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Verdacht auf Besitz von KiPo-Material beim Lehrer, oder: Suspendierung vom Dienst auch nach Einstellung

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Und heute dann – im Kessel Buntes – zwei verwaltungsgerichtliche Entscheidungen. Die Themen liegen etwas abseits der Themen, die ich sonst vorstelle.

Zunächst weise ich hier den VG Gelsenkirchen, Beschl. v. 19.10.2022 – 1 L 1301/22 – hin, der sich mit den Folgen für einen Lehrer bei Verdacht auf Besitz kinder- und jugendpornografischen Materials befasst. Der betroffene Lehrer ist Beamter auf Lebenszeit. Nachdem bekannt geworden war, dass gegen ihn ein Strafverfahren u.a. anderem wegen des Besitzes kinder- beziehungsweise jugendpornografischen Materials geführt und gegen Zahlung eines Geldbetrages eingestellt worden war, ist ihm von seinem Dienstherrn verboten worden, vorerst weiter zu unterrichten. Dagegen wendet sich der Lehrer mit seiner Klage und seinem Eilantrag, mit dem er u.a. geltend macht, das auf seinem Computer befindliche pornografische Material habe nicht er, sondern möglicherweise ein Familienmitglied heruntergeladen. Er selbst habe hiervon keine Kenntnisse gehabt.

Das VG hat den Antrag zurückgewiesen, und führt u.a. aus:

„Danach begegnet die Verfügung vom 20. Juni 2022 weder in formeller (aa.) noch in materieller (bb.) Hinsicht durchgreifenden Bedenken.

aa) ….

bb) Das Verbot des Führens der Dienstgeschäfte ist auch materiell rechtmäßig. Es liegen die Tatbestandsvoraussetzungen der Rechtsgrundlagen vor und es wurde eine rechtsfehlerfreie Rechtsfolge gewählt.

Nach § 39 Satz 1 BeamtStG kann aus zwingenden dienstlichen Gründen die Führung der Dienstgeschäfte verboten werden. Solche Gründe liegen hier vor.

Bei dem Begriff der zwingenden dienstlichen Gründe handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der der vollen gerichtlichen Nachprüfung unterliegt. Zwingende dienstliche Gründe sind gegeben, wenn bei einer weiteren Ausübung des Dienstes durch den Beamten auf seinem bisherigen Dienstposten der Dienstbetrieb erheblich beeinträchtigt würde oder andere gewichtige dienstliche Nachteile ernsthaft zu besorgen wären. Die zu befürchtenden Nachteile müssen so gewichtig sein, dass dem Dienstherrn die Führung der Dienstgeschäfte durch den Beamten bis zur abschließenden Klärung und Entscheidung nicht zugemutet werden kann.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 19. November 1998 – 1 WB 36.98 -, juris, Rn. 5; OVG NRW, Beschlüsse vom 25. März 2021 – 6 B 2055/20 -, juris, Rn. 19, vom 30. Juli 2015 – 6 A 1454/13 -, juris Rn. 7 ff., und vom 17. Juni 2013 – 6 A 2586/12 -, juris, Rn. 11 ff.

Das Verbot der Führung der Dienstgeschäfte gemäß § 39 Satz 1 BeamtStG dient der dienstrechtlichen Gefahrenabwehr und trägt nur vorläufigen Charakter. Mit dem Verbot sollen durch eine rasche Entscheidung des Dienstherrn gravierende Nachteile durch die aktuelle Dienstausübung des Beamten für den Dienstherrn vermieden werden. Maßgebend ist die Prognose, dass die Aufgabenerfüllung der Verwaltung durch die vorerst weitere Amtsführung des Beamten objektiv gefährdet ist. Demnach ist nicht erforderlich, dass bereits Klarheit über den Grund der Beeinträchtigung der dienstlichen Belange oder die weitere Verwendung und Behandlung des Beamten besteht, sondern es genügt insoweit der auf hinreichenden Anhaltspunkten beruhende Verdacht einer Gefahrenlage.

Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 25. März 2021 – 6 B 2055/20 -, juris, Rn. 20, vom 30. Juli 2015 – 6 A 1454/13 -, juris, Rn. 13 ff., und vom 17. Juni 2013 – 6 A 2586/12 -, juris, Rn. 13.

Die endgültige Aufklärung des gesamten Sachverhaltes ist folglich den in § 39 Satz 2 BeamtStG aufgeführten weiteren Verfahren vorbehalten. Gerade deshalb ist für das Verbot der Führung der Dienstgeschäfte weder eine erschöpfende Aufklärung bzw. ein „Beweis“ erforderlich, noch dass Beeinträchtigungen des Dienstbetriebs bereits eingetreten sind oder das Verhalten des Beamten sich letztlich als strafrechtlich relevant erweist.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 29. April 2004 – 2 C 21.03 -, juris, Rn. 10; OVG NRW, Beschlüsse vom 30. Juli 2015 – 6 A 1454/13 -, juris, Rn. 13 ff., und vom 17. Juni 2013 – 6 A 2586/12 -, juris, Rn. 13; VG Minden, Beschluss vom 29. Januar 2018 – 4 L 1288/18 -, juris, Rn. 9.

Auf dieser Grundlage sind zwingende dienstliche Gründe für das hier ausgesprochene Verbot der Führung der Dienstgeschäfte zu bejahen. Die hierfür erforderliche, dem Antragsgegner unzumutbare Gefahrenlage für den Dienstbetrieb ergibt sich aus der Art der vorgeworfenen Straftaten im Bereich des Sexualstrafrechts im Kontext des Besitzes kinder- bzw. jugendpornographischer Erzeugnisse, mit der die Ausübung des Lehrberufs in keiner Weise vereinbar ist. Denn würde der Antragsgegner den Antragsteller trotz dieses Verdachts weiter als Lehrer einsetzen, könnte in der Öffentlichkeit nicht nur der Eindruck entstehen, dass der Antragsgegner etwaig begangene Rechtsbrüche dulde, sondern auch der erforderliche ungestörte Lehrbetrieb würde aller Wahrscheinlichkeit nach nicht nur in geringem Maße gestört werden, insbesondere da zahlreiche Eltern nicht bereit wären, ihre Kinder Lehrern anzuvertrauen, gegen die der Verdacht von Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung gerade von Kindern und Jugendlichen im Raum steht. Ein solcher Umstand ist mit der Wahrung des Ansehens der Lehrerschaft nicht vereinbar.

Vgl. zu einem vergleichbaren Fall OVG NRW, Beschluss vom 30. Oktober 2001 – 6 B 1335/01 -, juris, Rn. 12.

Dabei durfte der Antragsgegner auch von einem hinreichenden Verdacht von den benannten Straftaten ausgehen. Soweit der Antragsteller vorträgt, der ihm gemachte Schuldvorwurf sei unzutreffend, dringt er damit nicht durch. Denn das Institut des Verbots des Führens der Dienstgeschäfte ist nach besagtem Maßstab eine Form der Gefahrenabwehr und dient ausschließlich dem Zweck, Gefahren für den Dienstbetrieb abzuwenden. Gerade deshalb muss im Falle des Verdachts einer Straftat der Tatvorwurf nicht bewiesen oder ausermittelt sein, weil aus benannten Gründen auch der Verdacht alleine eine hinreichende Gefahr für den Dienstbetrieb darzustellen vermag. Im Übrigen ist es vornehmlich die Aufgabe des Verbots der Ausübung der Dienstgeschäfte, die Möglichkeit zu eröffnen, den Sachverhalt umfassend aufzuklären und im Rahmen dessen auch etwaige Unstimmigkeiten aufzulösen.

Dabei liegen auch genügend Verdachtsmomente dafür vor, dass der Antragsteller die Straftaten begangen hat. Dies zeigt sich bereits an der Eröffnung des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens der Staatsanwaltschaft F. (Az. ).

Vgl. zu diesem Argument VG Düsseldorf, Beschluss vom 18. Mai 2016 – 13 L 832/16 -, juris, Rn. 46.

Dass das Verfahren gegen Auflage (Zahlung von 8.000,- Euro) gemäß § 153a Abs. 1 der Strafprozessordnung (StPO) eingestellt worden ist, ändert daran nichts. Nicht nur, dass eine solche Verfahrenseinstellung jedenfalls nach der gesetzlichen Regelung ohnehin nur in Betracht kommt, wenn von der Schuld des Angeklagten auszugehen ist (vgl. § 153a Abs. 1 Satz 1 StPO: „…die Schwere der Schuld nicht entgegensteht“), wurde durch den Abschluss des Strafverfahrens in keiner Weise ersichtlich, dass der Antragsteller die Straftaten nicht begangen hat. Auch der – soweit ersichtlich erstmals im hiesigen Gerichtsverfahren erfolgte – Vortrag des Antragstellers, er habe von den kinder- bzw. jugendpornographischen Erzeugnissen keine Kenntnis gehabt, aber sein Vater habe seinen Computer nutzen können, ändert freilich nichts daran, dass der Verdacht gegen ihn weiter bestehen bleibt, zumal der Antragsteller insoweit lediglich eine theoretische Möglichkeit, aber keinen eindeutigen Entlastungsumstand vorträgt, der die Vorwürfe gegen ihn ohne nähere Prüfung als haltlos erscheinen lässt.

Auch im Hinblick auf die getroffene Rechtsfolge vermag das Gericht keine Rechtsfehler zu erkennen. Auf der Rechtsfolgenseite räumt die Vorschrift des § 39 Satz 1 BeamtStG der Behörde Ermessen („kann“) ein, das gemäß § 114 Satz 1 VwGO gerichtlich nur eingeschränkt, namentlich auf die Überschreitung gesetzlicher Ermessensgrenzen sowie auf die Beachtung des Zwecks der Ermessensnorm, überprüfbar ist.

Allerdings wird, sofern – wie hier – die Tatbestandsvoraussetzungen der zwingenden dienstlichen Gründe für das Verbot der Führung der Dienstgeschäfte erfüllt sind, Ermessen in aller Regel nicht mehr hinsichtlich der Anordnung der Maßnahme als solcher, sondern im Wesentlichen nur noch dahin eröffnet sein, ob es eine andere Möglichkeit gibt, den betreffenden Beamten amtsangemessen zu beschäftigen, gegebenenfalls auch zu Dauer und Umfang des Verbots.

Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 16. Mai 2017 – 6 B 265/17 -, juris, Rn. 7, und vom 17. Juni 2013 – 6 A 2586/12 -, juris, Rn. 14; VG Düsseldorf, Beschluss vom 3. Januar 2018 – 2 L 3301/17 -, juris, Rn. 14.

Demnach sind keine Ermessensfehler ersichtlich. Unter Verweis auf die bereits im Zusammenhang mit der Unbeachtlichkeit der unterlassenen Anhörung erfolgten Ausführungen sind hinreichende Alternativen zu der konkret ausgestalteten Maßnahme vorliegend nicht ersichtlich. Von daher liegt auch keine Ermessensüberschreitung vor, weil der Antragsgegner die gesetzliche Grenze des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes missachtet hätte. Gegenstand dieser Prüfung ist, ob sich das Verbot mit dem damit verbundenen Eingriff in das Recht des Beamten auf amtsangemessene Beschäftigung im Verhältnis zum erstrebten Zweck, nämlich der Abwehr von Gefahren für den Dienstbetrieb, als angemessen erweist.

Vgl. VG Düsseldorf, Urteil vom 19. Dezember 2014- 2 K 6786/14 -, juris, Rn. 32.

Die Verbotsverfügung erweist sich nicht als unverhältnismäßig. ….“

 

Corona II: Impfung von Rechtsanwälten in NRW?, oder: Nein, nur die „Justiz“ – aber: So nicht, meint das VG

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Die zweite Entscheidung ist dann eine verwaltungsrechtliche. Es handelt sich um den VG Gelsenkirchen, Beschl. v. 21.05.2021 – 2 L 664/21. Gegenstand der Entscheidung: Impfen/Impriorisierung der „Justiz“ (in NRW).

Ergangen ist der Beschluss in einem einstweiliegn Anordnungsverfahren. Der Antragsteller ist Rechtsanwalt und gehört damit zur Gruppe der Personen mit Priorität 3 (§ 4 CoronaImpfV NRW). Er hat bei der Stadt Bochum beantragt, als Angehöriger der Impfgruppe 3 einen Termin im regionalen Impfzentrum zu bekommen. Die Stadt hat das abgelehnt. Zur Begründung verweist sie auf eine Weisung des Gesundheitsministeriums NRW vom 05.05.2021, wonach derzeit eine Impfung von Beschäftigten in den Servicebereichen der Gerichte und Justizbehörden, Richtern und Staatsanwälten, aber keinen Rechtsanwälten durchgeführt werde. Es wird zwar zugestanden, dass Rechtsanwälte, wie auch Justizangestellte häufige Kontakte zu anderen Menschen haben; bei Rechtsanwälten wird aber angenommen, dass Mandantengespräche auch mittels Telefonat oder Video durchgeführt werden können.

Dagegen die einstweilige Anordnung, die teilweise Erfolg hat. Dem VG gefällt die Begründung der Stadt Bochum nicht. Das muss – so das VG – den Antragsteller neu bescheiden:

„Aufgrund der — wie allgemein bekannt — nur begrenzt zur Verfügung stehenden Impf-stoffe, obliegt es der Antragsgegnerin daher, die Impfdosen anhand sachgerechter Kriterien unter den jeweiligen Anspruchsberechtigten zu verteilen. Die Antragsgegnerin hat dem Antragsteller mit E-Mail vom 7. Mai 2021 mitgeteilt, dass sie mit Impfungen von Personen der Priorität 3 (Anspruchsberechtigte nach § 4 CoronalmpfV) begonnen hat. Der Antragsteller unterfällt auch nach Auffassung der Antragsgegnerin aufgrund seiner Tätigkeit als Rechtsanwalt der Gruppe der Anspruchsberechtigten nach § 4 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b CoronalmpfV.

Nach § 1 Abs. 2 Satz 2 CoronalmpfV können innerhalb einer Gruppe von Anspruchsberechtigten auf Grundlage der jeweils vorliegenden infektiologischen Er-kenntnisse, der jeweils aktuellen Empfehlung der Ständigen Impfkommission beim Robert Koch-Institut und der epidemiologischen Situation vor Ort bestimmte Anspruchsberechtigte vorrangig berücksichtigt werden. Sofern eine solche Priorisierung innerhalb der einzelnen Gruppen nach der Coronavirus-Impfverordnung vorgenommen wird, ist aufgrund der begrenzt zur Verfügung stehenden Impfstoffe wiederum eine willkürfreie, an sachlichen Kriterien orientierte Auswahlentscheidung zu verlangen. Die Antragsgegnerin nimmt zur Begründung der von ihr praktizierten Impfreihenfolge Bezug auf die Weisung des Ministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen (MAGS NRW) im Erlass vom 5. Mai 2021, der derzeit eine Impfung unter anderem von Beschäftigten in den Servicebereichen der Gerichte und Justizbehörden, Richterinnen und Richtern sowie Staatsanwältinnen und Staatsanwälte, nicht aber von Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten vorsieht. Zur Begründung dieser Differenzierung führt sie aus, Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte hätten — ebenso wie die genannten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Justiz — berufsbedingt zahlreiche Kontakte zu anderen Menschen. Bei typisierender Betrachtungsweise sei jedoch davon auszugehen, dass die Justizbeschäftigten zur Erfüllung der ihnen gesetzlich obliegenden Aufgaben tendenziell häufiger Kontakte zu anderen Menschen hätten, während Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte tendenziell häufiger Mandantengespräche auch mittels Telefonat oder Video-Telefonie führen könnten.

Diese Priorisierungsentscheidung ist auch unter Berücksichtigung des eingeschränkten gerichtlichen Prüfungsmaßstabes des § 114 Satz 1 VwGO zu beanstanden. Das Gericht prüft ausschließlich, ob die Behörde in der Erkenntnis des ihr eingeräumten Ermessens alle die den Rechtsstreit kennzeichnenden Belange in ihre Erwägung eingestellt hat, dabei von richtigen und vollständigen Tatsachen ausgegangen ist, die Gewichtung dieser Belange der Sache angemessen erfolgt ist und das Abwägungs-ergebnis vertretbar ist, insbesondere nicht gegen höherrangiges Recht verstößt. Dabei sind Ermessenserwägungen bis zur letzten Verwaltungsentscheidung zu berücksichtigen, die im verwaltungsgerichtlichen Verfahren noch ergänzt werden können (§ 114 Satz 2 VwGO).

Die getroffene Priorisierungsentscheidung entbehrt einer nachvollziehbaren, auf tragfähige Tatsachen gestützten Begründung. Die Entscheidung beruht wesentlich auf der Annahme, Richter, Staatsanwälte und Beschäftigte in den Serviceeinheiten der Gerichte hätten typischerweise mehr berufliche Kontakte zu anderen Menschen als Rechtsanwälte und seien deshalb einem höheren Risiko ausgesetzt, sich mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 zu infizieren. Die Antragsgegnerin hat diese Einschätzung nicht durch belastbare Quellen belegt. Dies wäre jedoch erforderlich gewesen, weil die Richtigkeit der Einschätzung nicht ohne weiteres auf der Hand liegt. Im Gegenteil spricht nach den Erfahrungen der Kammer mit dem beruflichen Alltag von Richtern, Staatsanwälten, Mitarbeitern der Geschäftsstellen der Gerichte und Rechtsanwälten bei summarischer Prüfung Überwiegendes dafür, dass Rechtsanwälte nicht weniger berufliche Kontakte zu anderen Menschen haben als Angehörige der anderen genannten Berufsgruppen.

Richter nehmen meist nur an einem oder zwei Tagen der Woche an Gerichtsverhandlungen teil, verhandeln an diesen Tagen jedoch häufig in demselben Sitzungssaal eine Vielzahl von Fällen mit unterschiedlichen Beteiligten. Rechtsanwälte haben demgegenüber an bis zu fünf Tagen pro Woche Termine bei unterschiedlichen Ge-richten und bei unterschiedlichen Spruchkörpern desselben Gerichts wahrzunehmen. Dass diese Unterschiede in der Teilnahme an Gerichtsterminen zur Folge haben, dass Richter während ihrer Sitzungstätigkeit eine größere Zahl verschiedener Menschen treffen als Rechtsanwälte, kann die Kammer nicht feststellen. Hinzu kommt, dass Rechtsanwälte während der Sitzungen einem größeren Infektionsrisiko ausgesetzt sind, weil sie deshalb in unmittelbarer Nähe häufig wechselnder Personen sitzen, weil sie in den unterschiedlichen Terminen unterschiedliche Mandanten vertreten. Die Besetzung der Richterbank bleibt demgegenüber während eines Sitzungstags meist unverändert. Innerhalb des Sitzungssaals sind die Plätze der Richter zudem meist relativ weit von denen der Beteiligten entfernt.

Während der beruflichen Tätigkeit, die sich außerhalb von Gerichtssälen abspielt, begegnen Richter ebenfalls nicht typischerweise einer größeren Anzahl von Personen als Rechtsanwälte. Im Gegenteil dürften Rechtsanwälte mehr unvermeidliche persönliche Kontakte haben als Richter und deshalb einem größeren Infektionsrisiko ausgesetzt sein. Denn Richter können nach den Erfahrungen der Kammer im beruflichen Alltag persönliche Begegnungen fast immer dadurch vermeiden, dass sie per Telefon oder E-Mail kommunizieren. Auch Kammerberatungen und Absprachen mit den Mitarbeitern der Geschäftsstelle, der Gerichtsverwaltung usw. sind nahezu ausnahmslos auf diesem Weg möglich. Zudem beschränken sich diese Kontakte auf einen vergleichsweise kleinen und im Wesentlichen gleichbleibenden Personenkreis. Die Antragsgegnerin weist zutreffend darauf hin, dass auch Rechtsanwälte viele Besprechungen mit Mandanten, anderen Rechtsanwälten usw. telefonisch oder per Videokonferenz abwickeln oder durch andere elektronische Korrespondenz (z. B. E-Mails) ersetzen können. Der Anteil der Gespräche, die persönlich geführt werden müssen, dürfte aber höher sein als bei Richtern. Während die für eine elektronische Kommunikation der Justizangehörigen untereinander erforderlichen technischen Voraussetzungen vorliegen, verfügt ein nicht unerheblicher Teil der Bevölkerung und damit der Mandantschaft der Rechtsanwälte — wie die Erfahrungen mit dem Distanzunterricht in den Schulen eindrucksvoll gezeigt haben — nicht über die mediale Aus-tattung und die technischen Kenntnisse, die für eine problemlose elektronische Kommunikation unabdingbar sind. Zudem ist es keineswegs ungewöhnlich, dass Rechtsanwälte Gespräche mit Mandanten führen müssen, die an einer uneingeschränkten elektronischen Kommunikation gehindert sind, weil sie sich z. B. in Justizvollzuganstalten oder therapeutischen Einrichtungen befinden.

Ähnlich stellen sich Vergleiche des beruflichen Alltags von Staatsanwälten und Rechtsanwälten sowie von Mitarbeitern der Geschäftsstellen der Gerichte und Rechtsanwälten dar.

Die aufgezeigten Mängel der Priorisierungsentscheidung führen jedoch nicht dazu, dass der Antragsteller einen Anspruch hat, unverzüglich eine Schutzimpfung gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 mit einem mRNA-Impfstoff zu erhalten. Denn es er-scheint nicht von vornherein ausgeschlossen, dass eine Priorisierung von Richtern, Staatsanwälten und Mitarbeitern der Geschäftsstellen der Gerichte gegenüber Rechtsanwälten aus sachlichen Gründen gerechtfertigt sein könnte. Es ist jedoch nicht die Aufgabe des Gerichts, sachliche Gründe zur Rechtfertigung für eine Un-gleichbehandlung durch die Antragsgegnerin zu finden, wenn diese die Gründe nicht zum Gegenstand ihrer Entscheidungen macht.

Vgl. bereits OVG NRW, Beschluss vom 22. Januar 2021 -13 B 58/21 -, juris Rn. 14.

 

Ebenso wenig erscheint ausgeschlossen, dass der Antragsgegner sein Ermessen fehlerfrei dahingehend ausüben kann, Richter, Staatsanwälte, Mitarbeiter der Geschäftsstellen der Gerichte und Rechtsanwälte hinsichtlich der Priorisierung gleich zu behandeln, der Antragsteller aber dennoch derzeit noch keinen Impftermin erhalten könnte. Dies wäre insbesondere denkbar, wenn der Antragsgegner das ihm zu-stehende Ermessen dahingehend ausüben würde, noch nicht sämtlichen Angehörigen der genannten Berufsgruppen ein Impfangebot zu machen, sondern nur solchen, bei denen aufgrund ihres Alters, ihrer konkreten Tätigkeit oder ihrer Vorerkrankungen eine erhöhte Gefahr für einen schweren Verlauf einer COVID-19-Erkrankung besteht.2

Na, da wird sich Herr Laumann etwas Neues einfallen lassen müssen.

Fahrtenbuchauflage, oder: Die Probefahrt des unbekannten Käufers

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In der zweiten verwaltungsrechtlichen Entscheidung, dem VG Gelsenkirchen, Beschl. v. 04.01.2021 – 14 L 1707/20 – geht es mal wieder um eine Fahrtenbuchanordnung. Ergangen ist der Beschluss im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO.

Mit einem auf den Antragsteller als Halter zugelassenen Fahrzeug ist am 26.06.2020 auf einer Probefahrt einer potentiellen Käufers eine Geschwindigkeitsüberschreitung begangen worden.  Die Verwaltungsbehörde hat, das sie den Fahrer nicht ermitteln konnte, die Führung eine Fahrtenbuchs (§ 31a StVZO) angeordnet. Dagegen Widerspruch und der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO, mit dem u.a. geltend gemacht wird, die Verwaltungsbehörde sei ihrer Ermittlungspflicht nicht ausreichend nachgekommen.

Das VG lehnt den Antrag ab:

„Der Antragsteller hat – nach vorangeganger Akteneinsicht – mit Schreiben vom 28. August 2020 mitgeteilt, dass er zum Tatzeitpunkt nicht gefahren sei. Den Fahrer könne er nicht benennen. Er habe zum Tatzeitpunkt die Absicht gehabt, sein Motorrad zu verkaufen, weshalb mehrere Personen Probefahrten von längerer Dauer gemacht hätten. Allerdings habe er sich die Namen nicht dauerhaft gemerkt oder notiert. Auch sei das Lichtbild nicht deutlich, weshalb eine Identifizierung nicht möglich sei. Hierzu hat der Antragsteller – wenn auch unsubstantiiert – im vorliegenden Verfahren weiter ausgeführt, dass er sich von den Kaufinteressenten zur Sicherheit den Personalausweis vor jeder Probefahrt habe geben lassen. Auch habe er keine Veranlassung gehabt, die persönlichen Daten zu notieren, insbesondere habe er nicht davon ausgehen müssen, dass ein Interessent eine Geschwindigkeitsübertretung begehen werde.

Die Unmöglichkeit der Feststellung des Fahrers im Tatzeitpunkt beruht in Ansehung dieses Vortrags nicht auf einem Ermittlungsdefizit der Behörde. Es hätte dem Antragsteller oblegen, einen höheren Sorgfaltsmaßstab an die Dokumentation der mit dem auf ihn als Halter zugelassenen Fahrzeug durchgeführten Fahrten obwalten zu lassen.
Vgl. Urteil der Kammer vom 9. April 2019 – 14 K 9805/17 -.

Die von der Rechtsprechung aufgestellte zweiwöchige Regelfrist für Anhörungen in Verkehrsordnungswidrigkeitssachen gilt erkennbar in typischen Fällen, in denen Private, die ihr Fahrzeug gelegentlich an ihnen bekannte Fahrer weitergeben, nach zwei Wochen gewöhnlich noch über eine gute Erinnerung darüber verfügen, wer zum benannten Tatzeitpunkt gefahren ist. In einem atypischen Fall wie der Überlassung an völlig unbekannte Dritte zum – unbegleiteten – Probefahren darf von einem Fahrzeughalter davon abweichend ohne weiteres bereits im eigenen Interesse erwartet werden, dass er, wie beispielsweise ein Kaufmann,
vgl. zur Dokumentationsobliegenheit von Kaufleuten in st. Rechtsprechung z.C. . VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 12. März 2014, -14 L 340/14-, vom 18. Februar 2015 -14 L 213/15-, OVG NRW, Urteile vom 31. März 1995 –25 A 2798/93, NJW 1995, 3335, vom 29. April 1999 –8 A 699/97-, NJW 1999, 3279, Beschlüsse vom 29. Juni 2006 -8 C. 910/06-, juris, vom 15. März 2007, -8 C. 2746/06-, juris, vom 13. November 2013, –8 A 632/13-, juris, vom 23. Mai 2014, -8 C. 340/14-, OVG Bremen, Beschluss vom 12. Januar 2006, – 1 a 236/05-, juris, OVG M.-V., Beschluss vom 26. Mai 2008 –1 L 103/08-, juris, Bay- VGH Beschlüsse vom 29. April 2008, –11 CS 07.3429-, juris, vom 1. Juli 2009 –11 CS 09.1177-, juris, OVG Schl.-Holst., Beschluss vom 26. März 2012 -3 LA 21/12-, juris,

die getätigten Fahrten dokumentiert, um sich bei Verkehrsverstößen oder Schäden an Rechtsgütern Dritter exkulpieren und Anhaltspunkte zum Täter liefern zu können. Es fällt vorliegend auch in die Sphäre des Fahrzeughalters, organisatorische Vorkehrungen dafür zu treffen, dass im Falle einer Verkehrszuwiderhandlung ohne Rücksicht auf die Erinnerung Einzelner festgestellt werden kann, welche Person zu einem bestimmten Zeitpunkt das Privatfahrzeug benutzt hat, wenn er dies – wie von ihm selbst vorgetragen – an ihm unbekannte Dritte zum unbegleiteten Fahren herausgibt.

Die Notwendigkeit einer Dokumentation entsteht im Vergleich zur Gruppe der Kaufleute sogar in noch verstärktem Maße, als auch jene zwar eine mitunter größere Anzahl an Mitarbeitern mit ihren Fahrzeugen fahren lassen, diese ihnen aber jedenfalls sämtlich bekannt sind und ein Lichtbildabgleich daher regelmäßig zum Erfolg führen wird. Demgegenüber hat der Antragsteller seinem Vortrag zu Folge ihm völlig unbekannten Personen sein Fahrzeug für unbegleitete Fahrten überlassen.

Im Übrigen erscheint es unplausibel, dass der Antragsteller keine Dokumentation zu den Kaufinteressenten angefertigt haben will, denn es entspricht allgemeiner Lebenserfahrung, dass die Verfolgung von Straßenverkehrsordnungswidrigkeiten, -straftaten und zivilrechtlichen Ansprüchen Dritter im Zusammenhang mit Rechtsgutsverletzungen im Straßenverkehr oft erst deutlich später eingeleitet wird bzw. der Halter erst später von etwaigen Maßnahmen Kenntnis erlangt. Schon aus diesem Grunde hätte es dem Antragsteller in seinem ureigenen Interesse oblegen, Aufzeichnungen anzufertigen.

Soweit der Antragsteller noch vorträgt, er hätte nicht mit Verkehrsverstößen der ihm unbekannten Fahrer rechnen müssen, vermag ihn auch dies nicht zu entlasten. Der Einwand greift bereits aufgrund der relativen Häufigkeit von – fahrlässig wie vorsätzlich begangenen – Geschwindigkeitsübertretungen usw., die als offenkundige Tatsache zu bewerten ist, nicht durch und kann erst recht bei unbegleiteten Fahrten, bei denen sich der Halter jeder Einflussmöglichkeit über das auf ihn zugelassene Fahrzeug begibt, nicht überzeugen.

Dass der Antragsteller keinerlei Dokumentation aufbewahrt hat und im Zuge dessen nicht in der Lage war, die Ermittlungen des ihm unbekannten Fahrers seines Fahrzeuges zu befördern, geht zu seinen Lasten. Er hat durch seine besondere Sorglosigkeit in der Weitergabe seines Motorrads an Unbekannte die Voraussetzungen für die Nichtermittelbarkeit des Tatfahrers erst geschaffen. Vor diesem Hintergrund ist daher auch unerheblich, ob das Lichtbild – wie vom Antragsteller geltend gemacht – zu undeutlich gewesen ist.

Hinzu kommt, dass der Antragsteller gehalten gewesen wäre, den möglichen Täterkreis nach den ihm vorhandenen Erkenntnismöglichkeiten weiter einzugrenzen. Hierzu hätte ihm beispielsweise die Darlegung – schon im Anhörungsverfahren – des Umstandes oblegen, wie er mit den potentiellen Kaufinteressenten Kontakt aufgenommen hatte.

Die zuständige Stelle des I. durfte nach alledem bereits aus den gänzlich unterlassenen Angaben zum berechtigten Nutzerkreis des Fahrzeugs zulässigerweise auf die fehlende Mitwirkungsbereitschaft des Antragstellers schließen.

Vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 23. August 2013 – 8 C. 837/13 -; OVG Niedersachsen, Beschluss vom 2. November 2004 –12 ME 413/04-, juris; OVG Niedersachsen, Beschluss vom 4. Dezember 2003 –12 LA 442/03-, juris; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschlüsse 9. Mai 2006 – 8 A 3429/04-, juris und vom 21. März 2016 -8 C. 64/16-, VG Gelsenkirchen, Urteil vom 4. März 2013 –14 K 2369/12-, juris; VG Düsseldorf, Urteil vom 24. Mai 2012 –6 K 8411/10-, juris; VG Düsseldorf, Beschluss vom 25. März 2013 –14 L 356/13-, juris; VG Düsseldorf, Beschluss vom 25. Juni 2013 –14 L 996/13 -; VG Düsseldorf, Urteil vom 3. Dezember 2013 –14 K 4334/13-, juris.

Dabei ist unerheblich, aus welchen Gründen der Halter keine (detaillierten) Angaben zur Sache macht. Die Anordnung einer Fahrtenbuchauflage nach § 31a Abs. 1 Satz 1 StVZO setzt vor allem nicht voraus, dass der Halter seine Mitwirkungsobliegenheiten schuldhaft nicht erfüllt hat oder die Unmöglichkeit der Feststellung des Fahrzeugführers sonst zu vertreten hat……“

8 bis 10 Kölsch?, oder: Offenbar noch kein „generell … problematisches Trinkverhalten ….“

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Die zweite „karnevalistische“ Entscheidung – na ja, zumindest eine, bei der die Suche mit dem Schlagwort „Karneval“ Erfolg hatte – ist der VG Gelsenkirchen, Beschl. v. 02.09.2016 – 7 L 1951/16. Es geht (mal wieder, obwohl ich lange dazu keine Entscheidung vorgestellt habe) um die Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 3 StVG. Dem Verfahren lag ein MPU-Gutachten zugrunde, um dessen Verwertbarkeit gestritten wurde. In dem Zusammenhang macht das VG dann folgende Ausführungen zum „Trinkverhalten“:

„Das Gutachten geht – entgegen der Auffassung des Antragstellers – weder von falschen Angaben zum Trinkverhalten des Antragstellers aus noch zieht es daraus falsche Schlüsse.

Das Gutachten geht nachvollziehbar von der Tatsache aus, der Antragsteller habe 8 bis 10 Kölsch am 8. Februar 2016 getrunken. Der Antragsteller muss sich an diesen in der Exploration im Rahmen der Begutachtung gemachten Angaben zu seinem Trinkverhalten seit der letzten Trunkenheitsfahrt, insbesondere an Karneval 2016, festhalten lassen. Die nunmehr erst im vorliegenden Verfahren bzw. Klageverfahren angegebene längere Trinkdauer derselben Menge Alkohol über den gesamten Karnevalszeitraum ist nicht glaubhaft. Sie steht im Widerspruch zu seiner Angabe, er sei „da auf Karneval“ letztmalig betrunken gewesen. Denn es spricht vieles dafür, dass der Antragsteller, wenn er eine Alkoholkonsummenge von 8 bis 10 Kölsch verteilt über mehrere Tage getrunken hätte, dadurch nicht – wie er aber erklärt hat – betrunken gewesen wäre. Anhaltspunkte dafür, dass die Mengenangaben des Antragstellers zu seinem Alkoholkonsum an Karneval sich auf das gesamte Wochenende beziehen, sind zudem aus der dokumentierten Exploration nicht ersichtlich. Seine Antwort auf die Frage, wann er letztmalig Alkohol getrunken habe, ist vielmehr eindeutig auf einen einzelnen Tag bezogen, soweit er angibt, „Karneval in Köln am 8. Februar 2016 da waren es 8 bis 10 Kölsch…“ (Bl. 9 des Gutachtens). Ob eine Trinkmenge von 8 bis 10 Kölsch generell auf ein problematisches Trinkverhalten schließen lässt oder ohne eine entsprechende Vorgeschichte mit alkoholbedingter Verkehrsauffälligkeit akzeptabel ist, namentlich wenn diese ausnahmsweise zu Anlässen wie Karneval konsumiert wird, bedarf hier keiner Bewertung.

Das Gutachten zieht aus dem Trinkverhalten des Antragstellers an Karneval 2016 keine unzulässigen Schlüsse auf den die Verhaltenssteuerung nachteilig beeinflussenden Berauschungsgrad. Die gutachterliche Beurteilung der Trinkmenge von 8 bis 10 Kölsch, die auf einen Berauschungsgrad schließen lasse, welcher eine gravierende, nachteilige Beeinflussung der rationalen Verhaltenssteuerung erwarten lasse (Bl. 13 des Gutachtens), ist nämlich in folgendem Kontext zu sehen: Im Kern ist für diese Schlussfolgerung des Gutachtens maßgeblich, dass der Antragsteller weder sein Alkoholkonsumverhalten grundlegend verändert hat noch eine ausreichende Einsicht in die Notwendigkeit einer solchen Veränderung erkennen lässt. Es fehlt eine angemessene Bewertung seines früheren – als deutlich normabweichend einzuschätzenden – Alkoholkonsums im Sinne einer Selbstreflexion und zudem eine als hinreichend zu bewertende Reduzierung der Trinkmenge gegenüber früher. Die eigene Beurteilung des Antragstellers, sein Trinkverhalten sei seit der letzten aktenkundigen Trunkenheitsfahrt „super eingeschränkt“ (Bl. 9 des Gutachtens) ist nicht realitätsnah. Jedenfalls im Fall des Antragstellers bietet aber vor dem Hintergrund seiner Vorgeschichte – wie das Gutachten nachvollziehbar feststellt (Bl. 13 des Gutachtens) – nur eine geplante Dauer und Art des Alkoholkonsums bei konsequenter Einhaltung fester Obergrenzen hinreichende Aussicht auf die Vermeidung erneuten exzessiven bzw. problematischen Alkoholkonsums. Der Antragsteller hat in der Vergangenheit nämlich gezeigt, dass er bereits bei BAK-Werten um ca. 1,3 Promille (erste aktenkundige Trunkenheitsfahrt am 16. Februar 2006) bzw. AAK-Werten um ca. 0,5 mg/l (zweite aktenkundige Trunkenheitsfahrt am 2. Dezember 2015) in seiner rationalen Verhaltenssteuerung derart nachhaltig beeinflusst ist, dass er in diesem Berauschungszustand mehrfach ein Kraftfahrzeug geführt hat.“

Das beruhigt mich, dass eine Menge von 8 bis 10 Kölsch – das soll ja so etwas Ähnliches wie Bier sein 🙂 – offenbar noch nicht „generell auf ein problematisches Trinkverhalten schließen lässt“. 🙂 . Die haben wahrscheinlich alle die, die um 11.11 Uhr angefangen haben zu feiern, schon drin 🙂

Entziehung der Fahrerlaubnis erst mit 3,0 ng/ml THC im Blutserum?

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Hinweisen möchte ich heute in der Abteilung: „Ein Kessel-Buntes“ zunächst auf zwei verwaltungsgerichtliche Entscheidungen, und zwar auf das VG Gelsenkirchen, Urt. v. 20.01.2016 – 9 K 4970/15 – und auf den VG Aachen, Beschl. v. 07.03.2016 – 3 L 972/15. In beiden Verfahren ist um die Rechtsmäßigkeit der Entziehung der Fahrerlaubnis wegen fehlender Fahreignung, die mit Cannabis-Konsum begründet worden ist, gestritten worden. Beide Entscheidungen haben die Entziehung der Fahrerlaubnis – zumindest vorläufig – „abgesegnet“, und dabei zur Frage Stellung genommen, ob eine Erhöhung des Grenzwertes angenommen werden kann/muss, ab dem ein Verstoß gegen das sog. Trennungsgebot vorliegt. Beide Entscheidungen lehnen das ab.

Dazu der Leitsatz zum VG Gelsenkirchen, Urt. v. 20.01.2016 – 9 K 4970/15

Und die Leitsätze vom VG Aachen, Beschl. v. 07.03.2016 – 3 L 972/15:

  • Die Entziehung der Fahrerlaubnis wegen fehlender Fahreignung ist gerechtfertigt, wenn der Betroffene in der Vergangenheit gelegentlich Cannabis konsumiert und zusätzlich unter Einwirkung von Cannabis ein Kraftfahrzeug geführt hat.
  • Eine Fahrt unter Einwirkung von Cannabis ist im Fahrerlaubnisrecht ebenso wie im Ordnungswidrigkeitenrecht weiterhin ab einer THC-Konzentration von 1,0 ng/ml im Blutserum anzunehmen.
  • Der Charakter dieses Grenzwerts als „Risikogrenzwert“ lässt es nicht zu, ihn zu Gunsten des Betroffenen auf 3,0 ng/ml THC im Blutserum anzuheben, wie dies die Grenzwertkommission (Blutalkohol 52, 2015, S. 322) vorgeschlagen hat.

Wir werden zu der Frage dann sicherlich bald was vom OVG Münster hören.