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OWi II: Das bußgeldrechtliche Widerspruchsverfahren, oder: Voraussetzungen eines wirksamen Widerspruchs

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Und im zweiten Posting noch eine KG-Entscheidung, und zwar der KG, Beschl. v. 07.11.2023 – 3 ORbs 222/23 – 122 Ss 104/22 – zum Widerspruchsverfahren nach § 72 OWiG und den Voraussetzungen eines wirksamen Widerspruchs.

Da reicht aber der Leitsatz, der lautet:

  1. Der Widerspruch nach § 72 Abs. 1 Satz 1 OWiG kann bereits im Vorverfahren oder mit der Einlegung des Einspruchs erklärt werden. Mit dem Eingang der Akten beim Amtsgericht entfaltet er seine Sperrwirkung für das Beschlussverfahren.

  2. Ein auf diese Weise wirksam erklärter Widerspruch wird auch nicht dadurch unwirksam, dass das Amtsgericht im späteren Verfahren ankündigt, durch Beschluss entscheiden zu wollen, und der Betroffene dem nicht widerspricht. Vielmehr bedarf es in diesem Fall einer eindeutigen Rücknahme des zuvor erklärten Widerspruchs.

  3. Ob eine Äußerung als Widerspruch zu bewerten ist, ist unter Berücksichtigung des konkreten Falls und namentlich des wirklichen Willens des Betroffenen und der Bedeutung seiner abgegebenen Erklärungen festzustellen. (Anschluss OLG Koblenz NStZ 1991, 191)

  4. Zwar kann ein Widerspruch im Grundsatz auch durch schlüssiges Verhalten erklärt werden. Die Auffassung, dass ein – gegebenenfalls substantiiertes – Bestreiten das Beschlussverfahren schlechthin sperre und sogar einer späteren Zustimmung die Rechtswirkung nehmen könne, teilt der Senat aber nicht. (entgegen OLG Karlsruhe VRS 59, 136).

Kein Rücktritt vom „Widerspruchsverfahren“, aber: Keine Regel ohne Ausnahme

© Orlando Florin Rosu - Fotolia.com

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Mit der Zustimmung zum Widerspruchsverfahren des § 72 OWiG ist das so eine Sache. Wer sich einmal damit einverstanden erklärt hat, ist an dieses Einverständnis – i.d.R. – gebunden und kann davon später nicht wieder abrücken. Daher muss man sich die Zustimmung gut überlegen.

Aber, wie so oft: Keine Regel ohne Ausnahme. Die Bindung entfällt, wenn sich im weiteren Verfahren neue tatsächliche oder rechtliche Gesichtspunkte ergeben, deren Berücksichtigung bei der Entscheidung über den Widerspruch nicht möglich war. So das OLG Brandenburg im OLG Brandenburg, Beschl. v. 01.04.2016 – 53 Ss-OWi 16/16. Da hatte der Betroffene der Entscheidung im Beschlussweg – Absehen vom Fahrverbot gegen Erhöhung der Geldbuße auf 300 € – zugestimmt. Das AG hatte so entschieden. Der Betroffene hatte das mit der Rechtsbeschwerde beanstandet und hat Recht bekommen:

„Mit der zulässig erhobenen Rüge der Verletzung formellen Rechts macht der Betroffene zu Recht geltend, dass das Amtsgericht Zehdenick nicht (mehr) im Beschlusswege auf eine Geldbuße in Höhe von 300,- Euro hätte erkennen dürfen.

Zwar hatte der Betroffene mit Schriftsatz vom 14. April 2015 zunächst einer solchen Verfahrensweise zugestimmt und ist an diese Erklärung grundsätzlich auch gebunden.

Wie die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg in ihrer Stellungnahme vom 25. Januar 2016 zutreffend ausführt, gilt dies jedoch nur für eine unveränderte Prozesslage, nicht jedoch, wenn sich im weiteren Verfahren neue tatsächliche oder rechtliche Gesichtspunkte ergeben, deren Berücksichtigung bei einer Entscheidung nach Lage der Akten von dem Verzicht auf den Widerspruch nicht gedeckt ist (vgl. Göhler, OWiG, 16. Aufl., § 72 Rn. 43). So liegt der Fall letztlich auch hier, denn nach dem Verzicht aber noch vor der angefochtenen Entscheidung waren die das Fahrverbot gemäß § 4 Abs. 2 BKatV und die Erhöhung der Regelgeldbuße begründenden Voreintragungen des Betroffenen tilgungsreif, worauf der Betroffene mit am 02. Juli 2015 beim Amtsgericht angebrachtem Schreiben zu Recht und noch rechtzeitig hingewiesen hatte.“