Archiv für den Monat: August 2013

Das ist der GBA wohl etwas weit gegangen…

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Manchmal sind BGH-Entscheidungen allein deshalb interessant, weil der BGH zu Vorbringen des Verteidgers/Angeklagten in der Revisionsbegründung aber auch des GBA in der Gegenerklärung „kurz und zackig“ Stellung nimmt. So der BGH, Beschl. v. 30.07.2013 – 4 StR 190/13, in dem der BGH „ergänzend zum Verwerfungsantrag des Generalbundesanwalts“ „anmerkt“ (eine Formulierung, die einen „aufmerken“ lässt :-)):

„Hinsichtlich der Befangenheitsrüge gegen die Vorsitzende Richterin erscheint fraglich, ob – wie der Generalbundesanwalt meint – ein Angeklagter durch eine Äußerung des Gerichts zum Inhalt einer Beweiserhebung regelmäßig nicht beschwert, sondern begünstigt wird (Antragsschrift des Generalbundesanwalts S. 3 oben). Denn Anlass zur Besorgnis der Befangenheit besteht jedenfalls dann, wenn der Vorsitzende seine Ansicht in Formulierungen kleidet, die den Eindruck erwecken, er habe sich bereits ein für alle Mal festgelegt und verschließe sich endgültig etwaigen Einwendungen gegen die von ihm vorgenommene, nach seiner Meinung allein mögliche Wertung (vgl. BGH, Urteil vom 16. Mai 1984 – 2 StR 525/83, bei Holtz MDR 1984, 797). Davon kann jedoch im vorliegenden Fall keine Rede sein, weil sich die Vorsitzende – worauf der Generalbundesanwalt des Weiteren zu Recht abstellt  hinsichtlich der Glaubwürdigkeit der Belastungszeugin nicht zu Lasten des Angeklagten vorfestgelegt hatte.“

Das war der GBA dem BGH grundsätzlich/im Allgemeinen ein wenig zu weit gegangen.

 

Bordellbesuch mit Folgen – nach dilettantischen Ermittlungen Entschädigung

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Ein Bordellbesuch mit Folgen bzw. ein Schlag mit einem „silberfarbenen Baseballschläger“ – vornehm, vornehm – ist Gegenstand des SG Düsseldorf, Urt. v. 13.06.2013 – S 35 VG 21/10, in dem es um die Frage der Opferentschädigung geht. Der Kläger hatte zusammen mit einem Kumpel ein Bordell aufgesucht . Im Anschluss an die Inanspruchnahme der dort beschäftigten Damen hielt man sich weiter in der Bar des Bordells weiter auf. Plötzlich – so die Aussage des Kumpels in der Ermittlungsakte der StA – sei, aus nicht nachvollziehbaren Gründen, der Sicherheitsdienst des Bordells in Form eines „Türstehers“ gerufen worden. Die betreffende Person habe dann sofort grundlos mit einem silberfarbenen Baseballschläger dem Zeugen in die Magengrube geschlagen und anschließend dem Kläger mit dem Baseballschläger mehrfach auf den Kopf geschlagen. Der Zeuge und der Kläger hätten dann fluchtartig das Bordell verlassen und seien bis zum Ausgang verfolgt worden. Man habe ein Taxi gerufen und sei sofort ins Krankenhaus in  gefahren. Es werden dann (umfangreiche) Ermittlungen geführt, die aber zur Einstellung des Ermittlungsverfahrens führen.

Der Antrag des Klägers auf Gewährung von Gewaltopferentschädigung wird später von der Verwaltungsbehörde abgelehnt mit der Begründung, das Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft eingestellt worden sei und es lasse sich nicht zweifelsfrei feststellen, ob der Kläger Opfer eines vorsätzlichen rechtswidrigen tätlichen Angriffs geworden sei. Dagegen klagt der Kläger und bekommt beim SG Düsseldorf Recht. Begründung: Umkehr der Beweislast wegen „dilettantischer Ermittlungen“:

Nach § 1 Abs. 1 des Opferentschädigungsgesetzes – OEG – erhält wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung, wer im Geltungsbereich des Gesetzes infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine Person eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat. Die Tatbestandsmerkmale „vorsätzlich, rechtswidrig und tätlich“ müssen – aus Sicht des Klägers – im Wege des Vollbeweises (objektive Beweis- oder Feststellungslast) nachgewiesen sein (vgl. z. B. Kunz u. A. Opferentschädigungsgesetz 5. Auflage § 1 Anmerkung 50 mit weiteren Nachweisen und Hinweisen auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts). Vorliegend behauptet der Kläger einen Sachverhalt, der die vorgenannten Tatbestandsmerkmale eindeutig erfüllen würde. Seine Behauptung wird gestützt durch die Aussagen des Zeugen X1, der – unabhängig von den vom Beklagten behaupteten Widersprüchen in den Aussagen – ebenfalls einen vorsätzlichen, rechtswidrigen, tätlichen Angriff gegen den Kläger dargelegt hat. Diesen Aussagen des Klägers und des Zeugen steht allerdings entgegen, dass der Manager des Bordells, in dem sich die Tat zugetragen haben soll, einen entsprechenden Vorgang bestreitet und dass die Polizei im Ermittlungsverfahren weder einen Täter ermittelt hat, noch Belege für die Gewalttat gefunden hat.

Es kann jedoch vorliegend dahinstehen, ob der Kläger durch die Aussage des Zeugen X1 nunmehr den Tatbestand des Gesetzes im Sinne des oben genannten Vollbeweises nachgewiesen hat, denn – nach Auffassung der Kammer – findet vorliegend eine Umkehr der Beweislast dergestalt statt, dass der Beklagte beweisen muss, dass der Kläger nicht Opfer eines vorsätzlichen, rechtswidrigen, tätlichen Angriffs geworden ist.

Dem Opferentschädigungsgesetz liegt vor allem der Gedanke zugrunde, dass die Gesellschaft für die gesundheitlichen Schäden des Opfers einer Gewalttat einzutreten hat, weil der Staat es im Einzelfall nicht vermocht hat, den Bürger vor einem gewaltsamen Angriff zu bewahren (vgl. Bundesrats-Drucksache 352 aus 74 S. 10). Die Entschädigung der Opfer von Straftaten resultiert aus der besonderen bzw. gesteigerten Verantwortung des Staates für die Unvollkommenheit staatlicher Verbrechensbekämpfung (BSGE 59, 40, 44; Kunz a.a.O. § 1 Anmerkung 1). Die staatliche Verpflichtung, Verbrechen im oben genannten Sinne zu verhindern, schließt die Verpflichtung des Staates ein, wenn schon die Verhinderung des Verbrechens misslingt, das Verbrechen wenigstens so weit wie möglich aufzuklären und dem Geschädigten damit bei der Erbringung des Nachweises eines vorsätzlichen, rechtswidrigen, tätlichen Angriffs zur Seite zu stehen. Diese Verpflichtung hat die Staatsmacht – in Form der Polizei L und der Staatsanwaltschaft L – vorliegend missachtet. Polizei und Staatsanwaltschaft haben nicht nur das vom Kläger behauptete Verbrechen gegen ihn nicht aufgeklärt, was an sich noch nicht zu beanstanden wäre, da nicht alle Verbrechen aufgeklärt werden können, sondern die vorgenannten Staatsgewalten haben hier mit geradezu dilletantischen Ermittlungen verhindert, dass die Straftat als solche offenkundig wurde und ein Täter gefunden wurde.
….
Nach alledem steht für die Kammer fest, dass bei ordnungsgemäßer Durchführung der Ermittlungen durch die Polizei zwar möglicherweise kein Täter gefasst worden wäre, die Ermittlungen aber sicherlich zweifelsfrei dazu geführt hätten, festzustellen, ob sich der vom Kläger und vom Zeugen X1 geschilderte Vorfall am 00.00.2008 im Bordell Q1 ereignet hat. Diese Feststellung ist nun nicht mehr möglich, mit der Folge, dass der Kläger die ihm vom OEG auferlegte Beweisführung nicht mehr erbringen kann. In der Rechtsprechung aller Obergerichte ist grundsätzlich anerkannt, dass sich die im Gesetz verankerte Beweisführungspflicht umkehrt, wenn die eigentlich nicht zur Beweisführung verpflichtete Partei (hier der Staat) die Erbringung des Beweises durch den Kläger vereitelt hat. Genau dies ist hier der Fall. Der Beklagte muss demnach beweisen, dass der Kläger nicht Opfer eines vorsätzlichen tätlichen Angriffs geworden ist. Diesen Beweis hat der Beklagte nicht erbracht. Die Einwendungen des Beklagten, etwa zu den unterschiedlichen Zeitangaben des Klägers und des Zeugen X1 hinsichtlich der Tatzeit, sind als diesbezügliche Beweisführung ungeeignet. Abgesehen davon, dass es durchaus nachvollziehbar ist, dass sich der Täter angesichts seines Gesundheitszustandes heute nicht mehr an die exakte Tatzeit erinnert, wird durch die Einwendungen der Beklagten die Tat an sich nicht in Frage gestellt.

(Kosten)Entscheidung falsch, aber wirksam

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Das LG Oldenburg hat die Angeklagten mit Urteil vom 18.10.2012, inzwischen rechtskräftig, wegen Steuerhinterziehung bzw. versuchter Steuerhinterziehung verurteilt bzw. verwarnt und zudem die folgende Kostenentscheidung getroffen:

„Die Angeklagten tragen die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der Auslagen der Staatskasse, die jeder Angeklagte zu einem Drittel trägt.“

Zur Begründung der Kostenentscheidung wurde auf §§ 465, 464d StPO Bezug genommen.

Von den drei Angeklagten sind zwei zahlungsunfähig, nur einer ist offenbar zur Zahlung der Kosten in der Lage. Der wird von der Staatsanwaltschaft als Gesamtschuldner auf den Gesamtbetrag der angefallenen Kosten, immerhin rund 36.000 €, in Anspruch genommen. Er hat aber mit seiner Erinnerung beim LG Erfolg. Die Beschwerde des Bezirksrevisors scheitert beim OLG. Das OLG Oldenburg führt dazu im OLG Oldenburg, Beschl. v. 11.07.2013 – 1 Ws 411/13 – aus:

„Der Bezirksrevisor weist zwar in der Beschwerdeschrift zutreffend darauf hin, dass die drei Angeklagten wegen – jeweils mittäterschaftlich begangener – Steuerhinterziehung in acht Fällen sowie versuchter Steuerhinterziehung in zwei Fällen verurteilt bzw. verwarnt worden sind und dass sich somit die gesamtschuldnerische Kostentragungspflicht aus §§ 465 Abs. 1, 466 S. 1 StPO ergibt. In diesem Fall sieht das Gesetz eine anderweitige Verteilung unter mehreren Angeklagten nur in § 466 S. 2 StPO für dort besonders bezeichnete Auslagen vor. Hingegen ist die vom Landgericht zur Begründung angeführte Regelung in § 464d StPO auf die Kostentragung mehrerer wegen derselben Tat Angeklagter nicht anwendbar (vgl. die Anwendungsfälle bei Meyer- Goßner, StPO, 56. Auflage, § 464d Rn. 2; KMR-Stöckel, § 464d Rn. 3). Sie dient vielmehr der Erleichterung der Bestimmung der Kostentragung dort, wo Auslagen unter mehreren Beteiligten aufzuteilen sind (vgl. Temming in Gercke pp., StPO, § 464d Rn. 1).

Gleichwohl hat die Kammer mit Urteil vom 18. Oktober 2012 eine von der gesetzlichen Regelung abweichende Kostenentscheidung getroffen, die mangels Anfechtung wirksam ist.

Diese Kostenentscheidung ist – worauf das Landgericht in dem angefochtenen Bescheid zutreffend hinweist – bereits vom Wortlaut her eindeutig. Die Kammer wollte ersichtlich von der in § 466 StPO bestimmten Regelung, dass mehrere Verurteilte grundsätzlich als Gesamtschuldner haften, abweichen und die Auslagen auf die einzelnen Angeklagten „schuldangemessen“ verteilen. Damit beinhaltet sie nicht nur eine Regelung der internen Kostenverteilung unter den Angeklagten, weil die Kammer für eine solche Bestimmung im Urteilstenor keine Veranlassung hatte.

Sehr schön: Die Fürsorgepflicht des Gerichts

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Sehr schön, habe ich gedacht, als ich den KG, Beschl. v. 22.07.2013 – 2 Ws 363/13 VollZ – gelesen habe, der sich u.a. mit der Fürsorgepflicht des Gerichts bei Anträgen forensisch nicht erfahrener Gefangener in Strafvollzugssachen befasst. Da hatte ein Gefangener persönlich einen Antrag verfasst, der zunächst nicht den (strengen) Anforderungen des § 109 Abs. 2 StVollzG entsprach. Der Gefangene hat dann nachgebessert, war damit dann aber nicht mehr in der zweiwöchigen Antragsfrist. Die StVK hat seinen Antrag verworfen. Das KG sagt „Halt, geht nicht“ und erinnert an die Fürsorgepflicht des Gerichts:

2. Dies berechtigte die Strafvollstreckungskammer jedoch nicht dazu, diesen Antrag ohne weiteres als unzulässig zu verwerfen.

Hat ein – forensisch nicht erfahrener – Gefangener persönlich den Antrag verfasst und hält das Gericht den mitgeteilten Sachverhalt nicht für ausreichend, um zu erkennen, welche Rechtsverletzung er behaupten möchte, so gebietet es die Fürsorgepflicht, ihn auf diesen Mangel hinzuweisen und ihm zu gestatten, die fehlenden Erklärungen nachzuholen (vgl. HansOLG Hamburg ZfStrVO 1979, 56; Senat NStZ-RR 1997, 154 mit weit. Nachw.).

Das gilt zwar nicht für Antragsschriften, die von Rechtsanwälten verfasst sind und auch nicht für solche von forensisch erfahrenen Gefangenen (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 7. Juni 2001 – 1 Vollz (Ws) 138/01 –; Senat, Beschlüsse vom 12. März 2013 – 2 Ws 42/13 Vollz – und vom 18. Mai 2009 – 2 Ws 8/09 Vollz –), weil insoweit nicht die Fürsorgepflicht besteht, die den Gerichten gegenüber solchen juristischen Laien zukommt, die sich im Verkehr mit den Gerichten nicht oder nur wenig auskennen (vgl. Senat, Beschluss vom 10. September 1986 – 5 Ws 262/86 Vollz – mit weiteren Nachw.).

Der Beschwerdeführer ist jedoch kein forensisch erfahrener Gefangener. Die Strafvollstreckungskammer hätte ihn daher zunächst auf die Begründungsmängel des Antrags hinweisen und ihm eine Gelegenheit zur Nachbesserung geben müssen.

Die in § 109 Abs. 2 StVollzG geforderten ergänzenden Angaben kann ein forensisch nicht erfahrener Gefangener auch noch nach dem Ablauf der Frist des § 112 Abs. 1 Satz 1 StVollzG machen. Würde man verlangen, dass die Behebung der Begründungsmängel noch innerhalb der Antragsfrist zu erfolgen hat, so würde die Hinweispflicht in Anbetracht der Kürze der Frist des § 112 Abs. 1 Satz 1 StVollzG ansonsten häufig ins Leere gehen (vgl. Senat, Beschluss vom 3. März 1995 – 5 Ws 40/95 Vollz –).

Gilt natürlich nur für den „forensisch nicht erfahrenen Gefangener “ – wer und was immer das auch ist. Es gilt nicht für den „forensisch nicht erfahrenen Rechtsanwalt“. Der muss es können

Änderung der BGH-Rechtsprechung zur Hehlerei in Sicht?

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In der Rechtsprechung des BGH zur Hehlerei (§ 259 StGB) zeichnet sich eine Änderung ab. Jedenfalls will der 3. Strafsenat die Rechtsprechung zum Absetzen und zur Absatzhilfe ändern. Das folgt aus dem BGH, Beschl. v. 14.05.2013 – 3 StR 69/13, mit dem der 3. Strafsenat mitteilt, dass er beabsichtigt zu entscheiden: „Eine Verurteilung wegen vollendeter Hehlerei durch Absetzen setzt die Feststellung eines Absatzerfolges voraus.“, und zugleich bei den anderen Strafsenaten anfragt, ob an entgegenstehender Rechtsprechung festgehalten wird. An dieser entgegenstehenden ständigen Rechtsprechung kann nach Auffassung des 3. Senats nicht festgehalten werden. Er möchte deshalb unter Aufgabe entgegenstehender eigener Rechtsprechung für die Annahme vollendeter Hehlerei in der Form des Absetzens – für Absatzhilfe könnte sodann nichts anderes gelten – die Feststellung eines Absatzerfolges verlangen.

Die Argumente:

  • Für die Auslegung des Tatbestands der Hehlerei als Erfolgsdelikt auch in den Fällen des Absetzens und der Absatzhilfe spricht der Wortlaut der Vorschrift.
  •  Zudem führt die bisherige Auslegung zu einem systematischen Bruch zwischen den Tathandlungsalternativen des Absetzens und der Absatzhilfe einerseits sowie des Ankaufens und des sonstigen sich Verschaffens andererseits, wenn nur bei letzteren zur Vollendung – wie es einhelliger Auffassung entspricht – der Übergang der Verfügungsgewalt verlangt wird.
  • Das Verständnis des Absetzens als Erfolgsdelikt verdient schließlich nach Auffassung des BGH auch bei teleologischer Auslegung den Vorzug. Denn wenn das Wesen der Hehlerei in der Aufrechterhaltung der durch die Vortat geschaffenen rechtswidrigen Vermögenslage liegt, „die durch das Weiterschieben der durch die Vortat erlangten Sache im Einverständnis mit dem Vortäter erreicht wird“ (BT-Drucks. 7/550, S. 252, sogenannte Perpetuierungstheorie), liegt die Annahme von Vollendung fern, wenn diese Weiterschiebung noch nicht abgeschlossen ist.

Ich bin gespannt, ob die anderen Senate dem 3. Senat folgen oder ob es auf eine Entscheidung des Großen Senats für Strafsachen hinausläuft.