Archiv für den Monat: Juli 2012

Gemeinschaftliche Körperverletzung – es gelten die allgemeinen Regeln.

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Das LG stellt folgenden Sachverhalt für eine Verurteilung wegen – tateinheitlich begangener – gemeinschaftlicher gefährlicher Körperverletzung gemäß § 223 Abs. 1, § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB zum Nachteil des Geschädigten G. fest:

„…, dass der Angeklagte mit dem Geschädigten V. dessen Zimmer verließ, um Bewohner des Wohnheimes zu befragen, ob sie diesem Geschädigten V. Geld leihen würden. Der Geschädigte G. blieb mit den Mitangeklagten S. , D. und F. im Zimmer zurück. Diese wollten verhindern, dass G. flüchtete und die Polizei benachrichtigte, gegebenenfalls mit Gewalt und körperlichen Angriffen gegen G. . Der Angeklagte war damit einverstanden. Nachdem der Angeklagte und V. das Zimmer verlassen hatten, versuchte G. aus diesem zu fliehen, woraufhin ihn die drei verbliebenen Mitangeklagten zurückhielten und ihm Schläge versetzten. Daran anschließend verletzte der Mitangeklagte S. den Geschädigten mit einem vorgefundenen Messer. Das Landgericht begründet den Schuldspruch gegen den Angeklagten insoweit damit, dass diesem – mit Ausnahme des Messereinsatzes durch S. – die Körperverletzungshandlungen der Tatgenossen zuzurechnen seien, weil er „das Tun der Übrigen geduldet, gebilligt und so an den Körperverletzungen als Mittäter teilgenommen“ habe. Diese Annahme hat das Landgericht nicht belegt.

Das reicht so nicht, sagt der BGH, Beschl. v. 10.05.2012 – 3 StR 68/12:

Der gefährlichen Körperverletzung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB macht sich schuldig, wer die Körperverletzung (§ 223 Abs. 1 StGB) mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich begeht. Danach haben zwar die Mitange-klagten S. , D. und F. eine gemeinschaftliche gefährliche Körperverletzung im Sinne von § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB begangen, indem jeder von ihnen dem Geschädigten G. Schläge versetzte, als dieser versuchte, aus dem Zimmer zu fliehen. Hingegen hatte der Angeklagte dieses Zimmer schon zuvor mit dem Geschädigten V. verlassen, um diesen bei dem Versuch zu bewachen, bei anderen Bewohnern des Hauses Geld zu erlangen. Er war somit zum Zeitpunkt der Gewaltanwendungen nicht am Tatort anwesend und kehrte erst nach deren Abschluss wieder dahin zurück. Ob ein Abwesender Tatbeteiligter der gemeinschaftlichen gefährlichen Körperverletzung anderer ist, richtet sich nach den allgemeinen Regeln der Mittäterschaft der Anstiftung oder Beihilfe (vgl. MünchKommStGB/Hardtung, 1. Aufl., § 224 Rn. 27 mwN; SK-StGB/Horn/Wolters, 57. Lfg., § 224 Rn. 27). Seine Mittäterschaft setzt somit zumindest voraus, dass er und seine Tatgenossen die Tat als gemeinschaftliche wollen (vgl. BGH, Beschluss vom 14. Oktober 1999 – 4 StR 312/99, NStZ 2000, 194, 195). Schon dies hat die Strafkammer für den Angeklagten hinsichtlich der Körperverletzungen zum Nachteil des Geschädigten G. nicht rechtsfehlerfrei festgestellt. Soweit sie annimmt, der Angeklagte sei damit einverstanden gewesen, dass seine Tatgenossen eine Flucht dieses Geschädigten „gegebenenfalls mit Gewalt und körperlichen Angriffen“ verhin-dern, fehlt es an einer diese Feststellung belegenden Beweiswürdigung. Sol-ches versteht sich unter den gegebenen Umständen auch nicht von selbst.“

Da kommt Freude auf – zum zweiten Mal aufgehoben. Wirklich?

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Das kann doch nicht so schwer, habe ich gedacht, als ich auf den BGH, Beschl. v. 29.05.2012 – 3 StR 156/12 – gestoßen bin. Ist/war es aber offenbar doch.

Der Angeklagte war durch Urteil des LG Düsseldorf vom 22.02.2011 wegen Betruges in drei Fällen, Untreue in 33 Fällen und Bankrotts zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt worden. Außerdem hatte das LG festgestellt, dass von der verhängten Freiheitsstrafe neun Monate als vollstreckt gelten. Auf die Revision des Angeklagten hatte der BGH den Schuldspruch dahin abgeändert, dass der Angeklagte (neben zwei durch Verwerfung der Revision im Übrigen in Rechtskraft erwachsenen weiteren Fällen) im Tatkomplex II. 3. der Urteilsgründe des Betruges in 18 Fällen sowie des versuchten Betru-ges in zwei Fällen schuldig sei. Außerdem hatte er das Urteil mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit der Angeklagte wegen Untreue in 33 Fällen und Bankrotts verurteilt worden war, im Ausspruch über die Einzelstrafe im Fall II. 3. der Urteilsgründe und im Ausspruch über die Gesamtstrafe.

Das LaG hat nach Einstellung der im ersten Durchgang als Untreue und Bankrott bewerteten Taten nach § 154 Abs. 2 StPO den Angeklagten „wegen Betruges in 22 Fällen, davon in zwei Fällen im Versuch, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt“ und wiederholt, dass von der „verhängten Freiheitsstrafe … neun Monate als vollstreckt“ gelten. Dagegen die Revision des Angeklagten, die nun nochmals zur Aufhebung durch den BGH geführt hat. Begründung:

„Das Landgericht hat, soweit ihm eine Festsetzung der Einzelstrafen noch oblag, die versuchten und vollendeten Betrugstaten als besonders schwere Fälle (§ 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 Alt. 1 StGB) beurteilt. Es hat dazu das Urteil vom 22. Februar 2011 im Anschluss an die Eingangsbemerkung, der „Verurteilung“ lägen „damit folgende Feststellungen zu Grunde“, wörtlich dahin zitiert, der Angeklagte habe jeweils in der Absicht gehandelt, „sich durch die fortgesetzte Begehung von Betrugstaten … eine nicht nur vorübergehende Einnahmequelle von einigem Umfang zu verschaffen“. Eigene, mit einer eigenständigen Beweiswürdigung belegte Feststellungen (vgl. BGH, Urteil vom 28. März 2012 – 2 StR 592/11) zur gewerbsmäßigen Handlungsweise des Angeklagten hat es nicht getroffen.

Damit hat das Landgericht seine Beurteilung auf Feststellungen des Urteils vom 22. Februar 2011 gestützt, die – weil die Strafzumessung betreffend (vgl. BGH, Beschluss vom 22. April 2008 – 3 StR 52/08, juris Rn. 5) – durch den Beschluss des Senats im ersten Revisionsverfahren mit aufgehoben waren. Dies führt zur Aufhebung der Einzelstrafen sowie des Gesamtstrafausspruchs; denn das Fehlen eigener entscheidungserheblicher Feststellungen des Tatrichters ist ein sachlich-rechtlicher Mangel, der auf die allgemeine Sachrüge hin zu beachten ist (vgl. BGH, Beschluss vom 28. März 2007 – 2 StR 62/07, BGHR StPO § 353 Abs. 2 Tenorierung 1).“

Scheint doch schwieriger zu sein. Wohl aus Vorsicht führt der BGH daher aus:

III. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat darauf hin, dass der neue Tatrichter eigene – und nicht nur ergänzende – Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen des Angeklagten zu treffen haben wird (BGH, Beschluss vom 25. Juni 1999 – 3 StR 239/99, NStZ-RR 2000, 39 mwN; Meyer-Goßner, StPO, 54. Aufl., § 353 Rn. 19).“

Ob es den Angeklagten letztlich wirklich freut. Zweimal die Kosten/Auslagen der Revision? 🙁

Zeugenbeistand von der StA – welche Gebühren?

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Nicht selten haben Änderungen im Verfahrensrecht auch Auswirkungen im Gebührenrecht, an die bei Erlass der verfahrensrechtlichen Neuregelung dann aber niemand gedacht hat. Und dann geht es los. Es beginnt die Diskussion um die gebührenrechtlichen Auswirkungen.

Ein Beispiel dafür sind z.B. Änderungen durch das 2. OpferrechtsreformG im Herbst 2009. So kann danach nun auch die Beiordnung eines Zeugenbeistandes gemäß §§ 161a Abs. 1 S. 2, 163 Abs. 3 S. 2, 68b StPO  durch die Staatsanwaltschaft erfolgen. Frage, die sich dann später stellt: Welche Gebühren erhält er?. Vor allem: Erhält er Gebühren aus der Staatskasse? Hintergrund ist die Formulierung in § 45 Abs. 3 RVG, wo es heißt: „…. sonst gerichtlich bestellt oder beigeordnet….“ Das ist der Zeugenbeistand in den Fällen aber nicht, so dass nur eine entsprechende Anwendung der Vorschrift in Betracht kommt (s. auch Burhoff/Volpert, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 3. Aufl., Teil A: Vergütungsanspruch gegen die Staatskasse [§§ 44, 45, 50], Rn. 1479).

Mit der Problematik setzt sich der LG Düsseldorf, Beschl. v. 15.02.2012 – 4 Qs 86/11 auseinander und löst das Dilemma – m.E. zutreffend – mit einer analogen Anwendung:

„Der Beschwerdeführer hat einen Festsetzungs- und Vergütungsanspruch aus § 45 Abs. 3 RVG analog. Nach ihrem Wortlaut gilt die Vorschrift nur für den Fall der gerichtlichen Beiordnung. Vor dem Inkrafttreten des zweiten Opferrechtsreformgesetzes am 1. Oktober 2009 war in der alten Fassung der §§ 68b S. 3, 141 Abs. 4 StPO für die Beiordnung allein, also auch im Falle einer staatsanwaltschaftlichen Vernehmung (§ 161a Abs.1 S.2 StPO a.F.), der Vorsitzende des Gerichts zuständig, das für das Hauptverfahren zuständig oder bei dem das Verfahren anhängig war. Nach der Neufassung der StPO durch das zweite Opferrechtsreformgesetz kann die Entscheidung nun die Staatsanwaltschaft selbst treffen (§§ 161a Abs. 1 S. 2, 163 Abs. 3 S. 2 StPO). Das Opferrechtsreformgesetz brachte zwar auch Folgeänderungen im RVG. Aus der Gesetzesbegründung (BT-Drucks. 16/12098) ist indes nicht ersichtlich, dass der Gesetzgeber an dem bislang bestehenden Vergütungsanspruch beigeordneter Zeugenbeistände etwas ändern wollte, nur weil diese im Ermittlungsverfahren nicht mehr durch das Gericht beigeordnet werden müssen. Der Gesetzesbegründung lässt sich vielmehr entnehmen, dass der Gesetzgeber auch an eine Übertragung der Beiordnungsbefugnis an die Polizei gedacht, eine solche jedoch verworfen hat, weil eine solche Entscheidung mit Kostenfolgen verbunden ist (BT-Drucks. 16/12098, S. 27). Vor diesem Hintergrund ist ersichtlich, dass der Gesetzgeber von Kostenfolgen bei der Beiordnung eines Zeugenbeistandes durch die Staatsanwaltschaft ausging und die Anpassung der entsprechenden Vorschriften im RVG lediglich versehentlich unterließ.“

 

Es bleibt dabei. Keine Vorratshaltung von Durchsuchungsbeschlüssen

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Das BVerfG hatte schon im BVerfG,, Beschl. v. 27.05.1997 – 2 BvR 1992/92 – zur Wirksamkeitsdauer von Durchsuchungsanordnungen Stellung genommen und festgestellt, dass diese sechs Monate nach ihrem Erlass ihre Gültigkeit verlieren. Also keine unbegrenzte Vorratshaltung. Das hat das BVerfG jetzt im BVerfG, Beschl. v. 29.02.2012 – 2 BvR 1954/11 – noch einmal bestätigt. Da hießt es im Hinblick auf eine zu treffende Kostenentscheidung:

„Das Rechtsschutzbedürfnis der Beschwerdeführer ist entfallen, da sich das Verfahren in der Hauptsache erledigt hat. Der angegriffene Durchsuchungsbeschluss wurde noch nicht vollstreckt und kann auch nicht mehr vollstreckt werden, da er außer Kraft getreten ist. Der Durchsuchungsbeschluss ist am 9. Juni 2011 erlassen und vom Oberlandesgericht am 27. Juli 2011, also vor mehr als einem halben Jahr, bestätigt worden und hat daher seine rechtfertigende Kraft für die beabsichtigten Durchsuchungsmaßnahmen verloren. Spätestens nach Ablauf eines halben Jahres ist davon auszugehen, dass die dem Durchsuchungsbeschluss zugrundeliegende richterliche Prüfung nicht mehr die rechtlichen Grundlagen einer beabsichtigten Durchsuchung gewährleistet und die richterliche Anordnung nicht mehr den Rahmen, die Grenzen und den Zweck der Durchsuchung im Sinne eines effektiven Grundrechtsschutzes zu sichern vermag (vgl. BVerfGE 96, 44 <54>).“

 

Nachstellen – was ist das?

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Nach § 238 Abs. 1 Nr. 1 StGB wird bestraft, wer einem Menschen unbefugt nachstellt, indem er beharrlich seine räumliche Nähe aufsucht und dadurch seine Lebensgestaltung schwerwiegend beeinträchtigt. Was ist nun unter „nachstellen“ zu verstehen. Dazu haben in der Vergangenheit die Obergerichte wiederholt Stellung genommen. Erst jetzt bin ich dazu auf den OLG Celle, Beschl. v. 21.09.2011 – 32 Ss 96/11  gestoßen, der die insoweit bedeutsamen Fragen noch einmal zusammengefasst hat. Die Leitsätze:

Kennzeichnend für die Tathandlung des Nachstellens im Sinne des § 238 Abs. 1 StGB ist ein Gesamtverhalten des Täters, das durch die Summe einzelner (Nachstellungs-) Handlungen die Beeinträchtigung beim Opfer herbeiführt (Eisele in Schönke/Schröder, StGB, 28. Aufl., 2010, § 238, Rdnr. 6). Diese Beeinträchtigung entsteht vielfach gerade erst durch die Kombination und Wiederholung einzelner Handlungen. Dem Begriff des Nachstellens ist daher ein gewisses Maß an Dauerhaftigkeit immanent (Fischer, StGB, 58. Aufl., 2011, § 238, Rdnr. 9).

Daran fehlt es, wenn zwischen den festgestellten Handlungen des Täters ein längerer Zeitraum – hier 6 Monate – liegt, in dem es zu keinen weiteren Nachstellungshandlungen gekommen ist und der dadurch eine zeitliche Zäsur bildet, so dass das jeweilige Tatverhalten normativ betrachtet isoliert dasteht.

Also: Nachstellen mit größeren Unterbrechungen gibt es nicht.