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Mehrfache (?) Zustellung, oder: Jedes Ding hat zwei Seiten

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Ich berichte ja immer wieder auch über Entscheidungen mit einer Vollmachts- bzw. Zustellungsproblematik. Zu dem Bereich habe ich dann noch den KG, Beschl. v. 14.10.2018 – 3 Ws (B) 264/18.

Es geht um die fristgemäße Begründung einer Rechtsbeschwerde, und zwar auf der Grundlage folgenden Sachverhalts:.

„Das Amtsgericht Tiergarten hat die Betroffene durch Urteil vom 25. Juli 2018 wegen eines fahrlässigen Rotlichtverstoßes zu einer Geldbuße verurteilt und ein Fahrverbot festgesetzt. Hiergegen hat die Betroffene durch ihre Verteidigerin Rechtsbeschwerde eingelegt. Nach Abfassung der Urteilsgründe hat die Vorsitzende verfügt, dass das Urteil, da die Verteidigerin keine schriftliche Vollmacht zur Akte gereicht habe, an die Betroffene mit Zustellungsurkunde und an die Verteidigerin mit Empfangsbekenntnis zuzustellen sei. An die Betroffene ist die Zustellung am 1. September 2018 bewirkt worden. Das Empfangsbekenntnis ist am 4. September 2018 gestempelt worden. Die Rechtsbeschwerdebegründung ist am 4. Oktober 2018 beim Amtsgericht eingegangen.“

Das KG hat das Rechtmittel als unzulässig verworfen:

Denn die Rechtsbeschwerde ist nicht in der durch § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG iVm § 345 Abs. 1 StPO gebotenen Monatsfrist begründet worden. Diese begann bereits mit der an die Betroffene am 1. September 2018 bewirkten Zustellung zu laufen und endete mit Ablauf des 1. Oktober 2018.

Aus § 37 Abs. 2 StPO ergibt sich nichts anderes. Nach dieser Vorschrift richtet sich die Berechnung einer Frist zwar nach der „zuletzt bewirkten Zustellung“. Diese Rechtsfolge tritt aber nur ein, wenn die Zustellung „an mehrere Empfangsberechtigte bewirkt“ worden ist. Dies ist hier nicht der Fall, denn die Verteidigerin war nicht in diesem Sinn empfangsberechtigt, weil sich ihre Vollmacht nicht bei den Akten befand (§ 145a Abs. 1 StPO) (vgl. BGHSt 41, 303; OLG Karlsruhe NStZ-RR 1996, 237). Der gegenteiligen Ansicht des OLG Düsseldorf (nicht tragend in VRS 73, 389) folgt der Senat nicht. Sie unterstellt § 145a Abs. 1 StPO den gesetzgeberischen Zweck, „die bei Zweifelsfällen für den Angeklagten jeweils günstigste Rechtsfolge zu bewirken“. Mag dieser Gedanke auch bei der Gesetzgebung mitgewirkt haben, so war er schon nicht bestimmend, denn die Wirkung des § 145a Abs. 1 StPO tritt – selbstverständlich – auch gegen den Willen des Betroffenen ein (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO 61. Aufl., § 145a Rn. 1 mwN). § 145a StPO dient vielmehr der Vereinfachung des Zustellungswesens (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt aaO; BGHSt 41, 303: „Rechtssicherheit und –klarheit“), weshalb beispielsweise von der Vollmacht des Wahlverteidigers Zustellungen auch dann nicht ausgenommen werden können, wenn dies für den Betroffenen günstig wäre (zur „Verjährungsfalle“ vgl. OLG Dresden NStZ-RR 2005, 244; OLG Jena NJW 2001 3204; Meyer-Goßner/Schmitt aaO mwN). Die vom OLG Düsseldorf vorgenommene Ausweitung zu einer Meistbegünstigungsregel widerspricht damit sowohl dem klaren Wortlaut des Gesetzes als auch seinem Zweck. Daneben argumentiert das Gericht auch sachfremd mit dem „Zusammentreffen von Zweifeln an der Zustellungsbevollmächtigung“, die gerade nicht vorliegen, wenn die Vollmachtsurkunde nicht zu den Akten gereicht worden ist.“

Tja, jedes Ding hat eben zwei Seiten.