Manchmal ist es schon eigenartig, dass in zeitlich nahem Zusammenhang der BGH Fälle zu entscheiden hat, bei denen es sich (m.E.) um einen „Klassiker“ handelt. Nach „Nicht nur Verteidiger machen Fehler – Hier ein “Klassiker”Fehler eines LG: Die Abwesenheit des Angeklagten…..“ der BGH, Beschl. v. 10.04.2013 – 2 StR 19/13, also auch noch vom gleichen Tag wie 1 StR 11/13. Dieses Mal aber nicht die Abwesenheit des Angeklagten, sondern die des notwendigen Verteidigers – aufgrund einer Beurlaubung des Angeklagten durch das Gericht (§ 231c StPO).
Was ist passiert? Anhängig ist ein Verfahren wegen zahlreicher Diebstahlsvorwürfe. In der Hauptverhandlung am 2. 8. 2012
„hat die Strafkammer während der Vernehmung des Zeugen KHK N. auf Antrag des Angeklagten D. beschlossen:
„Für die weitere Befragung des Zeugen durch Rechtsanwalt R. wird dem Angeklagten D. gestattet, insoweit nicht an der Hauptverhandlung teilzunehmen, weil ausschließlich Fragen erörtert werden, die den Ange-klagten Do. betreffen.“
Daraufhin verließen der Angeklagte D. und sein alleiniger Verteidiger, Rechtsanwalt Dr. D. , um 14.30 Uhr den Sitzungssaal. Der Zeuge N. erklärte sich weiter zur Sache. Auch der Mitangeklagte Do. machte Angaben zur Sache. Um 14.35 Uhr wurde die Sitzung unterbrochen und um 14.50 Uhr in Anwesenheit des Angeklagten D. und seines Verteidigers mit der weiteren Vernehmung des Zeugen N. fortgesetzt.“
Und das war es dann. Die Verfahrensrüge hat Erfolg. Auch hier der BGH kurz und zackig:
„3. Die Rüge ist auch begründet, da ein wesentlicher Teil der Hauptverhandlung vor dem Landgericht in Abwesenheit des notwendigen Verteidigers stattgefunden hat (§ 338 Nr. 5 StPO, § 140 Abs. 1 Nr. 1, § 145 StPO).
Wie aus dem Sitzungsprotokoll hervorgeht, war der Angeklagte D. , obgleich es sich um einen Fall notwendiger Verteidigung handelte (§ 140 Abs. 1 Nr. 1 StPO), während eines Teils der Hauptverhandlung nicht verteidigt. Der Verteidiger des Angeklagten war während seiner Abwesenheit nicht gemäß § 231c StPO beurlaubt. Eine Beurlaubung des Verteidigers war weder beantragt noch von dem Beschluss des Landgerichts, mit dem es die Abwesenheit des Angeklagten während der Befragung des Zeugen N. durch Rechtsanwalt R. genehmigt hat, umfasst.
Während der Abwesenheit des Verteidigers hat der Zeuge N. ausgesagt und sich der Angeklagte Do. zur Sache eingelassen. Die Vernehmung von Zeugen stellt ebenso wie die Einlassung eines Mitangeklagten zur Sache einen wesentlichen Teil der Hauptverhandlung dar (BGH, Urteil vom 29. Juni 1956 – 2 StR 252/56, BGHSt 9, 243, 244; Urteil vom 9. Oktober 1985 – 3 StR 473/84, StV 1986, 287, 288; Meyer-Goßner StPO 55. Aufl. § 338 Rn. 37). Die Rüge scheitert auch nicht daran, dass es denkgesetzlich ausgeschlossen ist, dass das Urteil gegen den Angeklagten auf der Abwesenheit seines Verteidigers während dieses Verhandlungsteils beruht (vgl. BGH, Be-schluss vom 13. April 2010 – 3 StR 24/10, StV 2011, 650; Urteil vom 28. Juli 2010 – 1 StR 643/09, NStZ 2011, 233, 234). Dies wäre nur dann der Fall, wenn der in Abwesenheit erörterte Verfahrensstoff auch nicht nur mittelbar die gegen den Angeklagten erhobenen Vorwürfe berührte und damit keinen auch nur potentiellen Einfluss auf den Schuld- oder Rechtsfolgenausspruch gegen den Angeklagten haben könnte (vgl. auch BGH, Beschluss vom 16. Februar 2012 – 3 StR 462/11, NStZ 2012, 463). Da vorliegend der Zeuge KHK N. zum Nachtatverhalten des Angeklagten D. bei der Durchsuchung des Bankschließfachs Angaben gemacht hat, die das Landgericht ausweislich der Urteilsgründe zu Lasten des Angeklagten D. gewertet hat (UA S. 54), lässt sich schon deshalb nicht ausschließen, dass der Angeklagte von dem in Abwe-senheit des Verteidigers stattgefundenen Verhandlungsteil betroffen war.“
Auch zum „231c-Verfahren“ gilt: Auch das Verfahren birgt für die Tatgerichte revisionsrechtliche Fallen. Da ist einmal die, dass – wie hier – übersehen wird, dass nur der Angeklagte beurlaubt war und nicht auch der Verteidiger. Der den Angeklagten betreffende Beurlaubungsbeschluss umfasst nicht den Verteidiger. Aber auch sonst muss das Tatgericht immer darauf achten, dass während der Abwesenheit von Angeklagtem und/oder Verteidiger nicht für den abwesenden Angeklagten wesentliche Dinge erörtert werden. Wegen dieser Gefahren hat die Strafkammer, der ich (vor langer Zeit) angehört habe, lieber die Finger vom „231c-Verfahren“ gelassen.
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