Archiv für den Monat: Juli 2010

Bitte „Butter bei die Fische“, oder: Du musst mir schon sagen, warum die Aufnahme pornografisch ist?

Das LG hatte den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern nach § 176 Abs. 3 Nr. 3 StGB in der bis 31. März 2004 geltenden Fassung verurteilt. Nach den landgerichtlichen Feststellungen zog der Angeklagte an einem nicht mehr zu ermittelnden Tag im Jahre 2002 die 1991 geborene Tochter Annemarie seiner Lebensgefährtin in der gemeinsamen Wohnung zu seinem Computer und „zeigte ihr pornographische Aufnahmen“. Als sie weggehen wollte, weil sie die Bilder nicht sehen wollte, „versuchte der Angeklagte, sie festzuhalten, ließ sie dann jedoch gehen, als sie sich dagegen wehrte“.

Das hat dem 3. Strafsenat des BGH nicht gereicht. Er führt in seinem Beschl. v. 22.6.2010 – 3 StR 177/10 aus:

Soweit hier von Belang, setzt der Tatbestand des § 176 Abs. 3 Nr. 3 StGB aF – ebenso wie § 176 Abs. 4 Nr. 4 StGB nF – voraus, dass der Täter durch Vorzeigen pornographischer Abbildungen oder Darstellungen auf ein Kind einwirkt. Pornographisch sind Abbildungen oder Darstellungen, die sexualbezogenes Geschehen vergröbernd und ohne Sinnzusammenhang mit anderen Lebensäußerungen zeigen (vgl. Fischer, StGB 57. Aufl. § 184 Rdn. 7). Allein die verallgemeinernde Beschreibung mit „pornographische Aufnahmen“ belegt dies nicht. Zudem verlangt ein Einwirken eine psychische Einflussnahme tiefergehender Art (vgl. BGHSt 29, 29, 30 f.; BGH NStZ 1991, 485; NJW 1976, 1984); auch hierauf kann ohne nähere Feststellungen zum Inhalt der Aufnahmen nicht geschlossen werden. „

Also: Butter bei die Fische und die „pornografischen Aufnahmen“ beschreiben. Wegen der „Einzelheiten“ kann ja gem. § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO Bezug genommen werden. Dann kan sich das Revisionsgericht die Bilder selbst ansehen. Schöne Vorstellung, wie der BGH-Senat dann in der Beratung vor einem Videorekorder oder Notebook sitzt und sich „pornografische Aufnahmen“ ansieht. Alles rein dienstlich 🙂 :-).

Haben wir das nicht alles schon mal gehört, aber: Neu ist: Der Richtervorbehalt muss bleiben

Der Kollege Vetter berichtet gerade über ein Gespräch mit dem neuen JM des Landes NRW unter dem schönen Titel „Pleiten, Pech und Pannen„. Nicht, dass es jetzt schon zu neuen „Pleiten/Pech und Pannen“ gekommen wäre. Nein, damit meint der neue JM Kutschaty (natürlich) die Amtsführung seiner Vorgängerin, die sicherlich nicht so ganz glücklich war. Interessant, was „der Neue“ so alles vor hat. Allerdings habe ich das – gefühlt – alles schon mal gelesen und gehört.

Vor allem die Passage:

Eine Beschleunigung ist immer gut, dabei dürfen aber Verfahrensrechte Betroffener nicht auf der Strecke bleiben. Ich will in erster Linie eine andere Führungskultur erreichen und damit alle Mitarbeiter motivieren. Wir sind bei der Justiz für die Bürger da, wir müssen an einem Strang ziehen. Ich will aber auch den stärkeren Einsatz von Informationstechnologie fördern. Warum ist ein Sitzungsprotokoll erst nach drei Wochen fertig? Das kann schneller gehen!“

Im Grunde ein Satz heißer Luft oder: Viel Lärm um Nichts. Der Satz „Wir sind bei der Justiz für die Bürger da, wir müssen an einem Strang ziehen“ ist in meinen Augen mehr als ausgelutscht. Zudem fragt man sich, in welche Richtung gezogen werden soll.

Und: Förderung der Informationstechnologie? Das erinnert mich an „Justiz 2000“. Das Programm hat immerhin dann 2003 neue Computer gebracht, allerdings aus einer Generation, die „leicht“ veraltet war. Und man konnte noch nicht einmal eigene CDs einlegen, mit der Folge, dass ich meine StV-CD im Dienst nicht gebrauchen konnte.

Das einzig neue Interessante in dem Interview ist der Satz: Der Richtervorbehalt muss bleiben. Da wird sich der 3. Strafsenat des OLG Hamm als Wegbereiter freuen.

Warum formulieren Gerichte so? oder: Nicht hinter allem steckt eine böse Absicht…

Die Kollegin Rueber hat vor einiger Zeit in ihrem Blog von einem Mandanten berichtet, der mit der Formulierung im freisprechenden Urteil: „Der Angeklagte musste frei gesprochen werden“ Schwierigkeiten hatte. Die Kollegin findet diese Formulierung zumindest „nicht nett“. Die dazu eingegangenen Kommentare im Blog der Kollegin, haben mich zur „Gewissenserforschung“ veranlasst, vor allem der, die Praxis der Rechtsmittelgerichte anspricht, die häufig formulieren, dass „das Rechtsmittel vorläufig Erfolg“ hat.

Zu letzterem: So habe ich auch häufiger formuliert, allerdings nur so lange bis mich ein alter = erfahrener Vorsitzender noch in der Erprobungszeit (3. Staatsexamen, da hat man so etwas besonders gerne :-)) darauf hingwiesen hat, dass die Formulierung schlicht falsch sei. Denn das Rechtsmittel habe nicht „vorläufig Erfolg“, sondern endgültig, da es zur Aufhebung des angefochtenen Urteils führe. Was aus dem Verfahren letztlich werde und wie das endgültige Ergebnis aussehe, sei keine Frage, die das Rechtsmittelgericht zu beruteilen habe. Das hatte gesessen. Ich habe die Formulierung danach tunlichst vermieden. Im Übrigen: Wenn sie verwendet wird, wird sie häufig bei Verfahrensfehlern verwendet und das Revisionsgericht will signalisieren, das der materielle Teil wohl in Ordnung ist – wenn das nicht so oder so in der „Segelanweisung“ geschrieben wird.

Zu der Formulierung: „musste frei gesprochen“ werden. In der Tat, hört sich nicht so schön an. Aber ist „war frei zu sprechen“ besser? Natürlich könnte man auch formulieren: „Der Angeklagte ist frei gesprochen worden, und zwar aus folgenden Gründen…“ Aber auch das ist nicht der Weisheit letzter Schluss. Ich tendiere auch zu „war frei zu sprechen“, kann aber auch mit „musste freigesprochen werden“ leben. Denn m.E. kann man daraus nicht den Schluss ziehen, der Richter sei seiner Verpflichtung, ggf. frei zu sprechen, nur „gezwungen“ nachgekommen. Ds soll damit – i.d.R. – Ausnahmen wird es immer geben – nicht signalisiert bzw. zum Ausdruck gebracht werden.

Alles in allem: I.d.R. sind es Nachlässigkeiten in der Formulierung, die natürlich nicht vorkommen sollten, die sich aber in der Eile des täglichen Geschäfts manchmal einschleichen. Darum: Nicht hinter allen Formulierungen steckt eine böse Absicht :-).

Justiz im 21. Jahrhundert angekommen? – Neues EU-Justizportal – eine Anlaufstelle für Rechtsinformationen

Aus der letzten DAV-Depesche 27/10 habe ich folgende Information „geklaut“:

„Die EU-Kommission will die Justiz ins 21. Jahrhundert bringen. Dafür hat sie am 16. Juli 2010 das so genannte Europäische Justizportal frei geschaltet. Die Seite soll Rechtsanwälten, Notaren, Richtern sowie Bürgern und Unternehmen die juristische Informationssuche erleichtern. In 22 EU-Sprachen stellt das Portal grundlegende Informationen über das Europarecht und die nationalen Rechtssysteme der Mitgliedstaaten bereit. Rechtsanwälte, Notare und Richter können Rechtsdatenbanken konsultieren, Kollegen über das justizielle Netz kontaktieren und Informationen zu Schulungs- und Fortbildungsangeboten abrufen. Das Portal hilft auch bei der Organisation von Videokonferenzen. Bis 2013 sollen weitere Inhalte hinzukommen. Unter anderem will EU-Justizkommissarin Reding die nationalen Register für Insolvenzen, Testamente, Grundbucheinträge und Unternehmen mit dem Portal verbinden. Dies soll insbesondere den Notaren helfen. Auch das europäische Mahnverfahren soll integriert werden. Der DAV engagiert sich für einen weiteren Ausbau der Plattform mit Inhalten für die anwaltliche Praxis.“

Schön von der EU-Kommission. Nur: Manchmal wäre man bei der deutschen Justiz froh, wenn sie schon im 20. Jahrhundert wäre. 🙂