern sich lediglich auf ‚zum Eigengebrauch verwendungsfähige oder veräußerbare Ge-genstände‘ erstreckt hatte, setzt eine Tatbestandsvollendung einen diesbezüglichen Inhalt der Tüte voraus (vgl. BGHR StGB § 242 Abs. 1 Zueignungsabsicht 7; BGH JR 1999, 336; NStZ 2004, 333). Andernfalls wäre in denjenigen Fällen, in denen sich die Vorstellung des Täters bei Wegnahme eines Behältnisses auf einen bestimmten Gegenstand als Inhalt konkretisiert hätte, lediglich eine Versuchsstrafbarkeit gegeben, wenn das Behältnis den erwarteten Gegenstand nicht enthielte, während in denjenigen Fällen, in denen sich die Vorstellung des Täters nur auf den späteren Verwendungszweck des Gegenstandes (‚brauchbar‘, ‚veräußerbar‘, etc.) konkretisiert hätte, trotz ‚Zweckverfehlung‘ bereits Vollendung gegeben wäre.“