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„Vertraue nie deinem Verteidiger“, oder: Eigenes Verschulden

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Als zweite Entscheidung mit einer Rechtsmittelthematik weise ich auf den AG Bamberg, Beschl. v. 07.09.2017 – 23 OWi 2311 Js 9332/17 – hin, auf den ich bei Beck-online aufmerksam geworden bin. Es geht um die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung des Hauptverhandlungstermins im Bußgeldverfahren. Also eine Thematik aus § 74 OWiG. Der nicht von seiner Anwesenheitspflicht entbundene Betroffene war in der Hauptverhandlung nicht anwesend. Er hat auf die Auskunft seines Verteidigers, der Terminsverlegung beantragt hatt, vertraut. Der hatte dem Betroffenen gesagt, dass er nicht kommen müsse, der Termin werde wohl umgelegt.

„Der Wiedereinsetzungsantrag ist jedenfalls als unbegründet zu verwerfen, da die Abwesenheit des Betroffenen an der am 23.08.2017 durchgeführten Hauptverhandlung in keinem Fall als unverschuldet i.S.d. §§ 44 S. 1 StPO, 46 Abs. 1 OWiG anzusehen ist, selbst wenn das Vorbringen des Verteidigers als wahr unterstellt wird, dass er dem Betroffenen mit Blick auf den Terminabsetzungsantrag vom 17.08.2017 mitgeteilt habe, dass die Hauptverhandlung nicht stattfinden werde und er daher nicht zum Termin kommen brauche. Diese Einlassung zugrunde gelegt war der Betroffene nicht ohne Verschulden an der Teilnahme an der Hauptverhandlung vom 23.08.2017 gehindert (vgl. zum Erfordernis der unverschuldeten Verhinderung des Betroffenen an der Terminteilnahme Senge, in: Karlsruher Kommentar zum OWiG, 4. Auflage 2014, § 74 Rn. 43 und 45 unter Hinweis auf die Gesetzesgründung, wonach § 74 Abs. 4 OWiG den Betroffenen in Fällen schützen soll, in denen er – obwohl von der Pflicht zur Teilnahme an der Hauptverhandlung nach § 73 Abs. 2 OWiG entbunden – „zur Hauptverhandlung kommen will, aber durch von ihm nicht zu vertretende Umstände daran gehindert wird, ohne dass er das Gericht rechtzeitig verständigen kann, etwa wenn er in einem Verkehrsstau auf der Autobahn steckenbleibt“ (BTDrucks. 13/8655 S. 13)).

Aufgrund der dem Betroffenen am 12.08.2017 zugestellten Ladung samt Belehrung über die Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung war der Beschwerdeführer ordnungsgemäß vom Termin vom 23.08.2017 in Kenntnis gesetzt und zunächst verpflichtet, zum Termin zu erscheinen. Die Bestimmung eines Hauptverhandlungstermins ebenso wie die Entscheidung über die Verlegung und Absetzung eines Termins obliegt allein dem Gericht (vgl. nur § 213 StPO). Ein anberaumter Termin kann nicht vom Verteidiger aufgehoben werden. Dies liegt auch für einen juristischen Laien auf der Hand, zumal, wenn dieser bereits eine Terminladung vom Gericht erhalten hat. Die Entscheidung über Anberaumung, Verlegung oder Durchführung eines Hauptverhandlungstermins liegt vielmehr unabhängig von etwaigen Ratschlägen oder Ansichten des Verteidigers allein in der Verantwortlichkeit des Gerichts. Solange ein Betroffener nicht positiv weiß, ob dem Verlegungsantrag seines Verteidigers entsprochen und ein anberaumter Termin aufgehoben wird, er aber gleichwohl nicht zum Termin erscheint, trifft ihn ein Mitverschulden an der Versäumnis der Hauptverhandlung. Dies schließt eine Wiedereinsetzung aus (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 07. März 1978 – 2 Ws 28/78, Rn. 10 ff., juris; LG Köln, Beschluss vom 10. August 1981 – 107 Qs Owi 761/81 -, MDR 1982, 73; LG Berlin, Beschluss vom 12. Mai 2011 – 506 Qs 55/11 -, Rn. 10 m.w.N., juris). Dies gilt um so mehr, als vorliegend dem Betroffenen bewusst war, dass der Antrag auf Terminabsetzung relativ kurzfristig nur wenige Tage vor der Hauptverhandlung gestellt worden war. Des Weiteren lag es erkennbar im Ermessen des Amtsgerichts, dem gegenständlichen – offenkundig nicht aussichtsreichen, weil pauschal und zusammenhangslos gehaltenen – Absetzungsantrag stattzugeben oder ihn abzulehnen. Der Betroffene war demnach in jedem Fall gehalten, sich bei dem Gericht über die beantragte Absetzung des Termins zu vergewissern (so ausdrücklich Kammergericht, Beschluss vom 20. Juli 1993 – 2 Ss 80/93, 3 Ws (B) 411/93 -, beck-online = NZV 1993, 453). Auf gegenteilige Auskünfte seines Verteidigers, wie etwa über den Verlegungsantrag werde rechtzeitig entschieden werden (Kammergericht a.a.O.), der Termin sei aufgehoben (LG Köln, Beschluss vom 10. August 1981 – 107 Qs Owi 761/81 -, MDR 1982, 73) oder der Hauptverhandlungstag werde sicher nicht bestehen bleiben (OLG Hamm, Beschluss vom 6. Oktober 1978 – 2 Ws 206/78 -, JMBl NW 1979, 20 f., Orientierungssatz in juris), darf er sich nicht verlassen (zusammenfassend LG Berlin, Beschluss vom 12. Mai 2011 – 506 Qs 55/11 -, Rn. 10 m.w.N., juris; zustimmend Krenberger, jurisPR-VerkR 3/2012 Anm. 6, juris).

Dementsprechend durfte vorliegend der Betroffene, der am 12.08.2017 ordnungsgemäß zum Termin vom 23.08.2017 geladen worden war, ohne positive Kenntnis von einer Absetzung des Termins durch das Gericht nicht – gleichsam auf „Zuruf“ seines Verteidigers – davon ausgehen, der Termin werde nicht stattfinden. Unbeschadet der am 22.08.2017 erfolgten (antragsgemäßen) Entbindung von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen war der Betroffene mithin nicht ohne Verschulden daran gehindert, von seinem Recht, an der am 23.08.2017 durchgeführten Hauptverhandlung teilzunehmen, Gebrauch zu machen.“

Was lernen wir daraus? Traue nie deinem Verteidiger 🙂 .

(Un)Verständnis, oder: Wenn der „Verteidiger die Revision aufgrund mangelnder Kenntnis der Rechtsmittelfrist nicht fristgerecht eingelegt“ hat

Und als dritte BGH-Entscheidung dann der BGH, Beschl. v.30.11.2017 – 3 StR 539/17. Es geht um den verfahrensrechtlichen Dauerbrenner der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§§ 44 ff. StPO), undzwar gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der Revision.Die Angeklagte hatte gegen das das am 02.08.2017 in ihrer Anwesenheit verkündete Urteil mit einem (erst) am 18.09.2017 beim LG eingegangenen Schriftsatz ihres Verteidigers vom selben Tage Revision eingelegt. Zugleich hat sie Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der Revision beantragt. Den Antrag hat der BGH als unzulässig angesehen:

„Er ist nicht innerhalb der Wochenfrist des § 45 Abs. 1 Satz 1 StPO gestellt, da die Angeklagte nach ihrem Vortrag bereits am 4. September 2017 Kenntnis von der Fristversäumung erlangte. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wurde jedoch erst am 18. September 2017 und mithin verspätet gestellt.

Auch mit ihrem Vorbringen, der Verteidiger, Rechtsanwalt D. , sei vom 4. September 2017 bis zum 13. September 2017 nicht erreichbar gewesen und wegen der versäumten Revisionseinlegung nicht tätig geworden, dringt die Antragstellerin nicht durch. Soweit hierin ein Wie-dereinsetzungsantrag wegen Versäumung der Frist nach § 45 Abs. 1 Satz 1 StPO zu sehen ist, war die Antragstellerin nicht ohne eigenes Verschulden im Sinne des § 44 Abs. 1 StPO an einer rechtzeitigen Antragstellung gehindert. Bereits aus dem eigenen Vortrag ergibt sich, dass die Antragstellerin spätestens am 4. September 2017 Kenntnis davon erlangte, dass ihr Verteidiger die Revision aufgrund mangelnder Kenntnis der Rechtsmittelfrist nicht fristgerecht eingelegt hatte. Folglich musste die Antragstellerin ab diesem Zeitpunkt und damit bereits wesentlich vor dem Datum der Stellung des Wiedereinsetzungsantrags vom 18. September 2017 Zweifel an der Zuverlässigkeit des Verteidi-gers haben. Zur Vermeidung eines eigenen Verschuldens hätte sie einen Antrag auf Wiedereinsetzung binnen der Wochenfrist entweder selber stellen oder durch einen zuverlässigen Verteidiger einreichen lassen müssen (vgl. Senat NStZ-RR 2017, 149). Die Unkenntnis von gesetzlichen Bestimmungen – hier der Wiedereinsetzungsfrist – vermag fehlendes Verschulden ebenfalls nicht zu begründen (BGH NStZ-RR 2017, 48 mwN).

Schließlich fehlt es hinsichtlich der Gespräche mit der Kanzlei oder dem Verteidiger ab dem 4. September 2017 – und damit einem eigenen Unverschulden an der rechtzeitigen Stellung eines Wiedereinsetzungs-antrags – an der erforderlichen Glaubhaftmachung (§ 45 Abs. 2 Satz 1 StPO). Die eigene Erklärung der Angeklagten reicht hierfür nicht aus (BGHR StPO § 45 Abs. 2 Glaubhaftmachung 3; Senat NStZ-RR 2010, 378 mwN; Meyer-Goßner, aaO, § 45 Rdn. 9). Die eidesstattliche Versicherung des Ehemannes verhält sich hierzu nicht und eine Erklärung des Rechtsanwalts D. hat die Angeklagte nicht vorgelegt.“

Ich frage mich: Wie ist die auf den Verteidiger bezogene Formulierung: „ihr Verteidiger die Revision aufgrund mangelnder Kenntnis der Rechtsmittelfrist nicht fristgerecht eingelegt hatte“, zu verstehen? Hat der Verteidiger wirklich nicht gewusst, dass die Revisionsfrist nach § 341 Abs. 1 StPO eine Woche beträgt? Das wäre kaum zu glauben, oder? Aber dafür, dass der Verteidiger nicht viel Ahnung zu haben scheint, könnte sprechen, dass das Wiedereinsetzungsverfahren ja nun auch nicht profimäßig gelaufen ist.

Organisationsverschulden I, oder: Die wirksame Ausgangskontrolle fristwahrender Schriftsätze

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Im Kessel Buntes befinden sich dann heute zwei Entscheidungen des BGH aus dem Zivilbereich, und zwar zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach Versäumung der Berufungsbegründungsfrist. Zunächst stelle ich den BGH, Beschl. v. 27.06.2017 – VI ZB 32/16 – vor. Ergangen ist er in einem Verfahren, in dem wegen fehlerhafter ärztlicher Behandlung auf Ersatz materiellen und immateriellen Schadens geklagt wird. Das LG hat die Klage abgewiesen. Das Urteil ist der Klägerin am 03.03.2016 zugestellt worden. Hiergegen hat sie rechtzeitig Berufung eingelegt. Die Frist zur Begründung der Berufung ist am 04.07. 2016 abgelaufen. Mit Schriftsatz vom 04.07.2016 hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin die Berufung begründet. Der an das OLG adressierte Schriftsatz ist am selben Tag per Telefax beim LG und am 06.07.2016 beim OLG eingegangen. Nach einem Hinweis des OLG hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin mit am 13.07.2016 eingegangenem Schriftsatz Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Be-gründung der Berufung beantragt. Er hat ausgeführt, er habe die Berufungsbegründung diktiert und dabei die zutreffende Faxnummer des Oberlandesgerichts angegeben. Diese Faxnummer habe die zuständige Kanzleimitarbeiterin in den Entwurf der Berufungsbegründung übernommen. Bei der Übertragung des korrigierten Entwurfs auf den Briefbogen der Kanzlei habe die Mitarbeiterin – der allgemein erteilten Anweisung entsprechend – überprüfen wollen, ob die richtige Faxnummer angegeben sei, und habe in der Handakte geblättert. Hier sei sie auf ein Fristverlängerungsgesuch vom 26.04.2016 gestoßen, in dem eine andere Faxnummer – die des LG – enthalten gewesen sei. Sie habe daraufhin diese Faxnummer in die Berufungsbegründung übernommen. Es bestehe eine allgemeine Arbeitsanweisung in der Kanzlei, dass bei der Versendung fristwahrender Schriftsätze per Telefax ein Sendebericht zu erstellen sei und eine Überprüfung zu erfolgen habe, dass die richtige Faxnummer eingegeben und der Schriftsatz an das richtige Gericht vollständig übertragen worden sei.

Dem OLG hat das für eine Wiedereinsetzung nicht gereicht. Und dem BGH dann auch nicht. Der stellt in den Leitsätzen seiner Entscheidung fest:

  1. Der Rechtsanwalt genügt seiner Pflicht zur wirksamen Ausgangskontrolle fristwahrender Schriftsätze nur dann, wenn er seine Angestellten anweist, nach einer Übermittlung per Telefax anhand des Sendeberichts zu überprüfen, ob der Schriftsatz vollständig und an das richtige Gericht übermittelt worden ist.
  2. Die Kontrolle des Sendeberichts darf sich grundsätzlich nicht darauf be-schränken, die auf diesem ausgedruckte Faxnummer mit der zuvor aufgeschriebenen, etwa in den Schriftsatz eingefügten Faxnummer zu vergleichen. Vielmehr muss der Abgleich anhand einer zuverlässigen Quelle vorgenom-men werden, aus der die Faxnummer des Gerichts hervorgeht, für das die Sendung bestimmt ist.
  3. Der Rechtsanwalt hat seine organisatorischen Anweisungen klar und unmissverständlich zu formulieren.

Zu 3. heißt es dann im Beschluss:

„Der Rechtsanwalt hat seine organisatorischen Anweisungen klar und unmissverständlich zu formulieren, weil nur so die Wichtigkeit der ein-zuhaltenden Schritte in der gebotenen Deutlichkeit hervorgehoben wird (vgl. Senatsbeschluss vom 26. Juli 2016 – VI ZB 58/14, VersR 2017, 120 Rn. 9; BGH, Beschluss vom 24. Oktober 2013 – V ZB 154/12, NJW 2014, 1390 Rn. 15).

Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde ist die Anweisung der Prozessbevollmächtigten der Klägerin nicht „selbstverständlich so zu verstehen, dass die Überprüfung, ob die Nummer des richtigen Gerichts eingegeben wur-de, anhand einer zuverlässigen Quelle zu erfolgen“ habe. Die Anweisung lässt vielmehr offen, wie die Eingabe der „richtigen Telefax-Nummer“ und die vollständige Übermittlung an das „richtige Gericht“ zu überprüfen ist. Ausweislich des Vorbringens der Klägerin und der von ihr vorgelegten eidesstattlichen Ver-sicherung der zuständigen Kanzleimitarbeiterin hat diese die erteilte Anweisung dementsprechend auch dahingehend verstanden, dass sie die richtige Ermitt-lung der Faxnummer durch einen Vergleich mit „der aus der Handakte ersichtlichen Telefax-Nummer“ zu überprüfen habe. Eine derartige Kontrolle ist aber unzureichend. Den gebotenen Organisationsanforderungen genügt ein Abgleich der im Sendebericht angegebenen bzw. der in einen Schriftsatz übertragenen Faxnummer mit Angaben aus einem beliebigen Schreiben der Handakte nicht. Denn eine solche Handhabung führt dazu, dass durch nur geringen Mehrauf-wand vermeidbare Übertragungsfehler unentdeckt bleiben und damit die Gefahr entsteht, dass eine in der Praxis häufig auftretende Fehlerquelle nicht beherrscht wird (BGH, Beschluss vom 24. Oktober 2013 – V ZB 154/12, NJW 2014, 1390 Rn. 12).“

Das dürfte dann ein Haftpflichtfall sein/werden.

Traurig, oder: „Kleines 1 x 1“ des Wiedereinsetzungsrechts

entnommen openclipart.org

Da ist mal wieder so eine Wiedereinsetzungssache, die zeigt: Obwohl es im Grunde genommen ganz einfach ist – zumindestz sein sollte – manche Verteidiger bekommen es dann aber doch wohl nicht auf die Reihe. So jedenfalls in dem Verfahren, das mit dem BGH, Beschl. v. 13.06.2017 – 3 StR 202/17 geendet hat.

Die Revision des Angeklagten war vom LG mit der Begründung als unzulässig verworfen, die Revisionsanträge seien nicht in der durch § 345 Abs. 2 StPO vorgeschriebenen Form fristgemäß angebracht worden. Gegen diesen Beschluss hat der Angeklagte mit beim LG eingegangenem eigenhändigen Schreiben „Beschwerde“ eingelegt. Mit „für Rechtsanwältin M. “ unterzeichnetem Anwaltsschriftsatz  ist die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Begründung der Revision beantragt und zugleich mitgeteilt worden, eine Begründung des Antrags werde „kurzfristig nachgeholt“; weiter ist angegeben, es werde „beantragt werden, das Urteil im Rechtsfolgenausspruch aufzuheben“, und die Verletzung sachlichen Rechts gerügt.

Hilft alles nicht, denn:

„Der Generalbundesanwalt hat in seiner Antragsschrift ausgeführt:

„Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Begründung der Revision ist bereits deshalb unzulässig, weil es entgegen § 45 Abs. 2 Satz 1 StPO an jeglichem Vortrag zum Grund der Fristversäumnis fehlt. Außerdem ist entgegen § 45 Abs. 2 Satz 2 StPO die versäumte Prozesshandlung nicht (innerhalb der Antragsfrist) rechtswirksam nachgeholt worden, denn die Revision ist nicht formgerecht im Sinne des § 345 Abs. 2 StPO begründet worden. Der Anwaltsschriftsatz vom 24. März 2017 ist nicht von der Pflichtverteidigerin des Beschuldigten, Rechtsanwältin M. , sondern ‚für Rechtsanwältin M.‘ unterzeichnet. Der Pflichtverteidiger kann seine Befugnisse indes nicht wirksam übertragen; Anhaltspunkte dafür, dass der Unterzeichner des Schriftsatzes als allgemeiner Vertreter der Pflicht-verteidigerin gemäß § 53 Abs. 2 BRAO tätig geworden ist, sind nicht ersichtlich (vgl. BGH, Beschluss vom 21. Februar 2017 – 3 StR 554/16 mwN).

Die ‚Beschwerde‘ gegen den Beschluss des Landgerichts vom 15. März 2017 ist gemäß § 300 StPO als Antrag auf Entscheidung des Revisions-gerichts gemäß § 346 Abs. 2 Satz 1 StPO auszulegen. Der Antrag ist zu-lässig, aber unbegründet, da die Revision nicht in einer den Anforderungen gemäß § 345 StPO genügenden Weise begründet worden ist.“

M.E. „Kleines 1 x 1“ des Wiedereinsetzungsrechts. Traurig, wenn es schon daran hapert.

Zivilrecht: Der Rechtsanwalt, der Fristverlängerungsantrag und die Fristenkontrolle

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Also, ich blogge auch heute, obwohl ich mir die Frage gestellt habe, ob es eigentlich angesichts der Bilder aus Hamburg passend ist, mit irgendwelchen Entscheidungen zu kommen. Aber: Bei anderen Ereignissen, wie z.B. die Anschläge in Paris, London usw., haben ich und auch viele andere nicht inne gehalten, ja für mich ist das eine ähnliche Dimension. Also dann (leider): Weiter geht es.

Und den Auftakt macht der BGH, Beschl. v. 30.05.2017 – VI ZB 54/16 – zur Frage, ob ein Rechtsanwalt darauf vertrauen darf, dass einem ersten Antrag auf Fristverlängerung entsprochen wird, wenn eine erheblicher Grund vorliegt. Der BGH hat die Frage mit folgendem Leitsatz bejaht:

„Ein Rechtsanwalt darf regelmäßig erwarten, dass einem ersten Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist entsprochen wird, wenn er einen erheblichen Grund vorträgt. Demgemäß besteht keine Verpflichtung, sich innerhalb des Laufs der Berufungsbegründungsfrist beim Gericht zu erkundigen, ob der Verlängerungsantrag rechtzeitig eingegangen ist und ob ihm stattgegeben werde (Anschluss Senatsbeschluss vom 16. Oktober 2007 – VI ZB 65/06, VersR 2008, 234 Rn. 9 ff. mwN).

Eregbnis war hier, dass ein Wiedereinsetzungsgesuch nicht hätte zurückgewiesen werden dürfen. Allerdings: Gebracht hat es dem Rechtsanwalt nichts. Denn das Wiederesinsetzungsgesuch wäre – so der BGh – unbegründet gewesen. Dazu dann der zweite Leitsatz:

„Zu einer wirksamen Fristenkontrolle gehört die Anordnung, dass die Erledigung von fristgebundenen Sachen am Abend eines jeden Arbeitstages durch eine dazu beauftragte Bürokraft anhand des Fristenkalenders nochmals selbständig überprüft wird. Dabei ist, ggf. anhand der Akten, auch zu prüfen, ob die im Fristenkalender als erledigt gekennzeichneten Schriftsätze tatsächlichabgesandt worden sind (Anschluss Senatsbeschluss vom 15. Dezember 2015 – VI ZB 15/15, NJW 2016, 873 Rn. 8 mwN).“

Und aus reiner Vorsicht: Liebe Kollegen, die Entscheidung gilt nur für das Zivilrecht. Denn im Strafverfahren gibt es keine Verlängerung der Begründungsfristen. 🙂