Schlagwort-Archive: Zeugenvernehmung

Vorsitzender: Zeuge, wie heißen Sie?; … Zeuge: Nr. 45678 – ein wenig gespenstisch….

Vorsitzender: Zeuge, wie heißen Sie?; …….. Zeuge: Nr. 45678, so oder ähnlich muss es bei der Zeugenvernehmung in einem Verfahren beim LG Berlin zugegangen sein, das im „Rocker-Milieu“ spielt und in dem den Angeklagten u.a. versuchter Totschlag vorgeworfen wurde. In dem Verfahren wurden auch Polizeibeamte aus der Spezialdienststelle des Landeskriminalamts, die offen ermittelt hatten, als Zeugen vernommen. Diesen hatte der Vorsitzende gestattet, nicht ihre Personalien anzugeben, sondern nur die Kennnummer, unter der sie beim LKA geführt wurden. U.A. dagegen hatte sich die Revision gewendet. Der BGH hat das nicht beanstandet. Dazu der BGH, Beschl. v. 26.10.2011 – 5 StR 292/11:

…Gegen die Anordnung der Vorsitzenden, sämtlichen im „Rockermilieu“ offen ermittelnden polizeilichen Zeugen aus der Spezialdienststelle des Landeskriminalamts zu gestatten, in der öffentlichen Hauptverhandlung in Anwesenheit der Angeklagten statt ihrer Personalien nur ihre polizeiliche Kennnummer anzugeben, ist rechtlich nichts zu erinnern. Dieser ersichtlich auf § 68 Abs. 3 Satz 1 StPO gestützten und nach Beanstandung gerichtlich bestätigten Anordnung (§ 238 Abs. 2 StPO) ging eine ausführlich begründete „Bitte“ des Polizeipräsidenten Berlins voraus, in der die Gefährdungslage der Beamten nachvollziehbar dargestellt wurde. Ein Verstoß gegen die – als Ordnungsvorschrift für sich gar nicht revisible – Regelung des § 68 Abs. 3 StPO lag nicht vor (vgl. hierzu BGH, Urteile vom 14. April 1970 – 5 StR 627/69, BGHSt 23, 244, und vom 10. Januar 1989 – 1 StR 669/88, BGHR StPO § 68 Satz 2 Nichtangabe 1; Rogall in SK-StPO, 48. Lfg., § 68 Rn. 52); die gerichtliche Bestätigung der Anordnung beschränkte die Verteidigung daher auch nicht etwa in einem wesentlichen Punkt (§ 338 Nr. 8 StPO). Überdies versäumt es die Revision mitzuteilen, in welcher Weise die Entscheidung nach § 68 Abs. 3 StPO konkret Einfluss auf das Urteil gehabt haben soll (vgl. BGH, Beschluss vom 11. November 2004 – 5 StR 299/03, BGHSt 49, 317, 326 ff.) oder – mit Blick auf die erhobene Aufklärungsrüge (§ 244 Abs. 2 StPO) – welche Beweisergebnisse eine Kenntnis der bürgerlichen Namen der vom Angesicht her bekannten Beamten erbracht und welche Ermittlungsschritte betreffend die Glaubwürdigkeit dieser Zeugen sie ermöglicht hätte…

Der Gang der Hautpverhandlung – warum/was ist bei Kachelmann anders?

„Gang der Hauptverhandlung, Allgemeines“ heißt in meinem „Handbuch für die strafrechtliche Hauptverhandlung“ ein Stichwort. Ich räume ein, ich habe dem bislang nicht so ganz große Bedeutung beigemessen: Das kann sich jetzt aber vielleicht ändern, wenn man sich das Verfahren Kachelmann ansieht.

Gestern die Verlesung der Anklage, die (nicht erfolgte) Einlassung des Angeklagten = Verlesung seiner Angaben beim Haftrichter, und dann der Streit über den weiteren Gang der Hauptverhandlung. Denn normal – aber was ist schon normal – wäre es, wenn sich nun die Vernehmung des potenziellen Tatopfers anschließen würde, das wäre der normale Gang. Der liegt m.E. i.d.R. auch im Interesse des Angeklagten, der einen Anspruch darauf hat, ggf. möglichst schnell frei gesprochen zu werden, wenn man dem Tatopfer nicht glaubt, aber dieser Gang liegt auch im Interesse des Tatopfers, das dann die vor ihm liegende Belastung durch die Zeugenaussage schneller hinter sich hat.

Von diesem Gang wird nun abgewichen und es werden zunächst die Vernehmungsbesamten, die das Opfer zuerst vernommen haben, gehört und der Haftrichter. Und dann – man ist erstaunt – 10 ehemalige Freundinnen von Kachelmann – so meldet es wenigstens dpa in unserer Tageszeitung (vgl. aber auch hier). Das erschließt sich mir nun wirklich nicht. Was sollen deren Angaben denn für den Vorwurf der Vergewaltigung einer anderen Frau bringen? Etwa die Überlegung, dass K. bestimmte Praktiken nicht wesensfremd sind, woraus man ggf. Rückschlüsse ziehen will? Aber die Praktiken und das, was passiert sein soll, kennt man doch noch gar nicht. Das erfährt man ggf. doch erst durch die Vernehmung des Opfers, wenn überhaupt. Das eigentliche Tatgeschehen liegt doch bis dahin im Wesentlichen im Dunkeln, es sei denn die Kammer hinterfragt schon mal das, was man in den vergangenen Monaten alles in der Presse hat lesen können. :-(. Der zuständige Staatsanwalt hat für den späten Vernehmungstermin als Begründung angeführt, dass ein Gutachter, der die Aussage des mutmaßlichen Opfers bewerten solle, bis zum 13.10.2010 verhindert sei. Ok, das kann ein Grund für die spätere Vernehmung eines Zeugen sein. Aber, tatsächlich auch hier: Denn man muss sich doch fragen, ob der Gutachter, wenn er ein vernünftiges Gutachten erstatten soll/will, dann nicht die gesamte Beweisaufnahme mit erleben muss, nicht nur die 10 ehemaligen Freundinnen, sondern vor allem auch die Vernehmung der „Erstvernehmungsbeamten“, da sich ja gerade aus deren Angaben Anhaltspunkte für die Glaub- oder Unglaubhaftigkeit des mutmaßlichen Opfers ergeben können. An deren Vernehmung nimmt der Guachter dann aber wohl nicht teil.

Alles in allem: Der „Gang der Hauptverhandlung“ ist für mich – auf der Grundlage der Informationen, die ich habe – nicht so recht nachvollziehbar. Man erkennt nicht so richtig, was dahintersteckt. Mir ist auch unverständlich, warum die Kammer die Abweichungen vom normalen Gang nicht in öffentlicher HV erörtert und erläutert. So könnte man doch dem Eindruck, der entstanden ist, man wolle erst mal durch die Vernehmung der 10 Ex-Freundinnen Stimmung machen, entgegenwirken.

Im Übrigen: Mir ist klar, dass der Vorsitzende und ggf. das Gericht (§ 238 Abs. 2 StPO) die Reihenfolge der Zeugenvernehmungen bestimmt. Es wird auch nicht ganz einfach sein, aus einer Abweichung von der „normalen Reihenfolge“ Munition für die Revision ziehen zu können. Grds. möglich ist es aber (vgl. § 338 Nr. 8 StPO).

Man darf gespannt sein, wie es weitergeht.

Zum Thema auch noch hier, hier und hier, und es gibt noch mehr. Man kann nicht alles lesen.

Man lernt nie aus…, oder Bayern ist der Zeit mal wieder voraus

Am vergangenen Wochenende habe ich in München referiert und in dem Zusammenhang auch auf die geplante Änderung zur Anwesenheitspflicht von Zeugen für Vernehmungen bei der Polizei hingewiesen.

Ein Kollege hat dann für mich Fortbildung gemacht 🙂 und mich darüber aufgeklärt, dass es das in Bayern schon länger gibt, und zwar aufgrund der Verordnung über Zuständigkeiten im Ordnungswidrigkeitenrecht (ZuVOWiG) v. 21.10.1997 . Und die wird, wie das Formblatt zeigt, umgesetzt.

Hätten Sie es gewusst? Ich nicht. Man lernt eben nie aus…

Verteidiger aufgepasst: Beschwerde während HV unzulässig….

Das OLG Naumburg weist in (s)einem Beschluss vom 29.09.2009 – 1 Ws 602/089 – (noch einmal) darauf hin, dass eine Beschwerde gegen die Ablehnung der während der laufenden Hauptverhandlung beantragten Akteneinsicht gemäß § 305 S. 1 StPO unzulässig ist , wenn – wie im entschiedenen Fall – die Akteneinsicht die Vorbereitung der Verteidigung auf die anstehende Vernehmung eines Zeugen bezweckte und damit in unmittelbarem Zusammenhang mit der durchgeführten Beweisaufnahme stand. Gleiches gilt für die Beschwerde gegen die Ablehnung der – in Verbindung mit dem Akteneinsichtsgesuch gestellten – Anträge der Verteidigung auf Unterbrechung bzw. Aussetzung der Hauptverhandlung durch das erkennende Gericht.  Der Verteidiger muss, wenn er die Frage in der Revision zur Überprüfug stellen will, in der HV noch einmal einen Antrag stellen. § 338 Abs. 1 Nr. 8 StPO verlangt einen Gerichtsbeschluss.