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Maßgeblicher Zeitpunkt Punktestandberechnung, oder: Entziehung der Fahrerlaubnis

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Und als zweite Entscheidung dann noch der VG Düsseldorf, Beschl. v. 11.03.2022 – 6 L 247/22 – mit folgendem Sachverhalt:

Das Kraftfahrtbundesamt teilt der Fahrerlaubnisbehörde mit, dass gegen den Fahrerlaubnisinahber/Antragsteller einige Verkehrsverstöße rechtskräftig geahndet worden sind. Auf dieser Grundlage ermittelt das VG dann unterschiedliche Punktestände für den Zeitpunkt Kenntnisstand der Behörde bei Ermahnung am 03.08.2020, bei Verwarnung am 11.05.2021 und für den Zeitpunkt Ausstellung der Ordnungsverfügung am 24.01.2022.

Die Ermahnung vom 03.08.2020 wurde dem Antragsteller laut Zustellungsurkunde am 06.08. 2020 zugestellt. Die Verwarnung vom 11.05.2021 wurde ihm am 14.05.2021 zugestellt.

Mit Schreiben vom 11.01.2022 gab der Antragsgegner dem Antragsteller Gelegenheit zur Stellungnahme innerhalb einer Woche. Mit Schreiben vom 18.01.2022 nahm der Antragsteller Stellung und führte im Wesentlichen aus, dass er den Punktestand von acht Punkten angesichts der Punktereduzierung von zwei Punkten am 03.08.2020 und der Tilgung eines Punktes mit Wirkung zum 24.01.2021 nicht nachvollziehen könne. Zudem sei er weder ermahnt noch verwarnt worden. Der Antragsgegner antwortete, dass für die Punkteberechnung maßgeblich auf den Zeitpunkt der Begehung der letzten Tat am 29.01.2020 abzustellen sei. Die Ermahnung und die Verwarnung seien dem Antragsteller nach Aktenlage zugestellt worden. Er habe keinen Ermessensspielraum und sei an die rechtskräftigen Entscheidungen gebunden.

Der Antragsgegner entzog dem Antragsteller dann mit Ordnungsverfügung vom 24.01.2022 die Fahrerlaubnis und forderte ihn auf, den Führerschein unverzüglich, spätestens drei Tage nach Zustellung der Verfügung abzugeben und ordnete die sofortige Vollziehung der Herausgabe des Führerscheins an. Der Antragsteller hat gegen die Ordnungsverfügung Klage erhoben (6 K 1231/22), über die das VG noch nicht entschieden hat. Er hat zugleich den Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gestellt.

Der hatte Erfolg. Das VG hat die aufschiebende Wirkung angeordnet, weil nach seiner Meinung die Klage auch Erfolg haben wird. Hier die Leitsätze der Entscheidung:

    1. Der maßgebliche Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Fahrerlaubnisentziehungsverfügung ist ihr Wirksamwerden (§ 43 VwVfG), nicht ihre Abfassung durch die Behörde.
    2. Werden Punkte nach der Abfassung der Entziehungsverfügung, aber vor ihrem Wirksamwerden gelöscht, kann sich das auf die Rechtmäßigkeit der Entziehungsverfügung auswirken. Denn die Löschung begründet ein absolutes Verwertungsverbot (§ 29 Abs. 7 Satz 1 StVG), das das Tattagprinzip überlagert.
    3. Wurden nach dem Tattagprinzip acht Punkte erreicht, ist die Entziehungsverfügung rechtswidrig, wenn ein Punkt während ihres Postlaufs an den Fahrerlaubnisinhaber gelöscht wird.

Niqab am Steuer, oder: Ist die Vollverschleierung am Steuer erlaubt?

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Author Manuelfb55

Heute ist Samstag und damit „Kessel Buntes-Zeit“. Und in dem „schwimmen“ heute zwei verwaltungsrechtliche Entscheidungen.

Zunächst stelle ich den VG Düsseldorf, Beschl. v. 26.11.2020 – 6 L 2150/20. Ergangen ist er in einem Verfahren, in dem eine einstweilige Anordnung beantragt worden ist. Es geht um folgenden Sachverhalt:

Die Antragstellerin beantragte am 14.02.2020 bei der Bezirksregierung, ihr eine Ausnahme gem. § 46 Abs. 2 StVO vom Verhüllungsverbot des § 23 Abs. 4 StVO zu erteilen. Hierzu füllte sie einen Vordruck aus, der von dem eingetragenen Verein (e.V.) „G. J. V. “ im Internet zum Download angeboten wird (https://xxxxxxxxxxxxxxx.de/media/downloads/). Die Ausnahme sollte sich auf die Fahrerlaubnis Klasse B beziehen und für die gesamte Bundesrepublik gelten.

Die Antragstellerin beantragte, ihr zu genehmigen, beim Führen eines Kraftfahrzeuges das Tragen des „Niqab“ (Nikab) zu erlauben. Sie erläuterte diese Kopfbedeckung anhand zweier beigefügter Zeichnungen. Diese zeigen aus der Front- und Seitenansicht eine Frau, deren Kopf, Hals und Oberkörper von einem undurchsichtigen dunklen Stoff bedeckt ist. Nur ein wenige Zentimeter breiter horizontaler Sehschlitz für die Augen bleibt von ihm unbedeckt. Der Sehschlitz läuft auf der Höhe der äußeren Augenwinkel im Schläfenbereich spitz zu. Sichtbar bleiben lediglich die Augen, die Augenbrauen und der obere Teil der Nasenwurzel.

Die Antragstellerin begründete ihren Antrag damit, dass sie seit Mai 2007 praktizierende Muslima sei und sich bedecke. Der Koran schreibe vor, dass die gläubigen Frauen ihre Blicke niederschlagen, ihre Scham hüten und ihre Reize nicht zur Schau tragen sollen (Sure 24, Vers 31 sowie Sure 33, Vers 53 und 59). Sie bedecke sich freiwillig und sehe es als sexuelle Nötigung an, wenn man sie dazu zwinge, ihren Niqab am Steuer abzulegen.

Die Bezirksregierung forderte die Antragstellerin auf, näher darzulegen a) warum sie auf die Pkw-Nutzung zwingend angewiesen sei, b) warum das Verhüllungsverbot sie in ihrer Glaubensfreiheit verletze, c) welcher schwere Nachteil entstehe, wenn sie unverschleiert ein Fahrzeug führen müsse und d) darzulegen, dass trotz der Verhüllung eine ungehinderte Rundumsicht gewährleistet sei. Des Weiteren wies sie darauf hin, dass ggf. ihre und die Bereitschaft des Kfz-Halters, ein Fahrtenbuch zu führen, die Ausnahmegenehmigung ermöglichen könnte.

Mehr als fünf Monate später verlangte die Antragstellerin dann die Bescheidung ihres Antrags, ohne die aufgeworfenen Fragen der Bezirksregierung zu beantworten. Die Führung eines Fahrtenbuchs lehnte sie ab bzw. erklärte sich nur hilfsweise damit einverstanden. Zugleich legte sie eine Ablichtung ihrer im Jahr 2012 ausgestellten Führerscheinkarte vor, die sie mit einem Hidschab zeigt. Es sind nur die Haare und der Hals vom Stoff bedeckt, das Gesicht ist von der Stirn bis zur Kinnspitze sichtbar.

Die Bezirksregierung hat die Erteilung der Ausnahmegenehmigung abgelehnt. Dagegen dann die Klage auf Erteilung der Ausnahmegenehmigung und zugleich der Antrag auf den Erlass einer einstweiligen Anordnung.

Das VG hat den Antrag abgelehnt. Wegen der Begründung verweise ich auf den verlinkten Volltext. Hier nur die Leitsätze der Entscheidung:

  1. Eine Muslima, die aus religiösen Gründen einen Niqab trägt, hat keinen Anspruch auf eine Ausnahme von dem am Steuer eines Kraftfahrzeugs geltenden Verhüllungsverbots (§ 23 Abs. 4 StVO).
  1. Das Verhüllungsverbot des § 23 Abs. 4 StVO ist mit der Religionsfreiheit nach Art. 4 GG vereinbar. Autos bieten einen Schutzraum in der Öffentlichkeit, der den Zweck, dem der Niqab dienen soll, weitgehend erfüllt. Außerdem lässt § 46 Abs. 2 StVO Ausnahmen in Härtefällen zu.
  1. Eine Vollverschleierung gefährdet die Verkehrssicherheit, weil Verkehrszuwiderhandlungen nicht mehr wirksam verfolgt werden können, weil er die Rundumsicht beeinträchtigen kann und die mimische Verständigung im Straßenverkehr einschränkt.
  1. Zuständig für die Erteilung einer Ausnahme nach § 46 Abs. 2 StVO ist die Landesbehörde und nicht das Bundesverkehrsministerium, auch wenn die Ausnahme bundesweit gelten soll.

„Das Halteverbotschild hat da nicht gestanden“, oder: Doch, es gilt der Anscsheinsbeweis

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Im Kessel Buntes dann heute zwei verwaltungsrechtliche Entscheidungen.

Die erste befasst sich mit dem Dauerthema „Abschleppen“. Im VG Düsseldorf, Urt. v. 06.10.2020 – 14 K 6187/19 – geht es mal wieder um die Abschleppkosten, und zwar nacheinem Abschleppen aus einem „mobilen absoluten Halteverbot“. Der Kläger hatte u.a. einegwandt, dass die Schilder nicht drei volle Tage vor dem Abschleppvorgang aufgestellt worden seien. Er hatte mit seiner Klage keinen Erfolg:

„Der Bescheid ist rechtmäßig. Die tatbestandlichen Voraussetzungen der vorgenannten Ermächtigungsgrundlage sind erfüllt. Hiernach hat der für eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit verantwortliche Störer die durch eine rechtmäßige Sicherstellung oder Ersatzvornahme entstandenen Kosten zu tragen.

Ob die hier in Rede stehende Abschleppmaßnahme als Sicherstellung gemäß § 24 Nr. 13 OBG NRW, § 46 Abs. 3, § 43 Nr. 1 PolG NRW oder als Ersatzvornahme einer Beseitigungsmaßnahme gemäß § 14 OBG NRW, § 55 Abs. 2, § 57 Abs. 1 Nr. 1, § 59 VwVG NRW auf Grundlage der ordnungsrechtlichen Generalklausel anzusehen ist, kann dahinstehen,
vgl. OVG Nordrhein-Westfalen (OVG NRW), Urteil vom 28. November 2000 – 5 A 2625/00 -, Rn. 13, juris,

denn sie ist nach beiden Alternativen rechtmäßig. Die in den vorgenannten Vorschriften vorausgesetzte gegenwärtige bzw. konkrete Gefahr für die öffentliche Sicherheit bestand vorliegend. Eine Gefahr im polizei- und ordnungsrechtlichen Sinne liegt jedenfalls bei einem Verstoß gegen die objektive Rechtsordnung, mithin bei einer Zuwiderhandlung gegen formelle und materielle Gesetze vor.

Eine derartige Zuwiderhandlung ist gegeben.

Der Parkvorgang auf dem Parkplatz „L2. “ in N2. verstieß gegen § 41 Abs. 1 der Straßenverkehrsordnung (StVO) i.V.m. Nr. 62 der Anl. 2 zu § 41 Abs. 2 StVO (Zeichen 283). Denn aufgrund der auf dem Platz aufgestellten Halteverbotsschilder mit dem Datumszusatz war das Halten an dem von dem abgeschleppten PKW genutzten Parkplatz zu diesem Zeitpunkt verboten.

Denn nach der mündlichen Verhandlung steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass die auf den – in den Verwaltungsvorgängen befindlichen – Fotos neben dem Fahrzeug des Klägers sichtbaren mobilen Haltverbotszeichen mit dem Zeitzusatz „ab 17.06.2019 ab 22:00 Uhr“ auf dem Parkplatz ab dem 13. Juni 2019 ordnungsgemäß aufgestellt waren, durchgehend bis zum Tag der Abschleppmaßnahme am 19. Juni 2019 vor Ort vorhanden waren und zwischenzeitlich weder abgebaut noch unkenntlich gemacht worden sind. Das Vorhandensein der Halteverbotsschilder am 18. Juni 2019 ist in den Verwaltungsvorgängen der Beklagten fotografisch dokumentiert. Das Aufstellen der Schilder am 13. Juni 2019 ergibt sich aus 3 verschiedenen Belegen unterschiedlicher Personen: Zum einen ergibt es sich aus dem Tagesbericht des Mitarbeiters I1. . Zum anderen ergibt es sich aus dem handschriftlichen Vermerk der Mitarbeiterin D. . Schließlich ergibt es sich aus dem handschriftlichen Vermerk der Außendienstmitarbeiter vom 19. Juni 2019. Es ist nichts dafür ersichtlich, dass diese verschiedenen Mitarbeiter alle eine unrichtige Dokumentation festgehalten haben. So ist auch plausibel, dass der nachträglich ausgedruckte Tagesbericht das Datum seines Ausdrucks trägt und dass die Mitarbeiterin D. das Ergebnis ihrer Überprüfung vor Ort richtig festgehalten hat.

Damit besteht grundsätzlich ein Anscheinsbeweis für die ununterbrochene Anwesenheit und Wahrnehmbarkeit der Verkehrszeichen vor Ort,
vgl. VG Bremen, Urteil vom 13. August 2009, – 5 K 3876/08 -, Juris, VG Leipzig, Urteil vom 14. November 2007, Az. 1 K 483/06, Juris.

Denn nach der Lebenserfahrung werden Schilder in der Regel nicht von Unbefugten versetzt oder gar entfernt. Der Beweis des ersten Anscheins ist hier auch nicht durch die Darlegungen des Klägers erschüttert, da keine Tatsachen vorliegen, welche die ernsthafte und naheliegende Möglichkeit eines atypischen Verlaufs begründen. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Vernehmung der Zeugin T2. . Denn sie hat im Rahmen ihrer Vernehmung in der mündlichen Verhandlung glaubhaft und widerspruchsfrei bekundet, dass sie dem Kläger telefonisch die Auskunft erteilt habe, dass die Schilder ab dem 17. Juni 2019 wirksam gewesen seien. Weiter habe sie ihm gesagt, dass sie als für die Erstellung der Bescheide im Innendienst Zuständige keine Kenntnis davon habe, wann die Schilder genau aufgestellt worden seien und sich diesbezüglich erkundigen müsste.

Das Gericht hat keine Veranlassung die Glaubhaftigkeit der Zeugin in Zweifel zu ziehen. Die Zeugin hat das Kerngeschehen hinsichtlich des Vorhandenseins der mobilen Halteverbotszeichen ohne Belastungstendenzen wiedergegeben. Das Gericht geht folglich davon aus, dass die mobilen Haltverbotsschilder ordnungsgemäß aufgestellt waren, als der Kläger seinen PKW am Wochenende des 15./16. Juni 2019 auf dem Parkplatz abstellte.

Unerheblich ist darüber hinaus, dass der Kläger, wie er vorträgt, kein Halteverbotsschild gesehen hat. Auf ein Verschulden kommt es im Bereich des hier vorliegenden Gefahrenabwehrrechts nicht an. Denn der mit dem Halteverbot erlassene Verwaltungsakt ist gegenüber dem Kläger wirksam geworden. Verkehrszeichen und damit auch Halteverbotszeichen stellen nach der ständigen Rechtsprechung Verwaltungsakte im Sinne von § 35 VwVfG NRW in Form von Allgemeinverfügungen dar. Dieser Verwaltungsakt wird gemäß § 43 Abs. 1 VwVfG NRW gegenüber demjenigen, für den er bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird, in dem Zeitpunkt wirksam, in dem er ihm bekanntgegeben wird. Die Bekanntgabe erfolgt nach den bundesrechtlichen Vorschriften der StVO durch Aufstellung des Verkehrsschildes (§ 39 Abs. 1 und 2, § 45 Abs. 4 StVO). Bei der Aufstellung handelt es sich um eine besondere Form der öffentlichen Bekanntgabe.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 11. Dezember 1996 – 11 C 15.95 -, Rn. 9, juris.

Sind Verkehrszeichen so aufgestellt oder angebracht, dass sie ein durchschnittlicher Kraftfahrer bei Einhaltung der nach § 1 StVO erforderlichen Sorgfalt schon „mit einem raschen und beiläufigen Blick“ erfassen kann, so äußern sie ihre Rechtswirkung gegenüber jedem von der Regelung betroffenen Verkehrsteilnehmer, unabhängig davon, ob er das Verkehrszeichen tatsächlich wahrgenommen hat.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 6. April 2016 – 3 C 10/15 -, Rn. 15, 19 f. ; – juris; BVerwG, Urteil vom 11. Dezember 1996 – 11 C 15.95 -, Rn. 9, juris; OVG NRW, Urteil vom 23. Mai 1995 – 5 A 2092/93 -, Rn. 4 ff.; OVG NRW, Urteil vom 15. Mai 1990 – 5 A 1687/89 -, Rn. 7 ff., juris.

Allerdings sind an die Sichtbarkeit von Verkehrszeichen, die den ruhenden Verkehr betreffen, niedrigere Anforderungen zu stellen, als an solche für den fließenden Verkehr. Diese müssen – anders als beim fließenden Verkehr – nicht bereits mit einem raschen und beiläufigen Blick erfasst werden können.
Vgl. OVG Hamburg, Urteil vom 30. Juni 2009 – 3 Bf 408/08 -, Rn. 31 ff., juris; VG Düsseldorf, Urteil vom 20. August 2013 – 14 K 5618/12 – juris, Urteil vom 08.11.2016 – 14 K 8007/15 – juris.

Einen Verkehrsteilnehmer, der sein Fahrzeug abstellt, treffen dementsprechend auch andere Sorgfalts- und Informationspflichten hinsichtlich der Beschilderung und der maßgeblichen örtlichen Verkehrsregelungen als einen Teilnehmer am fließenden Verkehr. Die Sorgfaltsanforderungen richten sich stets nach den konkreten Umständen des Einzelfalles.
Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 11. Juni 1997 – 5 A 4278/95 -, Rn. 5 ff., juris; OVG NRW, Beschluss vom 25. November 2004 – 5 A 850/03 -, Rn. 38, juris; OVG NRW, Urteil vom 15. Mai 1990- 5 A 1687/89 -, Rn. 7 ff., juris.

In Bezug auf Einschränkungen des Parkens und Haltens ist ein Verkehrsteilnehmer daher grundsätzlich verpflichtet, sich nach etwa vorhandenen Verkehrszeichen mit Sorgfalt umzusehen und sich über den örtlichen und zeitlichen Geltungsbereich eines (mobilen) Haltverbotsschilds zu informieren. Dabei muss er jedenfalls den leicht einsehbaren Nahbereich auf das Vorhandensein verkehrsrechtlicher Regelungen überprüfen, bevor er sein Fahrzeug endgültig abstellt.
Vgl. OVG NRW, Urteil vom 15. Mai 1990 – 5 A 1687/89 – juris (40 m Gehweg zumutbar); OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 11. Juni 1997 – 5 A 4278/95 -, Rn. 5 ff., juris; OVG Hamburg, Urteil vom 30. Juni 2009 – 3 Bf 408/08 -, Rn. 31 ff., juris.

Unter Zugrundelegung der vorgenannten Kriterien sind die mobilen Haltverbotszeichen ordnungsgemäß bekannt gegeben worden und waren ausweislich des vorliegenden Fotomaterials nach dem Sichtbarkeitsgrundsatz für einen durchschnittlichen Kraftfahrer bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt hinreichend erkennbar. Dies gilt auch unter Einbeziehung der am Eingang des Parkplatzes aufgestellten Schilder. Denn aus der Zusammenschau der Schilder ist ersichtlich, dass das absolute Halteverbot für die jeweils bezeichneten Reihen der Parkplätze gelten sollte.

…..“

Na ja, ……

Darf man bekifft Auto fahren?, oder: Konsum von Medizinal-Cannabis

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Schon etwas länger hängt in meinem Blogordner die PM des VG DÜsseldorf zum VG Düsseldorf, Urt. v. 24.10.2019 – 6 K 4574/18. Inzwischen liegt der Volltext zu der Entscheidung vor, so dass ich hier über die Entscheidung berichten kann.

In der Sache ging es um die von einem Medizinal-Cannabis-Patienten begehrte Neuerteilung einer Fahrerlaubnis. Die Verwaltungsbehörde hatte das abgelehnt. Dagegen die Klage beim VG, die Erfolg hatte. Dazu aus der PM – ich mache es mir einfach 🙂 :

„……Das hat die 6. Kammer des Verwaltungsgerichts Düsseldorf durch heute verkündetes Urteil entschieden und der gegen den Ablehnungsbescheid der Fahrerlaubnisbehörde gerichteten Klage des Medizinal-Cannabis-Patient stattgegeben.

Das dem Rhein-Kreis Neuss im Rahmen des Neuerteilungsverfahrens vorgelegte medizinisch-psychologische Gutachten gelangte zwar zu dem Ergebnis, dass der Kläger im Falle einer erteilten Fahrerlaubnis die Einnahme von Medizinal-Cannabis und das Führen von Kraftfahrzeugen nicht werde trennen können. Zugleich attestierte es ihm jedoch seine psycho-physische Leistungsfähigkeit unter Cannabiswirkung.

Die 6. Kammer stellte fest, dass der Medizinal-Cannabis-Patient auf Grund der Einschätzungen des Gutachtens einen Anspruch auf Neuerteilung der Fahrerlaubnis hat. Anders als bei illegalem Cannabiskonsum könne derjenige, der ärztlich verschriebenes Medizinal-Cannabis einnehme, zum Führen von Kraftfahrzeugen geeignet sein. Er könne eine Fahrerlaubnis erhalten, wenn er auch unter der Wirkung von Medizinal-Cannabis ausreichend leistungsfähig sei, um ein Kraftfahrzeug sicher zu führen.

Bei einer Dauerbehandlung mit Medizinal-Cannabis komme es für die Frage der Fahreignung darauf an, ob der Betroffene

  • Cannabis zuverlässig nur nach der ärztlichen Verordnung einnimmt,
  • keine dauerhaften Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit festzustellen sind,
  • die Grunderkrankung für sich genommen der sicheren Verkehrsteilnahme nicht im Wege steht und
  • der Betroffene verantwortlich mit dem Medikament umgeht, insbesondere nicht fährt, wenn die Medikation verändert wird.

Aus dem vorgelegten medizinisch-psychologischen Gutachten ergebe sich in nachvollziehbarer Weise, dass der Kläger diese Voraussetzungen erfülle.

Dem Medizinal-Cannabis-Patient dürfe nicht von vornherein auferlegt werden, sich regelmäßig erneut untersuchen zu lassen. Die Fahrerlaubnisbehörde könne ihn aber wegen der möglicherweise schädlichen Langzeitwirkung von dauerhafter Cannabiseinnahme in einiger Zeit auffordern, seine fortbestehende Eignung wieder nachzuweisen.“

Unzulässiges Kfz-Kennzeichen, oder: VIE-HH 1933 ist sittenwidrig

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So, zunächst in eigener Sache:

Heute ist der 1. Juni 2019. Und passend zum Monatsanfang hat das Blog ein neues Gesicht bekommen. Angepasst an das Outfit von Burhoff-Online. Schön minimalistisch – passend auch demnächst zum neuen Stand/Wohnort in Leer.

Besten Dank an den Blogmaster :-), den Kollegen Mirko Laudon aus Hamburg für seine Hilfe/Unterstützung. Und bei der Gelegenheit hat er auch „umgestellt“. Jetzt heißt es richtig „Ältere Beiträge“.

Als ersten Beitrag im neuen Gewand dann der VG Düsseldorf, Beschl. v. 30.04.2019 – 6 L 175/19. Über die dazu ergangene PM haben ja schon einige andere Blogs berichtet. Hier dann jetzt der Volltext zu dem im „§ 80 Abs. 5-Verfahren ergangenen Beschluss.

Der Antragsteller des Verfahrens ist Halter eines Kraftfahrzeugs. Der Antragsgegner ließ das Fahrzeug am 00.0.2018 auf den Antragsteller zu, wobei er ihm „..-HH 1933“ als Wunschkennzeichen zuteilte. Im Januar 2019 ist ihm von der Verwaltungsbehörde aufgegeben worden, sein Fahrzeug auf eine andere Kennzeichenkombination umzukennzeichnen. Der Antragsteller hat gegen die Ordnungsverfügung erhoben (6 K 386/19), über die noch nicht entschieden ist. Zugleich hat er die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes beantragt. Über den hat das VG Düsseldrof entschieden. Das VG hat teilweise vorläufigen Rechtsschutz gewährt.

Die Leitsätze der Entscheidung lauten:

1. Die Kennzeichenkombination „HH1933“ ist sittenwidrig i.S.d. § 8 Abs. 1 Satz 3 FZV, da der durchschnittliche Bürger der Bundesrepublik Deutschland sie mit dem Nationalsozialismus im Dritten Reich assoziiert.

2. Die Fahrzeug-Zulassungsverordnung ermächtigt die Zulassungsbehörde nicht, den Fahrzeughalter zur Vollziehung der gemäß § 8 Abs. 3 FZV angeordneten Kennzeichenänderung durch Eintragung in der Zulassungsbescheinigung und Wechsel der Kennzeichenschilder zu verpflichten. Eine solche Ermächtigung ergibt sich weder aus § 8 Abs. 3 FZV, noch aus § 5 Abs. 1 FZV oder § 10 Abs. 3 FZV.

Zur Sittenwidrigkeit führt das VG aus:

„Ermessensfehler sind ebenfalls nicht ersichtlich. Insbesondere ist der Antragsgegner entgegen der Auffassung des Antragstellers nicht von unzutreffenden tatsächlichen oder rechtlichen Voraussetzungen ausgegangen, indem er seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat, dass die Erkennungsnummer „HH1933“ gegen § 8 Abs. 1 Satz 3 FZV verstößt. Nach dieser Vorschrift dürfen die Zeichenkombination der Erkennungsnummer sowie die Kombination aus Unterscheidungskennzeichen und Erkennungsnummer nicht gegen die guten Sitten verstoßen. Die Erkennungsnummer „HH1933“ verstößt gegen die guten Sitten.

Eine Kennzeichenkombination ist in diesem Sinn sittenwidrig, wenn sie gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt.

Vgl. BGH, Urteil vom 29. September 1977 – III ZR 164/75 -, juris Rn. 10; RG, Urteil vom 15. Oktober 1912 – VII 231/12 -, juris.

Ein Verstoß gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden liegt vor, wenn die Kennzeichenkombination nicht mit den in der Gemeinschaft anerkannten moralischen Anschauungen, also der dort herrschende Rechts- und Sozialmoral, in Einklang steht. Maßstab ist also die Rechts- und Sozialmoral eines durchschnittlichen Bürgers. Gemeint sind insbesondere die der Rechtsordnung immanenten rechtsethischen Werte und Prinzipien, wie sie im Grundgesetz verkörpert sind. Für das Verständnis dessen, was heute unter „guten Sitten“ zu verstehen ist, hat die Wertordnung des Grundgesetzes, wie sie insbesondere auch in den Grundrechten niedergelegt ist, wesentliche Bedeutung.

Vgl. BGH, Urteil vom 9. Juli 1953 – IV ZR 242/52 -, juris Rn. 8 und vom 9. Februar 1978 – III ZR 59/76 -, juris Rn. 48; BVerfG, Urteil vom 15. Januar 1958 – 1 BvR 400/51 – juris und Beschluss vom 7. Februar 1990 – 1 BvR 26/84 -, juris Rn. 49; Palandt, BGB, 76. Auflage 2017, § 138 Rn. 2 ff.

In diesem Sinne sittenwidrig sind insbesondere Kennzeichen mit politisch extremistischem Symbolgehalt.

Vgl. Dauer, in: König/Hentschel/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 45. Auflage 2019, FZV, § 8 Rn. 18 Wohlfarth, in Haus/Krumm/Quarch, Gesamtes Verkehrsrecht, 2. Auflage 2017, FZV. § 8 Rn. 10; vgl. auch: Zuteilung von amtlichen Kennzeichen nach § 23 StVZO, Runderlass des Ministers für Wirtschaft, Mittelstand und Verkehr – IV/A 2 – 21 – 13/1 (3/85) (am1.1.2003: MVEL) v. 14.1.1985.

Nach diesen Maßgaben verstößt die Kennzeichenkombination „HH1933“ gegen die guten Sitten.

Die Kombination aus den Buchstaben „HH“ und den Ziffern „1933“ assoziiert der durchschnittliche Bürger der Bundesrepublik Deutschland mit dem Nationalsozialismus im Dritten Reich. Denn 1933 ist das Jahr, das zeitgeschichtlich für die Machtergreifung der Nationalsozialisten durch die Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler am 30. Januar 1933 und die anschließende Umwandlung der bis dahin bestehenden parlamentarischen Demokratie der Weimarer Republik und deren Verfassung in eine nach dem nationalsozialistischen Führerprinzip agierende zentralistische Diktatur steht. „HH“ ist neben „88“ eine in der rechtsextremistischen Szene verwendete Abkürzung des in der Zeit des Nationalsozialismus üblichen Grußes „Heil Hitler“.

Vgl. zu den Abkürzungen „HH“ bzw. „88“: Bundesamt für Verfassungsschutz: Rechtsextremismus: Symbole, Zeichen und verbotene Organisationen, Stand: Oktober 2018, S. 67; Ministerium des Innern Brandenburg: Symbole und Kennzeichen des Rechtsextremismus – Eine Information des Verfassungsschutzes, Stand: Oktober 2014, S. 14 ff. Ministerium für Inneres und Sport Mecklenburg-Vorpommern Abteilung Verfassungsschutz: Rituale und Symbole der rechtsextremistischen Szene, Stand: Juli 2015; S. 12; Bundeszentrale für politische Bildung: Woran erkenne ich Rechtsextreme?, vom 25. Juli 2008; abrufbar unter: https://www.bpb.de/politik/extremismus/rechtsextremismus/41314/woranerkenneichrechtsextreme?p=all.

Zwar ist dem Antragsteller zuzugeben, dass die Freie und Hansestadt Hamburg die Buchstaben „HH“ seit Jahren als Unterscheidungszeichen für ihren Verwaltungsbezirk benutzt und diese daher von dem durchschnittlichen Betrachter nicht mit dem Dritten Reich in Verbindung gebracht werden dürften, sondern mit Hamburg. Dies gilt jedoch nur, solange die Buchstabenkombination – anders als hier – das Unterscheidungszeichen und nicht die Erkennungsnummer darstellt und nicht mit weiteren im Zusammenhang mit dem Nationalsozialismus und dem Dritten Reich stehenden Buchstaben oder Zahlen kombiniert wird.

Ein Kennzeichen, das – wie hier – bei dem durchschnittlichen Bürger der Bundesrepublik Deutschland Assoziationen zum Dritten Reich weckt, ist mit der Werteordnung des Grundgesetzes und damit mit den in Deutschland anerkannten moralischen Anschauungen nicht zu vereinbaren. Die Zeit des Nationalsozialismus steht in fundamentalem Widerspruch zur dem in den Grundrechten verkörperten Wertesystem des Grundgesetzes, insbesondere der Unantastbarkeit der Menschenwürde, des Rechts auf Leben, dem Gleichheitsgrundsatz und der Religions-, Meinungs- und Pressefreiheit.“