Archiv für den Monat: April 2012

Strafzumessung: Finger weg von „hypothetischen Überlegungen“

Das Argumentieren im Rahmen der Strafzumessung mit den Auswirkungen von Umstände, die nicht vorliegen, ist immer nicht ungefährlich. Das zeigt mal wieder das BGH, Urt. v. 10.01.2012 – 1 StR 580/11. Da hieß es in der Strafzumessung:

Die Persönlichkeit der Angeklagten lässt keine für sie sprechenden besonderen Umstände erkennen, die dieses Tatbild hätten in den Hintergrund treten lassen. Insbesondere kommt ihr mangels eines teilweisen oder gar umfassenden Geständnisses nicht die im Rahmen der Beurteilung der Persönlichkeit eines Täters günstige Wirkung eines solchen zugute.“

Der BGH hat es durchgehen lassen, und zwar mit folgender Begründung:

Hätte die Strafkammer damit besondere Umstände im Sinne des § 56 Abs. 2 StGB deshalb verneint, weil die Angeklagte nicht geständig war, bestün-den hiergegen, wie auch der Generalbundesanwalt zutreffend ausgeführt und belegt hat, allerdings rechtliche Bedenken.
So verhält es sich jedoch nicht. Die Strafkammer hat vielmehr auf das Fehlen eines Geständnisses hingewiesen, um darzutun, dass damit ein Gesichtspunkt nicht vorliegt, der gegebenenfalls als besonderer Umstand im Sinne des § 56 Abs. 2 StGB hätte wirken, also die für die Versagung der Strafaussetzung zur Bewährung maßgeblichen Gesichtspunkte hätte relativieren („in den Hintergrund treten lassen“) können. Rechte der Angeklagten sind dadurch nicht verletzt, auch nicht ihr Recht, sich nicht selbst belasten zu müssen (BVerfG, [Kammer-]Beschluss vom 24. November 2000 – 2 BvR 2025/00).“

Allerdings bemerkt der Senat, „dass dennoch hypothetische Überlegungen dazu, wie es sich auswirken könnte, wenn etwas, was nicht vorliegt, doch vorläge oder umgekehrt, überflüssig sind. Sie können die Klarheit von Feststellungen oder (hier) Wertungen beeinträchtigen, zu Missdeutungen Anlass geben, letztlich sogar den Bestand eines Urteils gefährden und sollten unterbleiben (vgl. BGH, Beschluss vom 28. September 2006 – 1 StR 410/06; Urteil vom 31. Mai 2005 – 1 StR 290/04, NStZ-RR 2005, 264, 265 mwN).

Bußgeldverfahren: Auch der Heranwachsende kann von der Anwesenheitspflicht entbunden werden

Nach h.M. muss das Amtsgericht den Betroffenen von seiner Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung entbinden, wenn dieser seine Fahrereigenschaft eingeräumt und im übrigen angekündigt hat, sich in der Haupt­verhandlung nicht weiter zur Sache zu äußern.Das führt (noch einmal) der OLG Frankfurt, Beschl. v. 08.03.2012 – 2 Ss OWi 181/12 – aus. Insoweit nichts Besonderes, da h.M. der OLG.

Interessant allerdings deshalb – zumindest ein wenig, weil das nach Auffassung des OLG auch gilt, wenn es sich bei dem Betroffenen um einen Heranwachsenden handelt.

Der bedürfnisorientierte Heranwachsende

Das LG wendet bei einem 20 Jahre und 10 Monate alten Angeklagten Jugendrecht an und begründet das damit; der Angeklagte sei „bedürfnisorientiert“ und zahle keinen Unterhalt für sein Kind. Der BGH, Beschl. v. 22.03.2012 – 1 StR 91/12 – hat es moniert und als zweifelhaft angesehen, ob damit die Anwendung von Jugendrecht „tragfähig“ begründet werden können. Also: Wohl Rechtsfehler, durch der Angeklagte aber nicht beschwert war. Daher Verwerfung der Revision.

Niedersachsen: Wir machen es anders als in NRW – bei uns gibt es die Bedienungsanleitung nicht

Ein Kollege hat mir das Schreiben des Niedersächsisches Ministerium für Inneres und Sport vom 08.03.2012 zur Verfügung gestellt, das sich mit der Frage der Überlassung von Bedienungsanleitungen u.a. an Verteidiger befasst. Darin heißt es u.a. – hier der Volltext – Erlass IM Niedersachsen Gebrauchsanweisungen GMG 08_03_2012 -:

„In diesem Zusammenhang hat die ZPD erhoben, dass alle Hersteller den Schutz des Urheber­rechtsgesetzes für die Bedienungsanleitungen und die Zulassungen ihrer Geräte in Anspruch neh­men.

In Abstimmung mit den Herstellern wird daher folgende Verfahrensweise zum Umgang mit Bedie­nungsanleitungen von GMG für verbindlich erklärt:

Die Niedersächsische Polizei ist nicht berechtigt, die Bedienungsanleitungen und die Zulassungs­scheine für Bußgeldbehörden, Sachverständige, Betroffene und deren Rechtsvertreter zu verviel­fältigen. Sie werden von den Herstellern nur gegen Entgelt zur Verfügung gestellt.

Eine Vervielfältigung der Bedienungsanleitungen und Zulassungsscheine ist der Niedersächsi­schen Polizei nur für interne Aus- und Fortbildungsmaßnahmen gestattet.

Auf Anforderung werden die benötigten Unterlagen den Gerichten von den Herstellern in Kopie zur Verfügung gestellt.

Betroffene und deren Rechtsvertreter können daneben Einsicht in die Bedienungsanleitung und den Zulassungsschein beim zuständigen Gericht oder direkt bei der Polizeidienststelle nehmen.“

Ist angesichts der vorliegenden amtsgerichtlichen Rechtsprechung schon erstaunlich. Ok, es geht bei den amtsgerichtlichen Entscheidungen nicht um Akteneinsicht, die die Polizei gewährt, sondern um Akteneinsicht durch die Verwaltungsbehörde. Aber im Zweifel werden sich die Verwaltungsbehörden jetzt sicherlich in Niedersachsen gern auf dieses Schreiben zurückziehen.

Und was heißt,

„dass alle Hersteller den Schutz des Urheber­rechtsgesetzes für die Bedienungsanleitungen und die Zulassungen ihrer Geräte in Anspruch neh­men. In Abstimmung mit den Herstellern wird daher folgende Verfahrensweise zum Umgang mit Bedie­nungsanleitungen von GMG für verbindlich erklärt:“

Besteht nun ein Urheberrecht und/oder wird dieses „konkludent“ anerkannt?

In NRW sieht man es wohl anders (vgl. dazu unseren Blogbeitrag v. 08.03.2012). Kann man sich da nicht abstimmen? Es kann doch nicht sein, dass ich in Münster – NRW – Akteneinsicht bekomme, in Osnabrück – Niedersachsen – aber ggf. nicht.

Verlesung eines Aussagegenehmiung „in camera“: Schadet nicht

Im Verfahren wird die für den Haftrichter erteilte Aussagegenehmigung unter Ausschluss der Öffentlichkeit – ich weiß „in camera“ passt nicht ganz – verlesen. Der BGH, Beschl. v. 21.03.2012 – 1 StR 34/12 -sagt: Schadet nicht.

1. Es kann dahinstehen, ob – im Hinblick auf die völlige Unwesentlichkeit – durch die Verlesung der Aussagegenehmigung für den Zeugen P. (Haftrichter) in nicht öffentlicher Verhandlung überhaupt die Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens (§ 338 Nr. 6 StPO) verletzt wurden. Der Bestand des Urteils wird hiervon jedenfalls nicht berührt, weil ein Einfluss des etwaigen Verfahrensfehlers auf das Urteil denkgesetzlich ausgeschlossen ist (vgl. u.a. BGH, Beschluss vom 25. Juli 1995 – 1 StR 342/95; BGH, Beschluss vom 31. Juli 1992 – 4 StR 250/92). Entscheidend ist, dass der Zeuge zuvor bereits ausgesagt hatte. Nur die Aussage, nicht aber die Aussagegenehmigung wird zur Urteilsfindung verwertet. Die Verlesung einer Aussagegenehmigung, die auch mündlich erteilt werden kann und den Rechtskreis des Angeklagten nicht berührt (vgl. u.a. BGH NJW 1952, 151), ist nicht geboten und daher entbehrlich. Ihr Vorliegen kann im Übrigen auch von dem Zeugen selbst bei seiner Vernehmung mitgeteilt worden sein (wozu sich die Revision nicht verhält, § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO). Denn die mit Schreiben vom 14. Juli 2011 erbetene Aussagegenehmigung war bereits am 18. Juli 2011 schriftlich erteilt worden (vgl. Anlage 18 zum Protokoll vom 27. Juli 2011). Da der Zeuge P. erst am 26. Juli 2011 vernommen wurde, lag zum Zeitpunkt seiner Vernehmung die Aussagegenehmigung bereits vor.