Schlagwort-Archive: Zulässigkeit

Fall Mollath, oder: Von der Herrenstraße über den Schloßbezirk nach Straßburg

entnommen wikimedia.org Urheber Mediatus

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Über die Entscheidung des BGH im Verfahren Mollath – vgl. hier der BGH, Beschl. v. 14.10.2015 – 1 StR 56/15 – ist ja schon an verschiedenen Stellen berichtet worden; der Kollege Garcia hat in hier unter: Mollath am BGH, ja such schon „besprochen“. Ich kann/will mich daher kurz fassen und auf die vorliegende Entscheidung nur hinweisen. Dies vor allem auch deshalb, weil ich ja im August 2014 über die Einlegung der Revision durch den neuen Verteidiger berichtet hatte (s. hier: Neue Besen kehren gut – wie gut, das wird sich zeigen Herr Mollath). Das damals von mir und vielen anderen erwartete Ergebnisse liegt also nun vor: Der BGH hat den Spruch: Freispruch ist Freispruch, nicht gekippt.

Aber: Ich vermute mal, dass das dem neuen Verteidiger wahrscheinlich auch von vornherein klar war, dass das passieren würde. Es wird im Zweifel dann doch darum gehen, über die Revision zum BGH – quasi als Umweg – den Weg zum BVerfG – in den Schloßbezirk frei zu machen, um von da aus dann zum EGMR nach Straßburg zu fahren. Das Verfahren wird uns also voraussichtlich noch länger beschäftigen.

Die mit Werbung bestickte Anwaltsrobe – darf ich?

© Paty Wingrove - Fotolia.com

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Die Frage, ob ein Rechtsanwalt eine mit Werbung – für die eigene Kanzlei, ggf. aber auch für Verlage usw.?? – bestickte Robe tragen darf, hat vor einiger Zeit die Blogs ebschäftigt. Grundlage war das AGH NRW, Urt. v. 29.05.2015 – 1 AGH 16/15 -, das auf die Anfrage eines Kollegen zurückgeht, der eine mit Werbung bestickte Robe tragen wollte bzw. bei der RAK angefragt hatte, ob das zulässig sei. Die Werbung sollte so groß sein, dass sie auch aus 8 m Entfernung noch lesbar sein sollte. Die RAK hatte das verneint. Dagegen hat der Kollege dann beim AGH geklagt. Der hat dann entschieden: Er darf nicht:

„Zu Recht hat sich die Beklagte in dem angefochtenen Bescheid auf den Standpunkt gestellt, dass das Tragen einer im Schulterbereich nach dem Muster des Klägers bestickten oder bedruckten Robe mit dem aus einer Entfernung von acht Metern lesbaren Text „ppppppppp www.ppppppppp.de“ berufsrechtlich unzulässig und daher vom Kläger im Rahmen seiner Berufsausübung vor Gericht zu unterlassen ist.

Das Tragen einer solcherart gestalteten Robe vor Gericht verstößt gegen § 20 BORA. Mit seinem gegenteiligen Standpunkt verkennt der Kläger den Normzweck von § 20 BORA.

Denn der Sinn des Robetragens durch Anwälte besteht darin, dass diese im Rahmen einer gerichtlichen Verhandlung aus dem Kreis der übrigen Teilnehmer heraus-gehoben werden; ihre Stellung als unabhängiges Organ der Rechtspflege wird sichtbar gemacht (BVerfGE 28, 21 = NJW 1970, 851; Hartung/Scharmer, 5. Aufl., § 20 Rn. 16 ff; ebenso Henssler/Prütting, 4. Aufl., § 20 BORA Rn 4; Gaier/Wolf/ Göcken/Wolf, 2. Aufl., § 1 BRAO Rn. 91). Allen Beteiligten wird dadurch deutlich, dass Rechtsanwälten eine eigenständige Organstellung zukommt, die besondere Rechte und Pflichten im Verfahren und in der Verhandlung begründen (Hartung/ Scharmer a.a.O.). Nach der Rechtsprechung des BVerfG (a.a.O. S. 852) liegt darin auch ein zumindest mittelbarer Nutzen für die Rechts- und Wahrheitsfindung im Prozess; denn die Übersichtlichkeit der Situation im Verhandlungsraum wird ge-fördert und zugleich ein Beitrag zur Schaffung jener Atmosphäre der Ausge-glichenheit und Objektivität geleistet, in der allein Rechtsprechung sich in an-gemessener Form darstellen kann.

Soweit eine berufsrechtliche Pflicht zum Tragen einer Robe im Hinblick auf fehlende Üblichkeit bzw. vor Amtsgerichten in Zivilsachen nicht besteht und ein Rechtsanwalt deshalb vom Tragen einer Robe absieht, stellt sich das vom Kläger aufgeworfene Problem nicht. Will ein Rechtsanwalt die Robe vor Gericht auch dort tragen, wo eine berufsrechtliche Pflicht nicht besteht, muss ihre äußere Gestaltung dem Sinn des Robetragens entsprechen.

Aus diesem Zweck des Robetragens folgt sogleich und unmittelbar, dass die Robe des Anwalts frei zu sein hat von werbenden Zusätzen (Henssler/Prütting, 4. Aufl., § 20 BORA Rn 4; Feuerich/Weyland/Vossebürger, 8. Aufl., § 20 BORA Rn. 4; Hartung/Scharmer, 5. Aufl., § 20 Rn. 41). Da das Tragen der schwarzen Robe aus den Gründen der Rationalität, Sachlichkeit und Verallgemeinerungsfähigkeit bei der Rechtsanwendung erfolgt und in der Organstellung des Rechtsanwalts verankert ist, kommt es für den Grundsatz der Werbefreiheit auf den von der Beklagten heran-gezogenen Grundsatz der sachlichen Werbung (§ 43b BRAO i.V.m. § 6 Abs. 1 BORA) nicht an. Jede Werbung auf der vor Gericht getragenen Anwaltsrobe ist nach Sinn und Zweck des Robetragens ausgeschlossen, auch die sachliche.

Die Anbringung des aus acht Metern lesbaren Textes „pppppppp www.pppppppp.de“ auf dem Rückenbereich der Anwaltsrobe stellt einen solchen werbenden Zusatz dar. Anders als der Kläger es darstellen will, geht es nicht um seine bloße Kenntlichmachung, für die im Rahmen einer Gerichtsverhandlung schon deshalb kein Bedürfnis besteht, weil es sich um eine solche im Rückenbereich der Anwaltsrobe handelt. Da Werbung jedes Verhalten ist, das darauf angelegt ist, andere dafür zu gewinnen, die Leistung desjenigen, für den geworben wird, in Anspruch zu nehmen (so BVerfG NJW 1992, 45), versteht es sich von selbst, dass einem aus acht Metern Entfernung lesbarer Text auf dem Rücken einer Anwaltsrobe unter Nennung des Namens des sie tragenden Rechtsanwalts und seiner Internetadresse ein werbender Charakter zukommt.“

Schade, wäre sicherlich für den ein oder anderen Kollegen eine zusätzliche Einnahmequelle gewesen/geworden?

Die Feststellungsklage ohne Feststellungsinteresse

© momius - Fotolia.com

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Dann wage ich mich heute auch mal wieder ins Zivilrecht, und zwar mit einem Beitrag zur Feststellungsklage. Er betrifft das OLG Koblenz, Urt. v. 13.04.2015 – 12 U 677/12, in dem das für die Zulässigkeit der Klage erforderliche Feststellungsinteresse verneint wird:

„Die Feststellungsklage ist dann zulässig, wenn die Schadensentwicklung noch nicht vollständig abgeschlossen ist und die Klägerin ihren Anspruch ganz oder teilweise nicht beziffern kann. Dann durfte die Klägerin den gesamten Anspruch, auch den bereits bezifferbaren, mit der Fest- stellungsklage geltend machen und musste nicht den bereits bezifferbaren Anspruch mit einer Leistungsklage verfolgen. Wenn die Schadensentwicklung bei Klageerhebung abgeschlossen war, steht dem Geschädigten grundsätzlich nur die Leistungsklage zur Verfügung. Das Fest- stellungsinteresse ist gegeben, wenn die Möglichkeit besteht, dass in Zukunft noch Schäden eintreten können. Es fehlt, wenn aus Sicht des Geschädigten bei verständiger Würdigung kein Grund besteht, mit dem Eintritt eines Schadens wenigstens zu rechnen (OLG Frankfurt, Urteil vom 12.10.2011 – 12 U 98/10 -; Zöller/Greger, ZPO, 30. Aufl., § 256 Rn. 7 a).“

Und das hat das OLG verneint: Denn hier hatte der Geschädigte zwar bei einem Verkehrsunfall eine Verletzung der Halswirbelsäule erlitten, die zu einer Arbeitsunfähigkeit bis zu sechs Wochen, einer MDE von 20% für weitere zwei bis drei Monate sowie einer MDE von 10% für ein Jahr geführt hatte. Es bestanden nach Ablauf eines Jahres aber keine Beschwerden mehr, so dass es nach Auffassung des OLG keinen Grund für die Annahme gab, dass nach Ablauf des Jahres irgendwann Beeinträchtigungen des Geschädigten aufgrund der Beschleunigungsverletzung der Halswirbelsäule eintreten werden. Der Feststellungsklage des Geschädigten fehle es daher am Feststellungsinteresse. Der Geschädigte hätte Leistungsklage erheben müssen.

Pflichtverteidigerbestellung „unterlaufen“ läuft nicht

© pedrolieb -Fotolia.com

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Meine Sammlung von Entscheidungen, die eine rückwirkende Bestellung des Pflichtverteidigers als zulässig/möglich ansehen, ist gewachsen, nämlich um den LG Dessau-Roßlau, Beschl. v. 26.06.20152 – Qs 593 Js 275114 (118/15). Der macht – mal wieder – ein Ausnahme, in dem in AG – mal wieder  das Verfahren nach § 154 Ab. 2 StPO eingestellt hat, einen Beiordnungsantrag des Verteidigers – aus welchen Gründen auh immer – aber übersehen hat. Das LG ordnet dann rückwirkend bei:

„Nach Auffassung der Kammer kann die Entscheidung über die Bestellung als Pflichtverteidiger im vorliegenden Fall auch rückwirkend vorgenommen werden.

Die Kammer teilt zwar die Auffassung des Amtsgerichts, wonach grundsätzlich die rückwirkende Bestellung eines Verteidigers unzulässig und damit unwirksam ist, weil die Beiordnung eines Pflichtverteidigers grundsätzlich ausschließlich zur Wahrung der Belange des Angeklagten erfolgt. Ist das Verfahren abgeschlossen, scheidet eine dem Zweck der Pflichtverteidigung entsprechende Tätigkeit insoweit aus. Eine nachträgliche Bestellung würde somit ausschließlich dem verfahrensfremden Zweck dienen, dem Verteidiger für einen bereits abgeschlossenen Verfahrensabschnitt einen Vergütungsanspruch gegen die Staatskasse zu verschaffen, nicht jedoch eine notwendige ordnungsgemäße Verteidigung des Angeklagten zu gewährleisten (OLG Düsseldorf, StraFo, 03,94).

Von diesem Grundsatz ist jedoch nach Ansicht der Kammer jedenfalls dann abzuweichen, wenn die gerichtliche Beiordnung vor Verfahrensabschluss beantragt worden war, aber darüber, trotz des Vorliegens der Voraussetzungen der §§ 140, 141 StPO nicht entschieden wurde (LG Potsdam, StraFo 04,381; LG Hamburg, StV 00,16: 05, 207; ). In einem solchen Fall dient die Beiordnung nämlich nicht dazu, dem Verteidiger nachträglich einen Vergütungsanspruch gegen die Staatskasse zu verschaffen, vielmehr soll verhindert werden, dass sich gerichtsinterne Umstände, auf die ein Außenstehender keinen Einfluss hat, zu Lasten des Angeklagten auswirken.

Im vorliegenden Fall hat die Verteidigerin des Angeklagten bereits am 10.04.2014 für den Beschwerdeführer einen Antrag auf Beiordnung gesteilt, und Verteidigungstätigkeit vorgenommen, indem gegen den Strafbefehl Einspruch eingelegt wurde.

Mit Zustimmungserklärung zur beabsichtigten Einstellung des Verfahrens vom 06.10.2014 mahnte die Verteidigerin eine Entscheidung über den Beiordnungsantrag an. Es erfolgte anschließend jedoch lediglich die Einstellung des Verfahrens gemäß § 154 Abs. 2 StPO.

Damit liegen Umstände vor, die auch bei einer Annahme einer grundsätzlichen Unzulässigkeit einer rückwirkenden Bestellung eine solche ausnahmsweise zulässig erscheinen lassen.

Wäre in diesen Fällen eine rückwirkende Bestellung unzulässig, so könnte die erforderliche Bestellung eines Pflichtverteidigers durch Nichtbescheidung eines entsprechenden Antrags unterlaufen werden. Die Beiordnung war daher, auch wenn später das Verfahren gemäß § 154 Abs.2 StPO eingestellt wurde, geboten. Es kommt ausschließlich darauf an, ob die Voraussetzungen der Beiordnung zum Zeitpunkt der Einstellung des Verfahrens vorgelegen haben, nicht entscheidend ist, ob sie später entfallen sind. Der Verfahrensabschnitt, für den die Beiordnung beantragt wurde, war zum Zeitpunkt der Beantragung noch nicht abgeschlossen und die Beiordnung diente keinem verfahrensfremden Zweck (LG Schweinfurth, StraFo 06, 25; LG Saarbrücken, StV 05, 82; LG Berlin, StV 05, 83).“

Pflichtverteidigerbestellung „unterlaufen“ läuft also nicht.

Keine Beschwer – kein zulässiges Rechtsmittel- und was ist mit dem Fall Cleve?

© Dan Race Fotolia .com

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Die Zulässigkeit eines Rechtsmittels setzt grds. die Beschwer des Rechtsmittelführers voraus. Ist keine Beschwer gegeben, ist das Rechtsmittel unzulässig. So gerade noch einmal der BGH in Zusammenhang mit der Nichtverhängung einer Maßregel nach § 64StGB im BGH, Beschl. v. 02.06.2015 – 5 StR 206/15 (alt: 5 StR 133/14). Der Angeklagte hatte sich ausschließlich gegen die Nichtanordnung seiner Unterbringung in einer Entziehungsanstalt gewendet. Ergebnis: Rechtsmittel unzulässig:

Das Rechtsmittel ist mangels Beschwer des Angeklagten unzulässig. Der Angeklagte kann das Urteil nicht allein deswegen anfechten, weil gegen ihn neben der Strafe keine Maßregel nach § 64 StGB verhängt worden ist (vgl. BGH, Urteil vom 21. März 1979 – 2 StR 743/78, BGHSt 28, 327, 330 f.; Beschluss vom 29. August 2011 – 5 StR 329/11 mwN).

Das gilt nach der Rechtsprechung des BVerfG und des BGH auch beim Freispruch. Da könnte jetzt aber Bewegung in die Diskussion kommen durch das EGMR, Urt. v. 15.1.2015 – 48144/09 Fall Cleve (vgl. dazu auch hier), das vor allem auch im Fall Mollath von Bedeutung werden könnte (Gustl Mollath bekommt Hilfe vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte).