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StPO II: Vollmachtsvorlage durch den Verteidiger, oder: Zustellung an den Betroffenen wirksam?

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Die zweite Entscheidung kommt dann ebenfalls vom OLG Brandenburg. Ihr liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

Gegen die Betroffene ergeht am 10.02.2021 ein Bußgeldbescheid wegen Verstoßes gegen die Wartepflicht an einem Bahnübergang als Führerin eines Kraftfahrzeuges gemäß §§ 24, 25 StVG, §§ 19 Abs. 2, 49 StVO, § 4 BKatV, Ziff. 89b2 BKat. Mit Schriftsatz vom 24.02.2021 meldet sich Rechtsanwalt K.  unter Vorlage einer Vollmachtsurkunde vom selben Tag als Verteidiger und legt gegen den Bußgeldbescheid Einspruch eingelegt.

Durch Urteil vom 04.04. 2022 wird de rEinspruch der Betroffenen nach § 74 Abs. 2 OWiG verworfen. Mit Verfügung vom 04.04.2022 wird die förmliche Zustellung des Verwerfungsurteils an die Betroffene verfügt, nicht hingegen an den bevollmächtigten Rechtsanwalt. Das Urteil wird der Betroffenen am 08.04.022 zugestellt. Mit dem bei Gericht am 14.04.2022 eingegangenen Schreiben legte die Betroffene gegen das Verwerfungsurteil „Beschwerde“ ein.

Das AG verwirft als unzulässig, da nicht fristgemäß. Gegen den dem Verteidiger 15.06.2022 förmlich und der Betroffenen formlos zugestellten Beschluss hat die Betroffene am 2106.2022 eingegangenen Schreiben „erneute Beschwerde“ eingelegt. Die ist erfolglos geblieben.

Das OLG führt im OLG Brandenburg, Beschl. v. 12.09.2022 – 1 OLG 53 Ss-OWi 399/22 – aus:

„a) Die von der Betroffenen erhobene „Beschwerde“ ist gem. § 300 StPO iVm. § 79 Abs. 3 OWiG als „Antrag auf gerichtliche Entscheidung“ gemäß § 346 Abs. 2 StPO, § 79 Abs. 3 Satz 2 OWiG als der einzig statthafte Rechtsbehelf auszulegen. Dieser ist im Übrigen form- und fristgerecht eingelegt worden.

b) In der Sache hat der Rechtsbehelf jedoch keinen Erfolg.

aa) Die Frist zur Einlegung der Rechtsbeschwerde beträgt bei einem Abwesenheitsurteil – wie im vorliegenden Fall – gemäß § 341 Abs. 1, 2 iVm. 79 Abs. 3 OWiG eine Woche ab Zustellung der Entscheidung. Dem schließt sich die Begründungsfrist des § 345 Abs. 1 StPO iVm. § 79 Abs. 3 OWiG an, die einen Monat beträgt.

Im vorliegenden Fall wurde das Urteil des Amtsgerichts Brandenburg an der Havel vom 4. April 2022 der Betroffenen am 8. April 2022 wirksam förmlich zugestellt. Die Zustellungsurkunde weist dies gem. § 1 Brb VwZG iVm. §§ 2, 3 VwZG und § 182 ZPO nach. Sie ist eine öffentliche Urkunde gem. § 415 ZPO, die volle Beweiskraft gem. § 418 ZPO entfaltet. Soweit nach § 415 Abs. 2 ZPO der Nachweis der Unrichtigkeit der durch zu Zustellungsurkunde bezeugten Tatsachen möglich ist, ist ein solcher Nachweis nicht geführt worden. Auch erfolgte die Zustellung auf Anordnung der Gerichtsvorsitzenden (§ 36 Abs. 1 S. 1 StPO iVm. § 71 OWiG). Mithin endete die Frist zur Einlegung der Rechtsbeschwerde gemäß § 43 Abs. 1, 2 StPO iVm. § 71 OWiG mit Ablauf des 15. April 2022 und die Monatsfrist zur Begründung der Rechtsbeschwerde mit Ablauf des 16. Mai 2022, da der 15. Mai 2022 auf einen Sonntag fiel.

Zwar erfolgte die Einlegung der Rechtsbeschwerde durch die Betroffene am 14. April 2022, fristgerecht, jedoch ist eine Begründung der Rechtsbeschwerde weder frist- noch formgerecht bei Gericht eingegangen. Das am 21. Juni 2022 bei Gericht eingegangene, selbst verfasste Schreiben der Betroffenen erfolgte nicht innerhalb der Begründungsfrist des § 345 Abs. 1 StPO iVm. § 79 Abs. 3 OWiG und auch nicht in der Form des § 345 Abs. 2 StPO iVm. § 79 Abs. 3 OWiG, wonach die Begründung in einer von einem Verteidiger oder einem Rechtsanwalt unterzeichneten Schrift oder zu Protokoll der Geschäftsstelle erfolgen muss. Zweck dieser Zulässigkeitsvoraussetzung für die Rechtsbeschwerde ist, dass die Anträge und die Begründung von sachkundiger Seite stammen und daher gesetzmäßig und sachgerecht sind; die Rechtsbeschwerdegerichte, mithin die Oberlandesgerichte, sollen dadurch vor Überlastung durch unsachgemäßes Vorbringen Rechtsunkundiger bewahrt werden (vgl. BVerfGE 46, 135, 152; BGHSt 25, 272, 273; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Aufl., § 345 Rdnr. 10).

bb) Die förmliche Zustellung des Verwerfungsurteils an die Betroffene ist auch wirksam. Zwar hatte der Verteidiger der Betroffenen bereits im Verwaltungsverfahren eine Vollmachtsurkunde zu den Akten gereicht, so dass er gemäß § 145a Abs. 1 StPO iVm. § 71 OWiG als ermächtigt gilt, Zustellungen im Empfang zu nehmen. Von daher wäre das Bußgeldgericht gehalten gewesen, das Urteil dem Verteidiger zuzustellen und die Betroffene davon formlos zu unterrichten (vgl. § 145a Abs. 3 Satz 1 StPO, Nr. 154 Abs. 1 RiStBV). Die Vorschrift des § 145a Abs. 1 StPO ist jedoch eine bloße Ordnungsvorschrift und begründet keine Rechtspflicht, Zustellungen für die Betroffene an deren Verteidiger zu bewirken (allgemeine Ansicht, statt vieler: vgl. KG, Beschluss vom 27. November 2020, (5) 161 Ss 155/20 (47/20), in: StraFo 2021, 69 ff.; OLG Hamm, Beschluss vom 8. Mai 2007, 4 Ws 210/07). Daher sind auch an die Betroffene vorgenommene Zustellungen wirksam und setzen Rechtsmittelfristen in Gang (vgl. BVerfG NJW 2001, 2532; BGHSt 18, 352, 354; BayObLG VRS 76, 307; OLG Düsseldorf NStZ 1989, 88; OLG Frankfurt StV 1986, 288; OLG Karlsruhe VRS 105, 348; OLG Köln VRS 101, 373; KG a.a.O.; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 61. Aufl., § 145a Rn 6). Die Rechtsbeschwerde ist daher unzulässig, weil Rechtsbeschwerdebegründung verfristet und nicht formgerecht eingelegt worden ist. Mithin hat das Amtsgericht das Rechtsmittel zu Recht nach § 346 Abs. 1 StPO iVm. § 79 Abs. 3 OWiG verworfen.

cc) Es besteht auch keine Veranlassung, der Betroffenen von Amts wegen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Zwar kann die unterlassene Zustellung der Entscheidung oder das Unterlassen einer entsprechenden Benachrichtigung von der Zustellung an den Betroffenen oder Verteidiger die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand begründen, wenn die Fristversäumung auf diesem Unterlassen beruht und nicht besondere Umstände vorliegen, die der Betroffenen Anlass geben mussten, für die Einhaltung der Frist auch selbst Sorge zu tragen (vgl. KG a.a.O.), jedoch hatte der Verteidiger spätestens mit der Zustellung des Beschlusses vom 23. Mai 2022, die 15. Juni 2022 erfolgt ist, von dem Verwerfungsurteil vom 4. April 2022 Kenntnis, was wiederum die Wiedereinsetzungsfrist des § 45 Abs. 1 StPO ausgelöst hat, innerhalb der gemäß § 45 Abs. 2 Satz StPO die versäumte Handlung in der gesetzlichen Form nachzuholen gewesen wäre, was nicht geschehen ist.“

Extra!!: Nichtvorlage der schriftlichen Vollmacht, oder: Begründete Zweifel und ausreichende Vorlagefrist?

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Und dann am Freitagnachmittag etwas außer der Reihe, also nichts zu Gebühren 🙂 , sondern Vollmachtsfrage. Behandelt wird sie in einem BVerfG-Beschluss, auf den ich gerade gestoßen bin. Kleines Schmankerl am Freitag…. 🙂

Die Entscheidung ist in einem verwaltungsrechtlichen Verfahren ergangen, hat aber m.E. darüber hinaus Bedeutung. Denn es geht mal wieder um die Vollmachtsvorlage des Rechtsanwalts.

Das VG hat eine Klage abgewiesen. Der Kläger hat danach wegen/gegen einen nicht beachteten Terminsverlegungsantrag in einer persönlich verfassten Erklärung Dienstaufsichtsbeschwerde eingelegt und darin angegeben, sein – namentlich benannter – Rechtsanwalt habe schon „Einspruch“ gegen das „Versäumnisurteil“ eingelegt. Tatsächlich beantragte dieser dann am 12.11.2020 beim OVG Magdeburg die Zulassung der Berufung. Am 20.11.2020 setzte das OVG eine Frist von einer Woche zur Vorlage einer schriftlichen Vollmacht. Am 01.12.2020 telefonierte die Geschäftsstelle mit dem Bevollmächtigten. Dabei gab dieser an, dass das Schriftstück noch auf dem Postweg zu ihm sei und er es unverzüglich weiterleiten werde. Gleiches teilte er mit Schriftsatz vom 02.12.2020 dem OVG mit. Die Vollmacht erreicht ihn schließlich am 08.12.2020 und wurde  von dem Rechtsanwalt direkt weitergeleitet. Das OVG hatte aber bereits am 03.12.2020 die Berufung wegen der fehlenden Vollmacht als unzulässig verworfen. Die Verfassungsbeschwerde war erfolgreich. Das BVerfG hat im BVerfG, Beschl. v. 18.02.2022 – 1 BvR 305/21 – den Verwerfungsbeschluss aufgehoben und die Sache zurückverwiesen.

Begründung – in Kurzform: So geht es nicht. Begründung in Langform:

„In Anwendung dieser Maßstäbe verstößt der angegriffene Beschluss gegen Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG. Ein hinreichender Anlass, den Antrag des Beschwerdeführers auf Zulassung der Berufung zu verwerfen, geht aus den Beschlussgründen nicht hervor und ist auch ansonsten nicht erkennbar. Es ist bereits nicht ersichtlich, dass hier die Zweifel an der Bevollmächtigung des auftretenden Rechtsanwalts berechtigt waren, die aber Voraussetzung dafür sind, einen Mangel der Vollmacht ausnahmsweise von Amts wegen zu berücksichtigen (aa). Jedenfalls hätte das Oberverwaltungsgericht den Antrag auf Zulassung der Berufung unter den hier gegebenen Umständen nicht aufgrund des Fehlens einer Vollmacht verwerfen dürfen (bb).

aa) Während der Mangel einer nach § 67 Abs. 4 Satz 1, Abs. 6 Satz 1 VwGO erforderlichen schriftlichen Vollmacht durch andere Beteiligte in jeder Lage geltend gemacht werden kann, hat ihn das Gericht grundsätzlich nur dann von Amts wegen zu berücksichtigen, wenn nicht ein Rechtsanwalt als Bevollmächtigter auftritt (§ 67 Abs. 6 Satz 3 und 4 VwGO). Auch wenn wie hier ein Rechtsanwalt als Bevollmächtigter auftritt, kommt aber nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts eine Prüfung von Amts wegen dann in Betracht, wenn die Art und Weise der Prozessführung beziehungsweise sonstige besondere Umstände dem Gericht dazu berechtigten Anlass geben. Dies wurde etwa bejaht, wenn der auftretende Rechtsanwalt trotz gerichtlicher Aufforderung innerhalb der gesetzten Frist nicht nur versäumt, die Vollmacht nachzureichen, sondern zudem den angeblich vertretenen Kläger nicht ordnungsgemäß bezeichnet (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. Juni 2011 – 8 A 1/10 -, juris, Rn. 16; Urteil vom 15. August 2019 – 1 A 2/19 -, juris, Rn. 16). Auch in weiteren Entscheidungen wird auf eine fehlende Nachreichung der Vollmacht abgestellt, wobei aber immer weitere Umstände angeführt sind, die jeweils gegen das Bestehen der Bevollmächtigung sprachen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 25. März 1996 – 4 A 38/95 -, juris, Rn. 8; Urteil vom 22. Januar 1985 – 9 C 105/84 -, juris, Rn. 3 und 9 ff.; vgl. zu ernsthaftem Zweifel als Voraussetzung für eine gerichtliche Prüfung und Berücksichtigung eines Mangels der Vollmacht zudem BSG, Beschluss vom 20. Januar 2016 – B 14 AS 188/15 B -, juris, Rn. 11; BGH, Urteil vom 5. April 2001 – IX ZR 309/00 -, juris, Rn. 11). Allein durch die Nichtvorlage nach Aufforderung wird hingegen das dem Rechtsanwalt als Organ der Rechtspflege ausweislich des § 67 Abs. 6 Satz 4 VwGO beigemessene besondere Vertrauen nicht erschüttert. Angesichts der ausdrücklichen gesetzlichen Möglichkeit zur Nachreichung der Vollmacht nach § 67 Abs. 6 Satz 1 VwGO stellt ein solches Verhalten – zumal zum Zeitpunkt der Erhebung des Rechtsmittels – keine besonders ungewöhnliche Prozesssituation dar. Auf die ausbleibende Nachreichung kann allenfalls nach ? Zweifel verfestigender ? mehrmaliger vergeblicher Erinnerung und Fristsetzung maßgeblich abgestellt werden (vgl. OVG der Freien Hansestadt Bremen, Beschluss vom 9. März 2021 – 1 D 343/20 -, juris, Rn. 7).

Für berechtigte Zweifel an der Bevollmächtigung bieten die vom Oberverwaltungsgericht angeführten Gründe danach, auch in ihrer Zusammenschau, keinerlei Anlass. Der Verweis darauf, dass eine Vollmacht schon in der Vorinstanz nicht vorgelegt worden sei, genügt hier schon deshalb nicht, weil in der dem Oberverwaltungsgericht vorliegenden Akte des erstinstanzlichen Verfahrens mit der durch den Beschwerdeführer persönlich eingelegten Dienstaufsichtsbeschwerde Anhaltspunkte dafür zu finden sind, dass der auftretende Rechtsanwalt jedenfalls damals bevollmächtigt war. Darüber hinaus ergibt sich hieraus unmissverständlich, dass der Beschwerdeführer gegen das erstinstanzliche Urteil vorgehen wollte und dass er dies gerade durch seinen Prozessbevollmächtigten tun wollte. Überhaupt nicht nachvollziehbar ist vor diesem Hintergrund auch, warum die Beantragung der Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist hier auf einen Abbruch des Kontakts des Bevollmächtigten zum Beschwerdeführer hindeuten sollte. Daran änderte auch nichts, wenn der Bevollmächtigte auf die gerichtliche Erinnerung an die Erfüllung der Eingangsverfügung hin, bei seiner noch am selben Tag telefonisch und am Folgetag schriftsätzlich erfolgten Ankündigung, die schriftliche Vollmacht bald zu übersenden, die Umstände für die Verspätung ? was der Beschwerdeführer bestreitet ? nicht benannt haben sollte.

bb) Selbst wenn die Verwerfung nicht bereits mangels nachvollziehbarer Zweifel an der Bevollmächtigung gegen Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG verstoßen würde, wäre eine Verwerfung aufgrund des Fehlens einer Vollmacht hier nicht mit Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG vereinbar gewesen. Hätten berechtigte Zweifel an der Bevollmächtigung bestanden, wäre dem (angeblich) Bevollmächtigten zur Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes eine angemessene Zeitspanne einzuräumen gewesen, innerhalb derer er die Vollmacht nachzureichen hat. Dem wurde die vom Oberverwaltungsgericht gesetzte Wochenfrist hier nicht gerecht. Unabhängig davon, ob eine Wochenfrist für die Nachreichung der Vollmacht nach § 67 Abs. 6 Satz 2 Halbsatz 2 VwGO grundsätzlich ausreichen könnte, widersprach eine solche Begrenzung jedenfalls vorliegend einer an der Effektivität des Rechtsschutzes orientierten Rechtsanwendung, weil keinerlei Umstände ersichtlich sind, die im konkreten Fall eine derart kurze Frist für die – gesetzlich ausdrücklich in § 67 Abs. 6 Satz 2 VwGO vorgesehene – Nachreichung erfordert haben könnte. So ist etwa ein generell für kurze Fristen streitender besonderer Eil- beziehungsweise Beschleunigungsbedarf weder durch das Oberverwaltungsgericht benannt noch in der Sache ersichtlich, zumal noch nicht einmal die Frist zur Begründung des Antrags auf Zulassung der Berufung abgelaufen war.

Der angegriffene Beschluss ist auch nicht deswegen mit dem Gebot effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG vereinbar, weil das Oberverwaltungsgericht nach Ablauf der von ihm gesetzten Wochenfrist noch eine weitere Woche bis zu seiner Entscheidung zuwartete, denn das Gericht stellt allein auf den Fristablauf ab, nicht nicht aber darauf, dass ein weiterer Zeitraum verstrichen ist.“

Kann man doch im „Vollmachtsstreit“, der ja gerade in Straf- und Bußgeldsachen immer noch häufig ist, mit argumentieren.

Mehrfache (?) Zustellung, oder: Jedes Ding hat zwei Seiten

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Ich berichte ja immer wieder auch über Entscheidungen mit einer Vollmachts- bzw. Zustellungsproblematik. Zu dem Bereich habe ich dann noch den KG, Beschl. v. 14.10.2018 – 3 Ws (B) 264/18.

Es geht um die fristgemäße Begründung einer Rechtsbeschwerde, und zwar auf der Grundlage folgenden Sachverhalts:.

„Das Amtsgericht Tiergarten hat die Betroffene durch Urteil vom 25. Juli 2018 wegen eines fahrlässigen Rotlichtverstoßes zu einer Geldbuße verurteilt und ein Fahrverbot festgesetzt. Hiergegen hat die Betroffene durch ihre Verteidigerin Rechtsbeschwerde eingelegt. Nach Abfassung der Urteilsgründe hat die Vorsitzende verfügt, dass das Urteil, da die Verteidigerin keine schriftliche Vollmacht zur Akte gereicht habe, an die Betroffene mit Zustellungsurkunde und an die Verteidigerin mit Empfangsbekenntnis zuzustellen sei. An die Betroffene ist die Zustellung am 1. September 2018 bewirkt worden. Das Empfangsbekenntnis ist am 4. September 2018 gestempelt worden. Die Rechtsbeschwerdebegründung ist am 4. Oktober 2018 beim Amtsgericht eingegangen.“

Das KG hat das Rechtmittel als unzulässig verworfen:

Denn die Rechtsbeschwerde ist nicht in der durch § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG iVm § 345 Abs. 1 StPO gebotenen Monatsfrist begründet worden. Diese begann bereits mit der an die Betroffene am 1. September 2018 bewirkten Zustellung zu laufen und endete mit Ablauf des 1. Oktober 2018.

Aus § 37 Abs. 2 StPO ergibt sich nichts anderes. Nach dieser Vorschrift richtet sich die Berechnung einer Frist zwar nach der „zuletzt bewirkten Zustellung“. Diese Rechtsfolge tritt aber nur ein, wenn die Zustellung „an mehrere Empfangsberechtigte bewirkt“ worden ist. Dies ist hier nicht der Fall, denn die Verteidigerin war nicht in diesem Sinn empfangsberechtigt, weil sich ihre Vollmacht nicht bei den Akten befand (§ 145a Abs. 1 StPO) (vgl. BGHSt 41, 303; OLG Karlsruhe NStZ-RR 1996, 237). Der gegenteiligen Ansicht des OLG Düsseldorf (nicht tragend in VRS 73, 389) folgt der Senat nicht. Sie unterstellt § 145a Abs. 1 StPO den gesetzgeberischen Zweck, „die bei Zweifelsfällen für den Angeklagten jeweils günstigste Rechtsfolge zu bewirken“. Mag dieser Gedanke auch bei der Gesetzgebung mitgewirkt haben, so war er schon nicht bestimmend, denn die Wirkung des § 145a Abs. 1 StPO tritt – selbstverständlich – auch gegen den Willen des Betroffenen ein (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO 61. Aufl., § 145a Rn. 1 mwN). § 145a StPO dient vielmehr der Vereinfachung des Zustellungswesens (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt aaO; BGHSt 41, 303: „Rechtssicherheit und –klarheit“), weshalb beispielsweise von der Vollmacht des Wahlverteidigers Zustellungen auch dann nicht ausgenommen werden können, wenn dies für den Betroffenen günstig wäre (zur „Verjährungsfalle“ vgl. OLG Dresden NStZ-RR 2005, 244; OLG Jena NJW 2001 3204; Meyer-Goßner/Schmitt aaO mwN). Die vom OLG Düsseldorf vorgenommene Ausweitung zu einer Meistbegünstigungsregel widerspricht damit sowohl dem klaren Wortlaut des Gesetzes als auch seinem Zweck. Daneben argumentiert das Gericht auch sachfremd mit dem „Zusammentreffen von Zweifeln an der Zustellungsbevollmächtigung“, die gerade nicht vorliegen, wenn die Vollmachtsurkunde nicht zu den Akten gereicht worden ist.“

Tja, jedes Ding hat eben zwei Seiten.

Gratulation zum „Triumph im Vollmachtsstreit vor dem Bundesverfassungsgericht“

Der Kollege Wings berichtet in seinem Blog „Höchststrafe“ gerade über seinen „Triumph im Vollmachtsstreit vor dem Bundesverfassungsgericht„, den er im Streit mit dem AG Gladbeck um die Art und Weise und den Umfang der Akteneinsicht erzielt hat. Er hat den von ihm „erstrittenen“ BVerfG, Beschl. v. 14.09.2011 – 2 BvR 449/11 auf seiner HP eingestellt. Von da her habe ich ihn und ihn auch – im vermuteten Einverständnis mit dem Kollegen – bei mir eingestellt (vgl. hier).

Vorab: Gratulation zum Beschluss – im Wesentlichen ein glatter Durchmarsch. Es ist schon erstaunlich, dass das BVerfG die anstehenden Fragen entschieden und sich nicht gedrückt hat. Es hätte genug Stoff gegeben, um die Kurve anders zu drehen – so z.B. bei der Frage der Zulässigkeit bzw. beim noch bestehenden Rechtsschutzbedürfnis.

Nach meiner ersten Einschätzung wird der Beschluss mit Sicherheit Bewegung in die Diskussion bei der Frage bringen: Muss der Verteidiger bei einem Akteneinsichtsantrag eine Vollmacht vorlegen oder nicht?   Ein häufiger (beliebter [?]) Kampfschauplatz bei Verwaltungsbehörden – im OWi-Verfahren – und auch bei Amtsgerichten, obwohl m.E. die Rechtsprechung der Obergerichte an der Stelle eindeutig ist und zu einem klaren „Grds. Nein“ auf die Frage führt. Leider hat das BVerfG das nicht ausdrücklich bestätigt, allerdings meine ich, dass man zwischen den Zeilen herauslesen kann, dass das BVerfG wohl dieser Auffassung sein dürfte. Denn anders sind die m.E. harschen Worte zu der Entscheidung des AG nicht zu verstehen/zu deuten.

Aber: Ausreichend für die weitere Diskussion ist m.E. schon der Satz:

Es bedarf im vorliegenden Zusammenhang keiner Klärung, ob und gege­benenfalls unter welchen Voraussetzungen ein Verteidiger einen Anspruch auf Überlassung oder Übersendung der Akten hat sowie unter welchen Vorausset­zungen von ihm die Vorlage einer Vollmachtsurkunde oder der sonstige Nachweis seiner Bevollmächtigung verlangt werden kann. Jedenfalls hat ein Verteidiger An­spruch darauf, dass über seinen Antrag auf Gewährung von Akteneinsicht und über deren Durchführung willkürfrei entschieden wird.

Und das bedeutet, wenn man dann die Entscheidung richtig einordnet, m.E.: Vorliegen müssen widerspruchsfreie, nachvollziehbare Gründe, mit denen die Versagung oder die Einschränkung der Akteneinsicht mit dem Argument: Keine Vollmacht vorgelegt“ begründet werden soll. Alles, was den Eindruck erweckt, dass man einen Verteidiger (nur) abstrafen will – den Eindruck hatte ich beim Lesen der Verfügungen des AG Gladbeck – reicht aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht aus. Darüber hinaus: Nachvollziehbare Gründe; und die wird es nur in Ausnahmefällen geben. Es ist schon deutlich, wenn das BVerfG schreibt:

„Die angegriffenen Verfügungen des Amtsgericht Gladbeck vom 25. Januar 2011, durch die Akteneinsicht nur auf der Geschäftsstelle gewährt wurde, sind un­ter keinem denkbaren Aspekt rechtlich vertretbar.“

Alles in allem: M.E. eine Entscheidung, die sich die Verwaltungsbehörden und auch die AG, die an der Stelle bislang „ein Fass aufgemacht haben“, werden hinter den berühmten Spiegel stecken müssen.