Archiv für den Monat: September 2011

Horch, was kommt von draußen rein… Stehen auf dem Fenstersims stört Sitzung…

Ich bin dann ja doch immer wieder erstaunt, was es alles gibt. Da war eine Frau C. L. vom Gericht als Verteidigerin des Angeklagten, dem Hausfriedensbruch vorgeworfen worden ist, zunächst zugelassen. Die Zulassung wurde zurückgenommen. Frau C. L. nahm aber als Zuhörerin an der Hauptverhandlung teil. Im Protokoll heißt es zu der HV – muss schon etwas turbulenter gewesen sein :-):

Während der Zeugenvernehmung sprang ein Zuschauer aus der hintersten Reihe auf und stürmte zum Angeklagten, warf einen Zettel auf den Tisch und verließ schnellstens den Sitzungssaal.

C. L. wurde aufgefordert, den Saal zu verlassen, da sie wiederholt störend dazwischen rief. Ihr wurde Gelegenheit zur Äußerung gegeben. Sie verweigerte sich, den Saal zu verlassen und musste mit Hilfe der Justizwachtmeister aus dem Saal entfernt werden. Dabei ließ sie sich fallen.

(…)

Die Zeugenvernehmung wurde fortgesetzt.

(…)

Plötzlich war C. L. von außen auf den Fenstersims geklettert, schaute in den Sitzungssaal und schlug mehrfach mit den Händen störend gegen das Fenster.

(…)

C. L. wurde durch Justizwachtmeister vom Fenstersims entfernt.“

Das AG hat dann ein Ordnungsgeld festgesetzt, dagegen wehrt sich C. L. mit der Begründung: Da wo ich stand, war keine Sitzung mehr und daher konnte der Amtsrichter auch da nicht sitzungspolizeiliche Befugnisse ausüben. Anders das OLG Celle, Beschl. v. 21.07.2011 -2 Ws 166/11:

„Die „Sitzung“ – auf die sich die polizeilichen Befugnisse des Vorsitzenden (§ 176 GVG) zeitlich wie räumlich beschränken – erstreckt sich in örtlicher Hinsicht neben dem Sitzungssaal auch auf die unmittelbar angrenzenden Räume, von denen Störungen ausgehen können (KK-Diemer, a.a.O., § 176 GVG, Rdnr. 2). Außerhalb dieses Bereiches, z.B. im Treppenhaus, in der Eingangshalle des Gerichts oder außerhalb des Gebäudes auf der Straße obliegt die Abwehr von Störern dem Inhaber des Hausrechts. Bei Störungen der Hauptverhandlung, die lediglich in Sicht- und Hörweite des Gerichtsgebäudes stattfinden, einzugreifen ist Sache der Polizei (Löwe-Rosenberg-Wickern, StPO, 26. Aufl., 2010, § 176 GVG, Rdnr. 6).

Die Beschwerdeführerin hat sich auf dem Fenstersims stehend zwar räumlich außerhalb des Gerichtsgebäudes aufgehalten. Dabei hat sie jedoch unmittelbar in das Innere des Sitzungssaals eingewirkt. Sie war für die dortigen Beteiligten durch das Fenster optisch wie akustisch wahrnehmbar, und zwar in einer ähnlichen Art, als hätte sie sich im Sitzungssaal aufgehalten oder vor dessen Tür gestanden. Die Qualität der Einwirkungshandlung – das Schlagen mit den Händen gegen das Fenster – unterscheidet sich nicht wesentlich dadurch, ob sie von außen oder von innen vorgenommen wird. Aus diesem Grund ist die Handlung auch anders zu beurteilen, als hätte sie auf der Straße in Sicht- und Hörweite des Gerichtsgebäudes stattgefunden, aber nicht direkt in den Sitzungssaal hineingewirkt. Die Einwirkung durch die Beschwerdeführerin vom Fenstersims aus ist so eng mit dem Geschehen im Sitzungssaal verbunden, dass auch die Aufrechterhaltung der Ordnung in diesem Bereich sinnvoll nur von der Vorsitzenden wahrgenommen werden konnte. Sie ist normativ nicht anders zu beurteilen als eine Störung, die von einem unmittelbar angrenzenden Raum aus erfolgt.“

Lesetipp: Die Tötungsdelikte in der Rechtsprechung des BGH – Teil 2

Seit einigen Tagen ist StRR 09/2011 online. Für einen Monat haben wir auf der Startseite von Heymanns Strafrecht den Beitrag „Die Tötungsdelikte in der Rechtsprechung des BGH – Teil 2“ von Rechtsanwalt Dr. Lucian Krawczyk, Bielefeld (StRR 2011, 331) zum kostenlosen Download bereitgestellt.

Der Beitrag setzt StRR 08/2011, 293 fort.

Sanktionsschere

Kurz und knapp der 5. Strafsenat des BGH im BGH, Beschl. v. 29.08.2011 – 5 StR 287/11 -mal wieder zu Sanktionsschere. Die Revisionen der Angeklagten werden nach § 349 Abs. 2 StPO  verworfen. Der BGh führt in einem Zusatz aus:

Jenseits der vom Generalbundesanwalt zutreffend als unzulässig angesehenen Rüge einer Verletzung der §§ 136a und 244 Abs. 2 StPO entnimmt der Senat dem Revisionsvorbringen eine noch zulässig erhobene Beanstandung der Anwendung des § 257c StPO.
Diese greift indes in der Sache nicht durch. Das Landgericht durfte den Angeklagten vor Augen halten, dass im Verurteilungsfall nur unter der Voraussetzung eines Geständnisses der Strafrahmen des § 250 Abs. 3 StGB eröffnet sein könnte. Eine Drohung mit einer willkürlich bemessenen „Sanktionsschere“ liegt deshalb nicht vor. Zu allen darüber hinausgehenden Behauptungen unzulässigen Drucks fehlt es schon an ausreichendem Revisionsvortrag. Abgesehen davon ist insoweit ersichtlich nichts erwiesen.“

Anwaltsfreundlich, aber falsch (?)

Ich habe ja gerade unter der Überschrift „Nicht anwaltsfreundlich, aber richtig“ über den Beschl. des LG Osnabrück. v. 17.08.2011 – 18 Kls 20/10 berichtet. Um das Gleichgewicht herzustellen :-), hier dann das LG Aurich, Beschl. v. 11.08.2011 – 12 Qs 113/11, das zwar „anwaltsfreundlich“ aber leider „falsch“ ist bzw. zumindest nicht der Rechtsprechung des BGH entspricht. Das LG Aurich gewährt nämlich bei der Einstellung des Strafverfahrens und Abgabe des Verfahrens an die Verwaltungsbehörde eine Nr. 4141 VV RVG. Das sieht der BGH anders (vgl. hier), obwohl die h.M. in der Rechtsprechung die Frage – m.E. zutreffend – anders – so wie das LG Aurich – gelöst hat.

So weit, so gut: Der BGH-Beschl. hat ja keine Bindungswirkung, so dass das LG Aurich anders entscheiden konnte/durfte. Was man allerdings vermisst, sind Ausfühungen dazu, warum man anders entscheidet als der BGH. Es freut mich ja der Hinweis auf meine Kommentierung bei Nr. 4141 VV RVG im Gerold/Schmidt, nur liegt die (lange) vor der BGH-Entscheidung. So bleibt der Eindruck, dass das LG die BGH-Entscheidung schlicht übersehen hat. 😉

Also: Als Verteidiger sollte man sich über den Beschluss des LG Aurich nicht zu früh freuen.

Die Ausführungen des LG Aurich zur Grundgebühr usw. sind im Übrigen zutreffend.

(K)Ein umfassendes Handyverbot in der Hauptverhandlung?

Schon wieder Handy habe ich gedacht, als ich über Jurion auf den OLG Stuttgart, Beschl. v. 29.06.2011 – 4 Ws 136/11 – mit einem von einer Vorsitzenden einer Strafkammer für die Hauptverhandlung ausgesprochenen Handyverbot egstoßen bin, dnn aber schnell festgestellt, dass eben eine andere Frage als offenbar beim LG München eine Rolle spielt. Zu dem Beschluss des OLG Stuttgart hat ja bereits der Beck-Blog unter dem Titel: Aus der NJW: Kein Handy für den Verteidiger im Sitzungssaal gebloggt. M.E. ist die Überschrift dieses Beitrags so nicht richtig bzw. geht zu weit. Denn schon der Leitsatz 3 des Beschlusses des OLG  – hier der kostenlose Volltext – enthält m.E. eine Einschränkung:

„3. Der Vorsitzende kann eine sitzungspolizeiliche Maßnahme auch dann treffen, wenn durch sie sichergestellt werden soll, die materielle Wahrheit zu finden. Deshalb kann er den Verteidigern untersagen, ihre Mobiltelefone in den Sitzungssaal mitzunehmen, wenn andernfalls die Gefahr bestünde, dass die in Untersuchungshaft befindlichen Angeklagten auf diese unbemerkt zugreifen und sie zu unüberwachter Telekommunikation nutzen.“

Liest man den Beschlusstext, stellt man m.E. fest, dass es nicht um das grund-/einschränkungslose Verbieten des Beischführens eines Handys in der Hauptverhandlung geht, was m.E. auch so ohne weiteres wegen der vom OLG Stuutgart selbst angeführten Entscheidung des BVerfG v. 05.1.206 nicht zulässig wäre. Es heißt dort:

„….Zu Recht geht die Vorsitzende davon aus, dass die so verstandene Ordnung in der Sitzung hier tatsächlich gefährdet ist. Die Annahme einer Gefahr gründet sich dabei nicht etwa unzulässigerweise auf ein allgemeines Misstrauen gegenüber den Verteidigern (vgl. hierzu BVerfG [Nichtannahmebeschluss] vom 5. Januar 2006 – 2 BvR 2/06, zitiert nach juris). Vielmehr beruht sie auf einem sachlichen Grund: Die von der Staatsanwaltschaft Stuttgart am 17. Mai 2011 zur Akte gereichten TKÜ-Protokolle belegen, dass der Mitangeklagte am 14. März 2011 das Mobiltelefon von Rechtsanwalt, des Verteidigers des Mitangeklagten während Sitzungspausen mehrfach benutzte und es im Rahmen eines Telefonats auch dem Mitangeklagten kurzfristig überließ…

Es gab also für die Vorsitzende aus ihrer Sicht einen konkreten Grund für das „Handyverbot“. Ob dann das eingeräumte Ermessen (so das OLG) richtig ausgeübt ist, wie das OLG meint, steht auf einem anderen Blatt.  Mir leuchtet nicht ein, warum den Verteidigern die Mitnahme der Handys in den Gerichtssaal verboten wird, bei den Nebenklagevertretern und der Staatsanwaltschaft es hingegen bei der ursprünglichen Verfügung bleibt, dass diese zwar ihre Handys mitnehmen dürfen, diese aber auszuschalten sind, vgl. hier:

In Vorbereitung der Hauptverhandlung beschloss die Vorsitzende mit sitzungspolizeilicher Verfügung vom 15. Februar 2010 unter Ziffer III. 4 u.a., dass die Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft, die Verteidiger der Angeklagten und die Nebenklägervertreter ihre Mobiltelefone zwar in den Sitzungssaal mitnehmen dürften, dass diese aber auszuschalten seien.“

Reicht das nicht auch für Verteidiger weiterhin, es sei denn, man geht (doch) davon aus, dass die Verteidiger dem Angeklagten das Handy, mit dem das der neuen Verfügung zugrunde liegende Gespräch geführt worden ist, zur Verfügung gestellt oder stellt die Verteidiger inzidenter doch unter einen „Generalverdacht“. Unüberwate Gespräche kann man auch durch ausgeschaltete Handys verhindern – kennen die Angeklagten, die auf das Handy zugreifen wollen (wie eigentlich, wenn der Verteidigere bei sich trägt?) das Kennwort, um es benutzen zu können? Und: Kann der Angeklagte ggf. auf die anderen Handy nicht ebenfalls zugreifen?

Und völlig offen ist de Frage: Was ist eigentlich mit den Handys der Gerichtsmitglieder? 🙂